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Der Beginn ist nach dem Ende
Sie stand vor ihm am Kiosk und kaufte ein Päckchen Kaugummis, sowie für 50 Cent von der Nummer acht. Brausebonbons.
Das konnte unmöglich wahr sein. So angestrengt er auch überlegte, es fiel ihm einfach nicht ein, woher. Fest stand bloß: Er kannte diese Frau.
Als sie bezahlt hatte, sich umdrehte, er erneut die grünen Augen sah, da sprach er einfach.
"Wir kennen uns doch."
Sie grinste abwertend.
"Nette Anmache."
Dann verschwand sie.
Zu Hause legte er sich auf das Sofa, schaltete den Fernseher ein, dachte nach.
In letzter Zeit geschah ihm das oft. Er sah Menschen auf der Straße, und war der festen Überzeugung, ihnen schon einmal begegnet zu sein.
Nie konnte Felix diese Personen einordnen.
Aufgewühlt schaltete er durch die Programme, blieb hier und da kurz hängen, nur, um dann erneut zu wechseln.
Eine Frage wurde in seinem Kopf immer lauter, solange, bis sie schließlich schrie: "Bin ich verrückt geworden?"
Gestresst schaltete er das Gerät wieder aus und zog sich im Flur die Jacke an.
Der September war kalt geworden. Es kam ihm vor, als hätte der Winter den Sommer mit einem Handschlag von einer Sekunde auf die Nächste abgelöst.
Als Felix den Park erreichte, sah er eine alte Frau, die auf der nassen Erde kniete und anscheinend nach etwas suchte.
"Kann ich Ihnen helfen?"
"Nein", kam es schroff zurück. - "Ich finde mich schon zurecht."
Felix ging weiter; durchschritt lange, von Bäumen gesäumte Alleen; überquerte matschige, einsame Wiesen, die unter grauem Himmel lagen. Einmal fragte er sich, wo denn all die Menschen abgeblieben seien.
Als wären sie vom Regen weggespült worden.
Schließlich kehrte er um.
Am Eingangstor parkte ein Krankenwagen. Zwei Sanitäter standen neben dem toten Körper der alten Frau.
Ohne noch einmal den Blick auf sie zu richten, ging er vorbei.
Niemand rief ihn mehr an. Nach dem Umzug war der Kontakt mit den Freunden seltener geworden, dann komplett abgebrochen.
Mittlerweile befanden sie sich in einer anderen Welt. Manchmal dachte Felix darüber nach, ob sie sich noch an ihn erinnerten.
Automatisch griff er nach dem Telefon und stellte entsetzt fest, dass er alle Nummern vergessen hatte.
Vielleicht lag es gar nicht an dieser tristen, immer im Dunkeln liegenden Stadt. Möglicherweise existierte außer ihm auch einfach niemand mehr.
Wenn man ein neues Leben anfängt, verschwindet dann das alte?
Es war Montag.
Er hatte die Woche frei. Am späten Nachmittag ging er einkaufen; schob sich zwischen hektischen Schatten hindurch. Der Supermarkt erschien ihm wie ein Lager für Strafgefangene, und den Zettel für die Besorgungen hatte Felix vergessen.
Panisch suchte er die Regale nach Nützlichem ab, während der Wagen vor ihm unruhig umherschlenkerte, als wolle er sich seinem Griff entziehen.
Zwischen Schokolade und Gummibärchen kramte ein Jugendlicher in seinen Jackentaschen. Felix war sich sicher, ihn zu kennen.
Nur ... woher?
Erst, als er die beiden Plastiktüten vollständig ausgeräumt hatte, stellte er fest, dass sich ausschließlich Dinge darin befunden hatten, die er sonst nie kaufte.
Ein paar Sachen warf Felix weg. Er konnte sie nicht ausstehen.
Am Dienstag berichtete die Lokalzeitung über das Ereignis im Park. Der Vorname war komplett ausgeschrieben. Von dem Familiennamen verrieten sie nur den Anfangsbuchstaben.
Allerdings fand sich in den Todesanzeigen nur eine einzige Magdalena wieder.
Während der Beerdigung stand Felix außerhalb. Allein mit seinem Regenschirm.
Erst, nachdem die wenigen Trauergäste zum Leichenschmaus verschwunden waren, ging er zu dem inzwischen zugeschütteten Grab und kniete sich nieder.
Magdalena Schreiber stand auf dem Stein.
Felix flüsterte: "Ich mich aber nicht."
Jemand stand plötzlich hinter ihm. Eine schöne, junge Stimme.
"Kann ich dir ... kennen wir uns nicht?"
Er drehte seinen Kopf zur Seite und erkannte die Frau vom Kiosk.