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Der Fährmann

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04.07.2001
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Der Fährmann

Marcus Septimus

Der Fährmann

„Von überall her ist nämlich der Weg in die Unterwelt gleich weit.“ (Marcus Tullius Cicero)

Ich saß wohl schon mehrere Stunden auf der Kaimauer und schaute in den Hafen hinunter, als ich mit schleichendem Unmut feststellen musste, dass die Rotweinflasche in meiner Linken kaum noch mehr als einen unbefriedigenden kleinen Schluck enthielt. Ich hob die bauchige Flasche vor meine Augen und schüttelte sie ein wenig, wie in der Hoffnung dadurch vielleicht doch noch etwas daran ändern zu können – was natürlich vergebens blieb. Durch das grüne Glas blickte ich in eine Welt deren Konturen fremdartig verzogen und deren Farben auf eine einzige reduziert waren. Gleich eines Kindes machte ich mir einen Spaß daraus minutenlang so die Wirklichkeit um mich herum zu betrachten und freute mich nahezu närrisch, als ich durch jene Flasche gar der untergehenden Sonne direkt ins Antlitz schauen konnte, ohne mich geblendet als ewiger Verlierer abwenden zu müssen. Doch bald fühlte ich mich seltsam fremd und ebenso wie kindische Begeisterung, verflog auch mein Interesse an diesem Spiel bald und so tat ich also den letzten Schluck in aufmerksamen Bewusstsein und stellte die leere Flasche achtsam neben mich auf die Mauer.
So wie die Sonne den Hafen vor mir in kupfernes Rot tauchte und langsam im glänzenden Meer verschwand, spürte ich schleichend die Wirkung des Weines sich über meine Sinne legen, und so tat ich mit geschlossenen Lidern einige tiefe Atemzüge. Die Luft war salzig und der Geruch von Teer und alten, nassen Fangnetzen vermischte sich mit fernen Stimmfetzen von singenden Männern und kichernden Frauen. Das Tagewerk der Seemänner war getan und so verbrachten sie nun ihren Abend in den lärmenden Hafenspelunken. Alleine einige wenige Gestalten wankten am Kai umher, die einen um sich bereits zu erleichtern, die anderen um noch die letzten Handgriffe zur Vertauung ihrer Schiffe zu verrichten.
Ich wartete noch ab, bis der letzte rötliche Schimmer der Sonne am fernen Horizont verschwunden war und sich der Abend in die Nacht verwandelte, dann rüstete ich mich zum gehen. Ich wollte gerade von der Mauer steigen, als mich ein leuchtender Punkt im nunmehr schwarzen Ozean aufmerksam machte und innehalten ließ. Das Licht ging mit den sanften Wellen auf und ab, und schien beinahe direkt auf dem Wasser zu schwimmen. So kam es langsam aber erkennbar auf den Hafen zugesteuert.
Ich sammelte meine Sinne und schob die sanfte Hand des Weines, der mehr und mehr nach meiner Selbst griff, zur Seite und beobachtete das nahende Licht. Nach einer unbestimmten Weile, in der ich beinahe vergessen hatte regelmäßig zu atmen, konnte ich das kleine Licht als ein Lampenfeuer auf einer winzigen Barke ausmachen, die kaum mehr als ein Ruderboot sein konnte.

Bald meinte ich im Licht der Lampe auch eine einzelne Gestalt in diesem Boot erkennen zu können, die mit kräftigen und ungewöhnlich stetigen Zügen die Ruder führte.
Über meine Gedanken und meine Verwunderung darüber, dass nach Sonnenuntergang noch ein Schiff auf den Hafen zusteuerte und dazu noch ein einzelnes Ruderboot, war das Licht bereits eingelaufen.
Nun konnte ich den nächtlichen Ankömmling deutlicher erkennen. Es war tatsächlich ein kleines Ruderboot, in dem eine große Sturmlaterne an einem angezimmerten Balken hing. An Bord dieser beleuchteten Holzschale stand ein großer Mann, der in einen langen Mantel gekleidet war und – ich kniff mehrmals die Augen zusammen um sicher zu gehen keiner Umneblung durch den schweren Wein erlegen zu sein – einen schwarzen Zylinder trug.
Als wäre meine Verwunderung nicht schon groß genug, wurde ich nun noch gewahr, wie der schwarze Mann lebhaft zu mir herüberwinkte und mit großen Gesten deutete zu ihm zu kommen. Ich blickte mich mehrmals um, ob nicht jemand anders in meiner Nähe gemeint sein könnte, doch da hier weit und breit niemand anders war, blieb keine andere Möglichkeit. Er meinte tatsächlich mich.
Ja, die verstreuten Seemänner am Kai schienen ihn und seine Ankunft nicht einmal bemerkt zu haben. So stand ich also nach kurzem Zögern auf und ging mit trunkenen Schritten hinunter zum Hafen. Der Weg dorthin kam mir wie eine Meile vor, und fast bei jedem Schritt sah ich eine Wand an der ich einmal gelehnt hatte, eine Tür durch die ich einmal geschritten war, oder eine Stelle auf der ich einmal gesessen und über mein Leben nachgedacht hatte. Im Nebel des Alkohols verschwamm Zeit und Raum zu einem einzigen gestern, bis ich mit einem Mal vor dem Boot stand.
Die Laterne im Rücken des Mannes warf seinen langen Schatten auf den Holzsteg und hüllte sein Gesicht in Dunkelheit.
Ich schaute umher und versuchte zu ahnen, welche Hilfe der Fremde von mir benötigen könne – doch die Barke war bereits meisterlich vertaut und auch sonst schien er keiner helfenden Hand zu bedürfen.
»Guten Abend, Herr Franke.« Ich schaute erstaunt auf, als der Fremde mit dunkler und ruhiger Stimme meinen Namen nannte.
»Entschuldigen sie, müsste ich sie kennen ?« fragte ich, und war selbst unangenehm von meiner schweren Zunge überrascht.
»Wohl nicht persönlich. Aber das tut auch wenig zur Sache. Ich bin gekommen um sie abzuholen.« antwortete er in einem Tonfall, als wäre er ein bestellter Kutscher.
»Abzuholen ? Wie meinen sie abholen ?«
»Sagen sie nicht, sie haben mich etwa nicht schon
erwartet ? «
»Hätte ich das sollen ?« wendete ich ein und zuckte unkontrolliert meine Achseln.
»Aber sie erinnern sich doch sicher an ihren Sturz gestern Abend ?«
»Natürlich.«
»Haben sie etwa geglaubt so etwas könnte man
überleben ? «
Wir schwiegen und ich hörte die sanften Brandungswellen gegen das kleine Holzboot schwappen.

»Dann sind sie also ...«
»Der Tod ? Nein. Nur der Fährmann. Können sie sich vorstellen, wie oft mir diese Frage schon gestellt wurde ?«
»Wohl kaum.« Ich hielt kurz inne und versucht mir der seltsamen Situation bewusst zu werden, in der ich mich befand.
»Dann sind sie also Charon ?«
»Nun, wenn sie den Namen mögen, wegen mir.« Er streckte mir seine Hand entgegen und ich schüttelte sie. Ihr Druck war fest und warm. Darauf griff ich wie unbewusst in meine Hosentasche und wendete mich wieder an den Fährmann.
»Das ist nun wirklich ungünstig. Ich habe mein letztes Geld, das ich dabei hatte für eine Flasche Wein ausgegeben.«
»Nun ja, dann liegt ihnen das Fährgeld ja sozusagen doch auf der Zunge.« sagte er, und ich meinte eine Spur von Belustigung in seiner Stimme hören zu können.
»Bin ich denn überhaupt schon bestattet ?« wendete ich ein, wie als wäre es mir wichtig noch etwas länger auf dieser morschen Blanke unter unseren Füßen verweilen zu dürfen.
»Auch das nicht. Aber ich drücke für sie einmal beide Augen zu. Können wir nun ? Ich habe noch einiges zu tun, sie verstehen.«
Ich nickte also und stieg zu dem Fährmann in sein Boot. Er löste das Tau und so fuhren wir los.
Mit dem beruhigenden Geräusch der schlagenden Ruder verschwanden die Lichter meiner Stadt hinter mir und die schaukelnde Laterne wiegte mich in einen tiefen Schlaf.

[Beitrag editiert von: MarcusSeptimus am 24.02.2002 um 15:58]

 

Recht schöne Geschichte, wobei das Thema (jemand wird vom Tod bzw. Fährmann persönlich abgeholt) schon etwas abgegriffen ist. Solche Stories findet man doch wirklich häufig. Nur meine Meinung, hab eben genug von diesen Geschichten.

und so tat ich also

Meisterlich oder dilettantisch? Schwer zu sagen... :susp:
Der sprachliche Rhytmus dieser Worte gefällt mir jedenfalls.

 

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