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Der erste Schnee
Der erste Schnee
„Kommst du heute Abend, oder musst du wieder mal arbeiten?“
Er war sein bester Freund aber an manchen Tagen wünschte Kyle, das Andre sich endlich eine Freundin suchen würde. Seine Parties waren berüchtigt und es gab immer genug von allem, Alkohol, gute Musik und natürlich Frauen. Kyle hatte schon vor einer Weile den Spaß daran verloren.
„Ich kann nicht…, ich muss auflegen der Chef kommt.“ Ihm wollte einfach keine passende Ausrede einfallen.
„Also kommst du?“ Für einem Moment trat Schweigen auf der anderen Seite der Leitung ein bis Andre ein kurzes „Gut.“ Zu hören bekam und mit einem befriedigtem Grinsen auflegte. Kyle war verärgert weil er sich wieder mal hatte überreden lassen.
Wie sollte er das nur wieder Mina erklären.
Ihm war völlig klar, dass sie schluchzen und mit Vorwürfen klagen würde und der Überzeugung war das er Zeit für alles nur nicht für ihre Interessen haben würde.
Es war jedes Mal dieselbe Prozedur. An langen einsamen Tagen, wenn sein Chef sich wo anders austobte, dachte er lange und tief versunken über sein Leben nach. Es war immer dasselbe, er verbrachte seit sechs Jahren zehn Stunden von Montag bis Samstag in einem kleinen Büro eines Reiseveranstalters. Was war eigentlich aus seinem Vorhaben geworden Pirat zu werden und die Welt zu besegeln. Bei diesen Gedanken an seinen Kindheitstraum huschte ein trauriges Lächeln über sein Gesicht.
„ Naja immerhin plane ich Abenteuer für andere Menschen, ich bin doch verdammt nah dran.“ Ironie liess sich hören als er diesen Gedanken laut sich selbst gegenüber aussprach. Langsam erhob er sich von seinem Schreibtischstuhl, streckte sich und ging mit steifen Schritten zu der kleinen Küchenzeile im Nebenraum. Er goss sich einen Kaffee in seine „Ich bin ein Arbeitstier“ Tasse und verzog verächtlich den Mund. Diese Tasse hatte ihn eine Kollegin zu seinem sechsundzwanzigsten Geburtstag geschenkt. Er wusste das sie recht hatte, er riss sich um Überstunden und nahm nur selten Urlaub, wahrscheinlich eine Flucht vor seinem herrischen Hausdrachen. Kyles Blick glitt zu der kleinen, runden Uhr an der Wand gegenüber. Nur noch eine Stunde bis zu seiner Hinrichtung. Irgendwie musste er Mina klar machen das er keine Wahl hatte und Andre ihn förmlich zwang. Genauso langsam wie er gekommen war ging er zurück in sein Büro und widmete sich wieder seiner eintönigen Arbeit.
Keuchend lehnte er sich im vierten Stockwerk eines Wohnblocks an das Treppengeländer im Hausflur und zog seinen Schlüssel aus der Jackentasche. Seine Lungen noch einmal tief mit Sauerstoff füllend verharrte Kyle noch einen kleinen Moment bevor er sich überwand seine eigene Haustür aufzuschließen. Es war dunkel und ungewöhnlich still. Im Flur der Dreiraumwohnung stehend sah er sofort den Zettel mit der Mitteilung, Mina sei mit ihren Eltern Essen gegangen, am Spiegel der Kommode. Erleichtert stieß er den unbewusst angehaltenen Atem aus. Mit beflügelten Schritten ging er in die Küche und griff sich einen roten Apfel in den er herzhaft biss und mit sich in das gewöhnliche Schlafzimmer nahm. Weiter an seinem Obst nagend stand er unentschlossen vor dem viel zu vollen Kleiderschrank von dem seine Kleidung vielleicht ein viertel ausfüllte. Mit tief gefurchter Stirn entschied er sich nach ein paar Minuten für sein schwarzes Shirt und eine blaue Jeans. Er legte sich die ausgewählten Sachen über den rechten Arm,ging in die Küche um den Apfelrest in den Müll zu werfen und schlenderte ins Badezimmer. Kyle genoss die schnelle und erholsame Dusche. Eilig zog er sich an und blickte dann kritisch in den großen Spiegel über dem Waschbecken. Sein schwarzes Haar hing ihm wirr und nass in der Stirn, seine grauen Augen sahen ihn forschend an. Er wusste das er gut aussah auch wenn er wahrscheinlich die letzten sieben Jahre einiges eingebüsst hatte. Kleine Fältchen zeigten sich an dem äußeren Rand seiner Augen. Früher hatte er viel gelacht doch das ist so lange her das er sich kaum noch erinnert, stellte er mit einer hochgezogenen Braue fest. Entschlossen griff er nach dem Haargel und brachte sein schwarzes Durcheinander in Form. Noch ein letzter Blick in den Spiegel und er verließ das Bad und ging zielstrebig in den Flur, zog ein paar schwarze Turnschuhe an, warf sich sein helles Jackett über dachte einen kurzen Moment nach, zog dann doch noch seinen Wintermantel darüber und steckte sein Portemonnaie in die innere Brusttasche. Ohne einen Blick zurück schaltete er das Licht aus und verließ die Wohnung.
Sein blauer Golf bog in die Auffahrt des weiß gestrichenen Hauses mit der übertriebenen Weihnachtsbeleuchtung. Kyle stieg aus, verriegelte gewissenhaft sein Auto und schlenderte zur Vordertür. Nachdem er geklingelt und kurz gewartet hatte öffnete ihm unter lärmender Musik im Hintergrund ein junger Mann mit rotem Haar, Sommersprossen, blauen Augen und einem breiten Lächeln im Gesicht.
„Ich wusste das du kommst, Christopher du hast verloren!“, rief er halb ihm und halb einem anderen Gast entgegen. Kyle begrüßte ihn mit einem Schulterklopfen, trat ins Haus und blieb im Flur stehen. Er wunderte sich immer wieder wie viele Leute doch in dieses kleine Haus passten. Ein paar alte Freunde winkten ihn zu sich in das umfunktionierte Wohnzimmer und drückten ihm sofort ein Bier in die Hand. Sie lachten, machten Witze und schwelgten in alten Erinnerungen, bis eine Hand sich vorsichtig auf seinen linken Unterarm legte. Eine Person wollte anscheinend auf sich aufmerksam machen. Sein Blick glitt von der Hand zu dem Rest der dazugehörigen Person und sah in zwei leuchtend grün Augen die ihn anlachten. Drei Jahre, schoss es ihm durch den Kopf. Vor drei Jahren hatte er seine Jugendliebe Jessy das letzte Mal bei seiner Geburtstagsparty gesehen. Sie hatte sich äußerlich kein Stück verändert und strahlte ihn voller Erwartung an, bis sie es nicht mehr aushielt und ihn überschwänglich umarmte. Nach der wilden Begrüßung nahm sie seine Hand und zog in mit sich auf das dunkle Sofa in der Ecke des viel zu überfüllten Raums. Fast sofort plapperte sie ununterbrochen über die letzten drei Jahre, während er das Wechselspiel ihres Gesichtes beobachtete wenn sie über etwas Aufregendes oder sehr Ärgerliches sprach. Sie stellte Kyle viele Fragen über sein Leben die er meist mit einem Schulterzucken und „Wie immer halt!“ beantwortete. Nachdenklich betrachtete sie ihn eine Weile.
„ Hast du Lust ein wenig raus zu gehen, ich finds ganz schön laut hier?“,
ein kurzes Nicken und er zog sie auf die Beine. In ihre dicken Winterjacken eingehüllt schlenderten sie die Straße entlang, sprachen über unbedeutende Dinge und erfreuten sich an dem wieder gewonnenen Band zwischen ihnen das wohl immer da sein würde. Nach einer kleinen Ewigkeit blieb sie stehen und sah zu Kyle auf direkt in seine Augen.
„ Bist du glücklich mit deinem Leben?“ Das hatte er an ihr geliebt, die Art alles gleich auf den Punkt zu bringen und tat es wahrscheinlich immer noch.
„ Ich bin mir nicht sicher, irgendwie nicht, denke ich.“ Wissend nickte sie nur.
Eine dicke weiße Flocke setzte sich auf ihre Nase und ließ sie zum Himmel schauen. Jubelnd sprang sie in die Luft, drehte sich und strahlte über das ganze Gesicht als Millionen von Schneeflocken auf sie beide schwebten. Lachend beobachtete er sie und schüttelte mit dem Kopf wobei ihm eine nasse, schwarze Strähne ins Gesicht fiel.
„ Du bist so unglaublich ungewöhnlich!“ Lächelnd blieb sie ganz nah vor ihm stehen.
„ Das macht nur der Zauber des ersten Schnees.“