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- 03.07.2004
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Der Elf auf dem Whiskeyglas
"Glaubst du wirklich, es ist schön ein Elf zu sein?"
Die hohe Stimme quietschte in meinen Ohren. Langsam erwachte ich aus meinem whiskeyseligen Traum, in dem Elfen um mich herum flatterten und tanzten. Die Elfchen entfleuchten und ich nuschelte: "Wiescho, isch doch schön, Nektar naschen und im Wind huschen."
"Ach ja, glaubst du? Um überhaupt fliegen zu können, muss ich alle fünf Minuten auftanken. Auch bei Regen und Sturm und Schnee. Das ist nicht schön, das ist grausam."
Inzwischen hatte ich meine Augen soweit aufbekommen, dass ich ein halbvolles Whiskeyglas vor mir erkannte. Der Bartresen erinnerte mich dunkel an Jimmys Pinte. War heute das Dartspiel gewesen oder war noch gestern oder vielleicht schon morgen? Ich schickte mein Gehirn schnell wieder schlafen, da entwickelte irgendwer in mir zu komplizierte Gedanken.
Deshalb dachte ich erst einmal gar nichts, als ich auf meinem Glas einen Elf sitzen sah. Jedenfalls habe ich noch keine große Libelle mit Armen und Beinen und einem sehr menschlichen Gesicht gesehen. Um ehrlich zu sein, Elfen habe ich bisher nur in Träumen gesehen und die waren eindeutig weiblich mit Balettröckchen und engen Hemdchen. Aber auf meinem Glas saß anscheinend ein männlicher Elf mit einer blauen Fingerhutblüte auf dem Kopf, einem schön gemusterten Pullover und Bluejeans.
"Wiescho Pullover?"
"Denkst du vielleicht, bei den Temperaturen fliege ich unbekleidet durch die Gegend? Wir sind schließlich nicht an der Riviera."
"Das isch dann aber doch schwierig, wenn du bei einem Mädschen über die Blume fliegscht."
"Was ihr Menschen immer denkt. Elfenfrauen liegen nicht auf Blumen, um sich zu sonnen. Wir müssen hart arbeiten. Nektar für den Winter sammeln, Höhlen auspolstern und wasserfest machen, den Nachwuchs versorgen. Oh nein, ein Elfenleben ist nichts als Arbeit und Mühe."
Nach diesen bedenkenswerten Worten beugte sich der Elf über mein Glas und fuhr einen langen Rüssel aus, mit dem er einen ordentlichen Schluck Whiskey aus meinem Glas schlürfte. Ich hatte meine Hand schon erhoben, aber dann fiel mir noch rechtzeitig ein, dass Elfen bestimmt unter Naturschutz stehen.
"Wasch scholl dasch. Dasch isch mein Whischkey.", knurrte ich.
"Entschuldigung, aber ich habe dir vorhin schon gesagt, dass wir alle fünf Minuten auftanken müssen. Und Whiskey hält länger vor als Nektar."
Ich bin ein hartnäckiger Mensch, ob es ums Trinken geht, um Diskussionen oder um eine angemessene Frühstückspause. Also versuchte ich, mich zu erinnern:
"Meine Oma hat mir erschält, Elfen sinn kleine Mädschen mit Flügeln, die Nachts im Mondschein auf den Waldwiesen schpielen und tansch .. äh tanzen. Und wenn man lieb zu ihnen isch, können sie auch größer werden und dann machen sie noch gansch andere Sachen mit mir." Ich geriet wieder ins Träumen und dann fiel mir noch etwas ein:
"Auschscherdem können schie zaubern - also zauber mir mal wasch vor."
"Sehr gerne", lachte der Elf. "Du musstest mich nur bitten. Allerdings kann ich nur einen Zauber: Ich werde du und du wirst ich - und dann kannst du das Elfenleben in aller Ruhe kennenlernen."
Sollte Ich Ihnen einmal in Jimmys Pinte begegnen - Sie erkennen mich an der blauen Fingerhutmütze - ich würde den Tausch gerne rückgängig machen.