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Der Beginn ist nach dem Ende

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24.04.2003
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Der Beginn ist nach dem Ende

Sie stand vor ihm am Kiosk und kaufte ein Päckchen Kaugummis, sowie für 50 Cent von der Nummer acht. Brausebonbons.
Das konnte unmöglich wahr sein. So angestrengt er auch überlegte, es fiel ihm einfach nicht ein, woher. Fest stand bloß: Er kannte diese Frau.
Als sie bezahlt hatte, sich umdrehte, er erneut die grünen Augen sah, da sprach er einfach.
"Wir kennen uns doch."
Sie grinste abwertend.
"Nette Anmache."
Dann verschwand sie.

Zu Hause legte er sich auf das Sofa, schaltete den Fernseher ein, dachte nach.
In letzter Zeit geschah ihm das oft. Er sah Menschen auf der Straße, und war der festen Überzeugung, ihnen schon einmal begegnet zu sein.
Nie konnte Felix diese Personen einordnen.
Aufgewühlt schaltete er durch die Programme, blieb hier und da kurz hängen, nur, um dann erneut zu wechseln.
Eine Frage wurde in seinem Kopf immer lauter, solange, bis sie schließlich schrie: "Bin ich verrückt geworden?"
Gestresst schaltete er das Gerät wieder aus und zog sich im Flur die Jacke an.

Der September war kalt geworden. Es kam ihm vor, als hätte der Winter den Sommer mit einem Handschlag von einer Sekunde auf die Nächste abgelöst.
Als Felix den Park erreichte, sah er eine alte Frau, die auf der nassen Erde kniete und anscheinend nach etwas suchte.
"Kann ich Ihnen helfen?"
"Nein", kam es schroff zurück. - "Ich finde mich schon zurecht."

Felix ging weiter; durchschritt lange, von Bäumen gesäumte Alleen; überquerte matschige, einsame Wiesen, die unter grauem Himmel lagen. Einmal fragte er sich, wo denn all die Menschen abgeblieben seien.
Als wären sie vom Regen weggespült worden.
Schließlich kehrte er um.
Am Eingangstor parkte ein Krankenwagen. Zwei Sanitäter standen neben dem toten Körper der alten Frau.
Ohne noch einmal den Blick auf sie zu richten, ging er vorbei.

Niemand rief ihn mehr an. Nach dem Umzug war der Kontakt mit den Freunden seltener geworden, dann komplett abgebrochen.
Mittlerweile befanden sie sich in einer anderen Welt. Manchmal dachte Felix darüber nach, ob sie sich noch an ihn erinnerten.
Automatisch griff er nach dem Telefon und stellte entsetzt fest, dass er alle Nummern vergessen hatte.
Vielleicht lag es gar nicht an dieser tristen, immer im Dunkeln liegenden Stadt. Möglicherweise existierte außer ihm auch einfach niemand mehr.

Wenn man ein neues Leben anfängt, verschwindet dann das alte?

Es war Montag.
Er hatte die Woche frei. Am späten Nachmittag ging er einkaufen; schob sich zwischen hektischen Schatten hindurch. Der Supermarkt erschien ihm wie ein Lager für Strafgefangene, und den Zettel für die Besorgungen hatte Felix vergessen.
Panisch suchte er die Regale nach Nützlichem ab, während der Wagen vor ihm unruhig umherschlenkerte, als wolle er sich seinem Griff entziehen.
Zwischen Schokolade und Gummibärchen kramte ein Jugendlicher in seinen Jackentaschen. Felix war sich sicher, ihn zu kennen.
Nur ... woher?

Erst, als er die beiden Plastiktüten vollständig ausgeräumt hatte, stellte er fest, dass sich ausschließlich Dinge darin befunden hatten, die er sonst nie kaufte.
Ein paar Sachen warf Felix weg. Er konnte sie nicht ausstehen.

Am Dienstag berichtete die Lokalzeitung über das Ereignis im Park. Der Vorname war komplett ausgeschrieben. Von dem Familiennamen verrieten sie nur den Anfangsbuchstaben.
Allerdings fand sich in den Todesanzeigen nur eine einzige Magdalena wieder.

Während der Beerdigung stand Felix außerhalb. Allein mit seinem Regenschirm.
Erst, nachdem die wenigen Trauergäste zum Leichenschmaus verschwunden waren, ging er zu dem inzwischen zugeschütteten Grab und kniete sich nieder.

Magdalena Schreiber stand auf dem Stein.

Felix flüsterte: "Ich mich aber nicht."

Jemand stand plötzlich hinter ihm. Eine schöne, junge Stimme.

"Kann ich dir ... kennen wir uns nicht?"

Er drehte seinen Kopf zur Seite und erkannte die Frau vom Kiosk.

 

He!

Es ist spät und ich muss morgen früh raus. Deshalb nur so viel:

Eine wirklich gelungene Geschichte, die hier und da vielleicht etwas hektisch daher kommt und mich am Ende richtig - aber so richtig - umgehauen hätte, würde sie mit diesem Satz enden:

Felix flüsterte: "Ich mich aber nicht."

Ansonsten: mein Kompliment! Sehr gut!

Ta!

AZ

 

Hallo Cerberus,

ich habe deine Geschichte schon gestern gelesen, wusste aber nicht so richtig, was ich dazu sagen soll.
Auf der einen Seite gefällt sie mir gut - das liegt vor allem an der gelungenen sprachlichen Umsetzung und auch an dem einfühlsamen Tonfall, den du anschlägst.
Alles in allem lässt sie mich aber irgendwie unzufrieden zurück - wohl deshalb, weil sich mir nicht so richtig erschlossen hat, worauf du hinaus willst.
Und jetzt bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es wohl eine Geschichte über die Einsamkeit in der Gesellschaft ist - sowohl die Gedanken des Protagonisten als auch das Auftauchen und Sterben der alten Frau deuten für mich darauf hin. Schön, dass am Ende durch die junge Frau noch Hoffnung in die Geschichte kommt - das hat mir persönlich wirklich sehr gut gefallen.

Wenn ich deine Geschichte jetzt komplett fehlinterpretiert habe, tut mir das natürlich Leid. Aber sie hat mich auf jeden Fall zum Nachdenken gebracht - und Geschichten, die das schaffen, haben ja meistens schon sehr viel geschafft.

Lieben Gruß, Bella

 

Hallo ihr beiden.

@Alfred Zissinger

Danke dir fürs Lob. Mit dem von dir erwähnten Satz wollte ich die Geschichte eigentlich zuerst auch enden lassen, entschied mich dann aber noch für den Anhang.

@Bella

Du liegst mit deiner Interpretation ganz richtig. Genauso habe ich es gemeint. Lustig, dass dir das Ende gefällt, das von deinem Vorredner angekreidet wurde :)
Freut mich, dass ich dich zum Nachdenken bringen konnte.

Liebe Grüße

Cerberus

 

Hallo Cerberus,

gute Geschichte, wirklich gut. Hat mir nicht nur gefallen, sondern mich auch beschäftigt. Die 'Atemlosigkeit', in der Du sie erzählst stimmt für mich mit der Ratlosigkeit des Prot völlig überein.

Überleg Dir Alfred Zissingers Einwand!!!
Ich kann mit ihm völlig übereinstimmen. Nach dem

Felix flüsterte: "Ich mich aber nicht."

muss ich wie noch einmal Luft holen, um den Rest zu lesen. Obwohl er tröstlich ist, brauche ich ihn nicht.

Herzlich,
Gisanne

 

Hallo ihr beiden.

Habe wegen dem Schluss noch einmal nachgedacht, und würde ihn gerne so lassen, wie er ist.
Okay, ich muss zugeben: Das Thema wird oft verwendet und mein Text ist inhaltlich sicher nicht besonders innovativ. Aber manchmal schreibe ich solche Geschichten einfach gerne.

Vielen Dank für eure Kommentare.

 

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