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Der Arbeiter und der Kalif
Es trafen sich einst ein einfacher Arbeiter und der Kalif an einem kleinen Wasserloch, in einem Tal. Der eine war zu Fuß und trug grobe schwarze Kleidung, die von dem harten Marsch stark mitgenommen war. Der Andere ritt auf einer großen wohlgenährten, schneeweißen milchgebenden Kamelstute. Er trug feine, weiße Kleidung, an der keine Spur einer Reise zu sehen war. Sein Reittier war beladen mit prallen Wasserschläuchen und kostbarsten Handelswaren in großer Menge, unter denen auch die vielfältigsten Nahrungsmittel waren. An dem kunstvoll verzierten Sattel war ein weiter heller Sonnenschirm befestigt, der dem Reiter Schatten spendete.
Als sie beide an der Wasserstelle ankamen, rief der Reiter dem anderen zu: "Friede sei auf Euch!". Woraufhin dieser zurückrief: "Wie Gott will!", und "Auch auf Euch sei Friede, Barmherzigkeit und der Segen Gottes!" Daraufhin lief er zum Wasserloch kniete nieder, dankte Gott, trank ausgiebig und wusch sein Gesicht und seine Arme. Der andere sprang schnell von seinem Reittier ab, entnahm seinem Gepäck eine große gelbe Honigmelone, schnitt sie mit einem kostbar verziertem Dolch auf und trat damit voller Besorgnis auf seinen Bruder, und reichte ihm die süße Frucht, von der der Saft glänzend wie Gold herab tropfte. Der andere sagte: "Gott soll dich belohnen!", und dankte Gott abermals bevor er die Frucht aß.
Der Mann in den weißen Gewändern sagte: "bei Gott, zu dem wir alle versammelt werden, bist du unser Kalif?" Der Mann, der noch immer am Boden kniete, schaute lächelnd auf und erhob sich. Er war von tief schwarzer Hautfarbe und ihm fehlte der linke Nasenflügel. Er fragte den Mann in weißen Gewändern: "Bei Gott neben dem es keinen anderen Gott gibt, wer fragt nach dem Anführer der Gemeinde des Gesandten? Friede und Segen sei auf ihm“. Der Mann in den weißen Gewändern trug einen dichten, leicht geröteten Bart, von dem der Geruch von Moschus strömte, der die beiden Männer bald völlig umgab. Er antwortete: "Ich bin nur ein einfacher Arbeiter. Ich habe nichts gelernt also arbeite ich mit der mir von Gott verliehenen Kraft meines Körpers". Der Schwarze Mann fragte weiter: "Gehören dir all diese Güter?" und deutete dabei auf die reich beladene weiße Kamelstute, deren Höcker so voll waren, dass sie sich nicht sonderlich für das Wasserloch interessierte.
Als der einfache Arbeiter dies bejahte, fragte der Schwarze weiter: "Was bringt dich auf den Gedanken, ich könnte der Kalif sein?". Darauf gab der Mann mit der schneeweißen Kamelstute zurück: "Ich bin im Gebiet des Islam aufgewachsen und habe in meinem ganzen Leben keinen Menschen getroffen, der in einer erbärmlicheren Lage war als du. Meine liebe Mutter sagte mir, dass der Ärmste in unserem Lande nur unser Kalif sein kann“. Da erhob der Schwarze seine Arme, die von Narben bedeckt war und sprach: "Oh Gott! Dir gebührt alles Lob. Siehe, in deinem Land lebt der einfache Mann wie ein Fürst, und der Kalif wird an seinem erbärmlichen Äußeren erkannt".
Da wusste der Reiter, dass vor ihm der Kalif stand. Er nahm schnell seinen großen Turban vom Kopf und setzte ihn, aus Respekt, auf das staubige Haupt seines Anführers. Daraufhin warf er sich demütig, in Richtung Mekka zu Boden und weinte so sehr, dass seine Kamelstute nervös wurde, wobei er Gott für seinen Kalifen dankte.