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Der Besuch

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14.07.2007
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Der Besuch

Der Flur versank im Halbdunkel und wand sich wie ein Schlauch durch das dritte Stockwerk. In einer Nische brummte der Kopierer vor sich hin. Joshua trat schließlich in ein kleines Büro; grelles Licht, welches durch das einzige Fenster einfiel, strömte ihm entgegen. Und Weiß strömte ihm entgegen. Das Schneeweiß der Wände, die den schmalen Schreibtisch bedeckende Unordnung von Papieren; das Flackern des Monitors daneben, Vorhänge, welche allerdings verblichen. Danach stachen Einzelheiten darin hervor: Zwei Picasso-Imitate hingen an den niedrigen Wänden; gleichgültig ruhte ein dicker, bronzener Buddha auf der Fensterbank und zwei, kleine Zimmerlinden standen in den Winkeln. Frau Andres, eine schmächtige, zarte Gestalt trat hervor. Ihre schmalen Lippen rührten sich ganz leicht; von Grübchen flankiert, ein förmliches Lächeln und Joshua interessierte es nicht; Joshua drückte ihre Hand fest, damit sie nicht das Zittern bemerkte. Wo bin ich gelandet? Bin das ich, der hier steht, grüßt? Bald saßen sie sich gegenüber, getrennt durch einen halbrunden Tisch und Schweigen. In der Vorstellung hatte er tatsächlich eine kluge, starke Frau erwartet; eine Frau, die ihn sogleich mitriss und zu seinem Seelenheil führte; durch ein paar, einfühlsame Worte; und ihn mit dem Mitgefühl behandelte, dass er verdiente. Aber da saß die schmächtige Gestalt; in Schweigen versunken, eine Hakennase ragte aus dem Gesicht hervor. Und das Halbbraun ruhte in den Augen; gleichgültig, wie die Augen Buddhas - Warum bist du hier, fragte sie. Ich weiß es nicht, antwortete Joshua. Sein Blick wich aus, glitt über das Fenster. Wolken schwammen im Azurblau; dazwischen brannte die Sonne. Der sozialpsychiatrische Dienste helfe psychisch Erkrankten, bei der Wohnungssuche, in Krisen, erklärte die Frau pädagogisch. Helfe auch Angehörigen psychisch Kranker oder Menschen in persönlichen Krisen wie dem Tod eines geliebten Menschen. Man versuche dabei, zu lenken, zu vermitteln. Joshua kam sich nicht bloß wie ein Kind vor, sondern verhielt sich auch wie eins; der Kopf suchte unruhig ein Versteck und sank zwischen die Schultern. Angestrengt und verkniffen richteten sich die Augen auf die Tischplatte. Joshua nickte. Kurz warf er einen Blick auf das Fenster. Ein Flugzeug, weiß und stromlinienförmig, glitt durch den Himmel. "Du hast angerufen. Weil du dir die Arme aufgeschnitten hast?" Ja.
Da vermischten sich, zerwühlten die Gedanken. Was für ein Schwachsinn? Zu sitzen, die Seele auszubreiten, sich sezieren, in der Hoffnung auf Umbruch, Umbruch der Seele. Ein kleiner Mensch in einem kleinen Büro sollte ihm helfen? Was für ein Schwachsinn? Das Loch in ihm stopfen? Sinn zu pflanzen, wo keiner ist?
„Wie oft machst du das?“, fragte sie.
„Unterschiedlich. In letzter Zeit... oft, aber ich meine, also... Zuvor Monate nicht. Es ist keine... Sucht. Ich muss es nicht tun, ich will es tun."
„Warum tust du es?“
„Als Entlastung. Es ist, als ob überall am Körper verschlossene Stellen wie ungeöffnete Ventile seien - Wenn ich sie danach öffne, das Blut hinaus strömt... fühle ich mich leicht; dann ruhe ich... höre Musik und habe das Gefühl, die Gedanken werden klarer. Außerdem..."
Inzwischen hatte die Frau ihre Beine übereinander geschlagen, sodass sich unter dem langen Rock ein wenig Haut zeigte; eine glatte, gebräunte Fläche, die glänzend sich straffte, während sie den Fuß kreisen ließ.
"...Selbsthass.", sagte er kalt, sogar stolz. Dabei wollte er fast weinen, was er allein durch die jämmerliche Vorstellung desselben vermied. Außerdem war Joshua überzeugt von seinem Intellekt und hegte Verachtung für Frau Andres und ihren pädagogischen Tonfall. Sie durchschaut mich nicht; dumme Frau, die letztlich nichts von der Welt versteht. Mich durchschwemmen Gefühle, ich bin zu empfindsam, dachte Joshua, mich durchschießen Gedanken, die mir nicht über die Lippen kommen. Davon versteht sie nichts, zwischen vier Wänden und Picasso-Imitaten. Ich habe das Leid geschluckt; ich bin bloß noch Papierflieger, ich bin das Untergehende, sagte er sich, aber Frau Andres erklärte, ruhig, fast flüsternd, sie glaube ihm und alles schmolz dahin, alles erweichte in ihm und dann standen fast wieder Tränen in den Augen. Diese Sehnsucht, sich hinzugeben und zu heulen, ergriff ihn plötzlich. Er hielt diese Frau für dumm, jedoch hielt er die ganze Menschheit für dumm; sie unterlag ihm immer, seine Augen inspizierten jeden Wimpernschlag und sein Gehör war sensorisch und offenbarte hinter allem, was Menschen sagten, das Niederträchtige, das Eigensinnige. Nun, dachte Joshua, hasse ich die Menschen, weil ich das Düstere in ihnen sehe? Er brauche professionelle Hilfe, erklärte die Frau.
Sie unterhielten sich zwei Stunden, wägten ab, welche Arten der Therapie für Joshua in Frage kämen, ob er Lust dazu verspüre, an einer Selbsthilfegruppe teilzunehmen. Zwischendurch löste sich immer wieder ein Geständnis von seinen Lippen. "Ich will gar nicht so sein... Ich habe viel falsch gemacht!" Häufig standen Tränen in seinen Augen. Der Atem stockte; Schweiß brach aus den Poren. Entgegen seinen Erwartungen erschöpfte ihn dieses Gespräch. Und schließlich drückte Frau Andres ihm eine Liste von Therapeuten in näherer Umgebung in die Hand. Er solle sich in zwei Wochen melden und von den Fortschritten berichten. Während des letzten Händedrucks zwischen seiner feuchten und ihrer kalten, zarten Hand, lächelten beide, starrten sich an.
Joshua trat aus dem gelben, vergilbten Gebäude, über welchen ein viereckiger, spitzer Schornstein aus einem Flachdach ragte. Gegenüber kurvten Kieswege in einem Park hinan zu dem Zentrum einer Anhöhe, auf der Spazierende, angeleinte, kläffende Hunde, Frauen mit Kinderwagen sich auf diesen Punkt zu bewegten, dort sich kurz vermengten, sich auf Parkbänken um einen Springbrunnen herum ausruhten oder ihre Hände in das kühle, klare Wasser hielten, und dann wieder in Selbstverständlichkeit zerstoben. Er lächelte. In ein paar Wochen würde er einen Brief von Frau Andres erhalten, in dem sie fragte, warum er sich nicht melde.

 

Morgen nizzel,

sehr bildhaft alles beschrieben, auch die Krankheit, flüssig, gerne gelesen.

- in halber Dunkelheit ?
- Und Weiß strömte ihm entgegen (zweimal "strömte", absichtlich?
- welche allerdings ergrauten ?
- Zimmerlinden wachten in den Winkeln ?
- mitriß - mitriss
- getrennt durch einen halbrunden Tisch und Schweigen (finde ich gut)
- in Schweigen versinkend (versunken ?)
- wie dem Tod eines Geliebten. (eines geliebten Menschen ?)
- Was (für ?) ein Schwachsinn?

In ein paar Wochen würde er einen Brief von Frau Andres erhalten, in dem sie fragte, warum er sich nicht melde.

Warum meldet er sich nicht?


Gruß

Kurtchen

 

Danke kurtchen

Habe soweit korrigiert. Bezüglich des letzten Satzes hatte ich eigentlich erwartet, dass es durchaus schlüssig wirkt, wenn sich jemand wie er trotz der Wirkung des Gespräches nicht mehr meldet und das dies auch ohne Beschreibung deutlich wird... Aber vielleicht werde ich dann noch einen kurzen Teil ergänzen.

Viele Grüße

 

Hi Nizzel!
Mir sind noch ein paar Sachen zur Sprache aufgefallen:
"Joshua trat schließlich in ein kleines Büro"
Schließlich drückt immer das abschließen einer vorangegangenen Handlung aus, hier kommt aber dein Prot. zum erstem mal vor, dh. es ist nicht ganz logisch.
"welche allerdings verblichen" kann er ihnen beim verbleichen zuschauen, so klingt es nämlich.
"Danach stachen Einzelheiten darin hervor: " Bezug nicht 100%ig klar
"Warum bist du hier, fragte sie. Ich weiß es nicht, antwortete Joshua." warum machst du keine Anführungszeichen?
" erklärte die Frau pädagogisch." wie erklärt man pädagogisch? Ich kann mir nichts drunter vorstellen.
Ich hätte das Ende vielleicht sogar so optimistisch interpretiert, dass er die Hilfe nicht mehr braucht. Kann das stimmen?
Ich hoffe du kannst etwas mit meiner Kritik anfangen.
Sonnige Grüße
Cathy

 

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