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Der erste Tag
Der erste Tag
Tom hatte sein Auto vor dem Gefängnis geparkt und wartete. Gleich würde er seinen Vater wiedersehen, nach 12 langen Jahren. Er war damals erst 16 gewesen, als der Überfall schief ging und sein Vater hatte ihn gedeckt. Nicht ein Wort hatte er den Kommissaren von ihm erzählt. Seitdem hielt sich Tom mit kleineren Betrügereien über Wasser. Diese Tricks hatte er schon früh von seinem Vater gelernt, wenn andere Kids in der Schule waren, stand er mit ihm vor dem Billardtisch oder sie spielten Poker mit gezinkten Karten.
Als Tom 6 Jahre alt war, hatte ein Kind in der Schule ihn einmal “Hurensohn” genannt. Am Abend fragte er seinen Vater was dieses Wort eigentlich bedeutete und noch heute erinnerte er sich an den genauen Wortlaut: „Ach Sohn, normalerweise ist das eine Beleidigung, aber deine Mutter war wirklich ne Schlampe, ach... hau dem kleinen Arsch der das gesagt hat einfach eine rein!” Das hatte er auch gemacht und zwar gründlich. Es war das erste mal dass ein Auto mit Blaulicht seinetwegen kam. Sein Vater war unglaublich Stolz auf ihn.
Neun Jahre danach, es war an einem verregneten Sonntag, kam sein Vater zu ihm und meinte: „Sohn, komm mit! Es wird Zeit für dein erstes Mal.” Tom dachte sofort an Karla, eine Professionelle, die seinen Dad manchmal besuchte, aber das war ein Irrtum. Sein Dad dachte mehr an die 45er und die Tankstelle am Stadtrand. Mit den Worten: „Geh, und mach deinem Vater keine Schande”, schubste er ihn damals aus dem Auto, “... und bring, verdammt noch mal, ne verfluchte Schachtel Kippen mit, klar?” Tom war total aufgeregt, aber als er den Kassierer mit der Waffe ein paar mal auf den Schädel gehauen hatte wurde er ruhiger. Er plünderte die Kasse, nahm sich noch eine Flasche Tequilla mit und dachte sogar an die Zigaretten. Sein Vater zwinkerte ihm begeistert zu und spendierte ihm eine halbe Stunde mit Karla. Seit dieser Nacht durfte er seinen Vater beim Vornamen nennen, denn er war jetzt kein Kind mehr.
Tom wurde aus seinen Erinnerungen gerissen als die Beifahrertür geöffnet wurde. Sein Vater stieg ein.
„Hallo Junior”
„Hallo Klaus”
„Kippen?”
„Im Handschuhfach”
„Bier?”
„Auf der Rückbank”
„Gibt’s Karla eigentlich noch?”
„Ne, aber ich kenn da eine, die sieht genauso aus wie Karla vor 12 Jahren. Hab schon reserviert für dich.”
„Gut”
Klaus riss zwei Flaschen Bier auf und Tom fuhr los.
„Hier, Prost, auf die Gene!”
„Ja, Prost mein Alter.”
Die Flaschen klirrten gegeneinander und das Auto fuhr in Richtung Rotlichtbezirk.
Eine halbe Stunde später. „Da ist Karla 2 .”
„Wow, die sieht ja wirklich genauso aus, sogar die langen roten Haare.”
Klaus bremste neben der Bordsteinschwalbe und winkte.
Sie kletterte sofort auf die Rücksitzbank. „Hi, ich bin Kasanine”.
„Kasanine? Was ist denn das fürn blöder Name?” wunderte sich Klaus.
„Das ist mein Künstlername, du Arsch, Kasanine steht für: KAthrin SAgt NIe NEin”.
„Sag mal Sohn, seit wann haben denn Nutten Künstlernamen? Wie lange war ich denn weg?”
„Was? Das ist dein Vater? So alt siehste gar nicht aus!” plapperte Kasanine dazwischen.
„Das hoffe ich, schließlich war ich 12 Jahre auf einer staatlichen Wellnessfarm. Sag mal Tom, quatscht die immer son Mist?”
„Jau, die redet ununterbrochen...”
„Hey, ihr blöden Kerle, es ist unhöflich so über jemanden zu sprechen, meine Freundin macht das auch immer, die war übrigens auch schon mal auf einer Wellnessfarm, aber nicht so lange wie du, dass wäre sie aber mal besser, die sieht vielleicht aus...”
Tom fuhr weiter und hörte nicht mehr auf das Gequatsche von Karla. Die hielt wirklich nur dann den Mund, wenn gerade etwas drin war. Er grinste, ach deshalb stehen die meisten Männer aufs Blasen, nicht weil sich das gut anfühlt, sondern weil die Kleine dann endlich mal ruhig ist. Aha.
Mittlerweile war es schon fast 22 Uhr. Sie fuhren Richtung Westen, ins Ruhrgebiet. Tom hatte dort zur Feier des Tages ein Treffen mit den alten Kumpels seines Vaters arrangiert. Er wollte ihm einen ersten schönen Tag in Freiheit bescheren. Stilecht. Mit Kippen, Bier und ne hübschen Nutte auf der Rückbank und dann noch die harten Jungs wiedersehen, einfach mal einen netten Abend zusammen verbringen.
Warum musste die Kleine bloß soviel quatschen?
„Ey, Rotschopf! Halt endlich mal die Klappe! Verdammt!”
„Was denn? Ich will euch beiden nur besser kennen lernen, bla bla ...”
Klaus warf seinem Sohnemann einen gequälten Blick zu.
„Mach was!”
Und ihre schrille Stimme dröhnte immer noch durchs Auto.
„Hey, wenn ihr nach Bochum wollt, dann musst du hier auf die B1 fahren, das weiß ich genau, meine Freundin verfährt sich auch dauernd, die is nicht nur hässlich, sondern auch dämlich, und bla bla...”.
Toms Geduld war am Ende.
„Vater, du hast doch 12 Jahre keinen Unfall gebaut, halt mal das verdammte Lenkrad.”
Ohne vom Gas zu gehen griff Tom unter seinen Sitz und holte die 45er raus, die alte Familienknarre.
Er zielte auf ihr Gesicht, seine Augen wurden schmal. „Noch ein Wort...” knurrte er.
„Was soll das denn jetzt? Glaubst du etwa so ein Ding macht mir Angst? Wenn ich jedes Mal wenn ...”
Weiter kam sie nicht. Tom sog den Abzug durch und beendete dieses Gespräch für immer.
Klaus erschrak und verriss das Lenkrad, der Wagen begann zu schlingern, aber Tom drehte sich wieder um und bremste das Auto ab.
Er fuhr in einen kleinen Waldweg und zündete sich eine Zigarette an.
Sein Vater meckerte ihn an: „War das nötig? Die kleine war doch eigentlich ganz süß, da wollte ich später noch dran!”
Tom zuckte die Achseln: „Mach doch! Noch ist sie warm.”
Sein Vater überlegte: „Meinst du? Ist das nicht irgendwie pervers?”
„Warum? Ich kenn einige Frauen die sind im Bett genau so.”
Klaus stieg aus und kletterte auf den Rücksitz. „Ich beeile mich!”
Das Auto fing an zu wackeln, Tom verzog das Gesicht und schaltete das Radio ein.
Es lief gerade, Deine Lakaien “Reincarnation“, wie passend, dachte er, schließlich brachte sein Vater ja gerade neues Leben in die Kleine ein, auch wenn es auch nur ein kleines Stück war. Tom machte lauter und grinste:
„Hey Dad, hör mal, sie spielen euer Lied.”
Eine Stunde später hatten sie das Auto wieder sauber gemacht, Karla 2 entsorgt und fuhren auf der B1 durch Dortmund.
Tom genoss die Stille. Sein Vater lümmelte sich mit einer weiteren Flasche Bier auf dem Beifahrersitz herum.
„Hey Kleiner, ich habe Hunger. Lass uns irgendwo was essen. Da, bei dem großen gelben M, ich glaube da gibts was.”
Tom verzog das Gesicht: „Nicht wirklich, das ist McDreck”.
„Ich will richtig fettige Pommes mit doppelt Majo und nen schleimigen Burger, oder sowas.”
Tom zog die Augenbrauen hoch: „Also, dann sind wir hier allerdings richtig.”
Er fuhr an den Schalter und bestellte zweimal Burger und Pommes. Tom bezahlte und reichte seinem Vater die große Tüte durch.
„Was soll das denn? Die scheiß Pommes sind ja eiskalt, halt sofort an.”
„Hey Paps, ich hab dir doch gesagt hier kann man nicht essen”.
„Nee so gehts ja nicht, die haben doch auch unser Geld genommen, meinen die etwa die könnten mich verarschen?”
Mit diesen Worten stieg er aus und ging die 10m zurück zum Schalter.
Tom sah in der Rückspiegel und bestaunte die Diskussion, die sein Vater mit dem Angestellten führte. Sein Vater blieb erstaunlich ruhig.
Tom lächelte, früher hätte er diesen schleimigen Typen durch das kleine Fenster gezogen, also hat der Knast doch so einiges bewirkt. Sein Vater kam zu seiner Fahrertür. „Gib mir die Knarre und mach den verdammten Motor an!”
Ja, dachte Tom, der Knast hatte etwas bewirkt, was auch immer.
Musik lauter machen, zurücklehnen, der Alte weiß schon was er da tut. Oh, da läuft ja gerade Judas Priest, Tom sang mit “He is the Painkiller...” und dann sah er es im Rückspiegel dreimal blitzen. Tom drehte augenblicklich das Radio leiser und wunderte sich „Was, zum Henker, machte der alte Sack da gerade ...?”
Sein Vater stieg wieder ins Auto und reichte Tom eine neue Tüte. „Hier, deine neuen Pommes.”
„Aber, ich wollte doch kein Ketchup!”
Klaus schüttelte den Kopf. “Das ist auch kein Ketchup.”
Entsetzt starrte Tom seinen Vater an.
Der meinte nur „Was...? Wartest du auf den Nachtisch? Fahr endlich.”
Tom warf die blutigen Pommes achtlos aus dem Fenster und fuhr zurück auf die Bundesstraße.
Sein Vater hatte sich kein bisschen verändert, im Gegenteil. Zu seinem kriminellen Denken kam nun auch noch die Abgebrühtheit eines Profis. Hallo Daddy, schön das du wieder da bist... au Mann. Er sah auf die Uhr im Cockpit, es war genau 23.59 Uhr der erste Tag mit seinem Vater neigte sich dem Ende zu. Er wollte sich eine Zigarette anstecken und stellte fest das die Schachtel leer war. Verdammt, na das kann ja morgen was werden.