Hey @Henry K.,
danke dir für deinen langen Kommentar! Habe ihn nach hinten verschoben, damit ich gleichzeitig auf Maeuser antworten kann. Hoffe das ist okay.
die Geschichte liest sich gut runter, finde ich. Insgesamt schön formuliert, was die Dialoge und allgemeine Lebendigkeit der Figuren angeht, allerdings noch ausbaufähig.
Die Idee, also den Plot, finde ich nicht schlecht. Mich stört nur ein wenig, wie selbstverständlich hier schon sehr ungewöhnliche Dinge behandelt werden. Erst merkt man das vielleicht nicht, denn es ist ja eine Geschichte und damit erst mal eine eigene Welt mit eigenen Regeln.
Danke erstmal. Ja, ich kann verstehen, dass dich diese Punkte stören. Ich glaube, dass wir beide relativ unterschiedliche Zugänge zum Schreiben haben. Mir gefallen eigene Welten mit eigenen Regeln. Ich schreibe auch nahezu alle Texte in Ich-Perspektive, weil ich eine subjektive Wahrnehmung der Umwelt durch den Erzähler zeichnen will.
Aber ist es nicht bemerkenswert, dass der Erzähler einfach so seine Tage in einer Kneipe verbringt, ohne Kontext, ohne weitere Interaktion bis auf die mit der Dame, mit der er dann auch gleich mal eben nebenbei im Bett landet, und am Ende mit dem Wirt? Also auf den zweiten Blick ist das doch ein kurioses Szenario, über das ich gerne mehr erfahren würde.
Zum Beispiel dazu: Ob niemand der Gäste das bemerkt ist ja gar nicht gesagt, sondern der Erzähler sieht es nicht, weil er dieser Obsession (hab mir das Wort mal ganz frech geklaut

) folgt. Zudem wird er ja zweimal darauf angesprochen. (In der überarbeiteten Version nur einmal.)
Und dann die Tatsache, dass er zeichnet. Ich zeichne auch ein wenig und um ein Gesicht naturgetreu und "live" zu zeichnen, braucht man jahrelange Übung, vor allem, wenn das Gegenüber dann auch noch irgendwo rumsitzt und sich bewegt. Und er kritzelt da so rum auf Bierdeckeln mit dem Anspruch, das Essentielle eines fremden Gesichts zu treffen? Also das zu erreichen, was grosse Kunst auszeichnet? Ist das nicht völlig vermessen? Und dann bringt er sogar einen anderen Bleistift mit, so als führe am Zeichnen kein Weg vorbei? Warum eigentlich? Ist er ein Künstler? Wenn ja, wäre das sicher auch erzählenswert.
Nein, in meinem Kopf sitzt er nicht mit Baskenmütze in der Bar und will die nächste Mona Lisa malen. Ich sehe das Zeichnen eher als eine Reaktion auf das Gesicht des Fetten. Er versucht es aufzuzeichnen, weil er vom Anblick alleine nicht draufkommt und versucht, ob er nicht in Zeichnungen drauf kommt. Die Bierdeckel sind das erste, das da ist und am nächsten Tag lässt ihn das Gesicht immer noch nicht los, deshalb geht er mit Block und Bleistift hin.
Und warum merkt der Fette das nicht? Menschen sind in der Regel recht aufmerksam. Wer mal versucht hat, in der Öffentlichkeit fremde Leute zu zeichnen, weiss, dass sie dauernd zu einem herübergucken und man muss dann dauernd absetzen oder was übers Blatt legen, wenn man nicht entdeckt werden will. Dabei fühlt man sich auch schuldig, denn man dringt irgendwie in die Intimsphäre ein. Solche Gefühle hat der Erzähler alle nicht. Das wundert mich. Wenn die Leute es dann doch mitbekommen, dass man sie zeichnet oder gezeichnet hat, ist das erst recht peinlich und ab dann kann man sie auch nicht mehr einfach so mal zeichnen, denn dann sind sie unsicher und reagieren auf einen.
Danke für diesen Einblick. Ich zeichne nicht und habe auch noch nie versucht eine fremde Person zu zeichnen, also glaube ich dir das einfach mal. Na ja, ich schreibe ja mehrmals, dass der Fette die ganze Zeit auf einen festen Punkt starrt. Er nimmt ja sowieso nicht am Leben um sich rum teil, sondern ist die ganze Zeit in Gedanken oder eher gedanklicher Leere. Insofern würde ich argumentieren, dass er es einfach nicht mitkriegt oder zumindest so tut.
Letztlich kommt da auch diese Obsession zu den Punkten dazu. Die nimmt der Erzähler unterm Strich schon recht schulterzuckend hin: Huch, da bin ich doch plötzlich von einem fetten Fremden in einer Bar besessen und weiss gar nicht, warum. Was willste machen? Muss ich eben jetzt jeden Tag dahin und ihn zeichnen! Was sonst?
Ist es noch eine Obsession, wenn man sich dabei hinterfragen kann?
Ich finde, und das ist ganz klar nur eine persönliche Meinung, dass Texte wie der hier davon profitieren, in die Breite zu gehen. Ja, Minimalismus etc. ist en vogue und generell gilt es immer erst mal als kunstfertig, Dinge wegzulassen. Aber manchmal wird es dann doch sehr bruchstückhaft und löchrig am Ende. Hier wäre in meinen Augen viel mehr Wucht dahinter, wenn sich das Ganze über Wochen abspielen und langsam steigern würde, mit zwischenzeitlichen Aufs und Abs, immer neuen Versuchen, das Ganze zu enträtseln, dabei aber auch immer wieder alles reflektierend und am Sinn der ganzen Rätselei zweifelnd, ein langsamer, "realistischerer" Abstieg in einen (grundlosen?) Wahn :-)
Ich bin da unschlüssig. Was gerade en vogue ist, weiß ich nicht. Ich schreibe einfach gerne kurze Texte und es ist mir ein Graus Sachen dazu zu stecken, wenn in meinen Augen die Geschichte erzählt ist. Für mich fühlt es sich dann an, als würde ich die Geschichte einfach nur mit Füllmittel aufblasen. Ob das so funktioniert, wie ich das mache? Keine Ahnung. Ich bin in der ganzen Theorie zum Schreiben auch nicht versiert, sondern schreibe einfach Texte, die mir selbst gefallen.
Ich werde mir nochmal in Ruhe überlegen, ob ich den Text verlängere und da hast du mir ja mit deinen vorherigen Punkten schon einige Anmerkungen mitgegeben, wo man noch ausweiten könnte. Danke dafür! Und auch danke für die Fotografen-Idee. Die werde ich in meine Überlegungen mit einbeziehen.
Gerade kommt mir noch die Idee, den Mann zu einem Fotografen zu machen, der einen Laufkunden für Porträtaufnahmen hat und absurd lange rumknipst, bis es schon peinlich wird. Immer stört ihn was, aber weil er natürlich durch seine Arbeit und die ständige kurze Kommunikation abgelenkt ist, kann er nicht gross in die Tiefe gehen und das im Moment selbst ergründen. Erst im Nachhinein macht es dann "Klick" haha. Dann hätte man im Text eine Rechtfertigung für eine Abbildungssituation und der Protagonist wäre auch direkt mit dem Fremden in Kontakt. Nur wie man den Tod dann noch in die Gleichung bekommt ... Vielleicht ist der Fremde trotz jeder Beleuchtungsart und jedem Filter blass 💀 ... I don't know. Anyway, bin gespannt auf die Antworten, Klamm.
Also dir vielen Dank für die Kommentare und deine Zeit!
Hey @Maeuser,
danke auch dir für deinen Kommentar!
Die Grundidee finde ich nicht schlecht - dass der Prot diesen Gesichtsausdruck wiederfindet und entschlüsselt. @Henry K. würde das ausbauen und mehr in die Länge ziehen - für mich kratzt es jetzt schon an der Grenze zur Unglaubwürdigkeit. Der Ausdruck ist dem Prot doch sehr vertraut, du schreibst, dass sein Vater den 1. immer hatte und 2. eben auch bei seinem Tod. Hier konterkariert übrigens 1. die Dramatik von 2. Und wenn er da jetzt tagelang rumzeichnet und grübelt, finde ich das merkwürdig. Wie alt ist der Prot denn, ist das schon so lange her? - Trotzdem, der Tod des Vaters ist doch was Einschneidendes. (Oder hier nicht? Warum?)
genau den Gedanken hatte ich auch. Darum schrieb ich von "(grundlosem?) Wahn" - das Szenario funktioniert für mich überhaupt nur, wenn es nicht wirklich der Ausdruck oder die Miene des Vaters ist, um die es geht. Es geht um die Obsession. Im besten Fall bleibt am Ende offen, ob da überhaupt eine Ähnlichkeit war oder ob nicht viel mehr die Suche selbst, also diese obsessive und völlig willkürlich erscheinende Beschäftigung mit einem Fremden, ein Abwehrreflex bzw. Symptom von Verdrängung ist, also ob der Protagonist nicht aus unbewältigter Trauer den Verstand verliert. (Denke die ganze Zeit an Hunger von Knut Hamsun, aber kann nichts darüber schreiben, weil ich mich eigentlich an nichts mehr konkret erinnern kann, ausser an den Plot: Mann leidet Hunger und verliert den Verstand, ausgebreitet auf hundertfünfzig Seiten oder was.)
ja, kann man so sehen, aber für mich weist da zu wenig auf diese Lesart hin, dass das so ein starkes Trauma ist. Dann müsste das tatsächlich ausgebaut werden, aber dann fände ich es auch noch unlogischer, dass der Prot so lange (und dann noch länger) braucht, um das zu entschlüsseln, wenn das dann doch ziemlich dicht unter der Oberfläche liegt..
@Maeuser und
@Henry K., ich schreibe einfach die Idee dahinter mal runter. Nicht, weil ich euch unbedingt den Text erklären will, sondern um drüber zu reden. Ich habe Hunger übrigens gelesen und für sehr gut befunden. =D
Meine Idee dahinter war, dass der Protagonist den Tod des Vaters verdrängt hat, wobei in diesem Fall vielleicht Amnesie durch ein traumatisches Erlebnis die eindeutigere Bezeichnung ist. Das Gesicht des Fetten erinnert ihn an dieses Ereignis, weil die Person oder der Ausdruck dem Vater ähnlich sieht, oder der Erzähler zumindest denkt, er sähe ihm ähnlich. Er versucht mit dem Zeichnen an diese verdrängte Erinnerung ranzukommen.
Ich war der Meinung, dass dieser Flashback-Traum, in dem er sich als Kind sieht, sehr in diese Richtung zeigt. Hm. Dass der Protagonist das nicht sofort erkennt, sondern dafür eine Zeit braucht, liegt ja in der Natur einer Verdrängung.
Klar, du brauchst eine erstmal unverfängliche Tätigkeit, bei der der Prot dann merkt: Huch, damit will sich ja einer umbringen. Aber Trinken in der Kneipe finde ich da ziemlich ungeeignet, denn du hast da auch noch Bier gewählt (nicht mal Schnaps?!), also, wie viele Jahr(zehnt)e dauert das denn, sich mit so was Schwachem totzusaufen?

Überleg doch mal, ob dir da nicht noch was Besseres einfällt. Und dass der dann eine komische Körperform hat (wie viele Jahre sitzt der denn da schon so?

), ist ja nur so Beiwerk und in der Tat im Grunde irrelevant.
Hm, na ja. Damit ist ja nicht gemeint, dass der Fette sich das konkrete Ziel gesetzt hat: "Heute mach ich Schluss!". Ging mir mehr um Selbstzerstörung. Musste beim Schreiben an ein Gedicht von Bukowski denken:
"I went to the worst of bars hoping to get killed.
but all I could do was to get drunk again.
worse, the bar patrons even ended up liking me.
[...]"
Damit finde ich auch den Titel schwach, da würde ja eher "Der Ausdruckslose" oder so passen.
Hmmm, aber es spielt ja schon eine Rolle in dem Text, dass die Person fett ist. Mag den jetzigen Titel eigentlich ganz gerne.
Von der Handlung her hat die Geschichte was Traumartiges, die Sprache ist aber eher nüchtern-rational. Könnte man eindeutiger aufeinander abstimmen.
Ja, da hast du recht. Werde ich versuchen zu verbessern.
Ich danke dir jedenfalls für die Zeit, die du dem Text gewidmet hast.
Grüße
Klamm