Was ist neu

Das Versprechen

Mitglied
Beitritt
25.03.2003
Beiträge
794
Zuletzt bearbeitet:

Das Versprechen

(Überarbeitete Version weiter hinten )

Ich sehe den alten Mann die Straße hinuntergehen. Er trägt eine weite Hose, deren Farbton durch unzähliges Waschen und Trocknen in der Sonne nicht mehr zu definieren ist. Das kurzärmelige, zerknitterte Hemd fällt offen über seinen mageren Oberkörper und entblößt eine knochige, von spärlichem, grauen Haarwuchs bedeckte Brust. Neben ihm läuft ein kleiner, hässlicher Hund mit braunem, struppigem Fell und einem vorstehenden Unterkiefer, aus dem ein einzelner Zahn herausguckt.

Es ist bereits früher Abend, doch die Hitze des Tages hängt immer noch wie eine riesige Dunstglocke über der spanischen Landschaft und lässt die Sonne, die schon tief über den Bergkuppeln des Bernia Gebirges steht, trübe erscheinen.
Seit einiger Zeit ist es unerträglich schwül und feucht, und jedermann erwartet sehnsüchtig das angekündigte Gewitter, das endlich etwas Kühlung bringen soll. Doch nichts deutet auf einen ordentlichen Regenguss hin, und kein Lüftchen bewegt die vertrockneten Gräser am Straßenrand.

Auch der alte Mann leidet unter der Wärme. Obwohl er einen Strohhut trägt, dessen vorstehender, ausgefranzter Rand ihm etwas Schatten spendet, sind auf seiner sonnengebräunten, runzligen Haut unzählige Schweißtröpfchen zu sehen. Hin und wieder zieht der Alte ein Tuch aus seiner Hosentasche, und wischt den Schweiß, der sich in den tiefen Gesichtsfalten gesammelt hat, ab. Schwer stützt er sich beim Gehen auf seinen Stock und wenn man genau hinschaut, bemerkt man, dass er das linke Bein ein wenig nachzieht.

Ich lebe schon sehr viele Jahre in dieser Gegend, und deshalb kenne ich diesen Mann gut. Es ist Jaime, der Schäfer, dass heißt, früher einmal war er Schafhirte und zog mit seiner Herde hier oben in den Bergen umher. Doch nun ist der Schafstall seiner alten Finca, die nicht weit von meinem Haus entfernt liegt, schon lange leer. Schade, ich vermisse das fröhliche Geblöke und das zarte Läuten der kleinen Glöckchen, die einige der Tiere um den Hals getragen haben. Es gehörte für mich genau so zum Alltag, wie die Schreie der Möwen, die sich manchmal vom Meer her bis hier hinauf verirren. Meine Kinder haben Jaime und seine Schafe oft begleitet. Eines war ganz zahm, die Kinder nannten es „Blancanieves“, Schneewittchen, und sind sogar auf ihm geritten. Jaime hat nichts dagegen gehabt, er mag meinen Sohn und meine Tochter sehr gerne, vielleicht auch, weil er und Catalina, seine Frau, nie eigene Kinder gehabt haben. Jaime wohnt noch immer in der alten Finca, doch Catalina ist schon lange tot und andere Verwandte scheint es nicht zu geben. Nur Luís, der früher einmal eine Fischerkneipe in dem nahegelegenen Küstenort gehabt hat, kommt ihn manchmal besuchen. Dann sitzen die beiden Alten auf der Bank vor Jaimes Haus, rauchen eine Zigarre und trinken ein Glas Rotwein.

Nun geht Jaime jeden Tag mit seinem kleinen Hund spazieren, eine der wenigen Beschäftigungen, die ihm noch geblieben sind, seitdem es die Schafe nicht mehr gibt. Ich treffe ihn oft auf seinem Spaziergang, denn auch ich gehe täglich denselben Weg mit meinem Hund.
Manchmal, wenn er einen guten Tag hat, dann halten wir ein kleines, Schwätzchen, doch oftmals ist sein Blick starr auf unendlich gerichtet und er schaut einfach durch mich hindurch. Woran er wohl denken mag? An die Vergangenheit, als Catalina noch gelebt hat und er jeden Tag mit den Schafen zwischen Oliven- und Korkeichenbäumen umhergezogen ist? An die Zeit, wo die Landschaft noch nicht von weißen Ferienhäusern und blau schimmernden Swimmingpools übersäht war?

Mittlerweile habe ich Jaime eingeholt.
„Hola Jaime, wie geht es dir heute?“, frage ich ihn mit lauter Stimme, denn ich weiss, dass er nicht mehr so gut hört.“ Er bleibt stehen und dreht sich langsam um. Nur einen kurzen Moment blickt er mich fragend an, dann erkennt er mich.
„Ah, Manuela... und Benni“, sagt er und tätschelt meinem Hund über den Kopf. Der hat bereits Jaimes Promenadenmischung Lola begrüßt, und fröhlich rennen die beiden Hunde voraus.
„Ai, hija mia“, stöhnt Jaime. „Die Hitze macht mir sehr zu schaffen. Bin schließlich nicht mehr der Jüngste.“ Dabei grinst er mich an und entblößt die zwei einzigen gelblich-bräunlichen Zähne, die ihm vorne noch geblieben sind.
„Das Herz will auch nicht mehr so recht.“
„Soll ich dich morgen früh zum Arzt fahren?“, biete ich ihm an, doch er schüttelt verneinend mit dem Kopf.

Vor uns liegt der Aussichtspunkt, von dem aus man über die Landschaft bis hinunter zum Meer schauen kann, wo sich die Apartmenthäuser und Hotels des großen Ortes an der Küste entlang drängen. Wir setzen uns auf die Holzbank und genießen einen Augenblick die herrliche Ruhe, die hier oben herrscht. Nur das Zirpen der Grillen und das Summen der Wespen ist zu hören und klingt wie Musik in unseren Ohren. Mandel- und Olivenbaumplantagen wechseln sich mit Weinfeldern ab. Hier und da sieht man vereinzelt Häuser, kleine Casitas, die nur während der Sommermonate von Einheimischen bewohnt sind. Weiter unten im Tal nimmt die Bebauung drastisch zu. Haus an Haus reiht sich aneinander, dazwischen die blauen Flecken der Schwimmbäder. Grundstücke in Meeresnähe sind Mangelware geworden und so entdeckt man gerade, dass auch das Hinterland seinen Reiz hat.
„Hast du etwas neues von den Salinas gehört?“, will Jaime wissen.
Salinas heisst das Feuchtgebiet eines Salzsees, der in der Nähe des Meers inmitten der Wohngebiete liegt. Man kann ihn von hier oben erkennen, eine kleine Naturoase zwischen all den Häusern und mittlerweile eine Heimat für viele Seevögel und Flamingoarten. Sogar eine, die nur noch ganz selten zu finden ist, hat sich hier angesiedelt. Und trotzdem wittern einige windige Spekulanten das große Geld und wollen den See trockenlegen und das so gewonnene Riesengrundstück mit Wohneinheiten vollstopfen. Der allgemeine, städtische Bebauungsplan ist bereits abgeändert worden, um den Bau zu genehmigen.
Ich schüttel veneinend den Kopf: „Nein, es gibt nichts Neues.“
„Bist du eigentlich noch bei dieser Vereinigung, von der du mir mal erzählt hast?“
Ich bin Mitglied eines Ausschusses, der eigens gegründet worden ist, um sich für die Erhaltung des Salzsees einzusetzen. Unsere Gruppe besteht aus Naturschützern und –liebhabern, Einheimischen wie auch Ausländern, die schon lange in unserer Gegend leben und sich voll integriert haben. Solche wie ich, für die dieses schöne Land eine zweite Heimat geworden ist.
„Ja, ich bin noch in der Vereinigung“, beantworte ich Jaimes Frage. „Wir haben schon jede Menge Unterschriften gegen das Bauvorhaben gesammelt und übermorgen werden wir eine Demonstration veranstalten. Vielleicht können wir auf diese Weise die Stattväter endlich wachrütteln.“
„Eine Demo...was?“
„Wir machen so etwas ähnliches wie eine Prozession, verstehst du, so wie die Festgruppen bei unserer Dorffiesta,“ versuche ich es ihm zu verbildlichen.
Woher soll Jaime, der wahrscheinlich noch nie in seinem Leben ferngesehen hat, auch wissen, was eine Demonstration ist.
„Wir gehen durch den ganzen Ort bis zum Rathausplatz und tragen dabei Plakate auf denen steht, dass die Salinas nicht zerstört werden sollen.“
„Und das soll etwas nutzen?“, fragend blickt mich Jaime an.
„Ich weiss es nicht, aber es ist einen Versuch wert.“

Rechts unterhalb von uns erstreckt sich ein großes Waldgebiet mit Pinien. Inmitten der Bäume leuchtet - wie ein drohendes Ungetüm - ein gelber Bagger. Er hat bereits begonnen, eine breite Schneiße zu schieben, ein sicheres Zeichen dafür, dass auch diese Gegend nicht von den Urbanisierungsplänen der Stadträte verschont werden wird. Schon bald wird auch hier die Natur der Architektur weichen müssen. Straßen und Bürgersteine wird man anlegen, die Pinien bis auf wenige Ausnahmen abholzen und wie durch Zauberhand Reihenhausanlagen aus dem Boden stampfen.
Ich sehe, wie Jaime frustriert auf den Wald starrt. Was für ein Gefühl muss es wohl für die alten Einheimischen sein, wenn sie sehen, welche Folgen der Tourismus mit sich bringt. Sicher, er hat auf der einen Seite auch viele Arbeitsplätze geschaffen und Wohlstand für die Bevölkerung gebracht, doch alles hat seine Grenzen.
„Hören die denn niemals auf zu bauen?“, traurig schüttelt Jaime den Kopf.
Ich wünschte, ich könnte ihm seine Frage beantworten, ihm sagen, dass die letzten Stücke unberührter Natur unantastbar bleiben würden.
„Das musst du deinem Verein zeigen, vielleicht können die ja hier oben auch was erreichen.“ Für einen Moment verzieht Jaime das Gesicht und legt die Hand auf seine linke Seite.
„Versprich mir, dass du versuchst, unsere Gegend hier oben vor den Schaufeln der gelben Ungetüme zu schützen“, sagt er mit schmerzverzerrtem Gesicht.
„Jaime, was hast du? Geht es dir nicht gut?“
„Versprich es mir!“, beharrt er.
„Okay, ich werde mein Möglichstes tun. Aber jetzt fahre ich dich erst einmal zum Arzt.“
„Nein, nein, lass nur, es geht schon wieder“, wehrt Jaime ab, der wie viele ältere Leute, Arztbesuche scheut.

Zwei Wochen später findet Luís Jaime tot in seinem Bett. Das Herz des Alten hat einfach aufgehört zu schlagen und er ist sanft eingeschlafen.
Jaime der Schäfer wird immer einen Platz in meinem Herzen behalten, und ich werde alles tun, um mein Versprechen einzulösen.

 

Hi Blanca

Ich hab den Text gerne gelesen, allein die liebevollen Landschaftsbeschreibungen machen ihn schon lesenswert.
Dass du den alten Mann fast nur durch Beobachtungen und Gewohnheiten beschreibst, fand ich auch sehr gut.
Wenn er die Franco-Zeit mitgemacht hat, kennt er vermutlich wirklich keine Demos :hmm:

Das Ende, wo er ihr das Versprechen abverlangt, kommt vielleicht ein bisschen plötzlich, aber eigentlich wird es ja schon angedeutet.

Und endlich weiß ich auch, woher der Name "Salinas" kommt, so heißt nämlich auch der Dauerschauplatz bei John Steinbeck ;)

"Es ist Jaime, der Schäfer, dass heisst, früher einmal war er"
--> das heisst, vielleicht sogar das heißt, bin mir nicht ganz sicher

"und ich werde alles dafür tun, um mein Versprechen einzulösen"
--> das "dafür" ist überflüssig

Liebe Grüße
wolkenkind

 

Hallo Wolkenkind,
vielen Dank fürs Lesen. Es freut mich, dass Dir die Landschaftsbeschreibungen gefallen haben. Ich möchte einfach mit meinen Geschichten dem Leser die Schönheit unserer Landschaft und die spanischen Bräuche(bezieht sich auf andere Geschichten) etwas näher bringen.
Mit dem Esszet bei "heisst", hast Du recht. Ich benutze aber meistens beim Schreiben eine spanische Tastatur,
und da gibt es kein Esszet.
Das "dafür" habe ich gestrichen.

LG
Blanca

 

Hallo!
Hmm... Nähe Gerona? :dozey:
Oder eine Geschichte von den Inseln?

Auf jeden Fall tritt hier klar hervor, dass für den alten Jaime der Fortschritt keine Verbesserung brachte. No mas!

Eine interessante, wenn auch etwas einseitige Beleuchtung der Thematik. Und ein Politikum schlechthin... :eek:

"Stoppt die Ampel!"

Vergl. http://www.kurzgeschichten.de/vb/showthread.php?s=&threadid=6216

Da habe ich schon einmal die etwas andere Betrachtung des Fortschritts durch Tourismus
aufgegriffen.

Keep going...

Core

 

Hallo Core,

Nicht Gerona oder die Inseln, sondern in der Nähe von Alicante. Im Grunde genommen sind unsere Geschichten ja von der Thematik her sehr ähnlich. Sowohl Jaime bei mir, wie auch Maria bei Dir kommen mit den negativen Folgen, die der Tourismus mit sich gebracht hat nicht so ganz klar. Maria in Deiner Geschichte sieht am Ende wenigstens ein, dass der Fortschritt für ihre Enkel bedeutet, dass diese ein besseres Leben führen können.
Aber Jaime hat keine Kinder und ist fast sein ganzes Leben im Hinterland mit seinen Schafen umhergezogen und muss nun mitansehen, wie die Landschaft nach und nach den Bebauungsplänen zum Opfer fällt.

Was meinst du mit Deiner Bemerkung: "Stoppt die Ampel"?

LG
Blanca

 

Hallo Blanca!

Ich gehöre zu den Vertetern, die keine
Ampel auf unserer Insel (Formentera) wollen. Du glaubst gar nicht was für ein
Politikum das ist. :rolleyes:

In gewissem Sinne magst Du recht haben,
Jaime ist sein ganzes Leben nur in der "Natur" gewesen und scheint am gesellschaftlichen Leben nicht sonderlich interessiert gewesen zu sein.
Vielleicht ist auch das ein Punkt:
Jaime ist nicht mehr, und seine Welt schwindet dahin?

Viele Grüsse Martin

 

Hallo Martin,

Vielleicht ist auch das ein Punkt: Jaime ist nicht mehr, und seine Welt schwindet dahin?
So könnte man es auch sehen.

Die Trockenlegung verschiedener Teile des Feuchtgebiets des Salzsees ist übrigens wirklich geplant, und um das zu verhindern, wird schwer gekämpft.

Warum bist Du gegen Ampeln auf Formentera? Wegen der Abgase der Autos beim Anfahren und der daraus resultierenden Umweltverschmutzung?

LG
Blanca

 

Hallo Blanca!

mhh... ich will eigentlich gar keine Autos mehr auf Formentera, ausser denen der
Formenterenser.
Wozu braucht eine Schar wildgewordener meist betrunkener Itanliener einen Geländewagen? Sollen die doch mit dem
Roller fahren, wie vor zehn Jahren.
Dann fahren sie sich wenigstens auch kaputt. :fluch:

Ich glaube aber das vieles,
was mit Tourismus zu tun hat - gerade in Ländern wie Spanien - oftmals von einem Extrem in das andere schiesst, weil eine ordentliche Politik nicht existiert.

Es werden die gleichen Fehler gemacht wie damals in Italien. Und nu? Da ist so gut wie alles an Flora & Fauna in den Touristengebieten zerstört. Der Rest des Landes schwankt zwischen Armut und Korruption. Und wo fahren die Italiener in den Urlaub?
Formentera! Und wie benehmen sie sich da? Frag nicht... :(

In diesem Sinne!

schönes Wochenende!

Adios Martin

 

Hei Blanca, sehr schöne Landschaftsbeschreibungen, eingebettet in eine Erzählung. Du hast das Land lebendig gemacht. Das ist sehr gelungen.

Liebe grüsse Arche

 

Hallo Arche,
schön, dass doch noch mal jemand meine Geschichte gelesen hat.
Und freut mich, dass sie Dir auch noch gefallen hat.:D
Da wo ich wohne, sieht es wirklich so aus, und den Schäfer gibt es auch. Allerdings lebt der noch.
Wenn Dir mein Spanien gefallen hat, gibt es noch mehr Geschichten darüber von mir auf KG.de.:cool: :D

Liebe Grüsse
Blanca

 

Hallo Blanca!

Sehr schön beschrieben, der Schäfer, die Lnadschaft, die Zerstörung. Man merkt, wie wichtig den beiden das Land ist. Das ist vilelicht auch der einzige Punkt, den cih kritisieren könnte - dass Du den leser ein bisschen damit überfällst: schaut her, alles wird kaputtgemacht, tut was dagegen. Kommt villeicht etwas direkt rüber, aber mich hat es niht gestört, da ich von deinen detailierten BEschreibungen fasziniert war.

liebe Grüße
Anne

 

Hallo Anne,

hey, Du warst ja richtig fleissig mit Lesen.:D :kuss:
Also, der Leser wird vielleicht ein bisschen mit der Problematik überfallen, aber ich wollte halt darauf aufmerksam machen, dass der Tourismus nicht nur für alle Vorteile bringt, sondern dass er auch einen ganzen Rattenschwanz mit Nachteilen hinter sich herzieht, die dem Urlauber, der in den entsprechenden Regionen Urlaub macht, wahrscheinlich gar nicht so bewusst werden oder im Grunde genommen auch gar nicht interessieren. Es ist halt sehr schwierig da die Vor -und Nachteile gegeneinander aufzuwiegen, da der Tourismus ja auch für alle Einheimischen Arbeitsplätze schafft und somit für Wohlstand sorgt.

LG
Blanca

 

Hola Ilusionista,
¿que tal? ¿Estás bien?

Danke fürs Lesen meiner Geschichte und für dein Lob.
Ein schlechtes Gewissen wollte ich bestimmt nicht verursachen. Es ist nun mal ein Problem, dass oft in Tourismusgebieten aufkommt. Da ist zum einen die Seite derjenigen, die einen schnellen Profit machen wollen und auf der anderen Seite die Naturschützer. Den Streit um die Salzseen in meiner Geschichte gibt es wirklich und ich hoffe, das sie als Naturschutzgebiet erhalten bleiben werden.

¡Que tengas un buen día!
Saludos
Blanca :)

 

Hallo theresa,
Danke fürs Lesen.
Tja, man kann leider nicht allen gerecht werden. Die Geschmäcker sind eben verschieden.
Was du bemängelst, hat den anderen Lesern gut gefallen.
Mit dem Partizip gebe ich dir Recht, die von dir vorgeschlagene Formulierung gefällt mir auch besser. Werde ich gleich mal umändern.Danke für den Tipp.
Ansonsten mag ich die Geschichte so wie sie ist.
Und so schlecht kann sie ja auch nicht sein, da sie in der Empfehlungsliste steht. ;)

LG
Blanca :)

 

Hallo kakautesschen,

natürlich bin ich nicht nur auf Lob aus. Ich habe durch die Kritiken hier auf KG.de schon viel gelernt und auch meine Geschichten verbessert.
Aber bei dieser hier bin ich halt nicht deiner Meinung.
Ich finde sie nicht zu ausschweifend und langatmig und möchte sie deshalb auch nicht kürzen. Das heißt aber nicht, dass ich keinerlei Kritik annehme. Wie ich bereits vorher geschrieben habe, fand ich deinen Verbesserungsvorschlag bezüglich des Partizips gut und habe ihn auch übernommen.

Blanca

 

Hi,
hab die Geschichte noch mal überarbeitet, d.h. etwas gestrafft, Adjektive gestrichen, mehr Dialoge eingefügt und den Schluss etwas abgeändert.
Hier nun die überarbeitete Version:

Das Versprechen

Ich sehe den alten Mann die Straße herunterkommen. Er trägt eine Hose, deren Farbton durch unzähliges Waschen und Trocknen in der Sonne nicht mehr zu definieren ist. Das zerknitterte Hemd fällt offen über seinen mageren Oberkörper und entblößt eine knochige, von spärlichem, Haarwuchs bedeckte Brust. Neben ihm läuft ein kleiner, hässlicher Hund mit struppigem Fell und einem vorstehenden Unterkiefer, aus dem ein einzelner Zahn herausguckt.

Es ist bereits früher Abend, doch die Hitze des Tages hängt immer noch wie eine Dunstglocke über der spanischen Landschaft und lässt die Sonne, die schon tief über den Bergkuppeln des Bernia Gebirges steht, trübe erscheinen.
Seit einiger Zeit ist es unerträglich schwül und jeder erwartet sehnsüchtig das angekündigte Gewitter, das endlich etwas Kühlung bringen soll. Doch nichts deutet auf einen Regenguss hin, und kein Lüftchen bewegt die vertrockneten Gräser am Straßenrand.

Auch der Alte leidet unter der Hitze. Obwohl er einen Strohhut trägt, sind auf seiner sonnengebräunten, runzligen Haut unzählige Schweißtröpfchen zu sehen. Hin und wieder zieht der Alte ein Tuch aus seiner Hosentasche und wischt den Schweiß, der sich in den tiefen Gesichtsfalten gesammelt hat, ab. Er stützt sich auf seinen Stock und wenn man genau hinschaut, bemerkt man, dass er das linke Bein ein wenig nachzieht.

Es ist Jaime, der Schäfer, dass heißt, früher einmal war er Schafhirte und zog mit seiner Herde hier oben in den Bergen umher. Doch nun ist der Schafstall seiner alten Finca schon lange leer. Schade, ich vermisse das fröhliche Geblöke und das Läuten der kleinen Glöckchen. Es gehörte für mich genauso zum Alltag, wie die Schreie der Möwen, die sich manchmal vom Meer her bis hier hinauf verirren. Meine Kinder haben Jaime und seine Schafe oft begleitet. Eines war ganz zahm, die Kinder nannten es „Blancanieves“, Schneewittchen, und sind sogar auf ihm geritten. Jaime hat nichts dagegen gehabt, er mag meinen Sohn und meine Tochter sehr gerne, vielleicht auch, weil er und Catalina, seine Frau, nie eigene Kinder gehabt haben. Jaime wohnt noch immer in der alten Finca, Catalina ist schon lange tot und andere Verwandte scheint es nicht zu geben. Nur Luís, der früher einmal eine Fischerkneipe gehabt hat, kommt ihn manchmal besuchen. Dann sitzen die beiden Alten auf der Bank vor Jaimes Haus, rauchen eine Zigarre und trinken ein Glas Rotwein.

Nun geht Jaime jeden Tag mit seinem Hund spazieren, eine der wenigen Beschäftigungen, die ihm noch geblieben sind, seitdem es die Schafe nicht mehr gibt. Ich treffe ihn oft auf seinem Spaziergang
Manchmal, wenn er einen guten Tag hat, halten wir ein kleines Schwätzchen, doch oftmals ist sein Blick starr auf unendlich gerichtet und er schaut durch mich hindurch. Woran er wohl denken mag? An die Vergangenheit, als Catalina noch gelebt hat und er jeden Tag mit den Schafen zwischen Oliven- und Korkeichenbäumen umhergezogen ist? An die Zeit, wo die Landschaft noch nicht von Ferienhäusern und blau schimmernden Swimmingpools übersät war?

Mittlerweile hat Jaime mich eingeholt.
„Hola Jaime, wie geht es dir heute?“, frage ich ihn mit lauter Stimme, denn ich weiß, dass er nicht mehr so gut hört. Er bleibt stehen und dreht sich langsam um. Nur einen kurzen Moment blickt er mich fragend an, dann erkennt er mich.
„Ah, Manuela... “, sagt er und tätschelt meinem Hund über den Kopf. Der hat bereits Jaimes Promenadenmischung begrüßt, und fröhlich rennen die beiden Hunde voraus.
„Ai, hija mia“, stöhnt Jaime. „Die Hitze macht mir sehr zu schaffen. Bin schließlich nicht mehr der Jüngste.“ Dabei grinst er mich an und entblößt die zwei einzigen gelblich-bräunlichen Zähne, die ihm vorne noch geblieben sind.
„Das Herz will auch nicht mehr so recht.“
„Soll ich dich morgen früh zum Arzt fahren?“, biete ich ihm an, doch er schüttelt den Kopf.

Vor uns liegt der Aussichtspunkt, von dem aus man über die Landschaft bis hinunter zum Meer sieht, wo sich Apartmenthäuser und Hotels an der Küste entlang drängen. Wir setzen uns auf die Holzbank und genießen einen Augenblick die herrliche Ruhe. Nur das Zirpen der Grillen und das Summen der Wespen ist zu hören. Weinfelder, Mandel- und Olivenbaumplantagen erstrecken sich vor unseren Augen. Hier und da leuchten weiße Flecke aus dem Grün hervor, Häuser der Einheimischen, die nur während der Sommermonate bewohnt sind. Weiter unten im Tal nimmt die Bebauung drastisch zu. Haus an Haus reiht sich aneinander, dazwischen die blauen Flecken der Schwimmbäder. Grundstücke in Meeresnähe sind Mangelware geworden und so entdeckt man gerade, dass auch das Hinterland seinen Reiz hat.

„Hast du etwas Neues von den Salinas gehört?“, will Jaime wissen.
Salinas heißt das Feuchtgebiet eines Salzsees, der in der Nähe des Meers inmitten der Wohngebiete liegt. Man kann ihn von hier oben erkennen, eine kleine Naturoase zwischen all den Häusern und mittlerweile eine Heimat für viele Seevögel und Flamingos. Sogar eine nur noch ganz selten zu findende Flamingoart hat sich hier angesiedelt.
„Nein, es gibt nichts Neues", antworte ich. "Es soll nach wie vor dort gebaut werden. Wusstest du eigentlich, Jaime, dass sogar der städtische Bebauungsplan abgeändert worden ist, damit die Spekulanten die Salinas nach der Trockenlegung mit ihren Wohneinheiten voll stopfen können?"
"Nein, das habe ich nicht gewusst." Fassungslos schüttelt Jaime den Kopf.
"Bist du noch bei dieser Vereinigung, von der du mir mal erzählt hast? Dieser Ausschuss, der sich für die Erhaltung des Salzsees einsetzen will?"
„Ja, ich bin noch in der Vereinigung“, beantworte ich Jaimes Frage. „Wir haben schon jede Menge Unterschriften gegen das Bauvorhaben gesammelt und übermorgen werden wir eine Demonstration veranstalten. Vielleicht können wir auf diese Weise die Stattväter endlich wachrütteln.“
„Eine Demo...was?“
„Wir machen so etwas ähnliches wie eine Prozession, verstehst du, so wie die Festgruppen bei unserer Dorffiesta,“ versuche ich es ihm zu verbildlichen.
Woher soll Jaime, der wahrscheinlich noch nie in seinem Leben ferngesehen hat, auch wissen, was eine Demonstration ist.
„Wir gehen durch den ganzen Ort bis zum Rathausplatz und tragen dabei Plakate auf denen steht, dass die Salinas nicht zerstört werden sollen.“
„Und das soll etwas nutzen?“, fragend blickt mich Jaime an.
„Ich weiß es nicht, aber es ist einen Versuch wert.“

Rechts unterhalb von uns erstreckt sich ein großes Waldgebiet mit Pinien. Inmitten der Bäume leuchtet - wie ein drohendes Ungetüm - ein gelber Bagger. Er hat bereits begonnen, eine breite Schneise zu schieben, ein sicheres Zeichen dafür, dass auch diese Gegend nicht von den Urbanisierungsplänen der Stadträte verschont werden wird.
Ich sehe, wie Jaime müde auf den Wald starrt. Was für ein Gefühl muss es wohl für die alten Einheimischen sein, wenn sie sehen, welche Folgen der Tourismus mit sich bringt.
„Hören die denn niemals auf zu bauen?“, traurig schüttelt Jaime den Kopf.
Ich wünschte, ich könnte ihm seine Frage beantworten, ihm sagen, dass die letzten Stücke unberührter Natur unantastbar bleiben würden.
„Das musst du deinem Verein zeigen, vielleicht können die ja hier oben auch was erreichen.“ Für einen Moment verzieht Jaime das Gesicht und legt die Hand auf seine linke Seite.
„Versprich mir, dass du versuchst, unsere Gegend hier oben vor den Schaufeln der gelben Ungetüme zu schützen“, sagt er mit schmerzverzerrtem Gesicht.
„Jaime, was hast du? Geht es dir nicht gut?“
„Versprich es mir!“, beharrt er.
„Okay, ich werde mein Möglichstes tun. Aber jetzt fahre ich dich erst einmal zum Arzt.“
„Nein, nein, lass nur, es geht schon wieder“, wehrt Jaime ab, "ich brauche keinen Arzt."

Zwei Wochen später findet Luís Jaime tot in seinem Bett. Das Herz des Alten hat einfach aufgehört zu schlagen und er ist sanft eingeschlafen.

Ein paar Tage nach der Beerdigung stehe ich an seinem Grab, streiche mit der Hand über den kühlen Marmor.
"Jaime", flüstere ich, "du wirst immer einen Platz in meinem Herzen behalten, und ich werde alles tun, um mein Versprechen einzulösen."

 

Hallo Blanca,
Ich habe nur die neue Version gelesen: Ich finde diese Geschichte sehr gelungen.
Der Konflikt des alten Spaniens ohne Tourismus wird in dem alten Mann verkörpert.
Man meint, wenn er stirbt, wird auch das alte Spanien sterben.
Dennoch gibt es einen Funken Hoffnung. Jüngere Menschen versuchen auf ihre Weise, die Natur zu erhalten. Ein Spagat, der sicherlich nicht einfach ist.

Danke fürs Lesevernügen
Goldene Dame

 

Hallo Blanca,

die alte Version habe ich auch nicht gelesen, aber die überarbeitete Fassung finde ich schön. Wirklich, hat mich berührt. Vielleicht liegt es daran, dass ich genug "Jaimes" kenne und aber auch daran, dass das Thema mich immer schon persönlich berührt hat.

Ich oute mich einfach mal :D Ich komme aus einem Teil Spainens der vom Tourismus, vielleicht sollte ich sagen, Gott sei Dank, kaum berührt ist. Habe aber schon andere Teile des Landes gesehen, wo einfach drauflos gebaut wurde und fand das traurig. Andererseits braucht man den Tourismus auch, und genau das sehe ich die Schwierigkeit.


Auf jeden Fall eine Geschichte, die ich sehr gerne gelesen habe.

Liebe Grüße,
gori

 

Hallo Goldene Dame,
Schön, dass dir die Geschichte gefallen hat. Ja, dieser Spagat ist wirklich nicht einfach, zumal der Tourismus vielen Menschen ein Einkommen ermöglicht.
Man muss halt versuchen, ein gesundes Mittelmaß zu finden, was allen gerecht wird.
Ist aber einfacher gesagt, als getan.

LG
Blanca :)

Hallo gori,

jetzt hast du mich natürlich neugierig gemacht. :) Verrätst du mir, aus welchem Teil Spaniens du kommst?
In dem Ort, wo ich wohne, gibt es Gott sei Dank ein Gesetz, dass im Ort selber nur Häuser mit bis zu vier Stockwerken gebaut werden dürfen. Also bleiben uns hier wenigstens die Hochhäuserbunker erspart.
Tja, wie du schon sagst, die Schwierigkeit besteht darin, das man an den Küstenregionen auf den Tourismus angewiesen ist. Um so mehr Bettenkapazität - um so mehr Touristen - um so mehr Geld kommt in die Region. Nur leider kommt man manchmal mit der Erweiterung der Infrastruktur nicht so schnell nach, das heißt, Wasser und Stromversorgung werden knapp und die Strände werden auch nicht größer.

Hat mich gefreut, dass dir die Geschichte gefallen hat. Wir lesen uns sicher bald wieder, entweder "hier oder dort". :)

LG
Blanca

 

Hallo nochmal,

klar verrate ich Dir das ;)

Ich komme aus einem gaaanz kleinem Fischerdorf in Pontevedra/ Galizien. Diese Riesenbauten, um die es in Deinem Text geht sind uns (noch) erspart geblieben :)


Wir lesen uns sicher bald wieder, entweder "hier oder dort".

Das hoffe ich doch :D

Liebe Grüße,
gori

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom