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Der Feind

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01.07.2006
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Der Feind

„Hey, Hallo! Ich würde gerne sterben kommen!“
Das Fenster in dem Büro war geschlossen und so war die folgende Stille zwischen zwei Menschen ganz dumpf. Der Mann hinter dem Schreibtisch sah Tim Büchner entsetzt an, besann sich aber schnell wieder und versuchte gefasst zu wirken.
„Na gut, dann setzen sie sich erst mal hin.“
Der Mann, der Herr Klose hieß, wies Tim Büchner auf einen Stuhl. Er schaute ihm dabei nicht in die Augen. Er ließ seinen Blick in der Luft vor sich kreisen und ging in Gedanken noch einmal durch, was er in dem folgenden Gespräch abzuarbeiten hatte. Tim Büchner schloss vorsichtig die Tür und setzte sich auf den Stuhl. In seinen Händen hielt er einen dünnen Stapel aus Papierblattern, mit dem er leicht gegen die Tischkante tippte.
Der Schreibtisch war recht leer und dementsprechend aufgeräumt. Ein gerahmtes Bild stand darauf. Tim Büchner konnte das Motiv nicht sehen, es war ihm nicht zugewandt, aber er vermutete, dass es die Frau von Herr Klose war. Neben dem Monitor lagen zwei sauber auf Kante gelegte Stapel aus Blättern und Heftern und ein Dokument, das Herr Klose gerade bearbeitet hatte, lag davor.
Herr Klose hatte dieses Amt erst seit einem halben Jahr inne, doch schon des öfteren traten Personen mit einem Anliegen, wie Tim Büchner eines hatte, an ihn heran und trotzdem wühlten ihn solche Anfragen jedes Mal auf. Wahrscheinlich würde er sich niemals daran gewöhnen. Man hatte ihm gesagt, dass er sich wahrscheinlich niemals daran gewöhnen würde. Herr Klose atmete hörbar tief ein, schaute Tim Büchner in die Augen und begann:
„Wie heißen sie?“
„Tim Büchner.“
„Und wie alt sind sie?“
„27 Jahre.“
„Herr Büchner, ich bin der festen Überzeugung, dass jemand mit ihrem Anliegen sich oft genug Gedanken über das Leben macht und Gründe für sein Vorhaben hat und deshalb möchte ich sie nicht belehren. Aber bitte lassen sie mich vorab etwas sagen:
‚Es geht für viele junge Menschen nicht gerecht zu in unserer Gesellschaft und diese Ungerechtigkeit mag auch ihr größter Fehler sein, aber er ist nicht beabsichtigt. Wir arbeiten darauf hin, dass es den Menschen gut geht, dass sie ein Dach über dem Kopf haben und regelmäßig essen können und sich darüber hinaus auch hin und wieder mal an den kleinen Dingen des Lebens erfreuen können. Wir wollen, dass sie leben.
Wir würden alles dafür geben, einen Jeden in unserer Gesellschaft ein hinreichend erfüllendes Leben zu bieten, doch haben wir nicht die Mittel, dieses zu garantieren. In Anbetracht der vielen Menschen, die in unserer Gesellschaft leben, können wir mit unseren Möglichkeiten lediglich die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass ein solches Leben möglich ist.
Ich spreche für die gesamte Organisation, wenn ich ihnen sage, dass ich den Tod eines so jungen Menschen sehr bedauere.
Herr Büchner, sie sind jetzt 27 Jahre alt. Wollen sie wirklich nicht wissen, was ihr restliches Leben mit sich bringt? Wollen sie wirklich sterben?’“
Es erstaunte Herr Klose, wie viele Menschen nach diesem Monolog aufstanden, sagten, dass sie es sich doch noch einmal überlegen werden und nie wieder kamen. Doch Tim Büchner hatte sich entschlossen. Er saß regungslos auf dem Stul, starrte Herrn Klose unbeeindruckt in die Augen und sagte: „Ja, ich will!“
Herrn Klose begann der Hals zu jucken. Er kratzte sich am Kopf und öffnete ein Schubfach und suchte darin, schob darin Unterlagen zur Seite. Nichts. Er blätterte in den beiden Stapeln neben dem Monitor. Er durchstöberte sie, durchwühlte sie, schichtete sie zu einen großen Haufen. Herr Klose brachte die ganze, schöne Ordnung durcheinander. Er wusste nicht, wonach er suchte. Tim Büchner fühlte sich unwohl. Diese Unruhe gefiel ihm nicht.
Dumpfe Stille beherrschte das Büro. Herr Klose nahm das Bild und legte es mit dem Motiv nach unten auf den Tisch. Was war nur los mit ihm? Irgendetwas hatte dieser Tim Büchner in das Büro gebracht. Irgendetwas war ganz, ganz merkwürdig und dann fiel es ihm ein. Natürlich.
„Warum sind sie gestorben, äh, ich meine... Warum wollen sie sterben?“
„Es kommt immer vor, dass ich Probleme mit Grammatik habe.“
Hochzeitsglocken. Herr Klose setzte sich auf, lehnte sich leicht nach vorne und fragte mit einem unterdrückten Lächeln und runzelnder Stirn:
„Weil sie Probleme mit Grammatik haben?“
„Ja, wenn sie sich vorstellen, wie schlimm das ist.“
„Wir lassen nicht zu, dass jemand stirbt, nur weil er Probleme mit Grammatik hat.“
„Aber sie verstehen nicht. Es ist ganz furchtbar. Es sind nicht nur die Wörter, die ich falsch schreibe. Ich kann mich nicht richtig ausdrücken. Ich mache Sachen falsch.“
„Behindert sie das bei der Ausübung ihres Berufes, oder... Was machen sie denn beruflich.“
„Ich möchte mal Schriftsteller werden.“
Herr Klose merkte nicht, wie er ungläubig den Kopf schüttelte. ((Er merkte nicht, wie er die zweite Regel verletzte, indem er Tim Büchners Tötungswunschgründe herunterspielte. Er merkte nicht, wie stark er seinen Gefühlen freien Lauf ließ, dass er dieses Gespräch in die nächste Kneipe verlagern könnte. Noch nicht. << den Inhalt vielleicht erst beim ‚Bemerken’ einbringen, hier vielleicht noch mal kurz/beiläufig auf den Stapel Papierblatte eingehen, um die Neugierde zu erhöhen))
„Da können wir nun aber wirklich nichts machen. Wir lassen niemanden sterben, nur weil er seinen Lebenstraum nicht als erfüllt betrachten kann.“
„Denn sie merken nicht, was hier passiert. Ich bin doch verantwortlich für das. Ich gehe daran unter.“
Tim Büchner sprang auf.
„Schauen sie sich nur diesen Stul an, der war mal richtig geschrieben.“

((Übergang zwischen den beiden wörtlichen Reden überarbeiten – folgende, plötzliche Reaktion von Herrn Klose ist noch nicht ganz schlüssig -> Situation entspannen / Klose hat das Gefühl, dass mit Tim irgendetwas los ist (merkt, dass der Stuhl tatsächlich falsch geschrieben ist oder so) und man ihm vielleicht doch auf ihn eingehen sollte))

„Ist ja gut. Haben sie ihre Formulare ausgefüllt?“
„Ja. Ich habe geschrieben, was drauf stand.“
Tim Büchner reichte ihm den dünnen Stapel Papierblatter und setzte sich wieder hin.
„Na dann wollen wir doch erst mal schauen.“
Und dann merkte Herr Klose, mit welcher Arroganz er Tim Büchner entgegentrat. Wie er mit ihm sprach. Als wäre er ein kleiner Junge mit einer Schürfwunde am Knie. Du bist zu aufgeregt, dachte er sich. Was ist nur los mit dir? Er warf Tim Büchner einen kurzen, entschuldigenden Blick zu, nahm sich einen Bleistift und ging das Formular durch.
Tim Büchner beobachtete ihn aufmerksam, musterte seine starre Mimik. Die schmale, runde Geiernase. Die beiden, strengen Hautfalten, die sich von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln ausprägten. Die hole Wange, die von dem knochigen Jochbein gestrafft wurde und die neugierigen, alten Augen, die unter den buschigen Brauen ihren sakkadischen Bewegungen nachgingen. Er wartete auf irgendeine kleine Reaktion. Keine Chance.
„Hier steht, dass sie nie von ihrem Vater verprügelt wurden.“
„Ja, das ist richtig.“
„Ist denn nie irgendetwas in ihrer Familie vorgefallen? Irritierte sie vielleicht eine übermäßig intensive Körperpflege durch ihren Vater oder bereiteten ihnen ganz bestimmte Situationen oder Kontakte mit gewissen Personen aus unerfindlichen Gründen Unbehagen? Irgendetwas, das auf eine Verdrängung hindeuten könnte?“
„Nein.“
Herr Klose machte sich eine Notiz am Rand.
„Kindheit, Schule, Kontakt mit anderen Schülern und Altersgenossen in der Freizeit. Alles reibungslos verlaufen. Hm. Hier steht, dass ihre Freundinnen bisher ziemlich hässlich waren.“
„Ja, sie waren wirklich verdammt hässlich. Das war nicht schön.“
„Mag sein, mag sein.“
Herr Klose blätterte um und drückte seine Stirnfalten mit zwei Fingern zusammen.
„Drei Liter Bier die Woche. Na ja, ein bisschen wenig. Sie hatten mal fünf Heuschrecken. Alle ziemlich zeitnah an einem Pilz verendet.“
„Ja und ich hab es gut verkraftet, wenn sie wissen wollen. Aber es geht darum nicht. Ich habe... ich... Verstehen sie nicht?“
Herrn Klose juckte das Knie. Er kratzte sich am Bauch.
„Hey. Hören sie mal zu. Es gibt einfach keine Kategorie für ihr Problem. Ich meine... sie haben... Ich versuche gerade irgendetwas in diesen Formularen zu finden, was ihr Leben weniger lebenswert macht.“
Entnervt senkte Herr Klose den Kopf und das kratzende Scharren des Bleistiftes schlenzte sich in die dumpfe Stille. Wortlos ging er die restlichen Zeilen durch, notierte, zählte zusammen. Die letzte Anmerkung unterstrich er zweimal. Dann schaute er auf.
„Klasse Vier. Mehr sind sie nicht. Das ist man standardmäßig, sobald man durch diese Tür kommt. Fünf und Sechs sind für glückliche Singles und Familienväter reserviert.“
Herr Klose schob die Formulare mit der flachen Hand zur Seite und stützte sich mit den Armen auf die freie Tischfläche.
„Wir haben Sommeranfang. Das ist eine sehr schöne Jahreszeit. Es wird warm und alles blüht. Es ist nicht vorgesehen, dass um diese Zeit viele Menschen sterben. Was aber nicht heißt, dass die Nachfrage gering ist. Verstehen sie, das Kontingent an Todesfällen für diese Zeit ist selbst für Zugehörige der Klasse Zwei ausgelastet. Alles was ich machen kann, ist zu gucken, ob ich sie noch auf eine Warteliste setzen kann.“
„Ja. OK. Ich habe Zeit.“
Herr Klose schaltete den Rechner an. Während dieser hochfuhr, redete er weiter.
„Machen sie sich nicht zu viele Hoffnungen. Es ist gut möglich, dass die Wartelisten ebenfalls voll sind. Gerade um diese Zeit lassen sich viele Personen vormerken. Und aus Gründen der statistischen Genauigkeit werden solche Vormerkungen nur für einen Zeitraum von maximal einem halben Jahr vorgenommen. Wissen sie, wenn sie sich als 27jähriger anmelden und erst mit 28 oder 29 sterben, dann verfälscht das die Statistik.“
Dann piepte der Computer. Der Bildschirm wurde hell. Das Betriebssystem wurde geladen und Herr Klose meldete sich an – im ‚System C’. Das ‚C’ ist keine Abkürzung. Es bedeutet lediglich, dass dieses System dem dritten, äußeren Ring des Gesamtsystems entspricht. Der innerste Ring bezeichnet das ‚System A’. ‚A’ steht für Autoren. Das sind die Leute, die Geschichte schreiben. Man sagt sich, dass sie auf 25 quadratmetergroßen Inseln mitten im Ozean ihren Tätigkeiten nachgehen. Noch als Säuglinge ihren Müttern entzogen, sterben sie einsam, ohne die leiseste Ahnung, dass es noch einen zweiten Menschen jenseits des Horizonts gibt. All ihren Input bekommen sie durch beschrieben Blätter, die sie in dem Schubfach einer im Sand stehenden Kommode finden. All ihre Intelligenz und soziales Verlangen befriedigen sie durch die Beschriftung leerer Blätter, die sie anschließend in das Schubfach legen. Ein unterirdisches System tauscht die Blätter regelmäßig aus. Dreiköpfige Teams schippern jede Nacht mit Schlauchbooten zu den Inseln, pumpen die Mägen und Blasen der vom Gas betäubten Autoren ab und ernähren sie intravenös.
Herr Klose macht sich keine Gedanken darüber, ob diese Geschichte wahr ist. Tatsächlich scheint es keinen Menschen zu geben, der einen Autor persönlich kennt. Die Autoren, es sind nur einige wenige, haben sich vollkommen aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen. Manchmal denkt sich Herr Klose, dass sie diese Geschichte selbst in die Welt gesetzt haben. Er hat keine Ahnung, wie es sich wirklich mit ihnen verhält. Er nimmt die Maus in die Hand und durchsucht die statistischen Tabellen auf dem Bildschirm. Der pure Wahnsinn. Niemals würde er so eine riesige Verantwortung für all diese Schicksale tragen können. Er schauderte vor der Last der Autoren.
„Wie vermutet, es sieht nicht gut aus.“
„Aber verstehen kann ich das nicht. Es kann doch nicht so viele sterbenswillige Menschen geben. Wo kommen die ganzen Toten her?“
„Die Statistiken sehen eben vor, dass auch glückliche Menschen sterben und da die meisten Menschen nun mal glücklich sind, werden diese bevorzugt genommen.“
„Und wenn ich als glücklicher Mensch sterbe?“
„Wir können sie nicht als ‚glücklicher Mensch’ vormerken, dazu müssten sie mindestens Klasse Fünf sein und die dürfen sich nicht bei uns anmelden.“
„Fällt denn eine einzelne Person so viel ins Gewicht? Ich meine, kann man da nix machen?“
„Unter Umständen, ja. Aber nicht unter diesen. Es gibt zwar immer eine gewisse Varianz, innerhalb der wir zum Teil frei agieren können, aber nicht in ihrem Fall. Vergessen sie nicht, sie sind Klasse Vier.“
Herr Klose überlegte kurz.
„Da fällt mir ein, kaufen sie sich doch ein paar billige Sportschuhe und fangen sie an auf Asphalt zu joggen. Gegen die Gelenkschmerzen gibt es ein neues Medikament. Ich kann nachgucken, wie es heißt, wenn sie möchten. In anderthalb Jahren sollen Wissenschaftler der Universität Potau herausfinden, dass die regelmäßig Einnahme dieses Medikaments in Verbindung mit gelegentlichen Alkoholgenuss zu mittelschweren Depressionen führen kann. Meine Nichte arbeitet in der zuständigen Abteilung und die suchen noch Freiwillige. Sie würden dann in die Klasse Zwei rutschen.“
„Ich möchte nicht joggen.“
„Wie gesagt, mehr kann ich nicht für sie tun.“
„Es gibt keine weitere Chance?“
„Tut mir wirklich leid.“
„Also war’s das.“
„Ja.“
„Na gut. Dann machen sie’s gut.“
„Auf Wiedersehen.“
Tim Büchner stand auf, schob den Stul vorsichtig an den Tisch und verließ das Büro. Herr Klose blieb noch eine Weile sitzen. Sein Kopf war ganz leer. Nach einer Weile stand er auf und öffnete das Fenster. Die dumpfe Stille verschwand und der lebendige Lärm der Stadt erfrischte das Büro mit taumelnder Freude. Ungläubig schaute Herr Klose über die Dächer. Es kam ihm vor, als wäre er in den letzten Minuten nicht er selbst gewesen. Er ging zu dem Stuhl, auf dem Tim Büchner gesessen hatte. Der Stuhl war richtig geschrieben.
Herr Klose wird nie begreifen, was Tim Büchners Problem war. Aber das war egal, denn er wird ihn nie vergessen. Irgendwann wird er merken, dass es nicht die Autoren sind, welche die Last ihres Wahnsinns tragen müssen und nicht der Autofahrer mit dem Sekundenschlaf für den Tod seiner Frau verantwortlich war. Dann wird er das letzte Dokument bearbeiten und seinen Job kündigen. Für den heutigen Tag lässt er die Arbeit ruhen, ohne es vorzuhaben. Er wird bis zum Feierabend Solitär spielen und dem säuselnden Verkehr lauschen.
Tim Büchner indes ging in die Kneipe ‚Tambalos Eck’, um ein Glahs Biehr zu trinken, so wie er es jeden Tag um diese Zeit zu tun pflegt. Er wird niemals erfahren, dass das, was er berührt, nicht ewig schlecht ist.​

 

((Übergang zwischen den beiden wörtlichen Reden überarbeiten – folgende, plötzliche Reaktion von Herrn Klose ist noch nicht ganz schlüssig -> Situation entspannen / Klose hat das Gefühl, dass mit Tim irgendetwas los ist (merkt, dass der Stuhl tatsächlich falsch geschrieben ist oder so) und man ihm vielleicht doch auf ihn eingehen sollte))
Ich glaub, Du bist noch nicht ganz fertig - zumindest hast Du die Geschichte ganz sicher noch nicht korrekturgelesen.

 

Hm. Das soll eigentlich so sein. Aber ich hab mir schon gedacht, dass das vielleicht nicht so funktioniert. Wenn das bis heute Nachmittag noch keiner begriffen hat, dann mach ich es weg.

 

Das soll eigentlich so sein.
Ach so, dann entschuldige bitte. ;)
Wenn das bis heute Nachmittag noch keiner begriffen hat
Ich hab nur geschaut, wie lang die Geschichte ist, und hab das dabei gesehen. Ob es inhaltlich zu begreifen ist, kann ich also nicht sagen, und für jetzt ist sie mir zu lang. Aber vielleicht komm ich wieder. :)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

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