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Denkmal

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26.11.2004
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Denkmal

Ali stand fassungslos vor dem Denkmal des heiligen Sankt Niklaus. Er starrte auf die Worte, die gross und mit roter Farbe gemalt auf dem Sockel der hohen Statue prangten: „Ausländer raus!“. Auf einmal hielt ein älterer Herr mit Gehstock und für seinen Kopf zu grossen Hut hinter Ali an und musterte die Aufschrift ebenfalls. „Eine Schande“, sagte der Herr, mehr zu sich selbst als zu Ali. „Allerdings“, erwiderte Ali dennoch. „Die Reinigung für die Statue wird die Stadt wieder eine Stange Geld kosten, und diese werden sie natürlich mit Steuergeldern, meinen Steuergeldern!, zahlen. Eine Schande!“. Ali sagte nichts.

***

Der Wind blies kalt durch die Strassen der Stadt, Blätter wirbelten umher. Der Herbst war gekommen. Er zog langsam den Kragen seines Mantels hoch und marschierte ein wenig schneller weiter. Keine Seele war zu dieser späten Stunde noch auf der Strasse zu sehen. Es war ein gutes Fest gewesen, ja ein herrliches sogar; er hatte mit Judith, einer seiner besten Kolleginnen (die er insgeheim, das musste er sich gestehen, liebte) getanzt, hatte sie sogar umarmt… Allein diese Tatsache machte ihn in diesem Moment glücklich. Der Ärger über sich selbst, dass er wieder einmal zu viel getrunken hatte und so seinen Mazda auf dem grossen Parkplatz nahe der Diskothek hatte stehen lassen müssen, verflog beim Gedanken an die zuvor verbrachten Stunden. Er fühlte sich gut. „Und ausserdem“, so dachte er sich, „ist ein Fussmarsch gesund. Was sind schon 20 frostige Minuten gegenüber 2 wunderschöne Stunden?“. Er zündete sich noch eine Kippe an und füllte seine Lunge mit dem blauen Dunst. Jetzt musste er nur noch die Effingerstrasse bewältigen, danach um den Kocherpark rum und schon war er zu Hause. Zwar allein, aber glücklich.

Als er zu der Pforte, die den Eingang des Kocherparkes darstellt, kam, hörte er aus dem Park Stimmengewirr, respektive Gejohle. „Jugendliche“, seufzte er. Er selbst hatte früher oftmals Zeit im Park verbracht, hatte mit seinen Schulfreunden dort Bier getrunken und Gras geraucht und war deswegen beinahe von der Schule geflogen. Erst als ihn sein Vater aus dem elterlichen Hause vertreiben wollte, hatte er sich gebessert. Aber diese Zeiten waren vorbei, er war älter geworden, reifer. Gerade vor einer Woche hatte er einen Arbeitsvertrag bei einem respektablen, mittelständischen Unternehmen unterzeichnet. Er war nun Abteilungsleiter des Verkaufs, also genau das, was er mit seiner Ausbildung zum Sales-Manager immer hatte sein wollen. Sogar die Entlöhnung stimmte. Die Stimmen wurden lauter, Glas splitterte. Er duckte sich instinktiv, aber die halbvolle Bierflasche flog zehn Meter weiter auf die Strasse. Er lächelte. Genau wie er damals.

***

Immer noch stand Ali vor der Statue. Nicht nur die Worte, sondern auch das laienhaft gemalte Hakenkreuz entfachten eine heillose Wut ihn ihm. Wieso nur? Wieso ihm?

***

Auf einmal hörte er hinter sich eine Stimme. „Heee, duuu…!“. Er hielt im Schritt inne und drehte seinen Kopf in die Richtung des Ursprungs. Er sah einen jungen Mann, wohl kaum älter als zwanzig Lenze, mit Glatze und Stiefel; hinter diesem standen drei weitere, ähnliche Typen. „Ja?“, fragte er dennoch locker. „Haste mal Sigaretn?“. Normalerweise verneinte er diese Frage, jedoch hatte er zum Einen selbst eine zwischen den Fingern, zum Anderen war er in diesem Moment überaus gut gelaunt. „Natürlich!“, antwortete er freundlich. Er klaubte seine Packung Zigaretten hervor, nahm vier Stück aus der Schachtel und ging zum Eingang des Parkes zurück.
Es war nur der Bruchteil einer Sekunde, die er brauchte, um die Gefahr zu registrieren. Vielleicht war es auch der Alkohol, doch dieser Bruchteil reichte nicht aus, um davonzukommen. Kaum war er nahe genug bei den vier Typen, flog eine volle Bierflasche gegen seinen Kopf. Er hatte fürchterliche Schmerzen, und er spürte, wie etwas Warmes in seinem Gesicht nach unten floss. Er sah verstört zu dieser Gruppe Jugendlicher, die sich in Bewegung setzte. „Lasst mich in Ruhe“, stammelte er, doch sie dachten nicht daran. Der erste Schlag traf ihn mitten ins Gesicht, er taumelte rückwärts, stolperte, lag auf einmal auf dem Boden. Er sah nur die Stiefel, die wie Peiniger vor ihm standen. Sie fingen an, ihn zu treten. Er hörte auf, die Tritte zu zählen, die auf seinen Körper einprasselten, er betete zu Gott, dass es vorbei sein möge. „Scheiss Türke!“, hörte er noch. Irgendwann verlor er dann das Bewusstsein.

***

Ali löste seine Augen von der Schmiererei. "Eine Schande…", Weg von hier, dachte er sich nur noch. Er zog mit der linken Hand am Rad und sein Rollstuhl drehte sich vom Denkmal weg. Als er schlussendlich im Ortsbus sass, in den er sich mühsam gezwängt hatte, öffnete er seine Tasche und faltete ein scheinbar altes, verknülltes Blatt Papier auseinander. Es war ein Zeitungsausschnitt:“

Fast zu Tode geprügelt
In der Nacht auf Samstag wurde an der Effingerstrasse in der Nähe des Kocherparks der 25-jährige Ali M. Opfer eines gewalttätigen Übergriffes. Die vier jungen Männer, alles Inländer zwischen 18 und 20 Jahre alt, griffen den jungen Türken brutal an und fügten ihm schwere Verletzungen zu. Die Täter sind geständig, das Opfer liegt immer noch im Krankenhaus im Koma. Gemäss den Ärzten sei eine vollständige Genesung von Ali M. äusserst unwahrscheinlich, da die Wirbelsäule aufgrund der harten Belastung, welche durch die Schläge und Tritte entstanden ist, mehrere Brüche aufweise und wohl irreparabel beschädigt sei. Eine Lähmung sei anzunehmen. Grund für die Attacke soll gemäss Polizeisprecher Roland Binz die ausländische Herkunft des Opfers sein. Alle Täter seien in der rechtsextremen Szene einschlägig bekannt und seien bereits wegen Körperverletzungen und anderen Gewalttaten vorbestraft.“

Er zerknüllte den Ausschnitt, liess den Kopf in seine Hände fallen und weinte.

 

Liebe Leute;

Eine lange Zeit habe ich mich hier nicht mehr blicken lassen. War unterwegs.
Nun, mein Schreibstil der jugendlichen Jahre hat sich ein wenig geändert, ein bisschen weniger Kafka, ein bisschen mehr Frisch oder Brecht als Inspiration.
Diesen Text habe ich in meiner Zeit in Prag verfasst. Ich habe bemerkt, respektive gerade auf meinen Computer entdeckt, dass ich in ähnlicher Form schon mal was geschrieben habe. Dennoch möchte ich eure Kritiken hierzu, und, ganz wichtig, den Text hier veröffentlichen.

Also. Ich bin zurück. Mit einem Hut voll Erfahrungen und einer Hand voll Eifer.

Gruss
visakhapatnam

 
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Salve visakhapatnam,

erst mal herzlich willkommen an den Heimkehrer :D.

Da Du laut Deines Profils Eidegenosse bist, ignoriere ich die stringente Verwendung von "ss".

Trotzdem, bevor ich zum Inhaltlichen komme, ein paar formale Kritikpunkte.

Wenn wörtliche Rede den Satz beendet, steht nach den abschließenden Anführungszeichen kein Punkt.

Zahlen in literarischen Texten werden ausgeschrieben.

Es war ein Zeitungsausschnitt:“
Das Anführungszeichen hat sich da wohl reingemogelt.

des heiligen Sankt Niklaus.
Heißt der in der Schweiz "Niklaus"? Ich kenne ihn nur als Nikolaus -mit o.
(Und nachdem Nik(o)laus heutigen Staatsgrenzen zufolge selbst Türke wäre, wäre die Statue die erste, die entfernt werden müsste :D.)

Er zog langsam den Kragen seines Mantels hoch
das "langsam" würde ich entfernen - wer friert, sorgt schnell dafür, dass es wärmer wird.

einer seiner besten Kolleginnen
Was macht eine gute Kollegin aus? Das "beste" ist mir hier zu ungenau. Und kann er das nach einer Woche schon beurteilen?

hatte sie sogar umarmt( Leerzeichen)

Jetzt musste er nur noch die Effingerstrasse bewältigen
Der Guteste muss ja sehr angeschickert sein, dass eine einzige Straße etwas ist, das man "bewältigen" muss, wie eine gewaltiges Hindernis.

respektive Gejohle.
Das "respektive" passt hier nicht - welcher Nüchterne denkt schon darüber nach, ob das, was er hört, jetzt eher Gejohle, Geheule, Gebrüll oder sonst was ist?

Sogar die Entlöhnung stimmte.
Sagt man in der Schweiz "Entlöhnung"? Ich kenne nur "Entlohnung".

Wieso ihm?
Passt hier grammatikalisch nicht.

und drehte seinen Kopf in die Richtung des Ursprungs.
"Ursprung" kommt ein wenig überkandidelt daher.

Du erzählst Deine Geschichte alles in allem solide, ohne große Höhen und Tiefen.
Leider verzichtest Du darauf, zu berichten, was weiterhin mit seiner Arbeitstelle und Judith passiert, und Ali ein stärkeres Profil als das des Naziopfers zu geben. Gerade hier läge das Potential, die KG über das Niveau von "gegen Fremdenhass und Gewalt" anzuheben, auf dem sie im Moment klischeehaft herumdümpelt - inklusive des überdurchschnittlich assimilierten Mitbürgers fremdländischer Herkunft, oder wie immer man es politisch korrekt ausdrücken will.

Ach ja, und der Name: Ali - ich glaube, midestens die Hälfte aller Prots türkischer oder arabischstämmiger Herkunft heißen so; noch so ein Klischee.
Aber das nur am Rande.

Ansonsten habe ich die Geschichte recht gerne gelesen.

Gruß und gute Zeit
Pardus

 

Hallo visa, (Und es soll Leute geben, die meinen Nutzer-Namen für kompliziert halten ...)

Deine Geschichte liest sich flüssig weg, bietet dem Leser aber leider wenig. Dass sinnlose Gewalt schlecht und Nazis gefährlich sind, hat inzwischen wohl auch der letzte mitbekommen.
Und mehr kann ich hier nicht mitnehmen. Der Protagonist ist eher langweilig, ein unspektakulärer Kerl, das Szenario von schwarz-weißer Eindeutigkeit.
Stilistisch ging auch nicht alles glatt. Pardus hat da schon einiges gezeigt, ich lege mal den Punkt hier nach:

Er hatte fürchterliche Schmerzen,
"fürchterliche Schmerzen haben" klingt für mich nach einer längerfristigen Sache. Im Sinne von: "Nach der Operation hatte er noch drei Tage lang fürchterliche Schmerzen." Hier geht es ja um einen Schmerz.

in den er sich mühsam gezwängt hatte, öffnete er seine Tasche und faltete ein scheinbar altes, verknülltes Blatt Papier auseinander.
Da scheinst du mir deines Erzählers nicht ganz sicher zu sein. Bis eben war der nämlich recht personal und jetzt darf schon nicht mal mehr als sicher gelten, dass das Stück Papier wirklich alt ist.

Das Ende mit dem Zeitungsartikel finde ich sowieso eher missglückt. Das ist immer so eine einfache Sache dem Leser auf diese Weise Geschehenes rasch zusammenzufassen, die platt wie leblos ist.
Ist es in Schweizer Zeitungen üblich anzugeben, dass es sich bei Straftätern um "Inländer" handelt? Bei uns ist sogar der Begriff recht unüblich ...


Gruß,
Abdul

 

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