Der Einkauf
Versuchung is überall. Sie kriecht durch deine Haut, durch die Augen, überlistet alle Sinne. Dann dringt sie vor bis in dein Hirn und knistert und prickelt dort unaufhörlich.
Jedesmal, wenn sich die Türen des Supermarkts mit einem leisen wusch öffnen, überkommt mich dieses Gefühl. Es ist Hochsommer. Die Klimaanlage summt und durch die Lautsprecher tönt Musik. Jeder kennt dieses typische Geräusch, wenn die Waren an der Kasse gescannt werden. In nicht ganz regelmäßigen Abständen übertönt es das Stimmengewirr und das Geklapper der Einkaufswägen.
Ich schließe die Augen, genieße die Kühle und prompt meldet sich mein Magen mit einem sehnsuchtsvollen Knurren.
Es kostet mich einiges an Überwindung, an den Regalen mit dem Gebäck vorbei zu gehen. Der köstliche Duft von weichem Brot nebelt mich ein und ich beschleunige meine Schritte. Ich habe nur einen fünf Euro- Schein in der Hosentasche und der muss reichen – für alles. Eine Packung abgepackte Brötchen stopfe ich mir trotzdem unter die Klamotten. Ab diesem Punkt muss es schnell gehen.
Am Süßigkeitenregal grinsen mich die bunten Bärchen und Häschen auf den Verpackungen hämisch an. Mama hat mir nie welche gekauft, und ich wusste, dass ich auch mit Betteln nicht weit kam. Mama brauchte für sich selbst ja auch keine Süßigkeiten, nur Zigaretten. Mama ist schon lange tot –Lungenkrebs. So grausam spielt das Leben. Ich würde mir gerne eine Packung Gummibärchen mitnehmen, oder eine Tafel Schokolade. Schon steckt eine Tüte saure Colafläschen unter meiner viel zu großen Lederjacke. Viel zu dick für den Sommer. Und weiter.
Weinflaschen, Bierflaschen, Wodka, Whiskey und das andere Zeug. Hoffentlich bringt Marc heute Abend auch wirklich was mit. Ich habe keine Lust stocknüchtern am Bahnhof zu hocken und die stinkende laue Sommerluft zu verfluchen. Alkohol, du bist mein schlimmster Feind und schaffst es doch immer wieder, mein Vertrauen zu gewinnen. Ein fetter Anzugmensch begutachtet irgendeinen Rotwein. Verabredung – sie bestimmt genau so fein wie er. Vielleicht genau so fett. Beides Idioten.
Hallo Tempotaschentücher, Hallo Shampooflaschen, Hallo Einwegrasierer. Ich bin nicht stolz auf das eingetrocknete Blut auf dem Boden im Bahnhofsklo. Es ist meines und ich muss damit leben, dass es meines ist. Lieber schnell weiter.
Es ist nicht allzu schwer, einen Joghurtbecher, fünf Päckchen Tütensuppe und ein Doppelpack Wiener Würstchen unter eine Jacke zu quetschen. Alles eine Frage der Routine. Und schon ist die Kasse nicht mehr fern.
Ich kaufe mir die billigsten Kaugummis, die es gibt und frage nach Zigaretten. Ich zeige Elas Ausweis, sie ist zwei Jahre älter als ich und mit Zopf sehe ich ihr verdammt ähnlich. Danach fühle ich mich seltsam leer und kraftlos. Dabei ist es ist kein neues Gefühl. Eher erschreckend vertraut.
Gerade, als ich durch den Ausgang verschwinden will, graben sich spitze Fingernägel in meine linke Schulter. „So geht das nicht Mädchen.“, warnt mich eine kalte Stimme.