Das Telefongespräch
Das Telefongespräch
Es klingelte. Gott schreckte auf. Er musste wohl bei seiner Arbeit am PC eingeschlafen sein. Dabei hatte er sich doch fest vorgenommen, seine Abhandlung über die schwindende Gottesfurcht unter den Menschen noch heute auf seine Homepage zu stellen.
Das Telefon gab keine Ruhe. Wo aber hatte er sein Handy bloß wieder abgelegt? Nach kurzer Suche fand er es unter einem Haufen von leeren Packungen vom Pizza Service "Flying Angels". Er meldetet sich per Namen.
„Gott“.
Ein Schluchzen kam von der anderen Seite der Leitung. Ein typisches Symptom für ein verstörtes menschliches Wesen, das wieder einmal seine Hilfe brauchte. In letzter Zeit nahmen diese Anrufe wirklich überhand.
"Wo drückt denn der Schuh?"
"Nun ja, ich weiß einfach nicht weiter. In letzter Zeit habe ich immer öfter so ein merkwürdiges Gefühl. Ich glaube, es ist Angst"
Stille.
Gott überlegte, ob es jetzt an ihm war, zu reden. Aber da fuhr der Mann bereits fort.
"Gestern war es wieder besonders schlimm. Ich habe nach der Arbeit einen Spaziergang gemacht. Es dämmerte bereits, als ich an einem Spielplatz vorbeigekommen bin. Ich habe mich auf eine Bank gesetzt und den Kindern beim Spielen zugesehen. Es war einfach wunderschön. Die Kinder leben ihr Leben so unbeschwert, so voller Freude. Doch nach und nach verschwanden die Kinder in ihren Häusern, einige wurden von ihren Müttern abgeholt. Nach dem fröhlichen Stimmengewirr trat Stille ein. Dazu kam die Dunkelheit. Und ich saß da, konnte einfach noch nicht aufstehen und gehen. Warum musste ein so schöner Tag ein Ende haben? Wie konnte es sein, dass aus einem bunten Bild mit lachenden Kindern so plötzlich ein Bild der Finsternis und der Stille wurde?"
Stille.
Wieder überlegte Gott, ob es an der Zeit war, dem Menschen etwas zu erwidern. Es war einer dieser täglichen
Anrufe. Einer dieser Anrufe von Menschen, die mit der Vergänglichkeit nicht zurecht kamen. Doch Gottes
Gedanken wurden von der Stimme des Mannes unterbrochen.
"Ich meine, da wurde mir dann wieder einmal bewusst, dass es nicht nur der Tag ist, der dem Ende zugeht. Die Rutsche, die Schaukel, alles würde in einigen Jahren nicht mehr hier stehen. Nichts ist ewig. Selbst die Kinder, die eben noch vor meinen Augen gespielt hatten, würden in nicht allzu ferner Zukunft nicht mehr sein. Das dachte ich, als ich so dasaß. Und auch ich habe nicht mehr viele Jahre auf dieser Welt."
Die Stimme des Mannes ging in ein Schluchzen über. Gott schaute auf seine digitale Armbanduhr. Wie sollte er so mit seiner Abhandlung fertig werden? Und e-Mails hatte er auch noch zu verschicken. Er konnte also nur sagen, was er den Menschen immer wieder sagte.
"Mein Sohn, der Tod gehört zum Leben nun einmal dazu."
"Ja, ich habe manchmal einfach Angst, das Leben zu sehr zu genießen. Manchmal vergesse ich dabei, dass das Leben nicht ewig dauert. Es gibt aber auch Momente, in denen ich den Tod herbeisehne. Er erscheint mir dann, als eine Art Zufluchtsort, an dem meine Seele auf ewig Bestand hat. Ich bitte dich wirklich selten um etwas, Gott. Aber heute möchte ich dich darum bitten, mich nicht im Stich zu lassen. Damit, dass mein Körper vergänglich ist, kann ich mich ja vielleicht abfinden. Aber ich brauche einfach die Gewissheit, dass ein Teil von mir ewig Bestand hat. Du weißt es doch am besten: Gibt es so etwas wie das Weiterleben der Seele nach dem Tod?"
Stille.
Die Stimme war verstummt. Gott seufzte innerlich. Wie oft war ihm diese Frage in den letzten Tagen bereits gestellt worden? Warum konnten die Menschen nicht verstehen, dass er ihnen keine Antwort darauf geben konnte, keine Antwort darauf geben wollte? Sein Blick fiel auf sein Notebook mit eingebautem Terminplaner.
"Ich muss heute noch auf ein paar Beerdigungen. Die Zeit rennt einfach davon. Rufen Sie am besten in drei Jahren noch einmal an. Am 17. Februar ist ein Termin frei geworden. Der gute Mann hat gestern mit seinem Leben abgeschlossen. Ab 14 Uhr hätte ich dann zwei Minuten Zeit für Sie."
Stille.