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Der einzige Tag
Es war Nacht und er war allein. Nein, eigentlich war er nicht allein. Es waren Millionen Menschen bei ihm. Sie bewohnten dieselbe Stadt. Wenn man es genau betrachtete waren sogar Milliarden Menschen um ihn. Alle hatten sie eine Gemeinsamkeit : sie teilten sich einen Klumpen aus Materie der einsam die Ewigkeit des Universums durchzog.
Dennoch war er allein. Niemand war bei ihm. Niemand sprach mit ihm. Er wanderte allein durch die Strassen der Stadt. Dieser Zustand machte ihn weder unglücklich, noch glücklich. Es machte ihn einfach nur zufrieden, allein zu sein mit sich und seinen Gedanken. Das war einfach so. Es war ihm eine Art inneres Bedürfnis durch die leeren Strassen zu wandern. Nur dort gab es für ihn einen Grund allein zu sein, was in seinem Appartement nicht der Fall war. Dort entstand in ihm ständig das Gefühl, dass noch jemand da sein müsste. Jemand mit dem er reden konnte, oder auch nicht. Jemand, der ihm das Gefühl gab einen Platz zu haben, wo man ihn vermissen würde, wenn er nicht da wäre. Auf der Suche nach diesem Gefühl war er lange gewesen und hatte es schließlich aufgegeben. Niemand hatte ihm dieses Gefühl wirklich gegeben. Alle seine Beziehungen waren nur von kurzer Dauer gewesen : eine Nacht eine Woche, ein Monat, allerhöchstens. So hatte er sich schließlich damit abgefunden, nie wirklich vollkommen glücklich sein zu können und sah das, als bereits feststehende Tatsache an.
Nun wanderte er also durch die Nacht und war zufrieden von seinen Problemen fort zu sein, wie ein Mitteloser, der die Auslagen der Schaufenster nicht beachtet und also auch nicht das dringende Bedürfnis hat etwas zu kaufen. Diese Strategie funktionierte gut. Er war zufrieden, zumindest fühlte er sich eine Zeit so, als ob er es wäre.
Die Strassen der Stadt wanderten vor seinen Augen entlang. Alles nahm er sehr genau war : jeden einzelnen Pflasterstein der Strasse, Fuge an Fuge, Einen neben dem Anderen. Wie viele Individuen waren wohl vor ihm über diese Steine gegangen? In seinen Gedanken kam er sich wie einer dieser Steine vor. An einen festen Patz gebunden, ohne die Strasse als Sinn des ganzen erkennen und begreifen zu können. Zumindest gab ihm diese Vorstellung Hoffnung, dass irgendwie doch alles einen Sinn gab, den er nur nicht kannte und doch nicht alles in der Welt nur überflüssig, zufällig, langweilig und Öde war. Nicht das er keinen Spass hatte, oh nein ganz und gar nicht. Aber irgendwie machte es alles keinen rechten Sinn für ihn. Etwas das wirklich blieb. Alles verblasste schnell wieder.
Ein Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Es waren Schritte auf dem Pflaster. Er blickte auf und sah einen Körper dicht an ihm vorübergleiten., nicht zu erkennen ob Mann oder Frau. Dem Geräusch der Schritte auf dem Pflaster nach war es eine Frau mit hochhackigen Schuhen. Obwohl es nichts ungewöhnliche war ( dieser Teil der Stadt war auch zu später Stunde noch belebt ), erwachte in ihm eine Neugier. Aus irgendeinem Grund wollte er wissen, wie sie aussah. Sie ging nun weiter und tauchte in den Lichtkegel einer der gusseisernen Straßenlaternen ein.
Es verschlug ihm den Atem, obwohl er sie nur von Hinten sah. Ihr roter Haarschopf, bewegte sich genau im Rhythmus ihres Ganges auf und ab. Sie hatte einen langen, braunen Wintermantel an der ihr bis über die Waden reichte, dennoch glaubte er das grazile Spiel jeder ihrer Muskeln sehen zu können. Er blieb –ebenfalls im Licht einer Laterne- stehen und starrte verblüfft hinter ihr her.
Als ob sie seinen Blick gespürt hätte dreht sie sich um und ihre Blicke trafen sich. Es waren Smaragdgrüne Augen, die ihn noch mehr erstarren ließen. Unmerklich machte er einen Schritt zurück und da geschah es : das Räderwerk des Universums hatte wohl irgendwie gestockt oder etwas ähnlich bedeutendes war geschehen, auf jeden Fall hatte ihm dieser eine Blick, beziehungsweise der dadurch verursachte Schritt zurück das Leben gerettet.
In eben diesem Augenblick raste nämlich ein Taxi mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Strasse, verlor die Kontrolle und schleuderte über den Bordstein, bevor es krachend im Schaufenster des Geschäftes auf der anderen Straßenseite landete. Es hatte ihn um Zentimeter verfehlt.Totale Stille kehrte ein. Noch immer stand er starr da, unfähig sich zu rühren.
Ihm wurde bewusst, dass ihm gerade sein Leben geschenkt worden war und zwar von dieser Frau. Sie stand nun eben so still wie er und blickte zu ihm rüber. Endlich brach sie die Erstarrung und ging zu ihm. Sie sagte nichts, holte aber aus dem inneren ihres Mantels eine Schachtel Zigaretten und hielt sie ihm hin. Er nahm sich zitternd Eine und lies sich von ihr Feuer geben, dann sog er einen tiefen, beruhigenden Zug in seine Lungen. Als er wieder ausatmete sah er klarer. Von Nahem war sie noch schöner. Ihr Gesicht war eben und fein symmetrisch. Ihre Züge erinnerten ihn an ein römisches Mosaik, dass er einmal gesehen und welches ihn tief beeindruckt hatte, ein Portrait einer Patrizierin. Perfekt, makellos und ewig schön. Hinzu kam ein Etwas, das ihn anzog, eine Art unsichtbare Aura, die wie ein schwarzes Loch auf ihn wirkte.
Um sie beide herum herrschte inzwischen Chaos. Passanten waren von überall aus dem Schatten herbeigeeilt um zu sehen was los war, den Insassen des Taxis zu helfen oder einfach nur um zu gaffen. Das alles ließ sie beide unberührt. Endlich brach die unbekannte Schönheit das Schweigen und fragte : „ Kommst du ?“. Er hatte auf genau diese Frage gewartet und nickte nur. Sie drehte sich um und ging. Ihnen beiden war die Einzigartigkeit des Momentes von zuvor klar, sie waren nun verbunden. Aber vielleicht waren sie es schon vorher gewesen und hatten sich nur nie getroffen. Er wusste es nicht und folgte ihr einfach.Das, was er wusste war nur : dies war sein Tag. Der perfekte, alles entscheidende Tag. Alle Tage vorher zählten nichts, sie waren sinnlos, ohne Dauer. Dies war der einzige Tag. Es war nun egal was geschehen würde, auf jeden Fall würde es mit ihr geschehen, denn sie würde aus irgendeinem Grund -den er nicht kannte- seinem Leben den Sinn geben, den er immer Gesucht hatte.