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Der Clown

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15.11.2001
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Der Clown

Der Clown

Am Abend, wenn der Clown seine Maske ablegte und er sich selbst im Spiegel sah, überkam ihn immer wieder der Ekel vor sich selbst, vor dieser Rolle, die zu spielen er in alle Ewigkeit verdammt war. Er hatte sie nicht gewählt; sie hatten ihm keine Wahl gelassen. Einmal ein Clown, immer ein Clown.
Dieses Wesen, das Tag für Tag den Clown spielte, zur Belustigung der anderen, hatte nichts mehr mit dem Menschen gemeinsam, der abends erschien, nachdem die Schminke Stück für Stück vom Gesicht gewischt war. Er war nicht so, wie er den anderen erschien; anders, er war anders.
Kein Mensch hatte ihn je gesehen, den Menschen hinter der Maske. Sie sahen immer nur die Oberfläche, sie waren ja so oberflächlich, gingen auf niemanden genauer ein, und schon gar nicht auf einen Clown, dessen Charakter ja so offensichtlich schien.
Vielleicht hatte er sich diese Rolle ja deswegen ausgewählt. Vielleicht hatte er Angst, sein wahres Gesicht zu offenbaren. Er war sich dessen selber nicht mehr sicher.
Er hoffte immer noch, daß eines Tages jemand kommen würde, ihn anrühren und aus seiner Lethargie, aus seiner Rolle und seiner Scheinwelt befreien würde. Aber genau so, wie er diesen Tag und diesen Menschen herbeisehnte, fürchtete er ihn, denn was würde ihm bleiben, wenn er nicht mehr der Clown war? Wer würde ihm bleiben?
Sie würden es nicht akzeptieren, nie, sie würden ihn hassen, nicht dafür, daß er sie angelogen hatte, sondern daß er diese Lüge aufgegeben hatte, den Vorhang ein für alle Mal geschlossen hatte.
Sie liebten das Schauspiel, sie liebten sein Schauspiel, aber sie liebten nicht ihn. Sie konnten nur seine Rolle lieben, nicht aber ihn, weil sie ihn gar nicht kannten.
Früher hatte er nie das Bedürfnis gehabt, sich anderen zu öffnen; er hatte Angst gehabt.
Dann war es zu spät gewesen. Keiner hätte ihm mehr zugehört. Keiner hätte es wahrhaben wollen, daß er, der umjubelte, beliebte, geliebte Clown auch sehr ernst sein konnte, auch ernst sein wollte. Er nahm viele Dinge ernst, auch wenn es nie so schien.
Es war ein Selbstschutz gewesen, diese Rolle des Clowns, ein Schutz vor der grausamen Ralität. Er hatte Freunde gesucht, aber er konnte sie nur finden, indem er ihnen etwas vorspielte, indem er Scherze machte, sich ihnen anpaßte und auf ihren Level begab. Er wollte es nicht; er wollte es nie.
Aber was blieb ihm jetzt? Er hatte keine andere Wahl; noch mußte er weiterspielen.
Was, wenn eines Tages der Retter kam? Würde er sich diesem Menschen öffnen, auf seine Hilfe vertrauen? Würde dieser Mensch ihm unter die Arme greifen, ihm zur Seite stehen, ihn auf den ersten, ungleich schwersten Schritten stützen?
Wenn nicht, würde er nicht einmal den ersten Schritt bewältigen. Er würde zusammenbrechen, untergehen, und sie, sie würden ihn treten, ihn auf die Beine zerren, ihn schminken und zwingen, den Clown zu spielen. Wie er es doch schon immer getan hatte.
Alleine war er so hilflos, so hilflos, wie er es abends war, wenn er in seinem Bett lag und stumm schrie, schrie, daß er anders sei, kein Clown, kein Spaßvogel; er wollte ernstgenommen werden, warum konnte es keiner? Warum wollte es keiner?
So oft hatte er schon nach Antworten gesucht, so oft hatte er keine gefunden. Es mußte diese Antworten geben, doch wo, wo waren sie? War er nicht fähig, sie zu finden? Wollten sie nicht gefunden werden? Sollten sie eines Tages zu ihm kommen? Oder war der Zeitpunkt, an dem er sie aus eigener Kraft finden konnte, noch nicht erreicht?
Oder mußte er auf seinen Retter warten?
Wieder fand er keine Antwort.
Schweigend ging er zu Bett, schreiend schlief er ein, wohl wissend, daß er morgen wieder aufstehen, sich schminken und den Clown spielen würde.

 

Dejavú!

Ich war mir bis eben sicher, eine fast identische story gelesen und kritisiert zu haben. Sollte wohl weniger kiffen...

 

Bin gar nicht fett, das geschah gestern in der Rubrik Gesellschaft. Die Geschichte hieß "Beruf: Clown"

Komisch, dass ich hier nichts erwähnenswert Neues fand...

 

Danke sehr! Nun, da ich diese Geschichte bereits vor ca. 2 Jahren geschrieben habe, habe ich die Idee jedenfalls nicht geklaut, wenn ihr darauf hinauswollt.

 

Danke sehr! Nun, da ich diese Geschichte bereits vor ca. 2 Jahren geschrieben habe, habe ich die Idee jedenfalls nicht geklaut, wenn ihr darauf hinauswollt.

 

Die Idee ist sicher nicht geklaut. Ich spreche hier für mich, und ich für meine Person stelle mir nun einmal die Frage, wie sich der Clown, über den ich lache, mit dem ich lache, fühlt, wenn er die Maske sinken lässt, ob er immer fröhlich ist, ob er lieber weinen würde, ob er ein Mensch mit Zweifeln ist. So hinterfrage ich, und wohl auch Daphne, den Clown. Dass das vorher schon hunderte, meinetwegen tausende andere enbenso getan haben, ist gleichgültig, da es eine aus sich heraus entstandene Überlegung ist, die vielleicht schon hundertfach existiert, aber hundertfach in anderen Worten, mit anderer Schönheit, mit anderem Ausdruck. Der Clown kann die Metapher für so vieles sein, und wenn er kein subtiler, gewöhnlicher Clown ist, braucht er keinen Charakter, um ausdruchsstark zu sein.
Es kann nicht angehen, dass man eine Kurzgeschichte liest und wenn man fertig sit, die Erkeuchtung in den Händen liegen hat. Bezüge sehen ist ein Viertel, Phantasie ein anderes, Emotion und Fühlvermögen das dritte, Auffassungsgabe das letzte. Schubladendenken der Rest.
Und, wieviel bleibt dafür übrig?

 

Danke, Ally! Du hast gerade mein Leben gerettet!
Ähnliches wollte ich nämlich auch anfügen: Diese Geschichte sind MEINE Gedanken, und ich glaube nicht, irgendwo gelesen zu haben, daß ich dazu verpflichtet bin, bevor ich etwas poste, zu gucken, ob dieses Thema schon einmal behandelt wurde.
Denn im Unterschied zu anderen Foren geht es hier nicht darum, Fragen zu beantworten (wo es tatsächlich angebracht wäre, nicht zwanzigtausend Threads zu demselben Thema zu erstellen!), sondern seine Geschichten zu veröffentlichen, und nichts anderes habe ich getan.
Natürlich weiß ich, daß ich nicht die Erste mit diesen Gedanken über den Clown bin, aber ich habe diese Geschichte aus einem gegebenen Anlaß geschrieben, und daß ich sie hier veröffentlicht habe, geschah aus reiner Neugierde über die Meinungen anderer.
Und meiner Meinung nach kann man auch selbst hundert Geschichten über ein und dasselbe Thema schreiben, die ALLE anders ausfallen werden, weil keine ist wie die nächste. Die einen sind dann schlechter, andere besser, und angesichts der Tatsache, daß man immer noch Meinungsfreiheit hat, habe ich wohl auch das Recht, meine eigene Geschichte, die, ich sage es nochmal, vor 2 Jahren enstand, als ich mir zum ersten Mal wirklich Gedanken über den Clown, der hier noch nicht einmal zwingend den Zirkus-Clown meint, weil Maske und Schminken metaphorisch verwendet wurden, hierher zu stellen, ohne auf bereits vorhandene Clown-Geschichten Rücksicht zu nehmen.
Übrigens: Selbst Franz Kafka hat schon über Schein und Sein geschrieben. Schließen wir jetzt alle daraus, daß das Thema ein für alle Mal abgegrast ist?!
Eine etwas verärgerte Daphne

 

Ups, ja, auch meine Aussage hätte man missverstehen können. Ganz gewiss ist diese story nicht geklaut. Nur ein Zufall, dass ich grad einen Tag zuvor den anderen Clown kritisiert habe.
Selbstverständlich kann man alten Motiven immer wieder neue Facetten abgewinnen. Nur ist das meiner Meinung nach beiden Clowns nicht gelungen. Sie sind stereotyp.

 

Victor was born in spring of ‚44
And never saw his father anymore
A child of sacrifice, a child of war
Another son who never had a father after Leningrad

Went off to school and learned to serve the state
Followed the rules and drank his Vodka straight
The only way to live was drown the hate
A Russian life was very sad
And such was life in Leningrad

I was born in ‘49
A Cold War kid in the McCarthy time
Stop ‘em with the 38th Parallel
Blast those yellow reds to hell
And Cold War kids were hard to kill
Under their desks in an air raid drill
Haven’t they heared we won the war
What do the keep on fighting for?

Victor was sent to some Red Army town
Served out his time, became an circus clown
The greatest happiness he’d ever found
Was making Russian children glad
An children lived in Leningrad

But children lived in Levittown
And hid in the shelters underground
Until the Soviets turned their ships around
And torn the Cuban missiles down
And that bright October sun
We knew our childhood days were done
And I watched my friends go off to war
What do they keep on fighting for?

And so my child an I came to this place
To meet him eye to eye and face to face
He made my daughter laugh, then he embraced
We never knew what friends we had
Until we came to Leningrad
(Billy Joel)

Er ist ein aussagekräftiger Clown, ein ganz anderer Clown, keiner, der seiner Maske überdrüssig ist, keiner, der Glückseligkeit erreichen möchte; er ist ein gezeichneter Clown. Nicht vom Lachen seines Publikums, sondern vom Schicksal.
Mir nach ist das sowieso und überhaupt die schönste Aussage, die schönste Literatur (Okay, es ist ein Song, aber den Text hat er immerhin selbst verfasst.), in der die Figur eines Clowns verwendet wurde.

 

Noch etwas zum Thema Stereotypie:
Mein Clown ist stereotyp, jawohl, aber gerade damit drückt sich in meiner Literatenwelt die Hoffnungslosigkeit seines Seins aus. Er wurde da hinein gedrängt, und das Dilemma ist gleich doppelt:
Die Umwelt erwartet den stereotypen Clown: Den Dummen August.
Er selbst verharrt in seiner Einsamkeit.
Und da wird er bis auf weiteres wohl auch bleiben. Weil er, im Gegensatz zu der anderen Geschichte, nicht gerettet wird.
Denn so ist die Welt, denn es gibt nichts außer dem Normalfall, den man meinetwegen auch stereotyp nennen kann.
Daphne

 

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