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Der Barbier

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15.02.2006
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Der Barbier

Mit einem Gefühl der Ungewissheit im Bauch betrat ich den Friseursalon.
„Haben Sie einen Termin?“, fragte mich eine junge Frau mit einer Frisur, die Hundertwasser hätte kreiert haben können.
„Elf Uhr“, nickte ich.
Sie nahm mir Jacke und Schal ab, hängte sie über einen Bügel und führte mich wortlos in den hinteren Teil des Salons. Nicht einmal eine Henkersmahlzeit wurde mir angeboten.
Vorbei an unzähligen verschiedenen Typen von Menschen, die alle nur eine Gemeinsamkeit, nämlich ein absolut ausdrucksloses Gesicht, teilten, folgte ich ihr. Wider Erwarten sollte ich nicht vor einem Spiegel, sondern vor einem Waschbecken Platz nehmen. Mit sanften kühlen Fingern zog sie meinen Kopf in den Nacken und begann mir die Haare zu waschen.
Niemand sprach. Ich starrte die Decke an. Ein Moment der professionellen Haarreinigung verging. Man sollte ein paar Bilder an der Decke anbringen, wie beim Zahnarzt, dachte ich.
Mein Haupt durchlief zwei Spülungen und wurde dann in ein rosa Handtuch gehüllt.
Dann wurde endlich auch meine Wenigkeit vor einen Spiegel geführt. Noch immer verspürten weder ich noch sie das Bedürfnis etwas zu sagen. Ihr Name war Veronika. Soviel verriet mir das kleine Schild auf ihrer Brust.
Ich beobachtete, wie ihr Spiegelbild meinem Spiegelbild die noch feuchten Haare kämmte.
„Was soll’s denn werden?“, fragte sie schließlich.
Am liebsten hätte ich ihr entgegen geschrieen, dass es auf diesem Planeten niemanden gab, der weniger von Frisuren und Haare verstand als ich. Dies war mein erster Friseurbesuch seit ungefähr sieben Millionen Jahrhunderten. Ich wollte ihr ins Gesicht brüllen, dass ich verdammt noch mal keine Ahnung hatte, was aus diesen beschissenen Zotteln auf meinem Kopf werden könnte. War ich hier die Friseuse oder sie?
„Eigentlich hatte ich gehofft, dass Sie mich da beraten könnten“, lächelte ich stattdessen freundlich. „Meine letzte Sitzung beim Barbieren ist schon ein Weilchen her“, fügte ich humoristisch hinzu.
Sie lächelte nur und kämmte etwas intensiver, als würde sie mich nach Läusen durchsuchen. Ich fragte mich, ob ich Läuse haben könnte. Früher waren meine Haare immer sehr kurz gewesen, da bestand diese Gefahr nicht. Doch, wer weiß, was sich im Nährboden meiner Kopfhaut eingenistet hatte, seitdem ich sie länger trug? Ich führte mir das Bild einer Laus unter einem Elektronenraster-Mikroskop vor Augen. Widerlich, und das auf meinem Kopf.
„Kurz!“, war das Schlagwort, das mich aus den Gedanken riss.
„Kurz“, wiederholte sie.
Na toll. Da hatte ich mir die Haare ein halbes Jahr lang wachsen lassen, nur um mir jetzt anzuhören, dass sie wieder runter sollen? Aber andererseits, war das nicht der Grund, warum ich hier war?
Ich nickte und gab ihr die Erlaubnis zur Tat zu schreiten. Was hätte ich auch sonst tun sollen? Jetzt einen Rückzieher zu machen, wäre doch oberpeinlich geworden.
Ich blickte auf und sah, dass alles was sie in den Händen hielt, ein Kamm und eine Schere waren und dann – tja – dann fing sie an. Sie fing einfach an. Keine Vorabberechnungen, keine Entwurfsskizze, kein gar nichts. Was weg war, war weg – und sie fing einfach an.
Meine Haare fielen. Mein Pulsschlag stieg. Regungslos saß ich da und beobachtete die Szene im Spiegel, als wäre alles nur eine Fernsehsendung. Ein Teil von mir wünschte sich, es wäre so.
Acht Jahre später war sie fertig und ich beobachtete das neue Outfit meines Denkapparates. Nicht übel, dachte ich. Hätte schlimmer werden können.
„Schön“, meinte ich, um die Sache abzurunden und ließ mich von ihr zum Tresen führen, wo mir der Chef knapp sechzehn Euro abnahm. Ich ließ mir nichts anmerken. Ich hatte das Geld – von meiner Mutter.
Ich zog Jacke und Schal wieder an und betrachtete mich einletztes Mal im Spiegel. Es war wirklich nicht schlecht geworden. Alles, was mir jetzt noch bevor stand, war die Erprobung meiner neuen Haarpracht in der Welt da draußen. Wie würden meine Freunde reagieren? Würden sie überhaupt reagieren, oder war eine Frisur heutzutage schon etwas so Triviales, dass man darüber keine Bemerkungen mehr machte?
Mit einem Gefühl der Ungewissheit im Bauch verließ ich den Friseursalon.

 

hallo zorander,

das ende der geschichte ist nicht gelungen. es fehlt eine pointe. ein bestimtmes ziel in der geschichte. interessant wäre es gewesen, wenn der haarschnitt nur eine ausrede war für das annähern der verehrten frisöse. ich meine, es steht ja geschrieben, dass er jahrelang die haare hat wachsen lassen, wieso lässt er sie jetzt schneiden? was ist seine motivation, zum frisör zu gehen? das fehlt einfach, und wenn es fehlt, ist deine geschichte nichts anderes als ein bericht über den besuch bei einem frisör. das ist aber als thema zu trivial. ein bewerbungsgespräch könnte eine solche motivation auch sein, ein schritt aus der alten jugend in die vermaskte zukunft.
der rest der geschichte, und das ist hauptsächlich der erzählstil, gefällt mir ausserordentlich gut. wirklich gelungener icherzähler. auch durchaus erheiternd geschrieben. wirklich prima gemacht!
was ich auch noch positiv erwähnen möchte, ist, dass dein schreibstil durchaus sauber ist.

im einzelnen:

Sie nahm mir Jacke und Schal ab, hängte sie über einen Bügel und führte mich wortlos in den hinteren Teil des Salons. Nicht einmal eine Henkersmalzeit wurde mir angeboten.

"Henkersmalzeit" >> "Henkersmahlzeit"
Wieso "Nicht einmal"? es ist a) nur ein friseursalon und b) ist es doch schon ein netter service, jacke und schal abgenommen zu bekommen.

Mein Haupt durchlief zwei Spülungen und wurde dann in ein rosa Handtuch gehüllt. Vielleicht war es auch pink.

soll das ein scherz sein? pink ist ein schweincherosa, aber wer macht sich darüber gedanken?

Doch wer weiß, was sich im Nährboden meiner Kopfhaut eingenistet hatte seitdem ich sie länger trug?

hinter "Doch" ein komma
vor "seitdem" auch ein komma

Ich führte mir das Bild einer Laus unter einem Elektronenraster Mikroskop vor Augen.

"Elektronenraster Mikroskop" mit bindestrich

fazit: eine geschichte mit zu wenig handlung, die gerne noch eingebaut werden darf. die erzählweise ist angemessen und kurzweilig. ich habe die geschichte deshalb gerne gelesen.

bis dann

barde

mein lieblingssatz:

Ich beobachtete, wie ihr Spiegelbild meinem Spiegelbild die noch feuchten Haare kämmte.

 

Wow, danke erst einmal für das ausführliche Statement, Barde. Tut mir leid, dass meine Antwort erst jetzt kommt ...

Die Rechtschreibfehler habe ich soweit korrigiert.

Zu der Sache mit der Henkersmahlzeit:
Das sollte eigentlich verdeutlichen, dass ein Friseurbesuch für den Protagonisten alles andere alls eine Alltäglichkeit ist und er doch schon etwas nervös darüber ist, was ihn erwartet. Immerhin wird er mit dem Look, der ihm hier zugeschnitten wird, eine ganze Weile rumlaufen müssen.

Das pinke Handtuch:
... erscheint mir im Nachhinein auch sinnlos. Daher habe ich den Satz erst einmal rausgenommen.

Schön, dass dir der Stil soweit gefällt. Was die Story angeht hast du natürlich Recht; die existiert (noch) nicht. Der Text war von vornherein eigentlich auch nur als eine Art Momentaufnahme (auch wenn das nicht ganz das richtige Wort ist) gedacht. Aber vielleicht beglücke ich den Text ja demnächst auch noch mit einer Handlung. Ich komme zu Zeit nur leider selten zum Schreiben.

Danke nochmal,
Zorander

 

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