Der Clown
Der Clown
Am Abend, wenn der Clown seine Maske ablegte und er sich selbst im Spiegel sah, überkam ihn immer wieder der Ekel vor sich selbst, vor dieser Rolle, die zu spielen er in alle Ewigkeit verdammt war. Er hatte sie nicht gewählt; sie hatten ihm keine Wahl gelassen. Einmal ein Clown, immer ein Clown.
Dieses Wesen, das Tag für Tag den Clown spielte, zur Belustigung der anderen, hatte nichts mehr mit dem Menschen gemeinsam, der abends erschien, nachdem die Schminke Stück für Stück vom Gesicht gewischt war. Er war nicht so, wie er den anderen erschien; anders, er war anders.
Kein Mensch hatte ihn je gesehen, den Menschen hinter der Maske. Sie sahen immer nur die Oberfläche, sie waren ja so oberflächlich, gingen auf niemanden genauer ein, und schon gar nicht auf einen Clown, dessen Charakter ja so offensichtlich schien.
Vielleicht hatte er sich diese Rolle ja deswegen ausgewählt. Vielleicht hatte er Angst, sein wahres Gesicht zu offenbaren. Er war sich dessen selber nicht mehr sicher.
Er hoffte immer noch, daß eines Tages jemand kommen würde, ihn anrühren und aus seiner Lethargie, aus seiner Rolle und seiner Scheinwelt befreien würde. Aber genau so, wie er diesen Tag und diesen Menschen herbeisehnte, fürchtete er ihn, denn was würde ihm bleiben, wenn er nicht mehr der Clown war? Wer würde ihm bleiben?
Sie würden es nicht akzeptieren, nie, sie würden ihn hassen, nicht dafür, daß er sie angelogen hatte, sondern daß er diese Lüge aufgegeben hatte, den Vorhang ein für alle Mal geschlossen hatte.
Sie liebten das Schauspiel, sie liebten sein Schauspiel, aber sie liebten nicht ihn. Sie konnten nur seine Rolle lieben, nicht aber ihn, weil sie ihn gar nicht kannten.
Früher hatte er nie das Bedürfnis gehabt, sich anderen zu öffnen; er hatte Angst gehabt.
Dann war es zu spät gewesen. Keiner hätte ihm mehr zugehört. Keiner hätte es wahrhaben wollen, daß er, der umjubelte, beliebte, geliebte Clown auch sehr ernst sein konnte, auch ernst sein wollte. Er nahm viele Dinge ernst, auch wenn es nie so schien.
Es war ein Selbstschutz gewesen, diese Rolle des Clowns, ein Schutz vor der grausamen Ralität. Er hatte Freunde gesucht, aber er konnte sie nur finden, indem er ihnen etwas vorspielte, indem er Scherze machte, sich ihnen anpaßte und auf ihren Level begab. Er wollte es nicht; er wollte es nie.
Aber was blieb ihm jetzt? Er hatte keine andere Wahl; noch mußte er weiterspielen.
Was, wenn eines Tages der Retter kam? Würde er sich diesem Menschen öffnen, auf seine Hilfe vertrauen? Würde dieser Mensch ihm unter die Arme greifen, ihm zur Seite stehen, ihn auf den ersten, ungleich schwersten Schritten stützen?
Wenn nicht, würde er nicht einmal den ersten Schritt bewältigen. Er würde zusammenbrechen, untergehen, und sie, sie würden ihn treten, ihn auf die Beine zerren, ihn schminken und zwingen, den Clown zu spielen. Wie er es doch schon immer getan hatte.
Alleine war er so hilflos, so hilflos, wie er es abends war, wenn er in seinem Bett lag und stumm schrie, schrie, daß er anders sei, kein Clown, kein Spaßvogel; er wollte ernstgenommen werden, warum konnte es keiner? Warum wollte es keiner?
So oft hatte er schon nach Antworten gesucht, so oft hatte er keine gefunden. Es mußte diese Antworten geben, doch wo, wo waren sie? War er nicht fähig, sie zu finden? Wollten sie nicht gefunden werden? Sollten sie eines Tages zu ihm kommen? Oder war der Zeitpunkt, an dem er sie aus eigener Kraft finden konnte, noch nicht erreicht?
Oder mußte er auf seinen Retter warten?
Wieder fand er keine Antwort.
Schweigend ging er zu Bett, schreiend schlief er ein, wohl wissend, daß er morgen wieder aufstehen, sich schminken und den Clown spielen würde.