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Der Blutwein des Grafen
Sehr geehrte Damen und Herren
Die folgenden Protokolle berichten von meiner Reise in eine Welt des Fetisch. Während meiner Unternehmungen führte ich akribisch Protokoll und schrieb den Tathergang chronologisch nieder. Das half mir, nicht den Verstand zu verlieren. Sollten diese Protokolle jemals in die Hände der Staatsanwaltschaft gelangen, gnade mir Gott. Daher: keine Namen.
Ich habe die Protokolle gerade aus meinem Safe genommen und gelesen. Dann habe ich mir eine Flasche Rotwein aus dem Weinkeller geholt – den fruchtigsten und süffigsten, den ich finden konnte, Jahrgang ´84, fränkisch, relativ dickflüssig, ein Prachtwein – und beschlossen, diesen Fetisch der Welt nahe zu bringen. Daher nun die Veröffentlichung der besagten Protokolle.
Vielleicht noch einige Angaben zu meiner Person:
Zur Zeit und, voraussichtlich bis zu meiner Pensionierung, unterrichte ich Physik und Mathe an einem Gymnasium in München.
Studiert und promoviert habe ich in Stuttgart.
Mit meiner Frau und unseren zwei Kindern lebe ich sehr glücklich in einer Vorstadt Münchens.
Aufgewachsen bin ich in einem fränkischen Dorf. Meine Familie lebte die Tradition des Weinanbaus und wir besaßen einen kleinen aber sehr dürren Hang, wo die Familie mit vereinten Kräften anbaute und erntete. Unser Wein war ausschließlich für wohlbetuchte Feinschmecker bestimmt, die von weit her angereist kamen, da mein Großvater den Vertrieb ausschließlich vor Ort abhandelte. Ein dürrer Hang zwingt die Wurzeln der Edlen Weinrebe tiefer zum Grundwasser hinzuarbeiten und so bekommen die Trauben mehr Geschmack.
Aber, wie ich an meinem vierzehnten Geburtstag erfahren durfte, war das nicht das einzige Geheimnis um den sagenumwobenen Wein, der den Feinschmeckern reihenweise die Freudentränen in die Augen trieb. Die Tradition besagt, dass jeder Knabe der Familie seinen ersten original Blutwein an seinem vierzehnten Geburtstag kosten soll. Ich hatte mich schon immer gefragt, warum wir neben dem Weinanbaugebiet und der Kellerei auch noch einen kleinen Bauernhof unterhielten. „Zu einem guten Rotwein gehört ein gutes Stück zünftiger Käse!“, hatte mein Großvater immer gesagt und mir so die Kühe erklärt, da die Frauen in der Familie zur Käseherstellung vorgesehen waren. Oft hatte ich mich auch gefragt, was das für eine stinkende, rötliche Flüssigkeit war, die mein Vater in die Bottiche goss, während wir Kinder die Trauben traten. Und so erfuhr ich, dass mein alter Herr auf sechs Liter Traubensaft den Zucker und – nein, kein Frostschutzmittel – einen Liter frisches Schweineblut beimengte.
Und ich will ihnen sagen: So ein Wein ist der Hochgenuss! Es schmeckt, als würde sich der Wein zum Sterben auf die Zunge und den Gaumen legen und langsam im Abgang verbluten.
Unser Erzeugnis genoss bei den Feinschmeckern einen sehr guten Ruf und meine Familie hätte sich schon damals eine goldene Nase verdienen können, wäre sie nicht so stur und traditionsbewusst gewesen. Heute besitzt einer meiner Onkel noch einen Vertrieb. Die Produktion unseres Qualitätsweins wurde in den siebziger Jahren eingestellt. Meine Familie bekam eine Abfindung und die Staatsanwaltschaft ließ unseren Familienbetrieb schließen. Großvater musste sich durch seine unkollegiale Natur wohl einige Feinde gemacht haben. Immer, wenn ich meine Eltern besuchte, beklagte sich mein Vater über den schlaffen, modernen Wein, und manchmal, wenn es besondere Anlässe erlaubten, zauberte er noch eine Flasche aus der damaligen Produktion hervor.
Dann, es muss im Sommer 1982 gewesen sein, erfuhr ich durch Zufall von der Existenz einer illegalen und nicht öffentlich, aber doch organisiert agierenden Gemeinschaft von Weinkennern, als ich auf einer Weinmesse in Kiel einige Flaschen unseres Familienweins, den mir Vater vor seinem Tode, 1978, stolz vererbt hatte, verkaufen wollte. Ich hatte mich zu der Zeit gerade von meiner zweiten Frau getrennt, hatte meine Anstellung aufgrund einer Beschuldigung der sexuellen Belästigung einer Schülerin aufgeben müssen und war, psychisch sowie pekuniär, am Ende. Ich hatte einige Flaschen zu Lumpenpreisen verkauft – die Käufer mögen heute gut und gerne das Zehnfache dafür erhalten, wenn sie denn des Wissens sind, mit was für einem einzigartigen und legendären Wein sie es zu tun haben – bevor ich von einem Herren namens Ludwig, Graf von Karlshafen angesprochen wurde. Er kostete professionell von meinem Probierwein, den ich zum Ausschank an meinen Stand drapiert hatte, und sagte genüsslich: „Ja, ja, das ist er. Original Blutwein. Kommen Sie, werter Herr, ich möchte sie um zwei Flaschen ihres edlen Gesöffes erleichtern und Sie unwesendlich dafür entschädigen. Sagen wir: 60 000 Mark. Einverstanden? Gut! Und dieser Wein ist noch weitaus mehr wert. Ich hoffe, Sie wissen das. Lassen Sie mir im Gegenzug die Gelegenheit, Sie von meiner Ware kosten zu lassen. Ich habe sie nicht hier. Zu öffentlich, Sie verstehen? Aber tun Sie sich doch selbst den Gefallen und päppeln Sie sich mal richtig auf, befreien ihren Gaumen und ihre Geschmacksnerven von den Fertiggerichten, nach denen Sie riechen, und treten Sie eine Reise zu dieser Adresse an.“ Dann reichte er mir die Visitenkarte einer Weinhandlung.
Zu den Protokollen:
Die hier gedruckten Versionen basieren auf den von mir persönlich verfassten Originalprotokollen, die sich allerdings auf Stichwörter und Skizzierungen beschränkten. Daher habe ich sie in ganze Sätze gefasst und umformuliert, den Inhalt allerdings unverfälscht gelassen.
9ter August des Jahres 1982
So: Ich hatte es gewagt und verweilte in einer kleinen, verschlafenen Stadt namens Bad Karlshafen und hatte die Weinhandlung vor zwei Stunden ausfindig machen können. Die Stadt war in ihrer Ruhe und Unberührtheit etwas angsteinflößend. Es ist eine alte Hugenottenstadt, die den Anschein macht, von der Pariser Bluthochzeit noch nicht erfahren zu haben. Ich war fünf Stunden unterwegs gewesen, vom heimischen München bis dort; ins tiefste Weserbergland. Das war die letzte Reise, die ich mit meinem Fiat Punto unternommen hatte. Ich war recht erschöpft, hatte mir ein Zimmer in einer Jugendherberge genommen und beendete den Tag mit der Schrift dieses Protokolls sowie einer Flasche Kabinett und einigen Zigaretten. Zuvor war ich noch Essen gewesen; Lammbraten in Estragonsoße. Es war nicht einfach gewesen, etwas Dezentes zu finden. Wenn es am nächsten Tag auf eine Weinprobe hinauslaufen sollte, und davon ging ich aus, dann durfte ich meinen Gaumen nicht mit scharfen Würzungen oder Bier verstimmen. Er musste wohltemperiert sein, aber ich selbst schon wohlgenährt.
10ter August des Jahres 1982
Der Herbst hatte sich der Landschaft bemächtigt.
Ich hatte in einem zu kleinen Bett sehr unruhig geschlafen, war etwas angespannt aber erwartungsfreudig. Um zehn Uhr fuhr ich durch die schmalen Gassen dieser eng gebauten Stadt und rauchte noch eine Zigarette, bevor ich die Weinhandlung betrat.
Das Licht war gedämmt, Flaschenbraun dominierte im Farbenspektrum, einige Holzfässer standen, dekoriert mit Käsestäbchen, schüchtern herum, es roch nach Kork und eine Gestallt sortierte Flaschen ein. „Guten Morgen“, erklang es. „Guten Morgen, mein Name ist ... und ich bin auf die Empfehlung des Grafen von Karlshafen hier. Er ...“
„Ahhhh! Der Herr Graf! Treten Sie näher!“, unterbrach mich die Gestalt. Er war sehr groß, zerzaustes und verstaubtes, dunkelblondes Haar, französische Vorfahren, eindeutig, trug seine helle Jeans auf Hochwassergefahr und hatte wohl arge Probleme damit, sich sein Hemd in die Hose zu stopfen. „Gehören Sie auch zu den absoluten Feinschmeckern?“ Er schaffte es, dass es nicht mehr wie eine Frage klang. Bei seiner Größe ließ sich die Buckelbildung nicht vermeiden, und während er an mir vorbei zur Eingangstür schlich, zog er sein rechtes Bein etwas hinterher. Dann schloss er uns ein und verdunkelte nach und nach das Geschäft, redete nicht, richtete ständig seine Brille, die schon durch Sicherheitsgurte an seinem Kopf befestigt war, und machte den Gesichtsausdruck eines Pferdes, das einen Pflug ruckartig durch gefrorenen Acker zerren muss, während er von Fenster zu Fenster humpelte. Seine Hände waren ständig in Bewegung und schienen keine Zugehörigkeit zu finden. Dann blieb er verkrümmt stehen, blickte mich lange an, schmunzelte schließlich treu und deutete mir durch eine Handbewegung an, dass ich ihm folgen solle. Wir begaben uns an das abgelegenste der Holzfässer und, nachdem ich eine Weile geduldig und nervös gewartet hatte, während er in den Keller gehinkt war um eine Flasche Wein zu holen, entkorkte er diese gekonnt und goss uns ein. Exakt ein Drittel des Weinglases. Perfektionierte Perfektion. Es war eine dunkelgrüne, unscheinbare Flasche ohne Etikett. Rotwein. So dickflüssig, wie ich ihn zu Vaters besten Zeiten nicht zu Gesicht bekommen hatte. Wir schwenkten die Gläser, hielten sie ins Licht, rochen mit geschlossenen Augen, spülten unsere Münder noch einmal mit Tafelwasser aus, gurgelten damit, und nahmen schließlich einen herzhaften Schluck des Weines.
Und, meine Damen und Herren, ich würde für dieses Geschmackserlebnis keine Worte finden. Genüsslich schluckte ich den Wein meinen Rachen hinab.
„Schweineblut?“, fragte ich selbstsicher und versuchte ebenfalls, es nicht wie eine Frage klingen zu lassen, während ich noch einen Schluck auf meine Zunge legte.
„Mensch. Rothaarig war sie, vollbrüstig und ...“
Ich spuckte meinen Schluck auf das Fass. Menschenblut? Hatte er gerade von Menschenblut gesprochen?
„Oh. Verzeihen Sie bitte. Die Kunden, die auf Empfehlung des Herrn Grafen den Laden betreten, wissen für gewöhnlich Bescheid.“
Dann Stille. Die Gestalt bediente sich des Käses. Potenzielle Kunden pressten ihre Gesichter vor Fenster. Dann nahm ich ungewollt noch einen Schluck dieses Weines. Köstlich. Unübertroffen.
„Und?“, fragte er grinsend.
„Köstlich! Unübertrefflich!“, antwortete ich lauthals.
11ter August des Jahres 1982
Die Gestalt, deren Namen ich bis heute nicht weiß, und ich hatten uns für heute Mittag dreizehn Uhr verabredet. Der Graf sollte auch vor Ort sein, wie mir versichert wurde. Vorrausschauend hatte ich meinen Aufenthalt in der Jugendherberge verlängert. Wir hatten am Vortag noch vier weitere Gläser dieses vorzüglichen Weines genossen, hatten uns noch Kostproben anderer „normaler“ Weine gegönnt, da der menschliche Körper nur eine geringe Menge Blut zu sich nehmen kann, bevor der Brechreiz ausgelöst wird, und gegen Mitternacht verließ ich die Weinhandlung recht erheitert und immer noch mit diesem phänomenalen, einzigartigen Geschmack des Blutweines auf der Zunge.
Freilich war es für mich unmöglich, einen derartigen Wein bezahlen zu können. Es würde andere Wege geben, hatte mir die Gestalt versichert.
Mit einem triumphalen und selbstherrlichen Grinsen im Gesicht betrat der Graf heroisch die Weinhandlung. Wir gossen uns ein, flachsten etwas herum und der Graf, der sich niemals seines Mantels entledigte, immer seinen gepflegten Schnauzbart streichelte und eine Art Zepter mit sich herumtrug, erzählte mir von dem monatlichen Weinfest, welches jeden zweiten Samstag im Monat stattfinden würde. „Und da mir zu Ohren gekommen ist, dass ihnen unser Produkt zu munden scheint, möchten die Stadt und ich Sie gerne als Ehrengast einladen“, sagte er schwungvoll. Sie warteten auf eine Antwort.
„Es wäre mir eine Ehre, Herr Graf. Da hab ich ja Glück gehabt, und habe meine Reise zum richtigen Zeitpunkt angetreten. Das wäre dann ja morgen. Ihr Wein schmeckt nicht nur vorzüglich, Herr Graf, er fickt meinen Gaumen!“ Wir brachen in Gelächter aus, tranken noch etwas, der Graf erzählte mir die Geschichte Bad Karlshafens und gab mir noch einige Hinweise, wie ich mir die Zeit bis zum nächsten Tag verschönern könnte.
Und so verbrachte ich den Rest des Tages mit Besichtigungen des Schlosses, der Altstadt und der alten Kellerei, schlenderte am Weserufer entlang, und, überall wo ich verweilte um mich auszuruhen, bekam ich, mit dem Verweis auf die Visitenkarte und den werten Herrn Grafen, einen Wein auf Kosten des Hauses eingeschenkt.
12ter August des Jahres 1982
Der Tag des Weinfestes. Fackeln waren in der ganzen Altstadt verteilt worden und füllten die schmalen Gassen mit Leben. Die Weinhandlungen, von denen es erstaunlich viele gab, hatten bis tief in die Nacht geöffnet und die Einwohner sowie die Gäste des renommierten Kurortes hatten ihre helle Freude, probierten sich durch die Weine. Auf dem Marktplatz hatte man ein Festzelt mit Musik und Tanz errichtet. Auch die Käsebauern durften durchaus ihren Profit aus der Sache geschlagen haben.
Ich für meinen Teil verweilte unter der Einladung des Grafen auf der Veranda des Schlosses, wo sich eine sichtbar wohlbetuchte Gesellschaft tummelte. Gut, dass ich meinen noblen Anzug im Reisegepäck hatte. Obwohl ich mir zwischen den ganzen Monokeln, Korsetts und ausgefransten Kostümen etwas schlicht vorkam. Kokett rümpften Damen mit Bienenstöcken als Frisur die Nase, wenn sie an mir vorbeistolzierten, und recht dekadent wurden Spießchen mit Käsehäppchen, Miniaturfleischbällchen und Trauben auf einem Silbertablett mit einem Samtkissen von Bediensteten serviert, deren Anzüge auch extravaganter waren als der meine.
„Heinrich! Schön, dass du es geschafft hast!“, rief der Graf. Anscheinend duzten wir uns jetzt. Er kam zu mir, küsste mich nach französischer Manier auf die Wangen und sagte sichtlich belustigt: „Gut schaust aus.“
Er stellte mich einer Runde mehrerer Von und Zus und deren Begleitungen vor und goss mir augenzwinkernd Blutwein ein. Wir stießen an und er zog mich zu einem Kübel, der mit Eis und einer bereits entkorkten Weinflasche gefüllt war. Diese nahm er heraus und präsentierte sie mir stolz über seinem Unterarm. „Das beste, das es auf dem Markt gibt“, flüsterte er. Auf dem Etikett war eine hübsche, rothaarige Frau mit vollen Lippen und freizügigem Lächeln zu sehen. Mir wurde leicht schlecht.
„Diese Flasche hier, Heinrich, hat den edlen Herrn dort zu deiner Linken 600 000 Mark gekostet. Allerdings, wird das für dich wohl nicht erschwinglich sein, Heinrich. Daher möchte ich dir ein Angebot machen:
Weißt du: In meiner Privatbrauerei ist alles wesentliche vorbereiten. Uns fehlt nur noch die letzte, entscheidende Zutat. Ich habe dich auserwählt, weil ich weiß, Heinrich, dass du den richtigen Gaumen dafür hast. Alles, was du zu tun hast, ist eine rothaarige, hübsche und junge Frau zu finden und sie hier ins Schloss zu locken.
Sieh sie dir an, dort unten: Sie sind betrunken. Und du, mein lieber Heinrich, bist ein attraktiver Bursche, lass es dir gesagt sein. Für die Drecksarbeit bezahle ich andere. Du musst sie nur zum Hintereingang dieses Gebäudes führen, Heinrich. Ein Klacks.
Und ich würde dich redlich belohnen! Drei Flaschen der Spezialauslese, und du weißt, was die Wert sind, sowie eine monatliche Lieferung Schweineblutwein. Oder Kalb. Hast du schon mal Elefant versucht? Der Exportschlager!
Also, was sagst du?“
Ich war bestimmt eine halbe Minute lang sprachlos, und, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann ihnen bis heute nicht sagen, weshalb ich dieser Tat, diesem Mord, zustimmte und mich bereiterklärte, Lockvogel zu spielen. Einerseits war es die Vermutung, dass mich der Graf und seine Leute nicht lebend hätten davonkommen lassen, hätte ich nicht zugesagt, da ich schon viel zu viel gesehen und gekostet hatte. Andererseits war es dieser bombastische Geschmack, der sich die letzten Tage auf meiner Zunge gebettet hatte und der starke Drang danach, mehr zu bekommen. Ich hatte nichts: keine Frau, keinen Job und keine Heimat. Nur dieses immense Verlangen nach Blutwein.
Und so mischte ich mich unters Volk, fokussierte potenzielle Opfer in meinem Blickfeld, beobachtete das Geschehen und die Vorgänge im Festzelt und fühlte mich wie ein Bluthund auf der Jagd.
Dann, als ich gerade eine Pause machte und mich auf einen Wein ausruhte, setzte sie sich ungeahnt neben mich. Sie war perfekt, wie dafür geboren: Lange, naturrote Haare, prall; etwas pummelig würde man sagen, zarte Gesichtszüge, saftig und süffig schon im Anblick. „Man sollte ihrem Portraitfoto nicht ersehen können, dass ihr Korpus einen wohlgenährten Blutspeicher darstellt“, hatte mir der Graf mit auf den Weg gegeben.
„Hallo! Ich heiße Sara. Sie sind nicht von hier oder?“ Sie klang lieblich.
„Nein. Ich stamme aus München. Heinrich, mein Name. Freut mich. Ich bin Weinliebhaber. Und da muss man ja mal hier gewesen sein“.
Sie lachte frivol.
„Huch! Entschudigense! Ich bin schon etwas angeschickert. München ... schöööööön. Und, mundet es ihnen hier, Heinrich? Haben Sie schon etwas gefunden, dass ihnen gefällt?“
Es wurde einfacher, als ich dachte.
„Ja. Sie haben nette Weine hier. Ich werde welche mitnehmen.“
„Kennen Sie die Geschichte des Blutweines?“
„Nein. Erzählen sie sie mir!“
„Nun: Sehen Sie das Schloss dort oben? Es gehört dem Grafen dieser Stadt. In Geschichten heißt es, er und seine Genossenschaft würden Blutwein produzieren. Also; mit echtem Menschenblut. Von einer hübschen Rothaarigen muss es stammen, heißt es, und die Kinder in der Schule haben mir immer Angst gemacht damit. Aber zum Glück bin ich ja nicht hübsch.“
Sie nippte verlegen an ihrem Wein und ein Mann im Frack sprach uns an. Er machte Fotos. Erst von uns und dann nur von ihr. Er signalisierte mir ein „Daumen hoch“ und ich erkannte ihn als einen der Bediensteten des Grafen.
„Sehen Sie: Mich wollte er gar nicht fotografieren. Er wollte Sie, weil Sie so bezaubernd schön sind.“
„Ach, hören Sie doch auf!“, sagte sie beschämt.
„Nein. Glauben Sie mir! Und ich, Sara, finde Sie nicht minder bezaubernd.“
Dann herrschte verliebte Stille.
„Zeigen Sie mir dieses Schloss von diesem Grafen! Ich möchte es sehen!“, sagte ich freudig.
„Was? Nein! Es heißt, dass er sich seine Opfer auf dem monatlichen Weinfest aussucht. Und er ist tatsächlich anwesend. Und auch gibt es fast jeden Monat eine Vermisstenanzeige.“
„Sie veräppeln mich, Sara!“
„Nein. Das ist ungelogen. Die Polizei spekuliert allerdings auf eine Jugendbande von außerhalb. Es gibt schon erste Verdächtige. Aber wer weiß: Vielleicht sollen Sie mich ja zum Schloss locken.“ Sie schäkerte mir an die Schulter. Wir lachten beide und ich hätte mich fast übergeben müssen.
„Los! Kommen Sie! Oder mögen Sie keine Abenteuer?“, versuchte ich sie zu motivieren.
Sie stutzte etwas, war tatsächlich leicht verängstigt, lächelte mich unentschlossen an und sagte nach einer Weile: „Aber nur, wenn ich mich bei ihnen einhaken darf, Heinrich.“
„Ich bestehe darauf, Sara!“
Und so schlenderten wir den Hang hinauf. Sara hakte sich bei mir ein und schmuste verliebt mit meinem Arm. Sie war einsam. Vor zwei Jahren verlassen worden, wie sie erzählte, und dass sie weg wolle aus dieser Einöde. Die Gassen waren gefüllt mit betrunkenen Menschen, so dass sie nicht wirklich Angst bekommen konnte, da keine düstere Atmosphäre zu spüren war.
Erst, als wir am Schloss angelangt waren, sie mir den Grafen aus der Entfernung gezeigt hatte und wir in eine weniger belebte Gasse eingebogen waren, wurde sie unruhig. Die Laternen beleuchteten das Kopfsteinpflaster hier wieder künstlich und das Festzelt und die Stimmung waren nur noch kleinlaut zu vernehmen. Sara fühlte sich sichtlich unwohl und drängte mich zurückzugehen. Ich schnappte sie mir und presste ihr einen Kuss auf ihre fruchtig schmeckenden Lippen. „Das wird ein feuriger Wein!“, dachte ich mir. Sie schmeckte wirklich gut. Emotionsgeladen zerrte sie jetzt an mir und wie losgelöst züngelten wir herum. Sie schmeckte schon nach Rotwein. Sie hatte erwähnt, eine leidenschaftliche Rotweintrinkerin zu sein. Wunderbar. Kaninchen, die zur Schlachtung gemästet werden, werden ja auch bewusst gesund gefüttert. Man will ja nichts ungesundes essen oder trinken.
Während wir uns küssten, drängte ich sie immer mehr die Gasse hinauf. Als Ziel hatte ich das Tor zum Keller, wo drei Schergen warteten. Als Sara diese erblickte und der Situation bewusst wurde, schrie sie und versuchte noch wegzurennen, doch ich hielt sie fest, sie schluchzte, und die Schergen unterstützten mich, schlugen sie schließlich mit drei, vier gezielten Schlägen nieder. Dann schafften sie sie in die Gewölbe des Schlosskellers.
Hier rieb ich mir einige Male verwundert die Augen. Nachdem wir einige versteckte Sicherheitstüren passiert hatten, erreichten wir eine riesige Lagerhalle, in der Unmengen an Weinen, Zucker- und Traubenvorräten, Gärungsbottichen, Käfigen mit bekannten sowie den exotischsten Tieren, die mir jemals zu Augen gekommen waren, Maschinen, deren Verwendung ich auf den ersten Blick nicht erahnen konnte und ein Personalaufgebot, dass Thyssen Krupp zu den besten Zeiten erblassen ließe, lagerten. Es herrschte ein reger Betrieb. Der Bereich war hermetisch abgeriegelt; Sicherheitspersonal mit headsets, Bomberjacken und Maschinengewehren. Tierpfleger, Tierbändiger, Schlachter, ein Ärzteteam, Versorgungseinheiten, Putzfrauen, und ich glaube, einen Hausmeister gesehen zu haben.
Die Schergen schleiften Sara in einen Raum, der einer Gießerei ähnelte.
„Heinrich! Ich wusste doch, dass ich mich auf dich verlassen kann!“, jubelte mir der Graf entgegen und reichte mir ein Glas Wein. „Komm, mein Goldjunge, das brauchst du dir jetzt nicht mehr mit anzusehen. Deine Arbeit ist getan.“
Ende der Protokolle
Würden sie nur einmal einen solchen Blutwein kosten: Sie würden mich verstehen. Da bin ich mir sicher. Wie er sich ihrer Geschmacksnerven annimmt, wie er jeden Winkel ihres Mundes mit Leben erfüllt und ... ach, man muss es einmal geschmeckt haben.
Ich werde mir noch ein Glas genehmigen.
Seit diesen Tagen des Jahres 1982 entführte ich durch meine immer besser und ausgefeilter werdenden Verführungstaktiken zwölf Frauen und drei Männer im monatlichen Rhythmus in den Schlosskeller. Die Polizei wurde vom Grafen bestochen. Die angeblich schuldige Jugendbande bald gefasst. Trotzdem gingen die Entführungen weiter. Bald mussten wir die Weinfeste absagen und die Stadt verlassen.
Der Graf und unser Klan errichtete mehrere Zentralen in Deutschland und bald auch international. Es wurde zu einem Netzwerk, welches heute noch besteht.
Eine Zeitlang habe ich unter falschem Namen eine, eigens vom Klan erschaffene, Reiseagentur geleitet und Busladungen von Nonnen und Schulkindern in den Produktionsstätten des Grafen herumgeführt. Die Meldungen von verunglückten Reisebussen sind noch heute zu lesen. Wir hatten ein eigenes Team, welches für die Inszenierungen zuständig war. Sie erlebten sprichwörtlich am eigenen Leibe, wie Wein gemacht wird.
Geschäftlich gesehen, habe ich bei der Sache versagt. Sicherlich: Jetzt, da ich mich zur Ruhe gesetzt habe und nur noch unterrichte, um ein Alibi vorweisen zu können; habe ich es gut, genug Geld auf der hohen Kante und Wein im Keller. Nur hätte auch ich mir, wie meine Familie damals, eine goldene Nase verdienen können. Aber das Meiste, das man verdiente, investierte man ja auch gleich wieder in Blutwein, von dem man nicht genug bekommen konnte.
Kinderblut schmeckt übrigens wie Erwachsenenblut. Kein Unterschied.
Männer allerdings, schmecken irgendwie herber. Lassen wir es Einbildung sein.
Aber eines, eines, Frage ich mich seit ich meine Frau kenne: Wie würde sie wohl schmecken?
Fin