Das Wiedersehen
Das Wiedersehen
Sie hatte ihn geliebt. Ja, da war sich ganz sicher. Sie hatte ihn geliebt. Sie hatte ihn sogar mehr geliebt als jemals einen anderen Menschen ihn ihrem Leben. Er war derjenige gewesen, der ihr das Wort Liebe erst erklärt hatte. Er hatte aus einem einfachen Begriff ein Gefühl gemacht, dass viel stärker war als sie selbst.
Der Zauber den er ganz plötzlich in ihr fades Leben gebracht hatte, hatte sie umfangen und sie spüren lassen was Geborgenheit bedeutete. Und es war eine ganz neue Erfahrung für sie zu verstehen, dass auch er sie liebte. Das auch er viel mehr für sie empfand, als jemals für eine andere.
Es war perfekt gewesen, perfekt das heißt nicht ganz ohne Schwierigkeiten, aber doch alles in einem so perfekt wie nichts zuvor.
Und während das Feuer im Kamin leise vor sich her prasselte, saß sie einfach bloß da und versuchte zu begreifen. Ganz verzweifelt versuchte sie zu verstehen, dass er einfach nicht mehr da war. Genauso wenig wie das Gefühl.
Seit ein paar Stunden schon, saß sie vor dem langsam verglühenden Feuer und mit ihm schien jedes Gefühl in ihr zu vergehen. Wie gelähmt und ohne sich auch nur einmal zu bewegen, klammerte sie sich an den Sessel vor dem Kamin und wartete darauf, dass das Gefühl ganz verschwand.
Aber so emsig wie es sich in den letzten Stunden davon geschlichen hatte, so blieb es jetzt mit all der Kraft die noch in ihm wohnte an ihr hängen und fraß sich tiefer und tiefer in ihr Herz hinein. Das Gefühl, welches sie so verzweifelt bekämpfte, rang um die Macht über ihr Herz und es besiegte die Verzweiflung und auch die tiefe Trauer in ihr.
Und noch bevor das letzte Glühen des Feuers vergangen war, beschloss sie sich zu ergeben. Sie gab ihren schier endlosen Kampf gegen das was einfach in ihr war auf und akzeptierte endlich die Wahrheit, sie hatte nie aufgehört ihm zu lieben.
Heute Nacht hatte sie wieder von ihm geträumt, so wie all die Nächte zuvor auch. Es war immer der selbe Traum gewesen, der immer und immer wiederkehrte. Jedes mal wenn sie die Augen schloss, war er wieder da. Er regierte über ihre Träume und egal was sie tat, er besuchte sie jede Nacht. Jeden Abend, um die selbe Uhrzeit wachte sie auf, mit dem Wissen wieder von ihm geträumt zu haben.
Und einerlei, wie sehr sie sich auch bemühte nicht einzuschlafen, nichts konnte sie daran hindern. Es war wie ein Fluch. Ein Fluch der sie beharrlich mit dem gleichen grausamen Bild quälte.
Sein Gesicht.
Diese blauen Augen, die die ganze Welt in sich spiegelten und nur wissend auf sie herab sahen und die Worte, welche er immer wieder sagte. Die sie aber nie verstehen konnte. Und jeden Abend fragte sie nach ihrer Bedeutung und schrie seinen Namen als er sie wieder verließ, aber sie bekam niemals eine Antwort. Sie schrie meist so laut, das ihre Eltern schon an ihrem Bett saßen und versuchten sie zu beruhigen, noch bevor sie überhaupt wach war. Und die Sorge in ihren Gesichtern sprach für sich.
Sorge um ihre Tochter die nicht mehr aß und die immer schwächer wurde, die gequält von einem wiederkehrenden Alptraum immer tief in einen schweigsames Grübeln sank und nicht mehr aufwachte aus ihrer schrecklichen Gleichgültigkeit. Und Sorge wegen der tiefen Trauer die ihr Gesicht, das noch so jung und hübsch sein müsste, jetzt schon vernarbt hatte und ihre Augen trüb erscheinen ließ.
Und sie waren ganz sicher, dass sie sie verlieren würden, wenn nicht endlich etwas geschehen würde. Und so zögerten sie nicht lang, als sie davon hörten und riefen die junge Frau ohne große Umschweife in ihr Haus. Die Eltern des Mädchens waren ganz sicher, dass nur diese so gefährliche Methode, ihnen ihre Tochter wiedergeben konnte. Das nur dieses Wagnis das alte so lebensfrohe Mädchen wieder wecken konnte und ihr Herz von seinen Fesseln befreien konnte.
Und so kam es also, dass die junge Frau sich mit dem bleichen, zitternden Mädchen in das Wohnzimmer des Hauses ihrer Eltern setzte. Und als die Frau ihre Hände nahm, hörte ihr Herz auch sich zu verkrampfen und sie konnte plötzlich wieder atmen, alle Last viel von ihr ab und sie spürte ganz deutlich, dass sie endlich einmal wieder vollkommen ruhig war. Die Masse an Gefühlen, welche einen verzweifelten Kampf in ihrem Inneren ausgeführt hatten, zog sich etwas zurück und war endlich einmal überschaubar für sie.
Und als die Schamanin leise begann ein seltsames Lied zu singen, spürte sie, wie sie endlich zur Ruhe kam und die schreckliche Angst vor dem Schlaf wich von ihr und sie legte sich einfach auf das Sofa und schlief ein.
Und der Schlaf übermannte sie wie ein Zauber, sie fühlte sich seltsam leicht, fast schwerelos und sie glaubte davon zu schweben, in eine Welt die ihr fremd war. Doch plötzlich war der Traum wieder da, doch er war wirklicher und um einiges realer als jemals zuvor. Und in ihrem Traum sah sie sein Gesicht. Und sie sah es klarer als zuvor und zu erstenmal seit seinem Tode, ab dem sie der Traum verfolgt hatte, zum ersten mal nach all der Zeit, hörte sie wieder seine Stimme.
„Ich möchte dir etwas zeigen.“,
sagte er leise und seine Stimme schien zu zittern. Und in ihrem Traum nahm er sie an die Hand und führte sie an einem Ort der ihr schrecklich bekannt vorkam. Als sie bemerkte wo sie waren, blieb ihr Herz fast stehen und der Schmerz lies sie zittern und sie wollte sich keinen Schritt mehr vorwärts bewegen und versuchte krampfhaft diesen Ort zu verlassen. Doch er hielt sie fest und seine Nähe war es die ihr Kraft gab, die ihr immer Kraft gegeben hatte und so wagte sie es schließlich noch einmal an den Ort zurückzukehren, den sie nie mehr hatte betreten wollen.
Sie sah wieder die Schrecken des Unfalls, die zertrümmerten Autowracks und fühlte den betäubenden Schmerz und die Hilflosigkeit gegenüber etwas unausweichlichen.
Sie spürte auch und zwar mit der gleichen Kraft wie damals, das sie einen Fehler gemacht hatte, einen Fehler für den sie sich nie entschuldigt hatte und für den sie sich nun nie mehr entschuldigen konnte.
Einen Fehler, der sie die ganze Zeit verfolgt hatte und ihr den Mut zum Leben genommen hatte. An seinem Grab hatte sie sich dafür entschuldigt ihn nicht vertraut zu haben, sie hatte einfach das angenommen, was ihr am ehesten wahr zu sein schien und sie hatte falsch gelegen. Denn während sie dachte er hätte eine andere, hatte er ganz still und heimlich ein Ring für sie gekauft.
Einen Ring der sie für immer hatte aneinander binden sollen und den sie nie bekommen hatte. Nach seinem Tode wurde er ihr von seinem Bruder mit vorwurfsvollen Augen in die Hand gedrückt und er hatte alles in ihr zerstört. Und sie begann sich selbst zu hassen und zu verachten. Sie schämte sich so sehr und zog sich zurück und fühlte sich so schlecht.
Doch jetzt war alles anders jetzt wusste sie, dass er bei ihr war und das sie die Chance hatte sich zu entschuldigen und sie würde ihre letzte Möglichkeit nutzen ihm zu sagen wie leid es ihr tat.
Doch als sie sich umdrehte, legte er sanft den Finger auf ihre Lippen.
„Sag nichts mehr. Ich habe dir schon längst verziehen! Schon in dem Augenblick indem du es gesagt hast.“
und seine Augen leuchteten warm und in dem Moment wusste sie, das er es ernst mit ihr meint. Tränen füllten ihre Augen und ihre Stimme war nur noch ein heiseres Krächzen, als sie sagte:
„Ich liebe dich“.
Er nickte bloß und es hätte auch keiner Antwort mehr bedurft, sie fühlte wie eine Welle des Glücks und der Befreiung in ihr wogte und als er sie in dem Arm nahm fühlte sie sich nach schier endlos langer Zeit wieder geborgen und die Last der Schuld war von ihr abgefallen und ihr Herz war wieder frei von allen Zweifeln und die Angst machte der Liebe platz.
Sie wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, als er sich wieder von ihr löste und mit ihr zurück ging. Doch den Rest des Weges ging sie allein und ohne sich noch einmal umzudrehen. Sie ging mit schnellen Schritten zurück und wusste ganz genau, dass sie nicht anhalten durfte, sonst würde sie sich unweigerlich umdrehen und für immer bei ihm bleiben. Doch ihre Zeit auf Erden war noch nicht vorbei und so kehrte sie zurück in ihrem Körper und als sie die Augen aufschlug und das grelle Licht des Krankenhauses in ihren Augen blendete, spürte sie zum ersten Mal seit einiger Zeit wieder wie hungrig sie eigentlich war.
Sie bekam nicht mit wie die Ärzte erstaunt und ziemlich besorgt zu ihr eilten, sie spürte nur den Ring an ihrem Finger, den er ihr angesteckt hatte und der ein ewiges Zeichen für ihre Liebe sein würde. Sie lächelte in all dem Chaos um sie herum glücklich, denn sie wusste ganz genau, er würde auf sie warten, egal wie lange es dauerte, sie würden ihren letzten Weg gemeinsam gehen.
Erst später erfuhr sie, dass sie fast 2 Stunden tot gewesen war und die Ärzte schon alle Hoffnung aufgegeben hatten, bis sie schließlich doch, wieder aller Hoffnung, die Augen geöffnet hatte.
Und nach zwei Wochen Krankenhaus, bekam sie einen seltsamen Besuch. Sein Bruder, der ihr die ganze Zeit Vorwürfe gemacht hatte und es nie verpasste ihr einen vielsagend Blick zuzuwerfen kam zu ihr, mit einem großen Strauß Rosen und sagte einfach bloß:
„Ich hatte einen Traum.“.