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Das Wasser bis zum Halse oder Eine Entführungsgeschichte
diese kleine Geschichte widme ich meiner älteren Schwester. Sie hat mich zwar nicht auf die Idee gebracht, aber doch maßgeblich dazu beigetragen, dass ich überhaupt zu dem Gedanken gekommen war.
Wie war ich nur hierher gekommen?
Von einem Moment zum anderen, haben sie mich allem entrissen. Meinen Freunden, Verwandten, meiner Umgebung.
Sie sind nicht wie wir, hatte Großvater immer gesagt. Er war nicht von ihnen geholt worden, wie soviele andere auch, er war friedlich gestorben und am Strand beerdigt worden, wo er sich immer so gerne aufhielt.. Aber dich hatte es nun erwischt.
Am Morgen war noch alles in Ordnung gewesen. Ein Bad genommen, tief durchgeatmet und gefrühstückt und dann raus aus meiner Wohnung. Sie liegt ein wenig außerhalb. Darüber hätte ich mir Gedanken machen sollen, aber nun war es wohl zu spät.
Ich war gerade auf dem Weg zur Arbeit (einer leitenden Position im Umweltamt der Siedlung - wir waren hauptsächlich mit der Straßenreinigung beschäftigt, die ich zu organisieren hatte und leitete. Ich war - wie jeden Morgen - den gleichen Weg gegangen, als sie mich plötzlich packten. Panisch wirbelte ich herum. Ich konnte sie nicht einmal mehr sehen, dazu waren sie zu geschickt! Das sind Profis, schoss es mir durch den Kopf.
Es war die klassische Entführung gewesen. Sie warfen etwas über meinen Kopf, ich konnte mich nicht rühren, so sehr ich mich auch anstrengte. Meine Arme waren gefesselt, umschlossen von diesem Zeug. Sie benutzten keinen Sack, sondern wohl etwas mit Maschen - so etwas wie ein Netz. Ich konnte sie noch sehen, meine Heimat, aus der sie mich nun herausschleusen wollten. Keiner konnte mir helfen, dafür waren sie zu schnell. Das sind Profis. Wehre dich nicht. Die werden Forderungen stellen und bald wirst du wieder frei gelassen, aber WEHRE DICH NICHT. Widerstand ist hier zwecklos. Die lassen dich wieder gehen.
Ja, aber tun sie das wirklich? Ich erinnerte mich an die Geschichten, die Großvater immer erzählt hatte. Von denen, die da draußen wohnten... Hinter der Siedlung. Außerhalb unserer geregelten, wunderschönen Welt. Monster mussten sie sein, den Großvater erzählte uns Jüngeren grauenhafte Geschichten über sie. Dabei betonte er immer, dass sie ganz anders sein mussten. Viel größer als wir. Tausendmal so groß bestimmt. Und sie können uns mit einem Mal verschlucken, wenn sie das wollen. Dazu müssen sie uns nur finden und holen. Verhalte dich also ganz unauffällig, hatte mich Mutter immer gewarnt. Vater hatten sie auch geholt. Das war schon lange her, aber ich konnte mich noch an den Tag erinnern - an die Tränen meiner Mutter!
Bei diesem Gedanken loderte in mir die Angst auf und mit der Angst der unumstößliche Wille, mich loszumachen - mich zu befreien. Ich riss nun an den mich umschließenden Ketten, Maschen und Fesseln. Sie waren zu stark... Sie werden dich fressen, sie werden dich fressen! OH GOTT, SIE FRESSEN DICH!
Dann - urplötzlich hatte ich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Die bringen dich um! DIe lassen dich hier jämmerlich zugrunde gehen! Meine Lungen zogen sich zusammen, ich spürte nicht mehr die Luft, wie sie durch meinen Mund strömte. Mein Körper erstarrte und verfiel schließlich in panische Zuckungen. In meiner Brust schienen die Lungenflügel zu reißen. Mir wurde schwindlig, ich war fast der Ohnmacht nahe, als sie aufhörten, mich erstmal in Ruhe ließen. Das musste die Welt gewesen sein, die Großvater beschrieben hatte! Eine Welt aus Leiden und Schmerzen - ihre Welt.
Sie sperrten mich in eine enge Kammer, fuhren mit mir irgendwo hin. Durch die Scheibe konnte ich sie sehen, meine SIedlung, mein Zuhause. Einige Freunde, die mir nachsahen und es nicht fassen konnten. Es war das Wahr-Werden eines Alptraumes. Wohin brachten sie mich? Bestimmt auf einen Teller, durchfuhr es mich.
Die Fahrt war wohl zuende. Und dann sah ich sie zum ersten Mal deutlich! Sie waren tatsächlich nicht wie wir. Sie blickten mich durch die Scheiben der Kammer an. Sie waren riesig, und es schien sie zu belustigen, wie ich immer wieder vor die Scheibe trat und schlug, um mich zu befreien! Da war keiner, der mir half. Niemand. DU BIST ALLEIN.
Dann ein Rütteln, sie holten mich aus meinem Gefängnis und brachten mich ins Nächste. Es waren Monster. Sie warfen mich ins Dunkel. Ich konnte kaum etwas sehen. Es war kaum Luft zum Atmen. Es stank bestialisch. Überall Schmutz und widerliche Schlingpflanzen, die sich an den steinernen Wänden hochwanden.
Wie war ich nur hierher gekommen?
Von einem Moment zum anderen, haben sie mich allem entrissen. Meinen Freunden, Verwandten, meiner Umgebung.
Sie sind nicht wie wir, hatte Großvater immer gesagt. Er war nicht von ihnen geholt worden, wie soviele andere auch, er war friedlich gestorben und am Strand beerdigt worden, wo er sich immer so gerne aufhielt.. Aber dich hatte es nun erwischt.
Ich verkroch mich in eine Ecke. Ich konnte nichts sehen, aber der Raum, in den sie mich gebracht hatten, musste riesig sein. Ich wartete hier in dieser, dunklen Ecke. Irgendwo - ganz weit entfernt konnte ich das leise Surren einer Maschine hören... wohl eine Art Klimaanlage, doch sie schien nicht zu funktionieren, angesichts der Luftqualität hier drin. Irgendwann schlief ich ein, zum sanften Surren dieser Anlage, obwohl ich mich heftig dagegen wehrte. Wer weiß? Vielleicht fraßen sie mich ja doch noch.
Der nächste Morgen. Gefressen hatten sie mich nicht und ich war noch schlaftrunken, als mich jemand unsanft weckte. Es war ein junges Mädchen, kaum älter als meine jüngste Schwester, die mir laut ins Ohr dröhnte: "DU BIST DER NEUE, ODER? DU BIST DOCH DER NEUE, ODER NICHT? DU MUSST DER NEUE SEIN! HALLO! WILLKOMMEN BEI UNS! BIST DU NICHT DER NEUE?"
Ich sah sie an. Sie sprach mit mir, als wären die letzten vierundzwanzig Stunden ein großer Gewinn gewesen. Ich rappelte mich auf.
"Guck doch mal! Das ist jetzt dein neues Zuhause!"
Ich ging einen Schritt nach vorn. Dann sah ich es. Es war größer als unsere Siedlung, viel größer. Und es herrschte geschäftiges Treiben in den Straßen, ich konnte nicht in die Ferne sehen. Es war die Unendlichkeit. Es gab keinen Horizont, keine Sonne. Von meinem Punkt aus, sah es aus wie eine große Herausforderung, ein neues Leben, doch bevor ich mich auf irgendetwas einlassen wollte (ich erinnerte mich an meinen Großvater), blickte ich zu dem kleinen Mädchen, das jetzt grinsend neben mir stand und meinte.
"Weiß schon, muss ziemlich anders sein, als deine andere Stadt."
Ich nickte. "Ja, das stimmt schon."
"Ja, dann komm!" Sie ging einen Schritt vorwärts. Ich hielt sie auf.
"Und was ist mit den Monstern?" Sie drehte sich um und lachte.
"Meinst du die hinter dem Himmel?"
Himmel? Ich schaute nach oben. Ein strahlend weißes Licht ergoss sich über uns. Ich wusste nicht genau, was sie meinte, nickte aber aus dem Bauch heraus.
"Ja! Fressen die uns nicht?"
"Ach Quatsch! Die beobachten uns nur. Aber warum sollten die uns fressen!"
Ich lächelte sie an und ging mit ihr raus in die große, weite, neue Welt.
"Welcher von denen ist es?"
"Der da, der die Moose von den Steinen frisst! Der hat sich ziemlich gewehrt, als ich den heute aus der Tierhandlung geholt habe - ne Kämpfernatur. Und ein echter Straßenfeger, mmh?"
"Ja, sieht so aus. Eric - wieder ein neuer? Wir haben erst letzte Woche einen von den roten geholt. Vertragen die sich denn?"
"Sicher. Bisher ist noch nie was schief gegangen. Naja, ich sollte es jetzt langsam mal sauber machen, aber mir fehlt die Zeit. Ich gehe mal noch eine Flasche Wein hochholen, dann machen wir uns einen schönen Abend, oder?"
"Klar." Susan blickte ihm nach und schüttelte lächelnd den Kopf, während sie den neuen Bewohner beobachtete, der eifrig die Steine putzte. Er und sein Aquarium!