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Der Dämon in mir

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02.09.2004
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Der Dämon in mir

Wenn ich mal wieder im Bett liege, mich erbrechen muss, es nicht mehr bis zur Toilette schaffe und daher den bereitgestellten Eimer benutze, - wenn mein Nasenbluten den Ausmaßen der Niagarafälle entspricht, - wenn ich mich vor Schmerzen krümme und winde, - dann stirbt der Dämon in mir…

Sommer ´86
Es ist ein heißer, trockener Sommer. Ich bin neun. Ein glückliches aktives Kind, dem nichts besser gefällt, als mit seinen Freunden durch den Garten zu tollen. Der Rasensprenger ist unser liebstes Spielgerät. Immer und immer wieder laufen wir in diesen Tagen durch das erfrischende Nass, quietschend und gröhlend vor Vergnügen…
Das sind meine schönen Erinnerungen an den Sommer ´86. Aber es gibt auch andere Erinnerungen. Erinnerungen, die mich nachts plagen…
Besorgt bemerkt meine Mutter eines Tages die vielen blauen Flecken, mit denen mein gesamter Körper übersät ist. Mein Vater, Allgemeinmediziner beruhigt sie: Das sei doch ganz normal in meinem Alter. Beim Toben mit Freunden blieben solche Blessuren nun mal nicht aus. Eine klassische Fehleinschätzung. Diese Fehleinschätzung besiegelt den Tod ihrer Ehe.
Es bleibt nicht bei den Hämatomen. Im Laufe der nächsten Wochen kommen ständiges Nasenbluten, Appetitlosigkeit und Abgeschlagenheit hinzu. Meine Mutter wird langsam hysterisch – auch mein Vater kommt mittlerweile zu einer anderen Einschätzung der Situation: An einem Mittwoch Ende August fahren wir ins Krankenhaus. Alle gemeinsam. Nachdem mein Vater am frühen Vormittag die Ergebnisse meiner Blutuntersuchung erhalten hat. Er lächelt, als er mir erklärt, dass auch andere Ärzte mich noch untersuchen müssten, damit ich wieder gesund werden könnte. Noch heute kann ich das Gesicht meines Vaters vor meinem inneren Auge sehen, als ich ihn damals frage: „Bin ich denn krank? Aber ich hab’ doch gar kein Fieber...“ Anstatt zu antworten, streicht mein Vater mir mit seiner großen, schlanken Hand über das Haar. In diesem Moment ahne ich bereits, dass es sich nicht um einen einfachen Schnupfen handeln kann.
Denn zwischen mir und meinem Vater gibt es sonst nie den Austausch von Zärtlichkeiten. Seine Hand auf meinem Kopf beunruhigt mich mehr, als es irgendeine seiner ärztlichen Erklärungen hätten vermögen können.
Und habe ich in diesem Moment auch noch nicht vollständig begriffen, dass es womöglich um Leben und Tod geht, so wird es mir spätestens bewusst, als ich in das verweinte Gesicht meiner Mutter blicke, die sorgsam jeden Augenkontakt mit mir vermeidet. Stattdessen nimmt sie mich wortlos an die Hand. So fest, dass sie mir dabei fast weh tut.
Aber ich beschwere mich nicht. Der Schmerz in meiner Hand lenkt mich ab. Lenkt mich ab von den Überlegungen und der unbestimmten Angst, dass ich womöglich sterben könnte.

Auch wenn ich in diesem Moment noch nichts über meine Krankheit wusste, konnte ich mit meinen neun Jahren spüren, dass irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Im Nachhinein nehme ich meinen Eltern nicht übel, dass sie mir nicht bereits auf dem Weg ins Krankenhaus erklärt haben, was mit mir nicht stimmte – wie sollte man einem Neunjährigen auch erklären, dass er auf einmal Krebs hatte. Leukämie.
Womöglich sterben würde.
Von heute auf morgen aus seinem kindlichen Leben gerissen. Legosteine plötzlich gegen Spritzen und Chemotherapie ausgetauscht. Plötzlich tapfer und erwachsen sein zu müssen auch wenn man sich nichts mehr wünschte als im Schoß der Mutter bitterlich zu weinen.
Auf all’ dies konnten meine Eltern mich nicht vorbereiten – nicht auf dem Weg ins Krankenhaus – aber auch später nicht.
Ihre Ehe, ihre Liebe zerbrach an meiner Krankheit. Beide wurden, über die Angst mich zu verlieren, unfähig miteinander zu kommunizieren. Anstatt sich in ihrer Angst und Sorge um mich gegenseitig beizustehen, sich zu unterstützen, zogen sich beide in ihr eigenes, kleines Schneckenhaus zurück und ließen mich alleine. Draußen. Ausgesperrt. Zwischen den Stühlen, - mit meiner eigenen unbeschreiblichen Angst vor dem Tod.

Ich habe nie, bis heute fast zwanzig Jahre später, mit ihnen darüber geredet. Ich spüre eine gewisse Verbitterung. Und doch weiß ich, dass ich ihnen keinen Vorwurf machen kann. Immer wieder erlebe ich, wie schwierig es für andere Menschen ist, mit meiner Krankheit umzugehen – vor allem für die, die mir nahestehen. Sie haben Angst sich emotional einzulassen. Den unerträglichen Schmerz zu erfahren, wenn ich sterben würde.
Ich verstehe das.
Aber es bedeutet für mich seit zwanzig Jahren ein Leben in Einsamkeit, in emotionaler Isolationshaft. Niemand hat den Mut darauf zu vertrauen, dass ich die Krankheit vielleicht besiegen könnte.
Zweimal galt ich schon fast als geheilt, hatte die magische Grenze von fünf Jahren ohne Rückfall bis auf wenige Wochen erreicht...
In der Zeit war mein Dämon stark.
Aber dann war es doch wieder soweit: Ich bin Profi geworden.
Darin, schlechte Nachrichten in den Gesichtern von Menschen zu lesen. Auch wenn Ärzte immer lächeln. Ich kann bereits bevor sie es aussprechen die Diagnose in ihren Augen lesen.
Er ist zurück. Mein Krebs. Auch jetzt.
Wieder.

Ich bin neunundzwanzig. Wenn es meine Therapie und der Zustand meines Körpers zulassen, studiere ich. Medizin. Ich hatte noch nie eine Freundin, konnte meinen Führerschein bisher nicht machen, werde seit zwanzig Jahren von einer Krankheit beherrscht. Eine Krankheit, die mich offensichtlich weder sterben noch leben lassen will...
Aber an Tagen an denen ich mich so fühle wie heute, ist mein Dämon stark.
Vielleicht schaffe ich es ja doch irgendwann ein normales Leben zu führen...
Doch dann kommen die Tage nach der Chemo – ich weiß nicht einmal, die wievielte es mittlerweile ist – und ich schaffe es nicht alleine aufzustehen. Mein Zimmer, mein Körper, alles stinkt nach Kotze, ist voller Blut. Und ich ekele mich vor dem was ich bin. Ein Wrack. Finde alles sinnlos. Unnütz die Quälerei zu ertragen.
An solchen Tagen kann ich spüren, wie er stirbt – der Dämon in mir.
Meine Hoffnung.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hmmm, eine Leidensgeschichte ist m.E. noch keine Geschichte, die sich zu erzählen lohnt. Und viel mehr kann ich aus dem Text nicht herauslesen.

Mit dem Text hast Du die Skizze, die Lebensumstände eines Charakters entwickelt. Vielleicht nutzt Du diese fiktive Realität, um in ihr eine Geschichte spielen zu lassen.

Nachtrag: Die Pointe, daß es sich beim Dämon um die Hoffnung handelt, ist eher schwach.

 

Hallo Honkine,

du hast dir ein sehr ernstes Thema für deine Geschichte auserwählt. Manches hört sich an, wie selbst erlebt.

Ansonsten kann ich deiner Geschichte nicht viel abgewinnen, weil es für mich eben eher keine Geschichte ist. Du erzählst alles nach, als würdest du es in ein Tagebuch schreiben oder es im Gespräch jemandem mitteilen. Stattdessen solltest du dich bemühen, tiefer auf die Gefühle etc. des Prot. einzugehen. Du könntest auch ein paar Dialoge einbauen. Das würde die Geschichte viel lebendiger und lesenswerter machen.
Die Isolation deines Prot, die du später erwähnst, könntest du anhand eines konkreten Beispiels verdeutlichen - vielleicht gibt es eine bestimmte Frau/Mann, den er gut findet und sich nicht traut ihn anzusprechen. Vielleicht schmachtet er ihn/sie von der Ferne an etc.

LG
Bella

 

Hallo Ihr,
vielen Dank für Eure ausführliche Kritik. Ich werde den Text auf jeden Fall noch mal überarbeiten - wobei ich persönlich gerade diese nackte Beschreibung der Krankengeschichte ganz spannend fand (mag an meiner "Wissenschaftler-Natur" liegen :shy: ).
Ich habe übrigens nichts davon selber erlebt, wollte aber durch die Geschichte zeigen, dass man irgendwann einen Punkt erreichen kann, an dem man Hoffnung als etwas sehr Negatives empfindet.
Na ja, werde jetzt mal über ein paar Veränderungen nachdenken...
Viele Grüße,
Nadine

 

Hallo,

ich finde deine Geschichte sehr eindringlich und deinen Stil gut.
Du kannst ja für dich entscheiden, ob ein anderer Tempus/Auktorialer Erzähler vielleicht noch mehr zu dieser Eindringlichkeit beitragen würde.

Ich persönlich glaube, dass du die Spannung in der Geschichte dadurch noch erhöhen könntest.
Vielleicht auch eine aktuelle Situation hinzufügen, die direkt vor Augen führt welchen Einfluss die Krankheit auf das Leben des Protagonisten hat. Die Hoffnung und die Qual die daraus entsteht, kann zum Beispiel eine Rahmenhandlung bilden für die Geschichte. Es bietet sich in dem Fall an mit Rückblenden zu arbeiten, dann könntest du den gewählten Tempus beibehalten und auch etwas von der daraus entstehenden Eindringlichkeit bewahren.

Noch eine Anmerkung: 9 Jährige sind (nach meiner persönlichen Erfahrung) durchaus schon sehr verständig, ich bin meist selbst überrascht wie sehr.
Vielleicht würde es den Character des Prot noch etwas glaubhafter machen, wenn er jünger wäre (z. B. so 6-7). Ist nur so ein Gedanke. Musst du natürlich wissen, wirst dir ja dabei schon etwas gedacht haben.

Soweit von mir,

Gruss A.

 

Hallo auch nochmal, :)

ich habe mich beim Alter tatsächlich an meinem Nachbarsjungen orientiert - wir unterhalten uns oft. Er ist ein cleverer, aufgeschlossener Junge. Aber genau wie Angua beschrieben hat, habe ich bei ihm auch das Gefühl, dass er zwar weiß, dass Krebs eine schlimme Krankheit ist, an der man sterben kann - aber er würde sich nie vorstellen können, dass ER an Krebs sterben könnte.
Viele Erwachsene können eine solche Krankheit nicht begreifen, wie soll man dann eine solche Übertragungsleistung von einem Neunjährigen erwarten?
Allerdings habe ich auch sonst nicht so viele Berührungspunkte mit Kindern dieses Alters. Von daher habe ich meinen Charakter einfach fiktiv gewählt.
Also vielen Dank nochmal für Eure Kommentare und Anregungen. Ich überarbeite schon fleißig...
LG, Nadine

 

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