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Deine Tränen werden schon vergehen

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20.03.2005
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Deine Tränen werden schon vergehen

Er strich ihr sanft die Strähne aus dem verheulten Gesicht. Es ist unfair. Sie hatte doch ihn verlassen. Und jetzt heulte sie. Hätte nicht er allen Grund zum heulen?

Als er sie damals das erste mal gesehen hatte, traf es ihn wie ein Donnerschlag. Sicher, er hatte vor ihr viele Frauen gekannt. Früher. Er nannte das immer „Seine wilden Jahre“. Am wildesten waren die wilden Jahre, wenn er mit den Jungs unterwegs war. Mannomann. Er könnte noch heute lachen, wenn er daran dachte, wie sie damals bei der dicken Nutte Gurken reingesteckt haben. Kalli war echt der Beste. Der hatte damals eine unglaublich hässliche Freundin. Der fehlten die beiden oberen Schneidezähne. Er schwörte darauf, dass sie wie keine andere blasen konnte. Der Kalli. Er und die Jungs hatten sich dann immer kringelig gelacht. Als seine hässliche Freundin dann schwanger wurde, hat er sie einfach abserviert. Hat ihr gesagt, dass er sowieso Schluss machen wollte und ist dann mit den Jungs Billard spielen gegangen. Das hat ihm echt nichts ausgemacht. Die Jungs haben ihn dann gefragt, ob er keine Angst hat, wegen Unterhalt und so. Da hat er nur gelacht und gesagt, sie sollen doch seinen Maserati pfänden. Den Witz haben die Jungs natürlich gleich verstanden. Kalli hatte mal einen Maserati geklaut und gegen den Baum gefahren. Seitdem hatte er Schulden satt.

Und dann war irgendwann sie da. Sie war anders als die anderen Frauen. Mann, sie hat genau gewußt, was sie wollte. Und als einer von den Jungs einen blöden Spruch machte, hat sie voll dagegen gehalten. Er hatte sie nur angesehen und gedacht, dass er nie wieder eine andere Frau sehen will. Eigentlich, wenn man so mit den Bildern im Pirelli-Kalender vergleicht oder mit dem Playboy, dann war sie keine richtig schöne Frau. Aber irgendwie hat sie von innen gestrahlt. Wenn sie eine Kippe ausdrückte oder einen Lippenstift in der Handtasche suchte, dann war das einfach toll. Er konnte gar nicht sagen, was es eigentlich war, aber es war toll. Da war so ein Blitzen in ihren großen braunen Augen, wenn sie redete. Davon, was sie tun wollte, wo sie hin wollte. Wenn sie von ihren Traumwolkenreisen sprach, von dem, was sie noch vorhatte, wenn sie die Ausbildung als Steuerfachgehilfin hinter sich hatte.

In dieser Nacht redeten sie stundenlang. Eigentlich redete sie und er staunte. Er hatte unglaubliche Angst, etwas Dämliches zu sagen und konnte überhaupt nicht verstehen, warum sie so lange mit ihm sprach. Am nächsten Tag hatte er sie von der Arbeit abgeholt, mit Blumen. Es war das erste Mal, dass er Blumen gekauft hatte. Außer zu Muttertag. Zwei Wochen später waren sie ein Paar und ein paar Monate später hatten sie sich eine Wohnung zusammen genommen. Nichts Besonderes. Zwei Zimmer, ein Küche und eine kaputte Dusche. Einen Riesenkrach mit den Eltern hatte sie dafür in Kauf genommen. Er konnte sein Glück noch immer nicht fassen. Seit Wochen hatte er die Jungs nicht mehr gesehen. Sie fehlten ihm aber auch nicht.

Weihnachten sagte sie ihm, dass ihre Tage überfällig waren. Da war sie aber schon im dritten Monat, hat der Arzt gesagt. Aber es war OK. Er wollte sie dann auch gleich heiraten, aber sie sagte, sie wäre noch nicht so weit und das war dann auch in Ordnung.

Als Tobias auf die Welt kam war er der stolzeste Vater auf der Welt. Es machte ihm nicht mal etwas aus, die Windeln zu wechseln. Himmel, wenn das die Jungs wüssten. Die sah er dann erst später wieder, da war schon Lisa unterwegs. Das war auch die Zeit, wo er bei der Spedition rausflog. Aber es war immer noch OK. Mit der Sozialhilfe und den paar Euro, die er so dazuverdienen konnte, ging es. Und er hatte ja sie und Tobias und Lisa. Und wenn ihm alles zu viel wurde, waren ja auch die Jungs da. Er kam dann schon mal später nach Hause. Männer müssen ja auch mal einen über den Durst trinken.

Wann es anfing, schief zu gehen, konnte er gar nicht sagen. Irgendwann mochte sie nicht mehr mit ihm schlafen und die Kinder machten Terror. Da muss ein Vater schließlich dazwischengehen. Er konnte sich ja nicht alles bieten lassen. Aber es hat ihm jedes Mal leid getan, wenn ihm die Hand ausgerutscht ist. Auch als Lisa so blöd gegen ihr Bett geknallt ist, nachdem er ihr eine gescheuert hatte. Scheisse, das musste genäht werden. Aber es war ja nur, weil sie so geschrien hatte.

Und dann kam er eines Abends nach Hause und da waren keine Kinder und keine Frau. Nur ein Zettel, dass sie zu ihren Eltern ziehen würde. Er hatte versucht, sie zu sehen, aber sie hatten ihn nicht in die Wohnung gelassen. And dann wollte sie plötzlich gar nichts mehr mit ihm zu tun haben. Echt, das war ja genau so, wie der Kalli es damals mit der hässlichen Freundin gemacht hatte. Mit ihm.

Und jetzt saß sie da vor ihm und heulte. Die Kinder lagen, ganz friedlich, zusammen im Bett und sie heulte. Verdammt, wenn hier einer heulen sollte, dann er. Sie schluchzte und die großen Augen waren ganz rot. Sie weinte verzweifelt, aber nicht laut. Laut ging nicht mit dem Klebeband über dem Mund. Wie Engel sahen die Kleinen aus. Man konnte das Blut gar nicht sehen. Mensch, wenn sie ihm die Kinder nicht weggenommen hätte, wären sie jetzt noch am Leben.

 

Hallo Labude,

Kompliment, das Ende war gut :).


Deinen laschen Erzählston, der nun ja auch "Fehler" beinhaltet, kann man nicht bekritteln, da das in meinen Augen unbedingt zur Geschichte gehört.

Was ich noch entdeckt habe:

Der hatte damals eine unglaublich hässliche Freundin. Der fehlten die beiden oberen Schneidezähne. Er schwörte darauf, dass sie wie keine andere blasen konnte. Der Kalli. Er und die Jungs hatten sich dann immer kringelig gelacht. Als seine häßliche Freundin

Ich habe die KG gerne gelesen, da du die Naivheit des Prot gut aufgezeigt hast.

Lieber Gruß
bernadette

 

Hi Labude!

Also ich weiß nicht so wirklich was ich von deiner Geschichte halten soll.
Auf der einen Seite finde ich die KG toll, weil die Sprache super zum Inhalt, zur Erzählweise deines Protagonists und zu seinen Gedanken passt.
Das hat mir echt gefallen.
Auf der anderen Seite habe ich das Ende irgendwie schon geahnt, spätestens an der Stelle wo er darüber erzählt wie er seine KInder geschlagen hat, ich finde da spricht er über sie, als wären sie schon tot (was sie ja auch sind).
Das Thema ist natürlich ziemlich brisant, aber hat auch leider einen aktuellen Bezug. Ob es jetzt tiefgründig genug dargestellt ist, sei dahingestellt.
Irgendwie fehlt mir der "Klick"... der Punkt an dem bei dem jungen Mann echt die Sicherungen durchbrennen, die Stelle, an der aufhört seiner Familie hinterherzutrauern und nur noch versucht sie kaltblütig zurückzubekommen.
Verstehst du was ich meine?

Lg, Bella. :bounce:

 

@bernadette: Oups, vielen Dank. Man sollte sich schon enscheiden. Dass das Wort "hässliche" wiederholt wird (es kommt später noch einmal) ist allerdings Absicht und soll "aufstoßen".

Ansonsten: Besten Dank!

@Lady Avalon: Hallo Bella!

Wie Du siehst, ahnt der eine das Ende, der andere nicht. Ganz kann - und will - ich das nicht verhindern. Daher auch dumpfe Andeutungen. Wer mehrere Geschichten von mir liest, ist übrigens noch weniger überrascht... Ich muss echt daran arbeiten, nicht zu berechenbar zu weden...

Zu dem Ende: Es gibt kein "Klick" und es soll auch keins geben. Der Prot und seine Freundin sind einfach so hereingeschliddert. Er ist, glaube ich, gar nicht kaltblütig. Ich will dem Leser kein klares Schema geben.

Danke für kritische Begleiten!

Labude

 

gänsehautgeschichte ... respekt ...

toll geschrieben, wie einem der prot so langsam sympatisch wird ... und dann das ende ...

gefällt mir gut,

h.

 

Achso, noch was, ist nicht böse gemeint:

Mir gefällt der Titel nicht so ganz.
Denn dass ihre Tränen vergehen werden... naja.
Vielleicht wenn er sie umbringt, aber sonst?

Lg, Bella. :bounce:

 

Danke, Tante !

@Bella: Ich finde die Kritik hier ganz und gar nicht böse, sondern sehr sachkundig und konstruktiv. Der Titel ist ein Vexiertitel (Copyright Labude). Er hat vor der Geschichte eine andere Bedeutung (Trost) als nachher (Drohung).

 

:D
Gut. Ist mir gar nicht aufgefallen, aber doch, wenn man darauf achtet dann finde ich den Titel sogar gut gewählt. :thumbsup:
Sorry .... :dozey:

 

Hallo Labude,

der angenehme Plauderton passt sich dem Inhalt wunderbar an. Das finde ich immer klasse, wenn ein Autor das schafft.

Das Ende ist stark, auch wenn ich es ab dem Schlagen schon geahnt habe. Nichtsdestotroz fand ich es sehr gelungen.

LG
Bella

 

Deine Tränen werden ...

Hi Labude,

eine sehr gute Geschichte, die einem, gerade durch die einfache Sprache, die Luft nimmt.
Man ahnt, dass dieser Mensch, in seiner Einfältigkeit etwas tun wird, was er selber nicht wirklich begreift.
Für ihn war sein Leben okay, solange er sich dabei wohl fühlte.
Es kümmerte ihn nicht, dass seine Familie unzufrieden war. Er hat es nichtmal bemerkt.
Dann nimmt seine Frau ihm das, womit er zufrieden war. Wie kann das sein? Das kann er nicht zulassen. Wie ein bösartiges Kind, (vielleicht auch nur trotzig) muß er das auslöschen, was er nicht mehr haben kann, wobei er sich in seinem kranken Kopf noch im Recht wähnt.
Am Ende scheint er seine Frau noch trösten zu wollen.
Er hätte auch sagen können: "Gräm dich nicht, gleich wirst du tot sein, dann werden deine Tränen vergehen."

Gut gemacht :thumbsup:

lieben Gruß, coleratio

 

Hallo colateratio!

Wenn ich einmal ein berühmter Schriftsteller bin und die Schüler meinen Text dann im Unterricht analysieren müssen (naja, also falls), dann wäre ich ganz schön froh, wenn sowas dabei rauskäme. Vielen Dank, ich fühle mich richtig gut verstanden!

 

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