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Das Telegramm

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30.12.2002
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Das Telegramm

Louisa stand draußen in der samtigen Mitternachtsbläue und schaute durch die hell erleuchteten Fenster in den Saal. Ein warmer, weicher Wind spielte in ihren langen, schwarzen Haaren und die Haarspitzen kitzelten dabei ihren Rücken. Sie hörte das sanfte Plätschern der Wellen, die sich am Strand brachen, die Luft war erfüllt mit einem unbeschreiblichen Duftgemisch aus Jasmin, Oleander und Meer. Ein fernes Grillenzirpen rundete die Harmonie ab.
Drinnen herrschte eine überschäumende Fröhlichkeit, tanzende Paare wirbelten über das Parkett, eine gute Band sorgte für schmissige Musik, an langen Tischen saßen gutgelaunte, braungebrannte Menschen und tranken, rauchten, aßen und lachten.
Louisa fühlte sich ausgesperrt, dabei war sie freiwillig nach draußen gegangen, weil sie sich in dieser stampfenden, lärmenden Ansammlung von Menschen nicht wohl fühlte. Sie liebte es ruhig, klar und kühl. Dort im Saal aber war es laut, verraucht und heiß.
Es war der erste Urlaub, in den sie ganz alleine aufgebrochen war. Ein Wagnis, ja, mehr noch, ein Abenteuer, auf dass sie sich eingelassen hatte. Seit dem Tod ihres Mannes Torsten, der vor drei Jahren durch einen Autounfall aus ihren Leben gerissen wurde, hatte sie sich eingeigelt und versuchte, zu überleben. Sie war zweiunddreißig Jahre, ihre Ehe war Kinderlos geblieben, Verwandtschaft gab es keine mehr. Freunde hatten sich von ihr abgewandt, weil sie seit Torstens Tod nicht mehr in der Lage war, Freundschaften zu pflegen. Ein Tag war wie der andere, leer, düster, einsam, und doch ertrug sie dieses Leben tapfer, dem Gefühl gehorchend, dass ihr Mann es so gewollt hätte.
Nun war Louisa auf einer wunderschönen Insel im Mittelmeer, in einem guten Hotel mit vielen Animationsangeboten, inmitten sonnenhungriger Touristen gelandet. Hier fühlte sich noch einsamer, als zu Hause, allein in ihrer Wohnung. Es gelang ihr nicht, Anschluss zu finden. An Angeboten mangelte es nicht, Louisa war auf den ersten Blick eine attraktive, junge Frau, die schnell die Aufmerksamkeit besonders alleinreisender Männer auf sich zog. Jedoch hatte sie eine derart distanzierte, kühle und abweisende Art, dass jeder Annäherungsversuch sofort im Keim erstickt wurde. Louisa war sich nicht bewusst, dass es einzig an ihr selbst lag, und sie war traurig, so gar keinen Kontakt zu den Mitreisenden zu finden. So irrte sie meistens alleine den ganzen Vormittag durch den Ferienort, lief durch endlose Straßen und kam total erschöpft im Hotel an, um festzustellen, dass sie überhaupt nicht mehr wusste, was sie sich alles die ganze Zeit über angesehen hatte.

Eine Hand legte sich auf Louisa Schulter und ließ sie erschreckt zusammenfahren und erstarren. Ihr Atem stockte und in einem Anflug von Panik drehte sie sich um. Neben ihr stand ein Mann, der sie schelmisch angrinste, und irgendetwas auf Spanisch zu ihr sagte. Es war ihr in diesem Urlaub schon einige Male passiert, dass man sie für eine Spanierin hielt, ihr Aussehen war daran schuld. Als waschechte Hamburgerin hatte sie ein südländisches Äußeres, irgendwelche Vorfahren müssen wohl diese Gene in ihr hinterlassen haben. Mit einer raschen Bewegung entzog sie ihre Schulter der fremden Hand und stammelte:“ Sorry, ich spreche kein Spanisch. No hablo español.“
Der Mann lachte und sagte in einwandfreiem Deutsch:“ Das trifft sich gut, ich nämlich auch nicht wirklich. Aber als ich sie da so stehen sah, dachte ich, sie seinen Spanierin.“
Louisa sah sich den Mann genauer an und erkannte ihn jetzt. Er schien im Hotel zu arbeiten, sie hatte ihn schon mehrfach gesehen. Louisa schätzte ihn auf Mitte dreißig und er sah nett aus, braungebrannt, hatte zerstrubbelte, rotblonde Haare, offene, klare Augen und bestimmt hundert Sommersprossen im Gesicht. Was sie sah, gefiel ihr, dennoch sagte sie abweisend:
“ Wenn sie mich dann bitte in Ruhe lassen würden, mir ist nicht nach Smalltalk und auch nicht nach Gesellschaft.“ Und damit drehte sie ihm wieder den Rücken zu.
Ralf lachte erneut und meinte:“ Denken sie, dass ich sie hier anflirte? Tut mir leid, wenn sie diesen Eindruck gewonnen haben. Ich bin sozusagen dienstlich hier. Mein Name ist Ralf Gerhardt, ich arbeite hier als Animator und an der Rezeption, wo ein Telegramm für sie abgegeben wurde, sie sind doch Frau Louisa Ross?“
Louisa drehte sich verblüfft zu ihm zurück. Ein Telegramm? Wer schickt denn heute, im Zeitalter von Handy und Email, noch Telegramme? Und vor allem, wer sollte ihr so etwas zukommen lassen? Sie kannte doch niemanden. Verwundert folgte sie Ralf ins Hotel zur Rezeption, wo er ihr einen Umschlag überreichte. Das Telegramm in den Händen haltend, überlegte Louisa krampfhaft, was sie nun tun sollte. Sie hatte das Gefühl, als ob der Umschlag ihre Hand versengte, sollte sie es gleich hier aufreißen und lesen oder lieber in ihr Zimmer gehen? Ralf sah sie neugierig und mit einem leicht spöttischen Lächeln an. Louisa brachte mit einiger Mühe ein schiefes Lächeln zu Stande und ging wortlos zum Fahrstuhl, um auf ihr Zimmer zu fahren. Mit zitternden Händen öffnete sie die Zimmertür, warf sie hinter sich ins Schloss und setzte sich, schwer atmend, auf ihr Bett. Minutenlang zögerte sie, den Umschlag zu öffnen, aber dann riss sie ihn ungeschickt mit dem Zeigefinger auf. Heraus fiel ein zusammengefalteter Bogen Papier. Beim Auseinanderfalten zerriss sie ihn fast, so fahrig waren ihre Hände, dann strich sie ihn glatt ein Name sprang ihr ins Gesicht:
„Torsten Ross“
Verwirrt und nach Luft ringend ließ sie den Zettel sinken und Tränen schossen ihr in die Augen. Verdammt, was war das für ein Unsinn? Wie konnte ihr Mann ihr ein Telegramm schicken, wo er seit drei Jahren tot war. Wer wollte sie hier auf diese unglaublich niederträchtige Art zum Narren halten? Sollte sie überhaupt weiterlesen? Oder den Schmutz gleich zerreißen und verbrennen? Sie spürte, wie das Stück Papier ihre Augen magisch anzog und kam nicht umhin, den Inhalt des Telegramms zu lesen.
„Meine geliebte Louisa, lange habe ich überlegt, ob es gut und richtig sei, mit dir in Kontakt zu treten, aber ich denke, es ist jetzt an der Zeit, es zu tun. Da, wo ich jetzt bin, ist es mir nur möglich, mich dir auf diese Weise zu nähern, also verzeih diesen unüblichen Weg. Louisa, mein arme, kleine, unglückliche Louisa, hast du bemerkt, dass ich die ganze Zeit bei dir bin? Ja, ich bin sicher, dass du es gemerkt hast. Louisa, mein Täubchen, du hast jetzt drei Jahre um mich getrauert, und ich danke dir für diese über den Tod hinaus erwiesene Treue. Jetzt ist es aber an der Zeit, dass du dein Leben wieder aufnimmst und es weiterlebst. Ich möchte dir sagen, dass es gut und richtig wäre, wenn du einen neuen Mann, eine neue Liebe in dein Leben ließest. Mir würdest du damit eine große Last nehmen.
Ich werde dich immer lieben und eines Tages werden wir beide wieder vereint sein, aber bis dahin: lebe.“
Tränenblind las sie den Text wieder und wieder und ihre Gefühle wirbelten in ihr durcheinander. Louisa war realistisch genug, um zu wissen, dass ein Toter kein Telegramm senden konnte. Also, was steckte dahinter? Vor ihren Augen formte sich das Bild eines braungebrannten Mannes mit Sommersprossen. Ralf! Ob er der Absender des Telegramms war? Vielleicht hatte er es irgendwie geschafft, zu recherchieren, dass sie seit drei Jahren Witwe war und versuchte auf diese Weise einen Annäherungsversuch? Dreister ging es ja wohl nicht mehr! Wut breitete sich in Louisa aus, brennende Wut.
Beflügelt von diesem sehr starken Gefühl, verließ sie ihr Zimmer und fuhr mit dem Fahrstuhl nach unten, zu Rezeption. Da stand jetzt eine junge Frau namens Verena. Von Ralf war nichts zu sehen. Atemlos lief Louisa zu Verena und rief:“ Wo ist Herr Gerhardt? Ich möchte ihn bitte sofort sprechen!“
Verena lächelte sanft und erklärte: „ Tut mir leid, Herr Gerhardt hat Feierabend, ich habe ihn vor fünf Minuten abgelöst“
„Wie und wo kann ich Herrn Gerhardt erreichen? Es ist dringend!“ mit zu Fäusten zusammengeballten Händen blitzte Louisa Verena an.
„Tut mir leid, da kann ich ihnen nicht helfen. Herr Gerhardt hat Feierabend. Wenn sie ihn sprechen möchten, müssen sie sich bis morgen gedulden.“
„Was ich mit Herrn Gerhardt zu besprechen habe, kann nicht bis morgen warten! Es ist ein Notfall!“ schrie Louisa mit sich überschlagender Stimme.
Verena schüttelte nur stumm den Kopf und wandte sich ab. Louisa rannte auf sie zu und packte sie hart an den Händen. „Sag mir sofort, wo ich ihn finden kann, oder es passiert ein Unglück!“ zischte sie Verena ins Gesicht. Erschrocken und erbost löste Verena den Klammergriff Louisas und rief Pedro, den Hotelpagen, zur Hilfe. Zu zweit gelang es ihnen, die aufgebrachte Louisa in einen der Sessel in der Lounge zu drücken, wo sie zu einem Häuflein Elend in sich zusammenfiel. „Soll ich einen Arzt kommen lassen?“ fragte Verena leise. „Nein, Danke, das ist nicht nötig“ stammelte Louisa. „Ich werde bis morgen warten. Alles in Ordnung.“ Verena ging stirnrunzelnd wieder an ihren Arbeitsplatz und Pedro blieb noch bei Louisa stehen, bis diese sich aufraffte und langsam zum Fahrstuhl ging. Er behielt den Fahrstuhl im Auge, bis sich die Türen hinter Louisa geschlossen hatten, dann ging auch er wieder seiner Arbeit nach.
Oben angekommen legte sich Louisa vollbekleidet auf ihr Bett und dachte mit Grauen an die zu erwartenden Alpträume dieser Nacht. Es dauerte lange, bis sie einschlief. Zu ihrer eigenen Verwunderung erwachte sie aber am nächsten Morgen, ohne sich an Träume erinnern zu können.
Die Sonne schien ins Zimmer, alles war friedlich und still. Gedankenlos zog Louisa sich um und verließ das Hotel, ohne gefrühstückt zu haben. Einem unerklärlichen Antrieb gehorchend, brach sie auf, ihre vormittägliche Erkundigungstour durch den Ort zu machen.
Als Louisa zurückkam, stand die Sonne hoch am Himmel und die Mittagszeit war schon fast vorbei. Müde ging sie auf ihr Zimmer, um zu duschen und sich umzuziehen. Dann fiel ihr das Telegramm wieder ein, welches sie bis dahin völlig aus ihren Gedanken verdrängt hatte. Über sich selbst den Kopf schüttelnd griff sie nach dem Schreiben und eilte zum Fahrstuhl, Ralf zur Rede zu stellen. Der Fahrstuhl hielt mit einem sanften „Pling“ und die Türen öffneten sich. Ihr Blick fiel sofort auf Ralf, der hinter dem Tresen stand. Er telefonierte gerade. Ihr Herz tat einen Sprung, warum, wusste sie selbst nicht, und es ärgerte sie.
Entschlossen spannte sie sich und ging kerzengerade auf Ralf zu. Während sie wartete, dass er sein Telefonat beendete, beobachtete sie ihn heimlich. Er sah nett aus, er könnte ihr sogar gefallen, wenn sie nicht Torsten versprochen hätte, dass es nach ihm niemals einen anderen Mann gäbe. Nun legte Ralf endlich den Hörer auf und wandte sich ihr zu. Wieder ein dummer Herzsprung, was sollte das nur? Ralf sah sie aufmerksam an, aber er lächelte nicht. „Netter Versuch“, sagte er leise, und wedelte mit einem Blatt Papier vor ihren Augen herum, „aber ich habe meine Prinzipien. Erstens bin ich verheiratet, und ich bin meiner Frau treu, und zweitens würde ich niemals etwas mit eine Touristin anfangen.“ Er legte den Zettel vor Louisa auf den Tresen. Sie erstarrte. Es war genau die gleiche Art Papier, wie das Telegramm, welches sie am Vorabend erhalten hatte. Verwirrt blickte sie wieder auf, in Ralfs Gesicht. „Was meinen sie damit?“ fragte sie atemlos.
„Sie wissen genau, was ich meine,“ entgegnete Ralf und wandte sich ab. Louisa griff wie ferngesteuert nach dem Schreiben und las es.
„Sehr geehrter Herr Gerhardt,
ich habe sie auserwählt, der neue Mann an Louisas Seite zu sein. Meine Frau lebt seit drei Jahren wie eine Nonne, sie ist furchtbar einsam und braucht unbedingt wieder etwas Liebe in ihrem Leben. Mein Einverständnis, sie glücklich zu machen, haben Sie. Bitte, machen sie meine Frau wieder zu einem lebensfrohen Menschen, ich weiß, dass sie der Richtige sind.
Mit dankbarem Gruß,
Torsten Ross“

Louisa war alle Farbe aus dem Gesicht gewichen. Was wurde hier für ein Spiel mit ihr gespielt? Sie fühlte den Pulsschlag ihres Herzens hart und hämmernd im Hals, Übelkeit überfiel sie wie ein Wolkenbruch. Stoisch drehte sie sich um und suchte ihr Zimmer auf. Mechanisch packte sie ihre Sachen, zahlte ihre Rechnung und verließ das Hotel. Mit Ralf wechselte sie weder einen Blick noch ein Wort. Vor dem Hotel brach sie zusammen. Das letzte, was sie hörte, waren die Sirenen eines Krankenwagens.

In einem Bett mit frisch gestärkter Bettwäsche kam sie wieder zu sich. Sie blickte in das Gesicht einer Frau, die sich sorgenvoll über sie beugte. Dem weißen Kittel nach zu schließen, den sie trug, schien sie eine Ärztin zu sein. Sie sagte:“ Hola, Seniora, sie haben lange geschlafen. Machen sie sich keine Sorgen, es wird alles gut. Ihre Brieftasche mit allen Papieren ist im Hotel abgegeben worden, sie hatten sie vorgestern am Telegrammschalter vergessen.“
In Louisas Ohren begann ein Pfeifen, dass sie nie mehr loslassen sollte.

 

Salve barkai,

leider hat mir Dein Text nicht sonderlich gefallen.
Zum einen fehlt ihm das seltsame Moment - die Telegramme erklärst Du ja durch die Persönlichkeitsstörung der Prota. Den Wunsch nach einem neuen Partner will sie sich nicht offen eingestehen, also verlagert sie ihn nach außen in ihren toten Mann, der angeblich die Telegramme schreibt. Dass sie es selbst war, wird daran deutlich, dass sie ihre Brieftasche auf der Post vergessen hat.
Damit ist alles schlüssig aufgelöst.

Zum anderen reihst Du eien unglaubliche Menge Klischees aneinander. Die schöne verwitwete Protagonistin (natürlich ohne für den Autoren lästig zu managende Familie) und ihr ebenso attraktiver Counterpart. Die ewige, unverbrüchliche, ungetrübte Liebe zum Gatten selig. Das seufzende und wehklagende Unglück am spanischen Strand, das Weibchen, das bei der kleinsten Unebenheit im Tagesablauf krampfhaft nachdenken muss, anstatt das Telegramm als großen dummen Witz in den Papierkorb zu pfeffern, das unerklärlichen Antrieben gehorcht und hirnverbrannte Schnellschlüsse zieht.

Vokabeln wie:
samtige Mitternachtsbläue
warmer weicher Wind
Louisa war auf den ersten Blick eine attraktive, junge Frau
sie hatte das Gefühl, als ob der Umschlag ihre Hand versengte
machen es nicht wirklich besser - die Sprache kitscht ganz gemein.

Tut mir leid, dass ich nichts besseres schreiben kann. Nächstes mal vielleicht.

LG, Pardus

 

Hallo Pardus,
schön, dass überhaupt mal jemand meine Geschichte las. Dass sie dir nicht gefallen hat, ist OK, die Geschmäcker sind verschieden. Einen schönen Sonntag.

 

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