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Der Arbeitskollege

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03.06.2005
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Der Arbeitskollege

„Alter, du musst auch mal mit in die Sauna kommen“, flüsterte Ulf mir keuchend ins Ohr und winkte mich mit der Hand zu sich. Ein unangenehmer Zeitgenosse, schoss es mir bestimmt zum hundertsten Male durch den Schädel. Ich hatte ihn noch nie ausstehen können. Seit er vor einem halben Jahr den Schreibtisch im Büro mir gegenüber bekommen hatte, musste ich mich mit diesem angebenden, prahlenden und Zigarette qualmenden Typen auseinandersetzen. Und was er immer für Zeug redete. Alle Frauen würden ihm hinterher laufen und wenn nicht, dann „machte er sie halt selber klar“. Wenn ich meiner Ehefrau am Abend dann immer von Ulf und seinen dünnen Geschichtchen berichtete, klatschte sie sich mit der flachen Hand auf die Stirn, legte einen Arm um meine Schultern und bedauerte mich in den höchsten Tönen.
Warum, um Gottes Willen, musste ich diesen Kerl jetzt auch noch um 22.32 Uhr beim Ausführen meines Hundes treffen? Gönnte er mir einfach meinen Feierabend nicht? Wollte er mich langsam aber sicher mit seinen Übergriffen in eine Klapsmühle bringen?
„Nun komm doch mal näher“, flüsterte er grinsend, und zwischen seinen Lippen wippte eine Lucky Strikes aufgeregt hin und her. „Wusste ja gar nicht, dass du hier wohnst. Netter Wau-Wau. Ich komme gerade aus der Sauna.“
„Schön“, sagte ich und trat von einem Fuß auf den anderen, denn die Kälte des Herbstes kroch langsam in meine Zehen.
„Da hab ich letzte Woche ein Superweib kennen gelernt“, sagte Ulf und schaute nervös von links nach rechts. „Ein ganz heißes Eisen, echt, Kollege. Ein paar Jahre älter als ich, aber ausgesprochen gut ausgestattet, wenn du verstehst.“
Ich lächelte freundlich vor mich hin. Der Gedanke, dass ich ihn in neun Stunden mit seinem dümmlichen Grinsen schon wieder vor mir im Büro sehen musste, verschaffte mir einen unangenehmen Druck im Magen. Sollte ich kündigen? Meine Karriere in den Müll werfen wegen diesem Angeber?
„Wäre auch was für dich, Sportsfreund“, sagte Ulf und boxte mir gegen den Oberarm. „Dieses Prachtweib ist voll hemmungslos. Guck mal.“
Mit einer schnellen, gekonnten Bewegung stülpte er sich Jacke samt Pullover hoch und zeigte mir seinen nackten Rücken. „Alles zerkratzt! Hat bestimmt dabei einige Fingernägel abgebrochen. Ich schwör es dir, Mann.“
Ich verzog das Gesicht zu einer schmerzhaften Visage, als ich die roten Kratzer auf seinem Rücken sah. Ulf drehte sich wieder um.
„Ich hab sie vorhin nach Hause gebracht. War ein toller Abend in der Sauna. Sind gut ins Gespräch gekommen und so. Und nun kommt der Hammer. Die ist so heiß geworden während der Rückfahrt, dass sie sich nach dem Aussteigen vor mir auf die Motorhaube legt, ihren Rock hochschiebt und die Beine …“
„Schon gut, schon gut“, sagte ich gezwungen lächelnd und unterbrach ihn. „Du hast ja noch nie was anbrennen lassen, was. Wir sehen uns ja dann morgen. Ich will dich nicht aufhalten in dieser Kälte.“
Ich zog meinen Hund hinter mir her. Ulf rief mir nach: „Überleg es dir. Kannst nächste Woche gerne mitkommen. Da laufen noch mehr solche Frauen rum, echt.“
Ich eilte durch den kalten Wind. So ein Angeber, dieser Ulf. Bei diesem Wetter würde sich bestimmt niemand, der gerade aus der Sauna kommt, nackt auf eine Motorhaube legen und an sexuelle Handlungen denken.
Zu Hause trat ich in die wohlige Wärme.
„Schatz, bin wieder da“, sagte ich. „Du wirst nicht erraten, wer mir sogar schon in unserer Straße auflauert. Wo bist du denn?“
„Im Wohnzimmer“, hörte ich die Stimme meiner Frau.
Unser Hund lief bellend voran, ich ging eilig hinterher.
„Ulf, dieser Prolet.“
„Was wollte der denn hier?“, fragte meine Frau mit runzelnder Stirn.
Doch in diesem Moment war das Staunen ganz auf meiner Seite. Meine Knie wurden weich, ein dicker Kloß steckte in meiner Kehle und ich fiel noch vor dem Sofa auf den Hintern.
„Was hast du denn?“, fragte meine Frau und schaute mich entsetzt an. „Du tust ja geradewegs so, als hättest du noch nie gesehen, wie ich mir die Fingernägel feile. Nun guck nicht so. Mir sind vorhin drei davon abgebrochen, als ich mit Sabine beim Töpferkurs war.“
Ich wusste nicht warum, aber in diesem Moment schoss mir nur eine Frage durch das Gehirn: An welcher Skulptur hatte sie heute Abend nur geknetet?

 

Hallo Sascha F.,

eine nette Geschichte, die du geschrieben hast. Wenn zwei so gegensätzliche Charaktere aufeinander stoßen, passiert immer etwas Interessantes, um daraus eine Geschichte zu machen.
Ich hoffe nur, dass du so etwas nicht selbst erlebt hast, besonders das Ende!!!

Gut und flüssig geschrieben. Am Ende konnte ich herzhaft lachen.
Um welche Skulptur es sich handelt, dieses Rätsel lässt du den Leser selber lösen. Finde ich gut. Da kann man die eigene Phantasie noch einmal spielen lassen.

Würde sagen, eine rundum gelungene Geschichte aus dem Alltag.

Weiter so.
Gruß
bambu

 

Hello Sascha,

eine amüsante kleine Geschichte, sehr nett für zwischendurch!

'...schoss mir nur eine Frage durch das Gehirn: An welcher Skulptur hatte sie heute Abend nur...'

Viele Grüße vom gox

 

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