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Der ausgetriebene Teufel

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18.03.2005
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Der ausgetriebene Teufel

John F. Kriesinger war ein Teufel. Kein großer und auch kein besonders wichtiger Teufel, denn er hatte nicht viel angestellt in seinem Leben. Eigentlich hätte er genausogut in den Himmel kommen können, aber der Pförtner (er war sich nicht ganz sicher, ob es Petrus oder ein anderer gewesen war) hatte seinen schlechten Tag gehabt und ihn hinab verbannt, weil er sich in seinem Leben zuwenig zusammengerissen hatte: Er war Kettenraucher. Genaugenommen hätte dafür das Fegefeuer (ca. 2,5 irdische Jahre) gereicht, denn er hatte sonst niemandem etwas zuleide getan - nur sich selbst, wenn man von den unzähligen Menschen absah, die er ohne lang darüber nachzudenken zu passivem Mitrauchen gezwungen hatte. Aber nun war es eben so, und es war nicht zu ändern. Abgesehen von den Qualen, die er da regelmäßig zu erdulden hatte, war das Leben in der Hölle gar nicht so übel. Es war immer schön warm, und es gab genug Feuer, um sich jederzeit heimlich eine Zigarette anzuzünden, die allerdings nur zu höllisch hohen Schwarzmarktpreisen zu bekommen war, und seine Lieblingsmarke war überhaupt nicht zu ergattern, weil der Chef ein Russe war, der aus dem kalten Krieg stammte und eine absolut antiamerikanische Richtung vertrat. Also litt er täglich vor sich hin, erduldete alle ihm auferlegten Qualen - es blieb ihm ja nichts anderes übrig, denn Flucht war unmöglich - und freute sich auf gelegentliche Lungenzüge eines beißenden Tabaks, der aus einer Gegend irgendwo südlich des Kaukasus stammte. Das hätte noch ein paar hundert Jahre so weitergehen können, wenn nicht plötzlich eine Säuberungsaktion in den Reihen der Teufel stattgefunden hätte. Einer der Oberteufel, ein alter Nazi aus dem dritten Reich (er hatte einen Namen, der groteskerweise mehr an den Himmel als an die Hölle erinnerte), besann sich auf seine alten Werte und wollte die Hölle von allen nichtteuflischen Teufeln säubern. Nur wirklich schlechte Typen wollte er um sich haben, und da er von deutscher Gründlichkeit war, hatte er alle seine Unterteufel genauestens registriert, mit bewertetem Lebenslauf und einer Röntgenaufnahme der Seele, die im Idealfall tiefste Schwärze zu zeigen hatte. Bei John F. Kriesinger zeigten sich nur dunkle Schatten, die vom Teer in seinen Lungen stammten, die tiefe Schwärze der echten Bösewichte fehlte bis auf ein paar winzige Pünktchen völlig. Es war für den ausrangierten Super-Cray-Computer, den Luzifer höchstpersönlich mit Hilfe eines soliden Erdbebens den Amerikanern abgeluchst hatte, eine Kleinigkeit, solche Unteufel wie ihn auszusortieren und anzuprangern. Jetzt wurde es für einige richtig ungemütlich, denn ihr Kern war zu gut, um all die Teufeleien zu erdulden, die sich ihre Mitteufel nun für sie ausdachten. So wurde John F. Kriesinger beispielsweise gezwungen, parfümierten Pfeifentabak zu rauchen, dann mußte er (er war begeisterter Biertrinker) Unmengen fauliges Wasser trinken, und die kleine Teufelin mit diesem so besonders aufreizenden Lächeln, die sich gern mit ihm unterhalten hatte, bekam Lokalverbot und wurde in eine der entlegensten Höllen deportiert. Das ging eine ganze Weile so, bis dem alten Naziteufel auch das zuwenig war. Weg wollte er sie haben, nur das reine Böse war ihm teuflisch genug. Also ersann er ein Teufelaustreibungsprogramm, das alle unredlichen Teufel hinausbringen sollte in die Welt, oder vielleicht gar in den Himmel, das war ihm egal, solange er nur endlich reinrassige Teufel um sich hatte. Eines Tages wurde eine Schar solcher Unteufel zusammengetrieben, und der Nazi hielt eine Rede:
"Verehrte...." er brach ab, räusperte sich, und begann von neuem. "Ihr nichtsnutzige, bleichselige, stinkende Unteufelschar! Ihr seid es nicht wert, in unserem elitären Teufelskreis der Schlechtesten aller Schlechten vertreten zu sein. Ihr faulen, untätigen, kurzgeschwänzten Nichtsnutze, die ihr kaum einen Funken Schlechtigkeit in euch habt, ihr seid fortan verurteilt, exorziert zu werden, bis ihr nicht länger in unseren Reihen weilt!"
Huuhhh, da brach ein großes Gejammer und Stöhnen aus, einige kippten vor Angst um und stießen sich dabei schmerzhaft gegenseitig die Hörner in die Weichteile. Das Entsetzen war groß, denn exorziert zu werden war die tiefste Angst eines jeden Teufels, auch wenn er noch so harmlos war. Schließlich ging das an die Existenz, und wer hätte davor keine Angst gehabt? Man wußte ja nicht, was nachkam. Aber es half kein Jammern und Flehen, der Naziteufel, der sich neuerdings von Kopf bis Schwanz mit Ruß schwarz angemalt hatte, kannte kein Erbarmen. Einer nach dem andern wurde gefaßt und in einem besonders heißen Vulkanfeuer verbrannt, bis seine Seele in einer stinkenden Schwefelwolke emporfuhr, zurück in die irdische Welt, um irgendwo herabzufallen und in einen nichtsahnenden Menschen zu fahren. John F. Kriesinger war ziemlich zum Schluß an der Reihe, er sträubte sich mit aller Macht und versuchte sogar, etwas Feuer zu speien, was aber in einem kläglichen Hustenanfall unterging, nur ein paar übelriechende Qualmwolken brachte er heraus, die verrieten, daß er heimlich kaukasischen Tabak geraucht hatte. Er hatte keine Chance gegen die beiden durchtrainierten Teufel, von denen einer verdächtig an einen amerikanischen Footballstar namens Simmons oder so ähnlich erinnerte. Also wurde er gepackt, verbrannt und in einer gewaltigen Eruption mehrere tausend Meter hoch geschleudert. Um sich herum konnte er etliche seiner ehemaligen Mitteufel erkennen, die bereits auf dem Absturz waren. Einige erwischten es wirklich nicht gut, sie fielen ins Meer wo ihnen nichts blieb, als in irgendeinen Fisch zu schlüpfen, ständig auf der Flucht vor Fischern und Haien. John F. trieb mit mehreren anderen durch den Wind auf eine große Stadt zu, die einigermaßen akzeptable Chancen bot, wenn man aufpaßte. Paßte man nicht auf, ging es einem so, wie der Seele zu John F.'s linker Seite: Sie stürzte in ein Auto, das gleich darauf einen Unfall mit Totalschaden baute und verzischte schmerzhaft im ausgelaufenen Kühlwasser. Der Himmel mochte wissen, was jetzt mir ihr geschah!
John F. hatte Glück: Er befiel einen einundvierzigjährigen Börsianer, der gerade bei Rot über die Kreuzung lief und von einer Politesse angehalten wurde. Dem Börsianer ward plötzlich ganz komisch in der Brust, und genauso seltsam fühlte sich der Teufel, plötzlich so ganz ohne Schwanz und Hörner, in einen engsitzenden Dreireiher mit konservativer Krawatte gezwängt und mit Gefühlen ausgestattet, die ihm schon lange abhanden gekommen waren. Es war ein sehr eigenartiges Gefühl, denn schließlich war er noch nie in einen anderen Menschen gefahren, und er wußte nicht, was ihn da alles erwartete. Er sah sich um, blickte auf die Uniform der Politesse, die damit beschäftigt war, ein Strafmandat zu schreiben und stellte erfreut fest, daß er es nach Amerika geschafft hatte, und das bedeutete für ihn vor allem eins: Marlboro. Ungeduldig wartete er darauf, daß sein neuer Körper endlich das Strafmandat beglichen hatte und weiterhastete, in Richtung Wall Street. Er hatte da ein komfortables Büro, eine häßliche Sekretärin (John F. dachte sehnsüchtig an die kleine Teufelin zurück) und keinen Aschenbecher im Büro. Eine Katastrophe, scheinbar war sein Körper ein Nichtraucher! So ging das ja nicht, also griff er ein und pflanzte sofort die Gier nach Zigaretten ins Gehirn des Börsianers. Kaum schien ihm das gelungen, denn dem Börsianer zitterten die Hände in sichtlicher Nervosität und er begann in Schubladen herumzukramen, hörte er plötzlich eine Stimme: „He, was soll das, du dahergelaufener Lump, du! Was willst du hier? Mach, daß du fortkommst, sonst setzt´s was!“
Erstaunt versuchte er festzustellen, woher die Stimme kam, bis er feststellte, daß sie direkt aus ihm selbst kam. Erst jetzt kam ihm zu Bewußtsein, daß der Börsianer ja schon eine Seele gehabt haben mußte, und die konnte ja auch nicht einfach verschwunden sein.
„Entschuldigung“, sagte er friedlich, „ich wollte eigentlich nicht ungefragt eindringen. Ich störe nur ungern, aber ich hatte keine andere Wahl.“
„Keine andere Wahl? Was soll das, man hat immer eine Wahl! Es hat dich ja wohl niemand gezwungen, ausgerechnet hierher zu kommen.“
„Es tut mir leid“, sagte John F. defensiv, „aber ich wußte wirklich nicht, daß ich so ungelegen komme. Ich wurde ausquartiert, und ich habe noch nicht viel Übung darin, in fremde Körper zu fahren. Ich wußte nicht, daß ich so unwillkommen bin“, sagte er mit enttäuschtem Unterton, während sich der Börsianer in seinem Sessel in epileptischen Zuckungen hin und her wand.
„Na ja, nun mach dir mal nicht ins Hemd, Mann. Aber hier bin ich der Boß, und wir sind Nichtraucher. So einen Stinker wie dich können wir nicht brauchen. Du solltest Dir besser ein anderes Domizil suchen“, sagte die andere Seele etwas herablassend.
„Ja, aber wie geht denn das?“ fragte John F. mit weinerlicher Stimme. „Ich habe ja keine Ahnung, was ich tun soll“, jammerte er voll Verzweiflung.
„Du wirst doch wissen, wie du da hergekommen bist. Und auf dem gleichen Weg verschwindest Du wieder, ist doch klar.“
„Aber ich wurde verbrannt, wir können doch nicht gemeinsam ins Feuer hüpfen, oder?“
Die andere Seele schwieg eine Weile nachdenklich. „Nein, das können wir natürlich nicht, würde uns ja umbringen, nicht? Wir müssen uns etwas Besseres einfallen lassen. Wie wär’s mit Exorzismus?“
„Aaaaahhhhhhh“, schrie John F., „nur das nicht! Das hält keiner aus, glaub mir! Können wir nicht versuchen, miteinander auszukommen?“ fragte er hoffnungsvoll, während der Börsianer in seinem Büro einen Veitstanz aufführte.
„Beruhige dich doch endlich“, schalt die andere Seele. „Wir erregen hier schon Aufsehen. Das ist nicht gut fürs Geschäft. Nimm doch ein bißchen Rücksicht.“ Der Börsianer versuchte mit wedelnden Händen die Menschenmenge, die sich vor dem Glasfenster seiner Bürotür versammelt hatte, zu verscheuchen. „Laß uns gemeinsam und in Ruhe überlegen, was wir tun können.“ Der Börsianer strich sich mit spastischen Bewegungen die Haare aus der Stirn und versuchte sich zu sammeln. „Wir gehen jetzt nach Hause, trinken einen Whisky und denken nach, okay?“
Das gefiel John F., denn Whisky war seine zweite Leidenschaft. „Gut, laß uns gehen. Wir sollten uns wirklich wie kultivierte Persönlichkeiten benehmen.“ Da kam ihm ein Gedanke. „Du, sind wir, äh, ich meine, bist du.... verheiratet, oder hast du eine Freundin?“
„Halt dich da ja raus, Mann, das geht dich schon gar nichts an, sonst kriegst du unbeschreiblichen Ärger, klar?“
„Ist ja schon gut“, meinte John F. kleinlaut. „Ich wollte dir nicht zu nahetreten. Ich war nur neugierig. Entschuldige.“
Der Börsianer hatte inzwischen schwitzend sein Büro abgeschlossen und war auf dem Weg in die Tiefgarage. Während der Autofahrt schwieg John F., denn er mußte nachdenken und wollte auch keinen Unfall riskieren. Eine halbe Stunde dauerte die Fahrt, dann bog der Börsianer in die Tiefgarage eines großen Mietshauses und fuhr mit dem Lift in den obersten Stock. Als er die Tür öffnete, meldete sich seine Seele und sagte zu John F.: „Ich habe eine Idee. Wir haben eine Katze. Wie wär´s denn damit?“
„Oh nein, kommt nicht in Frage, ich hasse Katzen! Würde es dir etwa gefallen, eine Katze zu sein? Kannst du nicht mit einem vernünftigen Vorschlag kommen?“ fragte John F. aggressiv, denn er hatte beschlossen, sich nicht alles gefallen zu lassen. Außerdem brauchte er dringend eine Zigarette, denn seit er wieder auf Erden war, hatte ihn eine absolut irdische Gier gepackt.
Der Börsianer hatte inzwischen den Hemdkragen geöffnet, schenkte sich mit ruhiger Hand (denn darin waren sich alle drei einig) einen Whisky ein und streckte sich erschöpft auf dem Sofa aus. Zu John F.´s Mißfallen hatte es sich eine Angorakatze zu Füßen des Börsianers auf dem Sofa bequem gemacht, die er mit dem linken Auge voll Abscheu musterte, wobei er mit dem Börsianer in Konflikt stand, der unbedingt seine Augen schließen wollte und fürchterliche Grimassen schnitt.
„Also“, ließ sich die andere Seele wieder vernehmen, „gehen wir methodisch vor. Wir sollten erst mal herausfinden, wie wir dich wieder herausbringen. Wenn wir das herausgefunden haben, überlegen wir uns gemeinsam, wohin mit dir.“ Er dachte eine Weile nach. „Du weißt nicht, wie du wieder hinaus kannst. Also sollten wir jemand fragen, der das wissen könnte. Wir kennen da einen Pfarrer und eine Geistheilerin, die vielleicht auch eine Ahnung davon hat.“
Beim Gedanken an einen Pfarrer wurde es John F. als Teufel etwas unbehaglich zumute. „Ich bin für die Geistheilerin“, schlug er vor. „Zu dem Pfaffen können wir ja immer noch. Außerdem hätte ich gern eine Zigarette. Können wir nicht wenigstens in eine Bar gehen, damit ich ein bißchen mitrauchen kann?“
„Ich denke, das läßt sich machen. Wir trinken ja gern einen, also könnten wir kurz vor dem Besuch bei der Zigeunerin noch einen heben. Das ist okay“, meinte die Börsianerseele kompromißbereit. Der Börsianer erhob sich jetzt wie in Trance, suchte seine Autoschlüssel, nahm den Lift in die Garage und startete seinen Mercedes, um zuerst eine Bar und anschließend die Geistheilerin aufzusuchen.

* * * * *

„Ich kenne da eigentlich nur eine wirksame Möglichkeit: Den Exorzismus.“
John F. zuckte zusammen, und den Börsianer riß es fast von seinem Stuhl. „Denken Sie nach“, flehte er, „es muß doch noch eine andere Möglichkeit geben, gute Frau. Bitte!“
Die attraktive Enddreißigerin dachte nach, während der Börsianer furchtbar schielend ihr gegenüber saß, weil John F. versuchte, mit dem linken Auge einen Blick auf ihre Beine zu werfen. „Nun ja, eine logische Möglichkeit bietet sich da schon noch an. Wir müßten einen Körper haben, den seine eigene Seele bereits verlassen hat.“
„Das hieße ja.....“
„Eine Leiche, genau. Üblicherweise haben Körper eine Seele, solange sie leben. Also brauchen Sie einen Toten. Wenn Sie den intensiv an beiden Händen halten, sollte die fremde Seele eine Chance haben, überzuwechseln. Genau weiß das allerdings niemand. Ich kenne niemanden, der das bereits ausprobiert hätte, und es ist eine Theorie, die mir meine inzwischen verstorbene Tante mitgegeben hat. Aber sie war eine Kapazität, das dürfen Sie mir glauben.“
Der Börsianer und seine zwei Seelen schluckten. „Woher, um Gottes Willen, soll ich denn eine Leiche nehmen?“
„Das ist jetzt ihr Problem, mein Lieber. Ob sie eine finden oder nicht, mein Rat kostet Sie jedenfalls hundertfünfzig Dollar.“
Der Börsianer nickte zerstreut und zog zwei Scheine aus seiner Geldbörse. Er verließ das Haus und steuerte die nächste Bar an. Während der Barkeeper ein großzügig eingeschenktes Glas Whisky auf die Theke stellte, meldete sich die Börsianerseele: „Na, was hältst du davon? Ich denke, wir sollten mal beim Leichenschauhaus vorbeischauen - wo sonst sollten wir eine Leiche finden? Die laufen einem schließlich nicht alle Tage über den Weg.“
John F. war davon gar nicht begeistert. „Also wirklich, ich kann mich absolut nicht mit dem Gedanken anfreunden, in so einen kalten, steifen Körper hineinzufahren. Ich finde das sehr makaber. Etwas Frischeres wäre mir lieber.“
„Wie stellst du dir das vor? Sollen wir vielleicht dir zuliebe jemand umbringen?“
Der Gedanke war John F. auch nicht gerade sympathisch, obwohl er als Teufel schon etwas abgebrüht war. „Nein, nein, ich meine nur...vielleicht wäre es besser, in ein Krankenhaus zu gehen. Da sterben doch auch dauernd Menschen..“
„Ja, Mann, das ist es. Das machen wir. Wir fahren ins Krankenhaus und schnappen uns den nächstbesten Verstorbenen.“
„Ich muß schon sehr bitten“, sagte John F. indigniert. „Ich habe auch meine Rechte. Keinesfalls will ich den Nächstbesten. Es wäre zumindest fair, einen einigermaßen gleichwertigen Ersatz anzubieten, meine ich. Oder würdest Du gern in einen Neunzigjährigen fahren?“
Die Börsianerseele seufzte. „Leicht machst du’s uns ja nicht. Aber du sollst deinen Willen haben, wenn wir dich nur endlich los sind. Und bitte, atme nicht immer so tief ein, dir mag der Rauch ja schmecken, aber wir hassen den Gestank. Trinken wir aus?“
John F. signalisierte seine Zustimmung, indem er den Börsianer das Glas auf einen Zug leeren ließ, bevor er sich auf den Weg ins nächste Krankenhaus machte.

* * * * *

„Halt, nicht diese Tür!“ schimpfte John F. Kriesinger. „Das ist doch die Frauenabteilung. Ich bin doch ein Mann. Denkt doch bißchen“, maulte er vorwurfsvoll. Der Börsianer marschierte in die Gegenrichtung und stoppte eine Krankenschwester, die gerade einen alten Herrn im Rollstuhl durch den Gang schob.
„Hallo, Schwester! Entschuldigen Sie bitte, wo ist denn hier, äh, ich meine, wo kommen denn die Toten hin?“
„Sie meinen die Pathologie? Das ist im Kellergeschoß. Nehmen sie den Lift dort drüben und fahren sie ins zweite Tiefgeschoß. Wenn sie aus dem Lift kommen, immer geradeaus und nach der ersten Glastür links. Der Weg ist beschildert.“
„Haben sie vielen herzlichen Dank“, rief der Börsianer, der sich schon auf dem Weg zum Lift befand.
Im Keller herrschte ein Geruch von Desinfektionsmitteln, der den Börsianer fast übel werden ließ. Er erreichte eine große Doppeltür mit der Aufschrift „Pathologie“. Er stieß den linken Flügel auf und sah einen Glaskasten mit einem Schreibtisch, hinter dem jedoch niemand saß. Die Leichen mußten sich hinter der nächsten Tür befinden. Der Börsianer marschierte entschlossen darauf zu. Gerade als er die Türklinke berührte, hörte er plötzlich eine scharfe Stimme. „Was tun sie hier?“
Der Börsianer drehte sich um und sah einen griesgrämigen Mann in den Sechzigern, der in der linken Hand eine Dose Raumspray hielt, mit der er in unregelmäßigen Abständen Duftstöße im Raum versprühte.
„Tja“, wand sich der Börsianer, „ich wollte....was wollte ich nur....ja, meine Tante, nein, meinen Onkel - „Das ist zu alt!“ schrie John F. - äh, vielmehr meinen Bruder, von meinem Bruder wollte ich Abschied nehmen, ähem, ....ein letztes Mal, sie verstehen?“
„Ich verstehe überhaupt nichts“, knurrte der Alte. „Wie heißt denn ihr Bruder, hm?“
„Ja, wie heißt er noch?“ Der Börsianer dachte krampfhaft nach. „Wissen Sie, er war inkognito hier, im Staatsauftrag. Und dabei hat es ihn erwischt. Streng geheim.“
„Er ist also eines gewaltsamen Todes gestorben? So einen haben wir hier nicht. Nicht heute.“
„Das habe ich nicht gesagt. Auch sein Tod war geheim. Wenn Sie mir vielleicht Zugang zu den Akten der hier Liegenden geben könnten, könnte ich ihn identifizieren.“
„Ich mache gar nichts. Das ist mir zu komisch. Ich muß mal telefonieren“, meinte der Alte und wandte sich in Richtung des Glashäuschens.
„Nein, nein, dazu besteht gar kein Anlaß!“ Der Börsianer beeilte sich, den Alten einzuholen. Sehen Sie, es geschieht ja nichts Unrechtes. Ich möchte ihn nur kurz einmal sehen, mehr nicht.“ Zwischen seinen Fingern knisterte ein Hundertdollarschein.
Der Alte hielt inne. „Na, ich weiß nicht“, meinte er zweifelnd.
Zum Hundertdollarschein gesellte sich ein weiterer.
„Da drüben, auf dem Schreibtisch, dort liegen die Akten. Es sind sechs Stück heute. Ich bin die nächsten fünf Minuten auf dem Klo. Ach ja, und die Lei...äh, ich meine die teuren Verstorbenen liegen da hinter dieser Tür da. Sie sind numeriert.“ Er verschwand, heftig Duftwolken um sich versprühend, hinter einer weiteren Türe.
Der Börsianer machte sich über die Akten her. Zwei Minuten später saß er auf dem Sessel hinter dem Schreibtisch und raufte sich verzweifelt die Haare. „Es ist fürchterlich. Zwei neunzigjährige, ein Kind im Vorschulalter und drei Frauen haben sie hier.“ Während er sich heftig selbst bemitleidete, öffnete sich die Doppeltür und ein Pfleger schob eine Rollbahre mit einem weiteren Verstorbenen an ihm vorbei zu den anderen im angrenzenden Raum. Er schien neu zu sein und den Alten, der hier offenbar zuständig war, nicht zu kennen, denn als er herauskam, grüßte er den Börsianer freundlich und drückte ihm ein Blatt in die Hand. „Schönen Tag noch“, wünschte er und verschwand so schnell, wie er gekommen war. Mit zitternden Fingern starrte der Börsianer auf das Blatt. Tom Fortnum, sechsunddreißig, gestorben an Rauchgasvergiftung, stand da. Das war die Chance! Er sprang auf und hastete in den Kühlraum, wo sieben Bahren standen, die alle komplett mit weißen Leintüchern zugedeckt waren. An den Zehen jeder Leiche hing ein Kärtchen mit Namen und einer Registriernummer. Auf der letzten Bahre lag Tom Fortnum. Der Börsianer zog die Decke zurück, schloß die Augen und tastete nach den Händen des Toten, der noch nicht einmal ganz kalt war.
„Also“, sagte die Börsianerseele zu John F., „mach’s gut.“
John F. konzentrierte sich, und tatsächlich, wie ein Strom zog er durch die Hände des Börsianers in den Körper von Tom Fortnum, der sich Sekunden später zu regen begann.
Während er die Augen aufschlug, horchte der Börsianer in sich hinein und fühlte nichts mehr außer einer beruhigenden Stille. „Ich hab’s geschafft!“ jubelte er.
„Was geschafft?“ erkundigte sich hinter ihm die Stimme des Alten, der unbemerkt hereingekommen war.
„Na, er lebt, stellen sie sich vor, dieser Mann lebt!“
„Dieser Mann? Ich dachte, er wäre ihr Bruder.“
„Ja, das hatte ich schon fast vergessen.....ich habe mich geirrt. Aber auf jeden Fall lebt dieser Mann. Sie sollten hier etwas sorgfältiger arbeiten in dieser Bruchbude, und nicht Lebende zu den Toten stecken. Das ist ja ungeheuerlich!“ sagte der Börsianer streng, blickte den Alten noch einmal strafend an und suchte anschließend das Weite, während sich ein gewisser Tom Fortnum zum Entsetzen des Alten langsam von seiner Bahre erhob.
„Was ist passiert, wo bin ich hier?“ fragte er den Alten erstaunt, der ihn mit offenem Mund anstarrte.

* * * * *

„Also Sachen kommen hier vor, ich muß schon sagen“, entrüstete sich der in Ehren ergraute Direktor der Klinik. „Zuerst dieses achtundzwanzigjährige Fräulein, die an akutem Nierenversagen gestorben ist und völlig ohne jeden Grund auf dem Gang plötzlich wieder lebendig wird, und jetzt wollen sie mir erzählen, daß in der Leichenkammer ein Toter wiederauferstanden ist. Zwei Fälle an einem Tag! Eine bodenlose Schlamperei ist das, sonst nichts! Was tun Ihre Leute eigentlich, außer quicklebendige Menschen für tot zu erklären?“
Der leitende Oberarzt war peinlich berührt. „Ich bin ganz sicher, daß wir uns nicht geirrt haben. Die beiden sind tot, vielmehr, sozusagen... ich meine, müßten es sein. So etwas ist uns ja noch nie passiert, und es waren zwei verschiedene, und sehr erfahrene Ärzte, die den Tod festgestellt haben. Ich vertraue beiden absolut“, verteidigte er sich.
„Papperlapapp, sie haben ja den lebenden Beweis, was wollen sie denn noch? Glauben sie etwa, Jesus hat gerade mal vorbeigeschaut und das alte Lazarus-Spiel gespielt? Untersuchen Sie die beiden noch gründlich und entschuldigen sie sich ja entsprechend bei denen. Die könnten uns ja glatt ein Verfahren an den Hals hängen, Mann! Los, los, gehen sie schon!“
Der Oberarzt rückte nervös an seiner dicken Brille. „Gewiß, ich werde alles tun, um einen eventuellen Schaden für unser Haus zu vermeiden. Ich habe auch striktes Stillschweigen zu beiden Fällen angeordnet.“ Eingeschüchtert bewegte er sich rückwärts in Richtung Türe. „Es wird ganz bestimmt nicht mehr vorkommen, das verspreche ich ihnen.“
Der Direktor fuchtelte ärgerlich mit den Händen, und der Oberarzt beeilte sich, die Türe hinter sich zu schließen.

* * * * *

Tom Fortnum war glücklich, wieder unter den Lebenden zu sein. Die Ärzte hatten ihm eine außergewöhnlich gute Gesundheit bestätigt - bis auf einen dunklen Schatten auf der Lunge, den sich niemand so richtig erklären konnte, denn von der Rauchgasvergiftung konnte so ein Langzeitschatten keinesfalls stammen und Tom hatte nie geraucht. Aber er hatte soeben beschlossen, dem Schatten seine Berechtigung zukommen zu lassen und sich ein Päckchen Marlboro zu kaufen. Er marschierte gerade auf den Kiosk in der Eingangshalle zu, als er mit einer zierlichen, hübschen jungen Frau zusammenstieß, die es ebenso eilig zu haben schien wie er. Er lächelte sie an und sie lächelte zurück, sie tauschten einen langen Blick, und da durchzuckte ihn etwas, und es schien ihm, daß er dieses besonders aufreizende Lächeln schon irgendwo einmal gesehen haben mußte.

 
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Hallo Wiesi!

weil er sich in seinem Leben zuwenig zusammengerissen
zu wenig

weil der Chef ein Russe war, der aus dem kalten Krieg stammte
Das würde ich umformulieren, da sich die Zeitangabe bei dir wie ein Ort verhält. Weil der Chef ein Russe war, der den kalten Krieg nicht überlebt hatte... – oder ähnlich.

ein alter Nazi aus dem dritten Reich
Was auch sonst. dritte Reich kannst du streichen

er hatte einen Namen, der groteskerweise mehr an den Himmel als an die Hölle erinnerte
Der ist wirklich schlecht, wenn’s denn ein Witz sein sollte.

(er war begeisterter Biertrinker) Unmengen fauliges Wasser trinken
Das ist Zusammenhangslos. Auch als begeistereter Weintrinker hätte sich dein Prot bestimmt vor fauligem Wasser geekelt.


und stellte erfreut fest, daß er es nach Amerika geschafft hatte, und das bedeutete für ihn vor allem eins: Marlboro.
Hier wußte ich nicht genau ob ich grinsen sollte. Nach genauerer Überlegung ist es eher unlogisch als witzig, denn diese Zigarettenmarke gibt es wie diese braune Limo – überall.

woher die Stimme kam, bis er feststellte, daß sie direkt aus ihm selbst kam.
Wortwiederholung

sagte er mit enttäuschtem Unterton, während sich der Börsianer in seinem Sessel in epileptischen Zuckungen hin und her wand.
:D Das ist gut.

Börsianerseele kompromißbereit. Der Börsianer erhob
Wortwiederholung

Die attraktive Enddreißigerin dachte nach, während der Börsianer furchtbar schielend ihr gegenüber saß, weil John F. versuchte, mit dem linken Auge einen Blick auf ihre Beine zu werfen.
Ein wenig umformuliert, dynamischer im Satzbau sozusagen, und der Gag würde besser zünden.

„Das ist zu alt!“ schrie John F. - äh, vielmehr meinen Bruder, von meinem Bruder wollte ich Abschied nehmen, ähem, ....ein letztes Mal, sie verstehen?“
Da haut was nicht mit der wörtlichen Rede hin.

und es waren zwei verschiedene, und sehr erfahrene Ärzte,
Naja, zwei gleiche Ärzte wäre irgendwie unglaubwürdig.

Okay, das ist ein recht langer Text und wird daher nicht sonderlich viel Beachtung finden. Allerdings liegt das auch an der Geschichte selbst, denn ein wildes Tohuwabohu (hoffentlich richtig geschrieben…) schlängelt sich durch die Story. Der gesamte Höllenteil, mit Nazibazi und Kollegen könnte auf einen kurzen Absatz zusammengestrichen werden.
Die Idee mit der verlorenen Seele ist grundsätzlich nicht schlecht, aber dir ist es mE nicht gelungen dies in eine fesselnde bzw. lustige Geschichte zu verpacken. Anfangs passiert so gut wie gar nichts, dann wird es erst interessant als dein Prot in dem Börsianer landet. Danach geht die Geschichte in eine Art Leerlauf über und es ist mühsam weiterzulesen, da sich der Leser ständig fragt: „Mann, geht’s hier bald mal weiter?“.
Manche Sätze sind außerdem arg lang geraten und zwingen dem Leser unnötige Qualen auf.
Versuch die Geschichte zu kürzen (drastisch). Du wirst sehen, dass es der Handlung keinen Abbruch tut und die geschilderten Situationen an Dynamik gewinnen werden.
Noch ein kleiner Tipp: bei der wörtlichen Rede solltest du mehr Inhalt hineinlegen. Belangloses Geplänkel wie etwa:

„Laß uns gemeinsam und in Ruhe überlegen, was wir tun können.“ „Wir gehen jetzt nach Hause, trinken einen Whisky und denken nach, okay?“ „Gut, laß uns gehen…“
bringen nur langweilige Momente hervor.
Mir hat es leider nicht gefallen.

Gruß

 

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