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Der bizarre Traum
Schon als Ronald durch die Tür ins Kino drei eintrat, ahnte er, dass etwas passieren würde. Der Film hatte schon begonnen und er hatte Mühe im Kinosaal einen freien Platz auszumachen. Doch zu einer Platzwahl sollte es gar nicht mehr kommen.
Nachdem er die ersten zwei Stufen hinter sich gelassen hatte, traf sein Blick zu seiner eigenen Überraschung auf seine Frau Lucy am anderen Ende der Reihe. Neben ihr, den rechten Arm um sie geschlungen, saß ein braungebrannter Schönling. Er trug eine dunkle Lederjacke, passend zu seinen langen schwarzen Haaren. Die Haare fielen ihm in sein glattrasiertes Gesicht und verbargen seine Gesichtszüge. Über seinem Auge schimmerte eine Narbe. Er machte sofort einen unsympathischen Eindruck auf Ronald. Was machte dieser Typ mit seiner Frau hier? Er drehte sich mit dem Rücken zu den beiden, damit diese ihn nicht sehen konnten. Dabei streifte sein Blick eine junge Asiatin.
Was sollte er nur tun? Hatte seine Lucy eine Affäre? In den vergangenen Monaten hatten sie sich immer schlechter verstanden. Sie neigte auf einmal zu unkontrollierbaren Wutausbrüchen und er wußte nicht woran es lag. Einmal hatte Lucy sogar ein Messer nach ihm geworfen, welches um ein Haar sein Bein getroffen hätte. War dieser Mann der Grund?
Er warf noch einmal einen Blick zurück. Ganz klar! Das musste der Grund sein warum er und Lucy sich von einander entfernt hatten. Die Eifersucht trieb ihm die Zornesröte ins Gesicht. Gerade war er im Begriff durch die Reihe zu stürmen, als er sah wie der Begleiter seiner Frau aufstand und in seine Jacke griff. Als die Hand wieder zum Vorschein kam hielt sie etwas fest. Durch die Dunkelheit konnte Ronald nicht genau erkennen, was der Mann da hielt. Aber das würde er gleich rausfinden. Voller Wut stürmte er los auf die beiden zu. Die zwei können was erleben, dachte Ronald finster. Das nächste was Ronald realisierte war der ohrenbetäubende Knall und das Aufblitzen eines Mündungsfeuers. Die helle Szene der Leinwand ließ ihn den Rest erkennen.
Lucy hielt sich die Brust, aber ihr Blut suchte sich dennoch den Weg aus ihrem Körper. Dumpf schlug ihr Körper auf dem Boden auf. Ronald lief in Panik auf sie zu. "Lucy, Lucy", schie er immer wieder verzweifelt, als könnte er durch das Gebrülle, den Schuss ungeschehen machen. Er kniete sich zu ihr nieder. "Lucy, sag doch was!", rief er verzweifelt. Aber seine Lucy sagte nichts mehr. Sie war bereits tot. Verwirrt blickte Ronald auf ihre Gesichtszüge. Es schien, als ob sie im Moment ihres Todes nicht Furcht oder Angst wiederspiegelte, sondern Hass.
Schweißgebadet wachte Ronald auf. Nur ein Traum, dachte er erleichtert. Er musste sich die Tränen aus den Augenwinkeln wischen. Ronald konnte sich nicht erinnern, einen solch realen Traum bisher gehabt zu haben.
Die Digitaluhr auf seinem Nachttisch zeigte viertel nach zwölf an. Ganz schön früh für solch einen Alptraum, dachte er seufzend. Seine Frau Lucy war heute mit ihrer Freundin Jennifer unterwegs. Ich sollte weniger Horrorstreifen schauen, wenn ich alleine zu Hause bin, versuchte sich Ronald selbst zu beruhigen.
Er legte sich wieder ins Bett in der Hoffnung ohne solch einen Alptraum weiter schlafen zu können. Aber an Schlaf war nicht mehr zu denken. Zu sehr kreisten im die Bilder im Kopf herum, wie ein Daumenkino löste ein unbehagliches Bild das nächste ab.
Schließlich hielt Ronald es nicht mehr aus. Er würde keine Ruhe mehr finden, bis er sich davon überzeugt hatte, dass es "nur" ein Traum gewesen war. Aber wie sollte er das überprüfen?
Kurze Zeit später saß Ronald fertig angezogen im Auto auf dem Weg zum Kino. Was bin ich für ein paranoider Idiot, dachte Ronald. Aber was ist, wenn es doch nicht nur ein Traum gewesen ist? Blödsinn, verwischte er den Gedanken sofort wieder. Dennoch ein wenig ängstlich, erreichte er das Kino. Vor dem Broadway Filmpalast standen schon ein halbes Dutzend blinkende Polizeiwagen verstreut auf der Straße. Ronald hielt achtlos auf der Straße, öffnete die Tür und sprintete ins Gebäude. Er musste nicht Sherlock Holmes sein, um zu erkennen, dass es sich hier nicht um einen Ausflug der Städtischen Polizei handelte. Wie auf Knopfdruck waren ihm alle Traumbilder wieder präsent. Er drängelte sich mühsam durch die Schaulustigen vor, bis er an einer Absperrung aufgehalten wurde.
„Hier geht’s nicht weiter“, hörte er einen kleinen, bierbäuchigen Polizisten sagen.
Neben ihm entdeckte er die kleine Asiatin aus seinem Traum. Sie trug, wie in seinem Traum, ein leuchtend grünes T-Shirt. Angst schnürte ihm die Kehle zu.
„Lassen Sie mich durch“, entgegnete Ronald dem Polizisten ungeduldig.
„Das Kino ist gesperrt! Sie kommen hier nicht rein“, kam prompt die Antwort des Polizisten.
Ronald verzweifelte. Er musste Gewissheit haben, sonst würde er verrückt werden. "Ich weiß es ist schwer zu erklären. Aber ich kann Ihnen sagen was passiert ist! Ich konnte die Tat beobachten!" sagte Ronald.
Der Polizist musterte ihn argwöhnisch. Hatte dieser Mann wirklich wichtige Informationen? Wie ein sensationsgeiler Reporter sah er jedenfalls nicht aus.
„Dann kommen Sie bitte mit“, forderte der kleine stämmige Mann ihn sichtlich unsicher auf.
Sie ging die Stufen nach unten Richtung Kinosaal drei. Zahlreiche Polizisten ließen das Foyer wie ein Bienennest wirken.
Sie steuerten zielgerichtet auf einen älteren Mann zu. Er trug einen langen grauen Mantel der bis zum Boden reichte.
„Kommissar, das hier ist Herr Döring“, wurde Ronald vorgestellt.„Er sagt, er wüßte etwas über den Tathergang.“
„Kimmlingen mein Name“, der Kommissar streckte Ronald zur Begrüßung die Hand entgegen. „Dann erzählen Sie mal!“
Zu diesem Zeitpunkt wurde die Gewissheit Ronalds immer größer. Zu authentisch und bekannt wirkte das Szenario. Genau wie er es geträumt hatte.
„Es wurde während der Filmvorführung geschossen“, begann Ronald zu erzählen, bevor er plötzlich inne hielt.
Aus dem Augenwinkel konnte Ronald sehen wie eine Bahre von vier kräftigen Männern aus dem Kinosaal drei getragen wurde. Auf ihr lag ein schwarzes Bündel. Ronald musste sich seine kleine Lucy darunter vorstellen. Wie ihr Leichnam zusammengekrümmt unter diesem Leichentuch lag. Der Schmerz schien Ronald die Sinne zu rauben.
Zu dem Schmerz kam Wut, die Ronald die zörnesröte ins Gesicht trieb.
„Ich weiß, wer es war!“, Ronalds Stimme klang nun hysterisch. Die Verzweiflung hatte vollends Besitz von ihm ergriffen.
„Ich habe ihn gesehen! Dunkle, lange Haare, glattrasiert, mit einer Narbe über dem Auge. Haben Sie ihn?“
Der Kommissar blickte ihn fragend an.
„Herr Döring, was meinen Sie damit?“
„Ich habe ihn gesehen! Das meine ich damit. Ich will das Sie das Schwein kriegen!“ polterte Ronald weiter.
„Wo haben Sie ihn gesehen?“, der Kommissar schaute noch immer irritiert.
„Ich weiß es klingt merkwürdig. Aber ich habe das Ganze geträumt. Ich habe gesehen wie er meine Kleine umgebracht hat!“ Ronalds Stimme war nur noch ein heiseres Zischen.
„Wir haben den Mann den Sie beschreiben“, antwortete der Kommissar ungläubig.
„Es ist der Tote! Und Sie hatten einen Traum. Wo ist denn ihre Frau jetzt? Ach, wissen Sie nicht? Was für ein Zufall!“, sagte der Kommissar.
„Festnehmen!“, wandte er sich an zwei Kollegen.
Ronald vernahm das klicken der Handschellen, bevor im bewußt wurde was geschehen war.
Als er, immernoch nicht vollends begreifend, abgeführt wurde, dachte er eine Sekunde, er hätte seine Lucy in der Menge ausgemacht. Wurde er nun vollends verrückt? Er war sich nicht sicher, aber hatte er ein Lächeln auf ihren Lippen gesehen?