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Der Bote
Mitten in der Nacht sprang die Zellentür auf und der Bote wurde von kräftigen Händen aus dem Schlaf gerissen. Die anderen stoben entsetzt auseinander. Doch an ihnen war heute niemand interessiert. Der Bote wurde hinaus in den Fackelschein gezerrt. Kaum dass sich seine Augen an das Licht gewöhnen konnten verband man sie ihm schon wieder mit einem Tuch.
Der Alte höchst persönlich geleitete ihn aus dem Verlies. Ihre Schritte halten wider von den Wänden der Hallen und Gänge, welche sie durchquerten. Küchengerüche und knarrende Stiegen, zuletzt eine schier endlos erscheinende Wendeltreppe hinauf auf eine zugige Plattform.
Der Griff, der den Boten umschlungen hielt, lies jeden Fluchtversuch von vornherein aussichtslos erscheinen. Er wurde auf den Rücken geworfen und man legte kaltes Metall um seine Füße. Dann hatte er wieder freie Sicht und fand sich auf den höchsten Zinnen der Burg wieder.
Unverwandt blickte ihm der Alte in die Augen und richtete dabei ein paar ernsthafte Worte an ihn in einer ihm fremden Sprache. Anschließend brachte er ihn an den Rand des Turmes und schob ihn über die Kante. Tief unter dem Boten spiegelte sich der Mond in dem künstlichen Gewässer, welches die Burg umschlossen hielt und damit von den umliegenden Häusern und verwinkelten Gässchen abgrenzte. Die Welt überschlug sich, als man ihn von der Brüstung hinabstieß.
Flatternd fing sich der Bote und schwebte, getragen von der Thermik menschlicher Behausungen, mit ausgebreiteten Schwingen um dem Turm. Einen Augenblick lang war er irritiert über die so unverhofft wiedererlangte Freiheit. Dann begann er seine Rückreise in die heimatlichen Gefilde. Mit kräftigen Flügelschlägen schraubte er sich weiter in die Höhe und schwenkte nach Süden ein.
Unter sich lies der Vogel den Alten zurück, der aus der Höhe, wie er zu ihm hochblickte und ihm nachschaute, längst nicht mehr so bedrohlich erschien.Den Boten hielt nun nichts mehr. Nur wenige Flügelschläge noch und schon war das Schloss außer Sicht.