Death by Relationships
Tired-Farther kommt herein. Er macht die Tür hinter sich zu und klopft sich den Schlamm von den Schuhen. Er hängt seinen 50er-jahre Hut und seinen Mantel an den Bügel.
Man könnte meinen, er sei ein starker, nostalgischer Mann. Doch sein fast schon gebückter, sehr leiser Gang verrät heimtückisch seine Schwäche. Er betritt den Dampf der Küche.
„Wo warst du denn so lange?“, ruft Hardcore-Mama. „Das Essen wird kalt!“
„Entschuldige“, sagt Tired-Farther und geht zu seiner übergewichtigen Frau, um sie von hinten zu umarmen. Doch sie stößt ihn beiseite.
„Pass doch auf, ansonsten kannst du dir dein Essen streichen!“, ruft sie barsch.
Tired-Farther läuft schon mit einem herunterhängenden Kopf, Tag ein, Tag aus. Doch heute senkt er seinen Blick um noch einige Zentimeter.
„Okay“, sagt er leise und herzlich. Schließlich hat Hardcore-Mama den ganzen Tag zu tun – es ist dumm von ihm, seine arme Frau zu belästigen. Ein wenig beschämt geht er in das Esszimmer.
Er setzt sich an den gedeckten Tisch. Seine Zeitung liegt nicht dort, wo er sie zuletzt gesehen hat.
„Äääh, Schatz?“, ruft er in die Küche.
„Was ist denn?“, schreit Hardcore-Mama zurück.
„Hast du meine Zeitung gesehen, Liebes?“
„Die hab ich weggeworfen. Die hättest du wegräumen sollen, wenn die da einfach so rumliegt kann ich den Tisch nicht decken!“
Tired-Farther blickt in das Nebenzimmer, sein Zimmer, das nur einen Meter entfernt ist.
„Aber wieso hast du nicht…“
„WAS?“, unterbricht ihn Hardcore-Mama.
Sie kommt mit einem riesigen, dampfenden Topf ins Zimmer. Heute gibt es Bratwurst, Bohnen und noch anderes Gemüse. Alles zusammen in einem Topf, gute 4-5 Kilo.
„SCHÄTZCHEN! Komm essen, alles ist auf dem Teller!“, schreit Hardcore-Mama.
Tired-Farther hält seinen Kopf aufgestützt auf dem Tisch und guckt zur Treppe, die in das Zimmer seiner Tochter führt. Und augenblicklich kommt sie heraus. Dirty-Resolution. Das 16-jährige Mädchen wackelt mühsam seine 50 Kilo Übergewicht ins Esszimmer.
„Hi Daddy.“ Ihre kratzige Stimme klingt nicht erfreut. Eher enttäuscht. Ein paar Sekunden später sitzt das Trio am Tisch.
„was meinte dein Boss zu dir?“, fragt Hardcore-Mama auf einmal. Tired-Farther läuft rot an. Wie sollte er das jetzt seiner Frau klar machen?
Gar nichts”, sagt er sofort.
„Gar nichts?“, ruft seine Frau ihn laut an. Sie wendet nur kurz ihren Blick ab, um einen großen Löffel ihres matschigen Futters zu sich zu nehmen. Ihre Gesicht wird dabei noch röter als das von Tired-Farther. „Und wieso nicht?“
„Naja, ich habe ihn nicht gefunden…“, sagt er wehrlos.
„Du hast dich schon wieder nicht getraut?“
„Nein, ich habe ihn wirklich nicht…“
„Du hast dich schon wieder nicht getraut!“
„Liebling, ich suchte ihn im ganzen Gebäude…“
„Liebling, ich suchte ihn im ganzen Gebäude“, äfft Hardcore-Mama ihn nach.
„Hör endlich auf, mich anzulügen! Wir haben das schon so oft geübt, rede laut und sag´, was du willst. Du musst artikulieren! Und trau dich, deine Meinung kundzutun. Ansonsten wird dich nie jemand respktieren!“
„Liebling, hör mal…“
„Also sag jetzt laut: ICH WILL EINE GEHALTSERHÖHUNG!“
„Ich will eine Gehaltserhöhung“, sagt Tired-Farther leise.
Hardcore-Mama wird wütend. Sie legt den Löffel in den Teller und fängt an, wild mit den Händen zu gestikulieren.
„MEIN GOTT, WIR BRAUCHEN DAS GELD! DU SOLLTEST JETZT LANGSAM MAL VERANTWORTUNG FÜR UNS ÜBERNEHMEN“, schreit sie über den Tisch. Dann nimmt sie wieder einen großen Löffel voller Matsch und hebt den Finger.
„Noch einmal.“
Tired-Farther ächzt leise.
„Mach mich nicht wütend“, droht Hardcore-Mama. Sie keucht dabei und muss Luft holen, allein schon weil sie kaum in den Stuhl passt, auf dem sie sitzt.
Sie braucht bald einen neuen, denkt sich Tired-Farther. Wir könnten das Geld doch gebrauchen. Eigentlich hatte er keine Lust gehabt, seinen Chef zu fragen. Letzten Monat hatte er schon um eine Gehaltserhöhung gebeten, das war ihm natürlich verweigert worden. Seine Frau hatte keine Ahnung von der Geschäftswelt da draußen. Er war nicht der Beste und wollte sich daher lieber mit dem zufrieden geben, was er hatte. Er hatte sich schon oft auf die Schulter geklopft, dafür dass er die junge Konkurrenz abgewehrt hatte und nicht degradiert worden war. Doch das bedeutete seiner Frau wohl gar nichts.
„Ich will eine Gehaltserhöhung.“, sagt er in normaler Lautstärke. Hardcore-Mama lässt das durchgehen und freut sich.
„Na das ist doch schon mal ein Schritt in die richtige Richtung“, sagt sie erfreut. Ihr Fett wabbelt lebendig, während sie sich glücklich die nächsten paar Happen genüsslich reinschiebt.
Dirty-Resolution war bis jetzt ganz still, doch nun meldet auch sie sich zu Wort. Die Packung Zigaretten, die sie heute schon alleine und heimlich auf der Fensterbank geraucht hat, erschweren ihr alles ein wenig. Nach dem sie sich zu Wort gemeldet hat, muss sie erst einmal laut husten.
„Oh, Schätzchen, du solltest dich dicker anziehen, du bist ja ganz erkältet. Es ist viel zu kalt, um so herumzulaufen.“
„Mutter, es ist Juli.“
Ein wenig hofft Dirty-Resolution darauf, dass ihre Eltern die Raucherei bemerken und sie deswegen einmal so richtig zusammenschreien würden. Doch bis jetzt war sie erfolglos geblieben. Für ihre Mutter war es eher im Juli eisig kalt als dass ihre Tochter irgendetwas Verbotenes tun würde.
„Ich hole dir deine Strickjacke, warte kurz“, sagt Hardcore-Mama und wackelt in den Flur.
„Daddy?“
Tired-Farther guckt auf. Was gibt es jetzt schon wieder?, denkt er ärgerlich. Er liebt seine Familie, doch manchmal…
„Du weißt ja, dass ich die mittlere Reife erreicht habe.“
„Ja, das weiß ich.“
„Die haben mir´n ziemlich guten Job angeboten.“
„Ja?“
„Na ich könnte da jetzt sofort hin. Da gibt´s gutes Geld. Ich bin mir nu nicht sicher, ob ich damit mein Potenzial vergeude…“
„Du meinst den Job als Barkeeperin im Jingle´s?“, fragt Tired-Farther.
Das speckige Gesicht seiner Tochter hebt sich und nickt ein paar Mal. Die Augen sind eingedrückt vom Fett und aus dem hautengen Shirt quirlt schon ein Teil des Arms heraus.
„Da musst du deine Mutter fragen, Liebes“, sagt Tired-Farther und isst weiter.
Dirty-Resolution starrt ihn ein paar Sekunden entgeistert an und isst dann langsam weiter. Sie hat die letzte Hoffnung, mit ihrem Vater noch etwas anfangen zu können, aufgegeben.
Hardcore-Mama kommt in die Küche.
„Hier Schätzchen“, sagt sie und legt ihrer Tochter die Jacke über die Schultern. Dirty-Resolution lässt sich nichts anmerken und isst schnell weiter. Die Geschwindigkeit mit der sie ihr Essen herunterschlingt, ist grauenhaft.
„Worum ging es denn grade, Liebes?“
„Ob ich mit der Schule weitermache oder…“
„Natürlich machst du weiter! Etwas Anderes kommt gar nicht in Frage! Du hast noch so viel Potenzial, das wird mir nicht vergeudet!“, ruft sie über den Tisch.
„Okay“, sagt Dirty-Resolution mürrisch und isst noch ein wenig schneller.
„Du wirst mir irgendwann dafür danken. Dann hast du einen guten Job, bist gebildet und wirst glücklich sein. Genau so machen wir´s!“
Dirty-Resolution isst noch ein wenig schneller.
Dann gehst du morgen in die Schule und machst ganz normal weiter. In Ordnung? In Ordnung! Das ist doch der beste Weg, den sie einschlagen könnte, oder was meinst du?“
Tired-Farther blickt auf und schaut in die fragenden Gesichter seiner Familie.
„Ääähh, ja, genau das ist es.“
„Na siehst du!“, ruft Hardcore-Mama erfreut.
„Oh mien Gott, dein Teller ist ja schon leer. Hat´s dir so gut geschmeckt? Ich gebe dir noch ein wenig, ja?“
Dirty-Resolution blickt auf zu ihrer Mutter, die sich fett und dumm grinsend vor sie beugt um den Teller zu greifen. Dahinter sitzt Tired-Farther und kaut lustlos auf einer Wurst herum. Sein müder, schwacher Blick ist dabei nur auf den Teller gerichtet.
Hardcore-Mama freute sich grade eben noch, ihrer Tochter etwas Gutes tun zu können. Doch Dirty-Resolutions Kopf fällt mit einem lauten Dong auf den Tisch. Aus ihrem Mund fließt ein bisschen Brühe, Kotze und frisches Essen vermischt. Ihre Nase blutet und die Augen sind steif nach oben gerichtet. Herzinfakt.