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Dein war die Jagd
Dein war die Jagd
Kennst du das? Du fällst. Und fällst. Und dann, bevor du aufschlägst, wirst du wach. Niemals schlägst du auf. Das ist so. Das ist gut so. Und das ist für alle so.
Meine Träume sind anders. In meinen Träumen renne ich. Renne weg vor dir. Renne, ohne dein Gesicht zu sehen. Nur das Messer. Nichts weiter, als das Messer. Erhoben in deiner Hand. Ich will nicht mehr rennen, Nacht für Nacht. Will nicht mehr fliehen. Will all das nicht, ohne dein Gesicht zu sehen.
Schon immer hast du gelauert. Als ich ein Kind war, hab ich dich erkannt. Kauernd hinter dem Gebüsch. Und wartend in den Schatten. Schon immer warst du feige. Hast auf der anderen Seite des Vorhangs gewartet. Bist niemals zu mir getreten.
Bis es dunkel war. Dann, wenn ich wehrlos im Bett lag, hast du dich herausgewagt. Bist mir entgegengekommen und hast mich verspottet. Du bist mir gefolgt, bis in meine Träume. Meine Bastion. Hast mir keine Wahl gelassen. Und ich bin gerannt. Seit diesen Tagen gerannt.
Aber deine Kondition steigt mit jedem Tag. Du gewinnst an Ausdauer und ich verliere an Kraft. Zentimeter für Zentimeter rückst du näher. Jede Nacht und unaufhaltsam. Ich gebe dir nicht mehr diesen Raum. Lasse dich nicht mehr hinein in meine Sicherheit.
Das schwöre ich in jeder Nacht. Und dann, wenn ich davonschwebe, in weiße Wolken gebettet sein will, mich sehne nach nichts als Frieden. Dann weckt mich dein höhnisches Lachen. Und dann rückst du näher. Unaufhaltsam. Ich weiß es genau.
Versteckt in neuen Gewändern von Zeit zu Zeit. Verborgen im Alltag. In Menschen und Dingen. Springst hervor aus dem Dickicht, um mit mir zu rennen. Mich zu verfolgen. Unablässig und ein wenig schneller jedes einzelne Mal. Du machst mir Angst. Aber ich trotze dir. Trotze dir wieder und wieder.
Aber heute Nacht, heute Nacht wirst du mich erreichen. Wirst dein Messer in mich senken. Mein Herz zerfleischen. Mein Blut vergießen. Du wirst mich töten. Mir nehmen, was mir allein geblieben ist. Aber es wird dir nicht gelingen. Ich werde es dir verwehren. Werde lachend über dir stehen, wenn du strauchelst. So, wie du so oft über mir. Werde die Klinge führen, direkt an den Adern entlang. Werde lachen, wenn das Blut hervorquillt und über dich rinnt, als wäre es dein eigenes. Werde Lachen, bis der letzte Tropfen vergossen ist und meine Stimme versiegt. Den Sieg wirst du nicht davontragen. Dein war die Jagd.