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Der Einsame

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28.11.2005
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Der Einsame

Es dämmerte bereits, als der einsame Mann sich aus seinem grünen Ledersessel erhob und auf das Bücherregal zuging, das fast eine ganze Wand einnahm.
Das Regal, das einzige Objekt in seiner Wohnung, dem er das Attribut wertvoll beimessen würde, hatte er sich vor Jahren, kurz nach seinem Einzug, von einem Betrieb für gehobenen Bürobedarf, für teures Geld nach helvetischem Patent, anfertigen lassen.
Es hatte vier Ablagen, die von drei Vertikalen abgeteilt waren, wodurch sechzehn miteinander verbundene Holzquadrate entstanden, in denen jeweils rund zehn gebundene Bücher Platz fanden.
Die Längsreihen waren nummeriert, die Querreihen alphabetisiert.
Das oberste Quadrat links hatte somit die Bezeichnung A1, das unterste Quadrat rechts wurde als D4 angeführt.
Die Gliederung seiner Literatur erfolgte weder chronologisch noch genrespezifisch oder alphabetisch, wie es von den meisten bevorzugt zu werden schien, sondern nach einem simplen, äußerst effizienten und körperschonendem System.
In den Quadraten B2 und B3 befanden sich die Größten, die größten Werke der größten Dichter, zumindest nach seiner persönlichen Meinung, die natürlich die einzige von Bedeutung war.
Hier standen die Werke des wieder vergessenen Canetti, des oft fehlinterpretierten Kafka, des Visionärs Dick oder des brillanten Selbstmörders Zweig.
In den Quadraten A2 und A3 befanden sich Werke Großer, denen er aufgrund von Kleinigkeiten wie Platzmangel den Platz an der Sonne beziehungsweise auf Augenhöhe verwehrte.
Dazu zählte er den großen Alten und den von der breiten Öffentlichkeit zu geringgeschätzten Ha Jin.
Die Quadrate B1 und B4, sowie C2 und C3, die die „Parabel der ewigen Talente“, wie er sie bei sich nannte, bildeten, waren angefüllt mit begabten Literaten, welche er meist mit großem Vergnügen las, die aber nie in den inneren Kreis der Titanen aufsteigen würden, was einerseits daran lag, dass einige von ihnen bereits verstorben waren und andererseits an den Schreibenden selbst, denen das fehlte was man gemeinhin als Genie bezeichnete.
Zu ihnen zählte der einsame Mann den verfemten Bukowski und den leider in Vergessenheit geratenen Jurek Becker.
Der äußeren Kreis, den die Quadrate A1 und A4 sowie C1 und C4 bildeten und der wohl eher eine Ellipse war, wurde von den Größen der Unterhaltungsliteratur gebildet, denen sich der Einsame gerne hingab.
Das unterste Regal war schwarz gestrichen, um es von den anderen abzusondern.
Denn im „Untersten“, wie er es abfällig bezeichnete, befanden sich die Fehlgriffe, die er sich geleistet hatte und vor deren Anblick er sich mittels eines rabenschwarzen Vorhangs schützte.
Natürlich könnte er diesen Schund, ihn als Literatur zu bezeichnen, verwehrte sich der einsame Mann, auch auf vielfältigste Weise loswerden.
Er könnte die Unteren verkaufen oder an öffentliche Büchereien verschenken, doch der Gedanke dafür verantwortlich zu sein, dass jemand, der vielleicht ebenso viel Geschmack hatte wie er aufgrund seines Verschuldens Stunden seines Lebens diesem Leblosen opferte, hielt ihn davon ab.
Er könnte dieses Unwerk auch wegwerfen.
Doch was wenn ein hungriger Obdachloser es bei seiner Suche nach Essbarem fände, es als erfreuliche Ablenkung von seinem tristen Alltag sehend, mitnähme und seinen geschwächten Geist mit diesem Tand belastete?
Nein, nein, nichts dergleichen würde er tun.
Die Untersten sollten ihm eine Mahnung sein, damit er Großes als Großes zu erkennen fähig blieb und es auch zu schätzen wusste.

Aus diesem soeben beschriebenen Regal entnahm der Einsame nun ein Buch, dessen Verfasser sich, nach jahrelangem Bemühen einen Verleger für seinen Erstling zu finden, aus Verzweiflung umgebracht hatte und erst, dank der Beharrlichkeit seiner Mutter, posthum Würdigung fand.
Das Buch war, wie sein Besitzer, nicht mehr in bestem Zustand.
Der papierne Schutzumschlag hatte zwar seinem Zweck gedient und den Einband vor Verunreinigung jeglicher Art bewahrt, selbst jedoch wies er den einen oder anderen Fleck auf, war an verschiedensten Stellen eingerissen und durch den Schweiß und die Wärme der Hand des Leser an manchen Stellen entfärbt.
Doch den viel schlimmeren Schaden, den Einband konnte man notfalls austauschen, hatte ein vergangenes Laster des Einsamen angerichtet: das Rauchen.
Die Seitenränder des Buches, und nicht nur dieses, einst strahlend weiß, waren nun von einem unappetitlichen braun, das ihn jedes Mal in der Seele schmerzte, wenn er dessen gewahr wurde.
Wie hatte er nur dermaßen verantwortungslos sein können, etwas Hochgeistiges mit etwas zutiefst Weltlichen zu entstellen.
Es sollte ihm eine Lektion für sein Leben sein.
Als er nun das Buch in Händen hielt, trug er, wie er es von Kiens Wirtschafterin gelernt, weiße Glacehandschuhe.
Das Buch, der fassbare Teil davon, war natürlich nicht mehr zu retten, doch hatte der Einsame sich geschworen, nie wieder ein Werk der Literatur mit seinen unreinen Händen anzugreifen, im doppelten Wortsinn.

Er bequemte sich in seinen grünen Lederfauteuil, schlug des verwichenen Amerikaners Werk auf und begab sich in das New Orleans der frühen Sechziger des zwanzigsten Jahrhunderts.


Der einsame Mann, geweckt vom Hämmern zweier Fingergelenksknochen an seine Wohnungstür, taumelte schlaftrunken Richtung dieser, die er, als er an seinem Ziel angekommen, öffnete.
Der unbekannte Schlafräuber hatte die Gestalt eines Briefträgers angenommen, der dem Einsamen einen amtlichen Beleg über die Zahlung mehrerer Strafzettel überreichte.
Der Einsame schloss die Tür, legte die Zahlungsaufforderung am nächstbesten Platz ab und begab sich in sein Schlafzimmer, wo er das Bett unberührt vorfand.
Er blickte an sich hinab und sah, dass er noch die selben Kleider anhatte, wie am vorigen Abend, als er es sich in seinem grünen Lederfauteuil mit einem Buch gemütlich gemacht hatte.
Er zuckte die Schultern, zog sich aus und legte sich ins Bett.

Wenige Stunden später wachte er wieder auf, bekleidete sich und ging in die Küche, wo er sich ein Mittagessen zubereiten wollte.
Es war halb eins. Nachmittag.
Im Kühlschrank fand er neben einer halbleeren Senftube nur ein leeres Essiggurkenglas vor, im Gefrierfach zwei Päckchen Tiefkühlgemüse und viel abzutauendes Eis.
Aufgrund dieser unerfreulichen Situation sah er sich gezwungen, einkaufen zu gehen.
Der Einsame griff in seine Hosentaschen und hielt kurz darauf ein benutztes Taschentuch, einen unleserlichen Notizzettel und ein wenig Wechselgeld in Händen.
Zu wenig, um seine Vorräte neu aufzufüllen.
Er ging durch seine Wohnung, suchte weiteres Geld.
Er durchsuchte herumliegende- und hängende Kleidung, Schränke und Schubladen, sowie Orte, die er vor längerer Zeit als Geldversteck benutzt haben könnte.
Was er fand, reichte, um sich, wenn er bescheiden einkaufte und auch dementsprechend spartanisch aß, mit Essen und Trinken für eine Woche zu versorgen.
Der Einsame versuchte sich an das gegenwärtige Datum zu erinnern, konnte es nicht und schaltete den Fernseher ein, gerade rechtzeitig, um den Nachrichtensprecher das aktuelle Datum vermelden zu hören.
Es würde noch knapp zwei Wochen dauern bis wieder Geld ins Haus kam, seine Mittel reichten jedoch nur für eine.
Wie hatte das schon wieder passieren können?
Hatte er sich für diesen Monat nicht einen Finanzplan aufgestellt, der es ihm ermöglichen würde bis Monatsende mit seinen geringen Mitteln auszukommen?
Er rauchte nicht mehr und kaufte nur noch zwei Bücher im Monat.

Er versuchte sich zu erinnern, ob er in den letzten Wochen vielleicht unvorhergesehene Mehrausgaben gehabt hatte, konnte es jedoch nicht, weswegen er schlussendlich das vorhandene Geld einsteckte, sich Schuhe und Jacke anzog und sich auf den Weg zum Supermarkt machte.
Als er aus der Tür des Wohnbaus trat, kam ihm die alte Frau entgegen, die im selben Stockwerk wohnte wie er.
Wie es ihm denn ginge, fragte sie.
Man lebt, brummte er.
Ob er vielleicht auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch sei, fragte sie.
War er nicht.
Der einsame Mann verabschiedete sich, umrundete die alte Frau, die versuchte das Gespräch, das längst beendet war, fortzusetzen und, als er nicht reagierte, ihm traurig nachsah.
Der Arme, sagte sie zu sich.
Lästiges altes Weib, dachte er, dem Drang widerstrebend zurückzublicken und sie die Abneigung, die er gegen sie empfand, von seinem Gesicht ablesen zu lassen.
Seine negativen Gefühle wichen bald der Freude, die er beim Anblick der ersten Frühlingssonne empfand, welche noch zu geschwächt war, um dem kalten Nordwind Einhalt zu gebieten, sich jedoch nicht zurückzog, sondern sich, im Wissen um die zukünftige Stärke, wieder und wieder durch die Wolkenwände kämpfte, die der Wind ihr vorschob und somit ihren Anspruch auf die Herrschaft am Himmelsgewölbe demonstrierte.
Ein Schauspiel, das den einsamen Mann Jahr für Jahr faszinierte, obwohl es, abgesehen vom Zeitpunkt der Aufführung, immer nach dem selben Drehbuch ablief.
Das Haupt gen Himmel erhoben, schritt er den Weg entlang und überhörte das Hupen des in einem Zustand ängstlicher Wut befindlichen Autofahrers, der im letzten Moment auf die Bremse gestiegen war und das Fahrzeug zum stehen gebracht hatte.
Der Einsame war, ohne es zu merken, über eine schmale Nebenstraße gegangen, deren Ende, an dem sich der Fußgängerübergang befand, durch die leichte Kurvenform des Fahrwegs und der auf linker Seite geparkten Autos schlecht einsehbar war, womit der Autofahrer an diesem Beinahunfall eine Teilschuld trug, da er offensichtlich zu schnell unterwegs war, um den Wagen vor dem Zebrastreifen zum Stehen zu bringen.
Das Auto war nämlich, trotz harter Bremsung und trockenen Untergrunds, auf die kreuzende Hauptstraße gerutscht, die zur Mittagszeit glücklicherweise geringer frequentiert war, wodurch Schlimmeres verhindert wurde.
Der Einsame, den nur ein Schritt vor einem längeren Krankenhausaufenthalt bewahrte, wurde am Hinterteil vom Außenspiegel des vorbeirutschenden Fahrzeugs gestreift.

Der Supermarkt den der Einsame, so Mittel zum Erwerb käuflicher Waren zu seiner Verfügung standen, aufsuchte, befand sich in einem Seitengebäude eines Siedlungsbaus, präziser in dessen Parterre, in dem sich auch eine Trafik angesiedelt hatte.
Die Geschäftsräumlichkeiten waren, im Vergleich zu denen anderer Betriebe des Lebensmitteleinzelhandels, von recht bescheidener Größe, doch fand der einsame Mann dort alles, was er für sein tägliches Leben benötigte.
Er bemächtigte sich eines Einkaufswagens, durchfuhr die sich automatisch öffnende Wegsperre und passierte, ohne sie zu beachten, die dahinter befindliche Abteilung mit Körper- und Zahnpflegemitteln .
Der Einsame verwandte zur Reinigung seines Körpers nur Seife, die er noch vorrätig hatte, und diese nur recht selten.
Die Pflege seiner Zähne hingegen war ihm, seit ihm ein eitriger Zahn als Kind Höllenqualen bereitet hatte, sehr wichtig, weswegen er immer ausreichend mit Zahnpasta, -seide und –spülungen versorgt war.
Dem anschließenden Cerealienregal entnahm er mit routinierten Griffen zwei Großpackungen Vollkornflocken, einem, den Raum begrenzenden, Kühlregal zwei Packungen Frischmilch, Magerkäse und verschiedene Sorten Aufstrichkonserven, aus den darüber befindlichen Hängekühlschränken Fisch und, heute verlangte es ihn danach, eine Tiefkühlpizza mit würzigem Belag.
Am Weg zur Kassa machte er noch einen kleinen Umweg, auf dem er einen Laib Ährenbrot, eine köstliche Sorte, deren Teig nicht so schnell austrocknete, mitnahm.
Nachdem er gezahlt und die Quittung kontrolliert hatte, man wusste ja nie, fand er in seinem Einkaufswagen billigen Hochprozentigen vor.
Er überprüfte die Rechnung erneut und fand die Alkoholika aufgelistet.
Wann hatte er die denn in den Wagen getan?
Hatte sie vielleicht jemand anderer in seinen Einkaufswagen geschmuggelt, in der Hoffnung, dass er es nicht bemerken und sie bezahlen würde, um sie ihm dann auf der Straße oder noch im Geschäft wieder abzunehmen?
Nein, das erschien ihm zu absurd.
Er ging, mit der Quittung in der Hand, zurück zur Kassa, um die Kassiererin zu fragen, ob er die Flaschen retournieren könnte und im Gegenzug dafür sein Geld zurückbekäme.

Als er zu seinen Einkäufen zurückkam, hatte er von seinem letzten Geld eine Packung Kaugummi und eine Plastiktragtasche gekauft.

Von seinem Einkauf zurückgekehrt, der Heimweg war, aufgrund der durch das zusätzliche Gewicht der Wodkaflaschen erheblich schwereren Tragtasche und der Kraftlosigkeit seiner in letzter Zeit schlaff und träge gewordenen Muskeln, sehr lang gewesen, ließ er die Tasche zu Boden und sich, mit einer der Flaschen in der Hand, in das grüne Lederfauteuil fallen, verblieb so einige Minuten und trank schließlich, zur Erfrischung, die Hälfte des Hochprozentigen mit wenigen Schlucken.
Eine halbe Stunde und einige Schlucke später, mit denen er die Flasche vollends leerte, erhob sich der einsame Mann von seiner liebsten Sitzgelegenheit, musste sich jedoch gleich wieder hinsetzen und kurz ausruhen, da ihm sein Kreislauf einen Streich zu spielen schien, um dann beim zweiten Versuch erfolgreich zu sein.
Er räumte die erworbenen Nahrungsmittel, mit einiger Mühe, ein und schob dann die Pizza in den zuvor erhitzten Backofen.

Während er darauf wartete, dass seine Frühnachmittagsmahlzeit essfertig wurde, machte er es sich im Wohnzimmer bei seinen Büchern bequem.
Er liebte es, die Bücher einfach nur anzusehen, mit seinen Augen über die vielfarbigen Buchrücken zu gleiten, die vertikal gedruckten Namen und Titel zu lesen, die Verlagssymbole zu betrachten, sich Erinnerungen an die Leseerlebnisse wachzurufen und in seinem Kopf Fragmente seiner Lieblingsdichtungen abzuspielen und nach eigener Vorstellung fortzuführen.
Die Größten waren für ihn von besonderer Bedeutung.
Jedes Mal, wenn er sie ansah, empfand er ein intensives Gefühl der Ehrfurcht und des Stolzes.
Dass sich so etwas Bedeutendes, so Hochgeistiges in Besitz eines dermaßen Unwürdigen, eines Mannes von beschränktestem Geist, befand, dass er etwas sein Eigen nennen konnte, das so weit über ihm und den meisten anderen stand.
Lebendiges, dass nur die Gesegneten zu erschaffen fähig waren, denen das Tote, das Leben genannt, fern war.
Das Regal war das Kreuz des Einsamen, die Größten seine Märtyrer, die er um Erleuchtung bat, anflehte, welche ihm bis dato verwehrt blieb.

Die Pizza, die ihm ein wenig zu knusprig geraten war, er bevorzugte weichen, flaumigen Teig, nahm er an dem kleinen Tisch zu sich, den er vor einiger Zeit an das Wohnzimmerfenster gestellt hatte.
Die Sonne hatte sich für diesen Tag zurückgezogen und den Wolken den Weg freigemacht, die nun den Himmel über der Stadt bekleideten.
Von seinem Fenster im ersten Stock hatte der Mann eine ideale Sicht auf den Innenhof auf dem gerade einige Kinder mit einem Ball spielten.

Einen der Jungen kannte er.
Seine Mutter hatte sich, in der Zeit kurz nach seinem Einzug, regelmäßig in aller Öffentlichkeit mit ihrem Mann gestritten und ihn schlussendlich sogar aus der gemeinsamen Wohnung geworfen.
Warum sie stritten, darüber gab es zwei Thesen, die die Anrainer, ebenso regelmäßig wie öffentlich, debattierten.

Die einen sagten, er trinke zuviel in letzter Zeit.
Die anderen widersprachen, er ginge fremd, spätnachts oder gar erst frühmorgens käme er heim.
Manche verbanden die beiden Thesen zu einer und behaupteten, er betrinke sich nach der Arbeit in einem Lokal, das er meist in fragwürdiger weiblicher Begleitung verließ.

Wie auch immer, der Mann war weg, die Frau allein und der Sohn spielte Ball mit zwei anderen Kindern.
Einem der Kinder riss der Wurf ab, der Ball flog gegen die Mauer, von wo er abprallte und dem Jungen vor die Füße sprang, der dieser Gelegenheit nicht widerstehen konnte und das Rund Volley nahm.
Der Ball sauste durch die Luft und fand nach kurzem Flug sein Ziel im Gesicht des dritten Kindes, eines Mädchens, wie der Mann von seinem Beobachtungsposten aus unschwer erkennen konnte.
Im ersten Augenblick waren alle stumm vor Schreck, doch dann stieß das Mädchen einen Schrei aus, der dem Mann durch Mark und Bein ging.
Das Mädchen fing an zu weinen, Tränen flossen an ihrem schmerzverzerrtem Gesicht hinab und vermischten sich mit dem Blut, das aus ihrem Näschen rann.

Der Schmerz war in ihre Welt getreten.
Er würde bald, spätestens am nächsten Tag, vergessen sein, doch verschwinden würde er nie, sondern lauern, geduldig auf seinen nächsten Auftritt, wahrscheinlich in anderen Kleidern, warten.
Das hatte der Mann im Laufe seines Lebens gelernt, lernen, erfahren müssen.
Die, seit einigen Monaten alleinerziehende, Mutter des Jungen kam aus dem Haus gegenüber gestürzt, kniete sich vor das kleine Mädchen, tröstete es, wischte ihm vorsichtig mit dem Ärmel ihres Pullovers Blut und Tränen aus dem Gesicht und bedeckte es mit sanften Küssen.
Sie befragte ihren Sohn, der nach seinem unglücklichen Treffer versucht hatte, das Mädchen zu beruhigen, zitierte dann den anderen Jungen zu sich und ohrfeigte ihn, was diesen völlige unerwartet traf, da er sich keiner Schuld bewusst war.
Der nun weinende Junge und das Mädchen wurden von der Frau energisch in das Haus gezogen, während ihr Sohn hinter ihr folgte.
Der Mann, der die ganze Szene aufmerksam verfolgt hatte, lachte schadenfroh.
Großartiger Junge, dachte er bei sich, den Sohn der Frau meinend.

Nachdem der Mann seine Pizza verzehrt hatte blieb er noch einige Zeit, den Rest des Nachmittags, am Fenster sitzen und beobachtete den Innenhof, wartete auf weitere erheiternde Ereignisse.
Es sollte jedoch nichts ungewöhnliches mehr passieren.
Das Mädchen, das vom Ball getroffen und der Junge, der ungerechtfertigterweise geohrfeigt wurde, wurden kurze Zeit später von einer Frau abgeholt, die ihre Mutter sein musste.
Sie waren Geschwister, wer hätte das gedacht.
Die Frau schien ziemlich erregt zu sein, zerrte sie die beiden doch ebenso energisch mit sich, wie zuvor die alleinerziehende Mutter.
Vielleicht hatte ihr Sohn ihr die Wahrheit erzählt, erzählt wer ihrer Tochter wirklich den Ball ins Gesicht geschossen hatte, woraufhin sie von dem Jungen eine Entschuldigung und von der Mutter eine angemessene Bestrafung verlangte hatte, was einen Streit ausgelöst haben könnte, da die alleinerziehende Mutter ihrem Sohn natürlich mehr Glauben schenkte als einem ihr fremden Kind.

Was auch geschehen sein mag, nun waren die Darsteller von der Bühne abgegangen, der erste Akt beendet und der zweite wurde von dem Mann hoffnungsvoll erwartet.
Der zweite, bis in die Dämmerung dauernde Akt, war jedoch äußerst enttäuschend.
Konnte der erste noch mit unerwarteten Ereignissen und überraschenden Wendungen aufwarten, war der zweite hingegen dermaßen routiniert, im Sinne von einfallslos, inszeniert und von einem offensichtlich ebenso routinierten Schreiber verfasst, dass der Mann sich die Wartezeit auf den, hoffentlich originelleren, letzten Akt, mit dem einen oder anderen Schlückchen Hochprozentigen verkürzte.

Der zweite Akt nämlich handelte von nichts anderem, als von heimkehrenden oder das Heim verlassenden Personen jeden Alters.
Noch vor Ende des zweiten war der Mann eingeschlafen, Ergebnis der Verbindung Alkohols mit einem geistlosen Stück.

 

Hallo Miller,

herzlich willkommen auf kg.de.

Ich weiß ja gar nicht, ob ich überhaupt "DU" sagen darf, bei dem Schreibstil in deiner Geschichte. Aber ich erlaube es mir trotzdem.
Da du den Schreibstil durch die ganze Geschichte gezogen hast, war er nur am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig. Manchmal habe ich schon bei einem sehr langen verschachtelten Satz den Überblick verloren und musste ihn nochmals lesen.

Inhaltsmäßig beschränkst du dich auf den Tagesablauf eines einsamen Mannes, der noch nicht einmal einen Namen bekommen hat. Zunächst habe ich gedacht, es handele sich um einen Archivar, so wie du die Ordnung der Bücher beschrieben hast. Vielleicht war er sogar einer, was allerdings aus der Geschichte nicht vervorgeht.
Manche Stellen haben mich auch zum Schmunzeln gebracht, vor allem, dass der die Bücher, die er für Schund hält hinter einem schwarzen Vorhang verbirgt. Aber ich war auch schockiert, als ich erfahren musste, dass der Mann, mit dem man am Anfang sogar etwas Mitleid haben konnte, im Endeffekt ein Trinker war. Denn eine ganze Flasche Wodka zu trinken und dann anschließend noch seine Einkaufssachen verstauen zu können, das heißt wohl, dass er Alkoholiker ist. Ich brauch nur an einer Flasche zu riechen, dann bin ich schon bedient.

Zusammenfassend möchte ich sagen, dass mich dein Schreibstil etwas an die Klassiker erinnert hat. Vielleicht liege ich da auch falsch, denn die habe ich nur in meiner Schulzeit lesen müssen. Und die liegt schon ein bisschen zurück. Das einzige, was ich in der Geschichte vermisst habe, das ist die Spannung. Sogar die Szene mit dem Ball kam nicht wirklich spannend rüber.

Aber warte noch andere Kritiken ab. Da du ja schon selbst kritisiert hast, werden sie nicht ausbleiben.

Bin auf weitere Geschichten von dir gespannt.

Viele Grüße
bambu

 

Hallo bambu,

Ich danke dir für deine Kritik.
Dass du meinen Schreibstil als altmodisch und kompliziert empfindest, finde ich interessant, da ich mir bisher nie Gedanken über meinen Schreibstil gemacht habe.
Dass es dieser Geschichte an Spannung mangelt, stimmt allerdings, jedoch war das auch nicht das Ziel der Erzählung.
Der "Unfall" mit dem Ball sollte auch nicht als kleine "Actionsequenz", sondern als Möglichkeit einen kurzen Einblick in die Gedanken-und Gefühlswelt des Einsamen zu werfen dienen.

MfG

Miller

 

Hi Monsieur Miller,

auch von mir ein herzliches Willkommen hier auf kg.de.
Jetzt wollen wir mal sehen, was du so schreibst.

In den Quadraten A2 und A3 befanden sich Werke Großer, denen er aufgrund von Kleinigkeiten, (Komma weg)wie Platzmangel,(Komma weg) den Platz an der Sonne beziehungsweise auf Augenhöhe verwehrte.

Dazu zählte er den großen Alten und den von der breiten Öffentlichkeit zu geringgeschätzten Ha Jin.
Ich weiß nicht, wen du mit dem großen Alten meinst.

Die Quadrate B1 und B4, sowie C2 und C3, die die „Parabel der ewigen Talente“, wie er sie bei sich nannte, bildeten, waren angefüllt mit begabten Literaten, welche er meist mit großem Vergnügen las, die aber nie in den inneren Kreis der Titanen aufsteigen würden, was einerseits daran lag, dass einige von ihnen bereits verstorben waren und andererseits an den Schreibenden selbst , denen das fehlte was man gemeinhin als Genie bezeichnete.
Du machst allgemein lange Sätze, das mag auch Geschmackssache sein, aber der hier ist definitiv zu lang.
dann noch: ...selbst,(ein Leerzeichen zuviel) denen das fehlte, was man...

Natürlich könnte er diesen Schund, ihn als Literatur zu bezeichnen verwehrte sich der einsame Mann, auch auf vielfältigste Weise loswerden.
... bezeichnen, verwehrte...

Er könnte die Unteren verkaufen oder an öffentliche Büchereien verschenken, doch der Gedanke dafür verantwortlich zu sein, dass jemand, der vielleicht ebenso viel Geschmack hatte wie er aufgrund seines Verschuldens Stunden seines Lebens diesem leblosen opferte, hielt ihn davon ab.
Leblosen


Doch was wenn ein hungriger Obdachloser es bei seiner Suche nach Essbarem fände, es als erfreuliche Ablenkung von seinem tristen Alltag sehend, mitnähme und seinen geschwächten Geist mit diesem Tand belastete?
Beim fettgedruckten gehören eigentlich zwei Kommas hin: Doch, was, wenn... aber das wirkt wirklich nicht schön. Diesen Satzbeginn würde ich umformulieren.

Nein, nein, nichts dergleichen würde er tun.
Die Untersten sollten ihm eine Mahnung sein, damit er Großes als Großes zu erkennen fähig blieb und es auch zu schätzen zu wusste.
das hintere zu ist zuviel.

Aus diesem soeben beschriebenen Regal entnahm der Einsame nun ein Buch, dessen Verfasser sich, nach jahrelangem Bemühen einen Verleger für seinen Erstling zu finden, aus Verzweiflung umgebracht hatte und erst, dank der Beharrlichkeit seiner Mutter, posthum Würdigung fand.
Wieder so ein komplizierter Satz. Du machst es dem Leser damit schwer und für dich ist es doch auch anstrengend, solche Satzgebilde korrekt zu Ende zu führen.

Doch den viel schlimmeren Schaden, den Einband konnte man notfalls austauschen, hatte ein vergangenes Laster des Einsamen angerichtet, das Rauchen.
Meinem Gefühl nach müsste bei diesem Satzbau nach angerichtet ein Doppelpunkt stehen.

Wie hatte er nur dermaßen verantwortungslos sein können, etwas Hochgeistiges mit etwas zutiefst weltlichem zu entstellen.
Weltlichen

Im Kühlschrank fand er neben einer halbleeren Senftube nur ein leeres Essiggurkenglas vor, im Gefrierfach zwei Päckchen Tiefkühlgemüse und viel abzutauendes Eis.
Bei den Büchern diese Ordnung, im Kühlschrank dagegen...

Der Konservenschrank und der Cerealienschrank waren zu Schränken devolviert.
Ich kenne den Ausdruck devolvieren nicht, nehme aber aus dem Zusammenhang an, dass sie mangels Inhalt nicht mehr als Konserven- und Cerealienschrank genannt werden können.
Ein Kleiderschrank bleibt aber doch auch einer, wenn er ohne Kleider ist.
Deshalb verstehe ich diesen Satz nicht ganz.

Der Einsame griff in seine Hosentaschen und hielt kurz darauf ein benutztes Taschentuch, einen unleserlichen Notizzettel und ein wenig Wechselgeld in Händen.
in den/seinen Händen

Seine negativen Gefühle wichen bald der Freude, die er beim Anblick der ersten Frühlingssonne empfand, welche noch zu geschwächt war, um dem kalten Nordwind Einhalt zu gebieten, sich jedoch nicht zurückzog, sondern sich, im Wissen um die zukünftige Stärke, wieder und wieder durch die Wolkenwände kämpfte, die der Wind ihr vorschob und somit ihren Anspruch auf die Herrschaft am Himmelsgewölbe demonstrierte.
Ein weiterer Monstersatz.


Der Einsame war, ohne es zu merken, über eine schmale Nebenstraße gegangen, deren Ende, an dem sich der Fußgängerübergang befand, durch die leichte Kurvenform des Fahrwegs und der auf linker Seite geparkten Autos schlecht einsehbar war, womit der Autofahrer an diesem Beinahunfall eine Teilschuld trug, da er offensichtlich zu schnell unterwegs war, um den Wagen vor dem Zebrastreifen zum Stehen zu bringen.
und noch einer...

Von seinem Einkauf zurückgekehrt, der Heimweg war, aufgrund der durch das zusätzliche Gewicht der Wodkaflaschen erheblich schwereren Tragtasche und der Kraftlosigkeit seiner in letzter Zeit schlaff und träge gewordenen Muskeln, sehr lang gewesen, ließ er die Tasche zu Boden und sich, mit einer der Flaschen in der Hand, in das grüne Lederfauteuil fallen, verblieb so einige Minuten und trank schließlich, zur Erfrischung, die Hälfte des Hochprozentigen mit wenigen Schlucken.
...dito...


Eine halbe Stunde und einige Schlucke, mit denen er die Flasche vollends leerte, später, erhob sich der einsame Mann von seiner liebsten Sitzgelegenheit, musste sich jedoch gleich wieder hinsetzen und kurz ausruhen, da ihm sein Kreislauf einen Streich zu spielen schien, um dann beim zweiten Versuch erfolgreich zu sein.
später sollte direkt nach Schlucke

Er räumte die erworbenen Nahrungsmittel, mit einiger Mühe, ein und schob dann die Pizza in den zuvor erhitzten Backofen.
Kommas weg

Er liebte es die Bücher einfach nur anzusehen, mit seinen Augen über die vielfarbigen Buchrücken zu gleiten, die vertikal gedruckten Namen und Titel zu lesen, die Verlagssymbole zu betrachten, sich Erinnerungen an die Leseerlebnisse wachzurufen und in seinem Kopf Fragmente seiner Lieblingsdichtungen abzuspielen und nach eigener Vorstellung fortzuführen.
Er liebte es, die

Die,(Komma weg) seit einigen Monaten alleinerziehende,(Komma weg) Mutter des Jungen kam aus dem Haus gegenüber gestürzt, kniete sich vor das kleine Mädchen, tröstete es, wischte ihm vorsichtig mit dem Ärmel ihres Pullovers Blut und Tränen aus dem Gesicht und bedeckte es mit sanften Küssen.

Sie befragte ihren Sohn, der nach seinem unglücklichen Treffer versucht hatte das Mädchen zu beruhigen, zitierte dann den anderen Jungen zu sich und ohrfeigte ihn, was diesen völlige unerwartet traf, da er sich keiner Schuld bewusst war.

...versucht hatte, das Mädchen...

Nachdem der Mann seine Pizza verzehrt hatte blieb er noch einige Zeit, den Rest des Nachmittags, am Fenster sitzen und beobachtete den Innenhof, wartete auf weitere erheiternde Ereignisse.
entweder oder bei der Zeitangabe

Zum Inhalt: Der Titel ließ ja schon vermuten, dass keine rasante Geschichte zu erwarten ist. Deine endlosen Sätze, einige habe ich ja aufgelistet, machen es einem als Leser äußerst schwer, mich stört das richtiggehend.
Dadurch entstehen manchmal auch Formulierungen, die sehr verquert wirken.
bambu hat das auch schon angedeutet.
Hättest du nicht schon eine Geschichte von mir gelesen und kritisiert, hätte ich wahrscheinlich keine Kritik geschrieben, weil mich der Text nicht besonders angesprochen hat.
Der Prot interessiert mich zu wenig, weil sein Alltag beschrieben wird, aber ansonsten erfährt man leider nichts von ihm. Hat er keine Freunde, sucht er Arbeit, wieso ist er zu Hause?

Lieber Gruß
bernadette

 
Zuletzt bearbeitet:

Danke auch dir, Bernadette, für deine ausführliche Kritik.
Die langen, verschachtelten Sätze wurden mir schon zu Schulzeiten vorgeworfen.
Interessanterweise rede ich wie jeder andere auch, nur sobald ich etwas beschreiben will, falle ich in diese Sprache, was auch daran liegen mag, dass sie mir gefällt.
Ich werde mich aber zukünftig bemühen meine Sätze kürzer und einfacher zu halten, um dir und anderen Interessierten das Lesen zu erleichtern.

MfG

Miller

PS: Die ewigen Beistrichfehler...

 

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