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Dem Schmerz entkommt man nicht

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07.10.2004
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Dem Schmerz entkommt man nicht

Er weiß nicht, was mit der Stadt gesehen ist, in der er lebt. Alles ist zerstört. Er hat sich gerade aus den Trümmern seines Hauses befreit, da erblickt er seine Mutter, die in ihrem eigenen Blut liegt. Als er einen Blick um sich herum wirft, sieht er, dass jeder in seiner Umgebung ebenfalls tot ist. Er entkam dem Tod, als er unter den Resten seines Hauses in einem Hohlraum lag. Ein vielleicht sechzehn Jahre alter Junge schaut sich noch mal um. Der Schrecken liegt in seinem Gesicht.
Er fängt an panisch zu rufen und zu schreien. Aber er bekommt keine Antwort. Also beginnt er wegzulaufen von seiner toten Familie. Zu geschockt, um es zu realisieren, zu geschockt, um zu weinen, ist er. Denn da gibt es nur noch eine Sache in seinem Schädel und das ist der Schmerz, ein Schmerz entstanden aus einigen Bildern und dem Schock der Situation.
Er brennt, tobt und will raus gelassen werden. Doch bei unserem Jungen hat der Fluchtreflex eingesetzt. Dem Schmerz und dem Grauen des Ortes will er entkommen.

Er rennt und rennt verzweifelt durch die Straßen, um nach Menschen Ausschau zu halten, die ihm Antwort geben könnten, auf die Frage was gesehen sei. Aber was er sieht, sind nur zerstörte Häuser und Straßen und tote Menschen. Sein Gesicht ist wie versteinert. Als er am Markt ankommt, ist dieser zerschmettert. Überall liegen Nahrungsmittel auf dem Boden, aber kein lebender Mensch weit und breit in Sicht. Wieder schreit er aus Leibeskräften, aber auch diesmal keine Antwort. Eine bedrückende Stille umgibt ihn.
Alles, was er zu Gesicht bekommt, sind tote Menschen. Er denkt nicht darüber nach, weil es für ihn keine Zeit dafür gibt. Die Flucht vor dem inneren Schmerz und die Hoffnung bestimmen sein Denken. An eine Pause ist nicht zu denken. Seine Hoffnung ist es, einen Menschen zu finden. Ohne Plan bewegt er sich in demselben Tempo wie vorher weiter, nur um den Schmerz zu vergessen und die Hoffnung nicht zu verlieren.
Nachdem er einige Stunden lang gerannt ist, ist seine Ausdauer erschöpft und so stoppt er zum ersten Mal. Sein Weg wurde gesäumt von blockierten und zerstörten Straßen, völlig verwüsteten Gebäuden toten Menschen und einer kaputten, unwirklichen Landschaft. Als wenn sie ihn töten wollte, brennt die Sonne unerbittlich und enthüllt alles. Nur er kann es noch ausblenden.
Längst hat er die Stadt, seine Stadt, verlassen und befindet sich nun in einem kleinen Dorf. Die Zerstörung um sich herum ignoriert er. Die meisten Häuser und Hütten sind nur noch ein Ruinen, überall liegt der Gestank der Verwesung in der Luft und einige Krähen scheinen noch zu leben. Sie ernähren sich wie die Geier vom Fleisch der Toten.
Er sammelt einige Lebensmittel und Wasser aus den Häusern. Ohne es bewusst zu tun, nimmt er noch zwei große Decken aus einem Haus mit. Mit einem leeren Blick und vollen Armen wandert er zu einem Baum und legt sich in dessen Schatten nieder. Er stillt seinen Hunger und Durst. Die Sonne ist inzwischen im Untergehen begriffen. Mit einer Decke als Kissen und der anderen um den Körper geschlungen schläft er rasch ein. In seinen Träumen oder, vielleicht ist es besser zu sagen, Gedankenfetzen erinnert er sich, was mit seinem Land geschehen ist. Es ist ein Alptraum. Das Fernsehen zeigte, was die Feinde taten, berichtete über den Krieg, zeigte die ersten Zerstörungen auf beiden Seiten. Die Reden der Regierung, der militärischen Führer, alles wurde gesendet. Schon damals konnte man die zerstörerische Kraft dieses Krieges erahnen. Nur an den Grund für diesen Krieg erinnert er sich nicht. Während er träumt, zittert und bebt er am ganzen Körper. Ein gedämpftes Nein entfährt immer wieder seinem Mund. Aber als er aufwacht, ist es bereits wieder Tag und er muss erkennen, dass der Alptraum nicht vorüber ist. Der Alptraum ist jetzt Realität.

Er steht auf und beginnt wieder zu laufen. An Hunger oder Durst denkt er nicht. Der Schmerz lässt ihn nicht los und gibt ihm die Kraft zum Weiterlaufen. Diesmal begibt er sich zu einem größeren Hügel. Ihn treibt der Wille zu sehen, ob er sich vielleicht doch nur getäuscht hat. Unterwegs findet er bei einem toten Soldaten noch funktionierende Ferngläser. Das Gesicht des Soldaten erzählt von einem großen Schrecken. Als er auf dem Hügel angekommen ist, schaut er durch das Fernglas. Nun hat er die Antwort auf seine Frage, warum er keinen lebenden Menschen, nicht einmal feindliche Soldaten gesehen hat. Vor den Städten und Dörfern liegen die Soldaten. Man kann die Krater von Bomben sehen, ebenso ausgebrannte und zerstörte Panzer und Flugzeuge. Es trifft ihn wie ein Schlag ins Gesicht.
Er fängt nun an zu begreifen, was mit seiner Stadt und seinem Land passiert ist. Niemand hat gewonnen, jeder hat verloren. Er glaubt, dass doch wenigstens in irgendeiner Stadt noch Menschen sein müssen. Und so läuft er wieder. Seine inneren Leiden werden stärker und stärker. Obwohl er rennt, kann er die Ereignisse nicht vergessen. Der Schmerz und die Hoffnung sind einfach zu stark, als dass man sie einfach ignorieren könnte. Als er eine feindliche Stadt nach einigen Tagen erreicht, ist es dasselbe, wie in seiner Stadt. Er marschiert durch die Straßen, schreit sich die Kehle nach einer Antwort aus dem Leib. Aber er findet keine Überlebenden. Die Hoffnung verliert er trotzdem nicht. Sie macht ihn wahnsinnig und treibt ihn immer weiter.

Viele Wochen später erreicht er das Meer. Zum ersten Mal seit Wochen kann er in einen Spiegel sehen, wenn auch dieser nur aus Wasser besteht. Sein Gesicht zeigt die Entbehrungen der letzten Wochen. Es ist mit kleineren Verletzungen übersät und leicht eingefallen, seine Augen und seine Lippen sind immer noch steif vor Schrecken. Insgesamt hat er abgenommen. Seine Kleidung ist immer noch dieselbe wie bei dem Beginn seiner Flucht. Doch auch sie ist zerschlissen, seine Schuhe haben sich schon aufgelöst. Während seiner Flucht brannte die Sonne weiter, seine Haut ist dunkler geworden. Kein Regen hat die Toten vom Boden getilgt oder wenigstens mit Schlamm bedeckt.
Über hundert Städte und Dörfer hat er durchquert und überall war es dasselbe, überall dasselbe Bild der Zerstörung. Niemand war am Leben außer ihm. Allmählich beginnt er zu begreifen, dass er dem Schmerz nicht entkommen kann.
Dass er durch den Schmerz gehen und ihn leben muss, versteht er jetzt langsam. Er muss mit dem Verlust seiner Familie leben und mit der Qual vermutlich der einzige Überlebende zu sein. Seine Gedanken kreisen darum, ob er nicht durch das Meer schwimmen sollte. Die Hoffnung und seine innere Qual treiben ihn zu diesem Schritt. Als er das Wasser an seinem Körper spürt und zur Hälfte schon im Meer ist, lässt der Schock plötzlich nach. Der Blick wird lebendiger und sein Verstand schaltet sich wieder ein. Er dreht und geht wieder an Land. Der Schmerz will raus gelassen werden und zur Trauer werden. Er hört nun endgültig auf, dem Schmerz davon zu laufen und fängt an den Schmerz und damit seine Trauer nun auszuleben.

 

Zeitliche Einordnung

Die Originalfassung dieses Textes habe ich im Oktober 2002 unter dem Titel
"Running away from the pain inside" geschrieben. Damals hatte ich noch den Kosovo-Krieg als Bild im Hinterkopf bei der Gestaltung der Geschichte. Allerdings spielt dieser Text nicht auf diesen Krieg an. Die jetztige Fassung ist die Übersetzung und Überarbeitung des Originaltextes.

 

Hallo keizunakatame,

hast du einmal "Die letzten Kidner von Schewenborn" gelesen?
Vielleicht liegt es daran, dass ich es gelesen habe, dass ich deine Geschichte leider für misslungen halte.
Allerdings gibt es auch stilistische oder inhaltliche Aspekte, auf die ich gern eingehen würde.
Dein Prot läuft dem Schrecken und dem Schmerz davon. Er überlebt in einem Hohlraum offenbar den Abwurf eine sehr effektiven (Atom?)bombe.
Er realisiert kaum, wie es aussieht, realisiert kaum den Schrecken. Leider gibst du uns wenig Möglichkeiten, den Schrecken für uns zu realisieren. Du beschreibst ihn von außen, ohne uns an seinen Gefühlen teilhaben zu lassen. Den Schmerz, dem er davonläuft, machst du nicht greifbar.
Wie lange läuft dein Prot? Stunden, bis seine Kondition nachlässt? Bekommt er keinen Hunger zwischendurch? Muss er nichts trinken? Wo findet er etwas? Hebt er die Nahrung auf, die er sieht? Und ist es nicht unwahrscheinlich, dass er kilometerweit laufen kann, ohne andere Überlebende zu finden? Oder vielleicht Verletzte, die noch rücheln oder stöhnen? Wie sehen die Toten aus? Von der Mutter des Prot schreibst du, sie läge im eigenen Blut. Von den anderen Eindrücken, die er, wenn auch nur halb bewusst, speichern muss, lesen wir nur, dass alles zerstört ist.
In welches Maß an Selbstständigkeit wird dein Prot auf einmal gestoßen? Als sechzehnjähriger ist er ja noch größtenteils versorgt worden.
Hilfreich wären Erinnerungen an eine Welt, die noch halbwegs heil war, an Dinge, die er vermisst.
So, habe ich das Gefühl, lässt du leider alles weg, was du uns eigentlich erzählen wolltest.

Auf Details habe ich nicht geachtet, nur eines ist mir ins Auge gesprungen:

Längst hat er die Stadt, seine Stadt, längst verlassen und befindet sich nun in einem kleinen Dorf.

Lieben Gruß, sim

 

Yo Keizu!

Im Gegensatz zu Sim halte ich die Geschichte durchaus für gelungen, auch wenn ich einen gewissen Mangel an Details nicht leugnen kann, genauso wie die Anwesenheit von Tipfehlern. die Idee ist aber etwas in meinen Augen neues. obwohl es einem zuwieder spricht, solltest Du über die Länge gehen, mehr schreiben, dann wird sie garantiert besser. Einfach mal drauflostexten, wirst schon sehen (kenn dich ja ^^).

Blandon

 
Zuletzt bearbeitet:

@ Blandon
Ich wäre dir dankbar, wenn du mir die Tippfehler zeigen würdest. Ich bin momentan etwas betriebsblind.
@sim
Ich habe den erwähnten Roman nicht gelesen. Dass dir viele Details unmöglich erscheinen, mag richtig sein.
Ich habe allerdings dieses ganze Szenario mit dem Krieg letztendes nur um die eigentliche Kernaussage herumkonstruiert. Deswegen erscheint vieles unrealistisch. Auf den Realismus habe ich beim Schreiben dieser Geschichte nie geachtet, da dieser Text ursprünglich ein Songtext war. Ich habe diesen ausgehend von einem Refrain weiterausgebaut, so dass am Ende mehr eine Geschichte als ein Songtext entstanden ist. Die Kernaussage des Textes, dass man einem inneren Schmerz nicht entkommen kann und sich ihm stellen muss, war am Anfang auf mich gemünzt. Mir erschien dies aber zu langweilig, deshalb wurde der Text auf eine andere Person umgeschrieben. Außerdem hatte ich, siehe meiner ersten Bemerkung, den Kosovo-Krieg sowie das einen laufenden Jungen als Bild vor Augen. Details wie das Alter des Jungen oder eine genaue Beschreibung der Umgebung waren eigentlich nie geplant. Der Krieg und alles was damit zusammenhängt, ist für mich nur ein Mittel zum Zweck, um den Schmerz zu erklären und gleichzeitig auch die Sinnlosigkeit seines Vorhabens.
Ich habe sie jetzt erst für diese Fassung eingebaut.

Trotzdem werde ich mal sehen, wie ich den Text noch umändern kann. Wahrscheinlich werde ich mich an deine Kritik halten und den Text in Ruhe über Weihnachten überarbeiten.
Falls Interesse besteht, kann dir mal die Originalfassung zukommen lassen.

Gruß keizunakatame

 

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