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Der erste Schnee

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12.03.2005
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Der erste Schnee

Der erste Schnee

Im Laufe des Tages hatte sich das Wetter verschlechtert. Die morgendliche Sonne, wurde von bedrohlich dunklen Wolken verdeckt, und ab und an fielen erste Schneeflocken.
Der alte Bauer war bereits seit dem frühen Morgen in dem Wald, der sich an eine weite Hochebene anschloss und hinter dem das hügelige Voralpenland begann. Sorgenvoll blickte sein von harten Jahren, Entbehrungen und Anstrengungen gezeichnetes Gesicht gen Osten, woher der aufkommende, eisige Wind hoch aufgetürmte Wolkenmassen schob.

Trotz der Kälte und des Windes perlten Schweißtropfen von seiner Stirn, die er zwischen einzelnen Axtschlägen mit dem Ärmel seiner grauen Jacke abrieb. Neben ihm stapelte sich das frisch gespaltene Holz, und verbreitete einen angenehmen, harzigen Geruch wie man ihn von Sommerspaziergängen in Wäldern kennt. Gebeugt verharrt er einen Augenblick, auf die Axt und den Holzstapel gestützt, und pfeift seinem im Wald herumstreunenden Hund. Als ob er nur darauf gewartet hätte, springt hinter der Wurzel eines im letzten Herbststurms umgestürzten Baumes ein magerer Schäferhund hervor und legt sich neben den alten Bauer, der sich inzwischen auf einen Baumstumpf gesetzt hatte und von einem kleinen Laib Brot grobe stücke abschneidet. Mit einem liebevollen Blick mustert er das Tier, welches in Erwartung der Mahlzeit unruhig mit dem Schwanz wedelt.
„Das Brot ist nicht gut für dich“, sagte der alte Bauer zu dem Hund und nahm aus seinem Bündel ein Stück Wurst. „ Ist nicht gut für deinen Magen, das hier ist besser“. Er warf eine Scheibe Wurst auf den moosbewachsenen Waldboden und sah zu, wie sich der Hund darauf stürzte. „Dein Leben sollte man haben, immer wird für dich gesorgt“, meinte der Bauer, ehe er sich selbst ein Brot bereitete und es schnell aß.
„Weißt du“, setzte er sein einseitiges Gespräch mit dem Hund fort. „Noch vor kurzem wäre ich nach dem Vesper aufgesprungen um weiter Holz zu hacken, doch heute fühle ich mich nicht gut“. Er drehte sich um und beobachtete die Wolkenfront, die längst die Hochebene erreicht hatte. „Vielleicht ist es der kommende Schnee, der mich so ermüdet?“ „Ganz sicher wird es schneien, wir haben bereits November und es ist sehr kalt“. Als er sich umdrehte um nach seinem Hund zu schauen, hatte dieser seinen Platz verlassen und stöberte im fast gefrorenen Waldboden nach Essbarem. Der alte Bauer blickte ihm nach. Seine Augen verengten sich und nahmen einen traurigen Ausdruck an. „Armes Vieh, bist nicht satt geworden. Aber mehr gibt es nicht, muss schließlich auch für heute Abend reichen“, murmelte er in den Wind und überlegte, dass er frühestens am übernächsten Tag in die Stadt gehen konnte um Nahrung zu kaufen.
Während er mit der Rechten die Axt in die Hand nahm, besah er seine linke Hand, deren Handfläche von einer Blase überzogen war. „Diese Arbeit ist nicht mehr gut für mich, aber doch muss sie getan werden“ sagte der alte Bauer zu sich selbst, während er einen löchrigen Handschuh überzog, der die Schmerzen an seiner Hand dämpfen sollte. Gleichmäßig zerhackte er das Holz, das er dringend für den Winter benötigte um den Ofen zu betreiben.
Die Wolkenfront hatte sich inzwischen über der gesamten Hochebene und dem Wald ausgebreitet. Der zuerst in unregelmäßigen Abständen und nur an vereinzelten Orten aufkommende Schneefall wurde von Minute zu Minute stärker und innerhalb kürzester Zeit herrschte dichtes Schneetreiben. Der Wind peitschte die kleinen, festen Schneekörner ins Gesicht und die Umrisse des Waldes waren nur noch schemenhaft zu erkennen.
Längst hatte der alte Bauer aufgehört Holz zu hacken. In großer Eile lud er die gespaltenen Holzstücke auf eine kleine Karre und bedeckte sie mit einer Plane, die sich in einem besonders heftigen Windstoß an einer Seite losriss und wild aufbäumend in die Höhe stieg. Im letzten Moment gelang es dem alten Bauer die Plane zu ergreifen, unter großer Anstrengung herab zu ziehen, und sie wieder an dem Karren zu befestigen. Diesmal führte er ein Seil an der Unterseite des Karrens entlang und verknotete die Enden oberhalb seiner Fracht.
Der Schäferhund wich seitdem der Schnee über den Wald hereingebrochen war nicht mehr von der Seite des alten Bauers. Wind und Schneefall nahmen zwar nicht weiter zu, waren aber doch so stark, dass der alte Bauer, der den Karren hinter sich herzog, nur mühsam vorankam. Der Hund lief nun immer ein paar Schritte voraus und blickte sich von Zeit zu Zeit nach seinem Herrchen um, als wollte er ihn zur Eile mahnen.
Dieser war unter seinem tief ins Gesicht gezogenen Hut und dem aufgeschlagenen Kragen kaum erkennen.
„Der Schnee ist nicht das Schlimmste“, rief der alte Bauer seinem Hund zu. „Der Wind ist es, der alles so viel anstrengender macht“. Nach der nächsten Wegbiegung kamen sie auf eine Lichtung in deren Mitte ein kleiner See lag. An den Rändern hatte sich Eis gebildet, das von einer dünnen Schneeschicht überzogen war. In wenigen Tagen wird es den ganzen See überspannt haben, ihn wie ein Augenlid im Schlafe überdeckend, ruhen lassen.
Die Bewegungen des alten Bauers wurden langsamer. Immer öfter lies er die Deichsel des Karrens, an der er ihn zog zu Boden sinken, um einen Augenblick zu verschnaufen. Wenn er wieder bei Kräften war, nahm er die Deichsel in die Hände, lehnte sich nach vorn und stapfte in gebückter Haltung durch den knöcheltiefen Schnee. Man konnte den Verlauf des Weges nur noch erahnen, doch der alte Bauer, der sein ganzes Leben auf den umliegenden Feldern und in dem Wald verbracht hatte, brauchte ihn gar nicht zu sehen, er wusste um jede Windung, jede noch so kleine Erhebung.

„Bald kommen wir aus dem Wald heraus, dann ist es nicht mehr weit nach Hause“, rief der alte Bauer seinem Hund zu, „doch außerhalb des Waldes sind wir ungeschützt, dann wird der Schnee noch mehr schmerzen“. Als sie den Waldrand erreicht hatten nahm der Wind tatsächlich zu, obwohl er auch schon in dem, an dieser Stelle lichten Wald heftig geblasen hatte. Er kam nun genau von vorn und der alte Bauer ging immer langsamer. „Wenn ich den Karren am Waldrand abstelle und morgen hole, wird er eingeschneit sein“, überlegte er, „aber ich weiß nicht, ob ich es bis nach Hause schaffe, es ist zwar nicht mehr weit, aber ich fühle mich heute nicht sehr gut“. Der magere Schäferhund, an dessen Fell bereits der Schnee hing, schien zu spüren, dass sein Herrchen mit den Kräften am Ende war und kläffte in den Wind.
In einer leichten Windung stieg der Weg an. Dort, wo man den höchsten Punkt des Anstieges vermuten konnte, war unscharf ein Hof auszumachen. Der alte Bauer sah zu seinem Hof hoch und stellte den Karren ab. „Keinen halben Kilometer sind wir von zu Hause mehr entfernt, aber ich bin zu ausgelaugt, um mit dem Karren den letzten Anstieg zu bewältigen. Ich muss ihn wohl am Fuße des Hügels zurücklassen, wenn ich morgen wieder bei Kräften bin, werde ich versuchen ihn zu holen“, sagte er zu dem Schäferhund, der zusah wie der alte Bauer den Karren am Wegesrand unter einer Eiche in den Schnee schob und dann langsam den letzten Anstieg begann. Der magere Hund lief nun neben ihm her. Einige Zeit stapften sie so den Hügel hinauf, bogen auf den kleinen Weg ab, der zum Hof führte. „Wie gerne hätte ich das Holz noch heute in die Scheune gebracht“, murmelte der alte Bauer als sie diese erreichten und der magere Schäferhund unter dem Scheunentor hindurch ins Innere schlüpfte.
„Aber ich fühle mich nicht mehr so gut“, sprach er vor sich hin da er nun die Tür des dunkel und verlassen daliegenden Hofes erreichte und sich auf der Schwelle den Schnee von den Schultern klopfte.

 

Hallo Marc El,

dein Text ist flüssig geschrieben, die Gedanken des Bauern sind gut nachzuvollziehen. Es ist auch ein guter Kunstgriff, den Hund als ‚Gesprächspartner’ einzuführen.
Die Geschichte erinnert mich an den Bibelvers ‚Denn was bekommt der Mensch von aller seiner Mühe und dem Streben seines Herzens, womit er sich abmüht unter der Sonne?’ (Prediger 2, 22). Der Bauer (der Mensch) stemmt sich gegen dieses Schicksal (er wägt ab und plant), wie gegen den Schneesturm. Ein wenig mehr an philosophischen Anhaltspunkten, ein Hinstreben zu einem Höhepunkt, hätte ich mir schon gewünscht. Auch damit der Text interessanter wird, so bleibt er doch ziemlich stark auf einer beschreibenden Ebene stehen.

Ein kleiner Tippser:

„Brot grobe stücke“ - Stücke.

Tschüß... Woltochinon

 

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