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Der Fischer und seine Lieblinge
Der Fischer und seine Lieblinge
In einem kleinen Dorf namens Sydspitz lebte ein Fischer, der hieß Leif. Auch sein Vater hatte Leif geheißen, und wenn der Fischer einen Sohn gehabt hätte, würde auch dieser Leif heißen. Leif hatte aber keinen Sohn, denn seine Frau Gerrit konnte keine Kinder bekommen. Das war sehr schade, denn er wusste nicht, wer ihm beim Fischen helfen würde, wenn er einmal alt sein würde, aber das war nun einmal nicht zu ändern. Leif und Gerrit waren arm, aber das machte ihnen gar nichts aus, denn sie waren nicht sehr anspruchsvoll. Jede Nacht fuhr er mit seinem Boot auf den See hinaus, und wenn er im Morgengrauen zurückkam, hatte er ein paar Fische gefangen, die er mit Gerrit auf dem Markt verkaufte. So arbeiteten sie Tag für Tag, und sie hatten gerade eben so viel, wie sie zum Leben brauchten.
Eines Tages geschah es, dass Leif und Gerrit auf dem Markt eines Nachbardorfes ihre Fische verkauften, als sie die Stimme einer alten Frau hörten, die bitterlich klagte. Leif war ein gutherziger Mann, und so fragte er das alte Weib, welches Unglück ihr widerfahren sei. „Ach, guter Mann, sieh doch nur, mein Wägelchen ist kaputt, wie soll ich denn nur morgen mein Gemüse auf den Markt fahren? Ach, welches Unglück!“
„Halb so schlimm“, sagte Leif, „das habe ich gleich wieder repariert.“ Und so war es auch, denn Leif war sehr geschickt in solchen Sachen. Flugs hatte er das abgesprungene Rad wieder auf die Achse montiert, und das Wägelchen konnte wieder fahren. Die alte Frau bedankte sich tausendmal und fragte nach seinem Namen. Da sagte er: „Ach, ich bin doch bloß der Leif aus Sydspitz.“
Als Leif und Gerrit am Nachmittag wieder zu ihrer Hütte zurückkamen, da fanden sie ein Körbchen vor der Türe. Sie wunderten sich sehr, weil sie kein solches Körbchen besaßen, und sie schauten neugierig hinein. Das Körbchen war gefüllt mit gutem Gemüse, und Gerrit freute sich. „Sieh nur Leif, das schöne Gemüse. Davon will ich uns eine feine Suppe kochen.“ Kaum dass sie das gesagt hatte, bewegte sich etwas in dem Körbchen, so daß Gerrit es erschrocken fallen ließ, und die Kohlköpfe, Möhren und Zwiebeln zu Boden purzelten. Zwischen den Blättern und Wurzeln steckte da ein kleiner Welpe sein neugieriges Näschen aus dem Korb und tappste unsicher auf Leif zu. Es war ein wirklich niedliches Hundebaby, mit kleinen Schlappöhrchen und einem kurzen Stummelschwanz, der fröhlich wackelte, als Leif sich zu ihm herunterbeugte. „Na, wer bist Du denn, kleiner Kerl? Dich uns wohl der Himmel geschickt. Du wirst ab jetzt bei uns leben, und wir werden Dich Taler nennen, weil Du so ein wunderschönes goldenes Fell hast.“ Taler wackelte fröhlich mit dem Schwänzchen, denn er mochte seinen neuen Namen.
Fortan nahm Leif Taler mit, wenn er auf den See fuhr. Er gab ihm die Fische zu fressen, die zu klein waren, um sie zu verkaufen, und er brachte ihm bei, auf dem See schön leise zu sein, damit die Fische nicht verscheucht wurden. Taler wuchs schnell, und schon bald war er ein recht großer Hund, der stolz mit wehendem Fell am Bug des Bootes stand und auf den See schaute, während Leif ruderte. Er war außerdem ein starker Hund, und bald lernte er, das Fischernetz vorsichtig mit seinem Maul zu fassen und in das Boot zu ziehen. Leif freute sich sehr darüber, denn das war schwere Arbeit, und er lobte Taler für seinen Fleiß. Auf dem Markt passte Taler immer schön auf, dass keiner der Bengel einen Fisch stahl, oder dass ein anderer neidischer Fischer ihm einen verdorbenen Fisch unterschob. Manchmal, wenn es regnete, tanzte Taler draußen und tollte umher, als wolle er mit den Regentropfen balgen, und Leif lachte darüber, aber Gerrit schimpfte mit Taler, er würde nur die Hütte schmutzig machen. Am liebsten hatte Leif es, wenn Taler friedlich auf dem alten Fell auf dem Boden schlief und mit seinem Körper seine Füße wärmte. Der Fischer kraulte dann Talers Kopf und sagte: „Du bist mein Liebling. Was würde ich nur ohne Dich tun.“
Eines Tages kamen der Fischer und sein Hund vom Fischfang zurück, als Leif einen Mann am Seeufer stehen sah, der ein schwarzes Bündel in der Hand hielt. Taler bellte auf, was er eigentlich sonst nie tat, weil Leif es ihm doch verboten hatte. Das Bündel bewegte sich ein wenig, und Leif sah, dass es ein Welpe war, schwarz wie die Nacht. „Holla“, rief Leif dem Mann zu, „sei gegrüßt, guter Mann, aber was tust Du denn da?“ „Ich will die kleinen Biester im See ersäufen. Die alte Nellie hat schon wieder fünf geworfen, wie sollen wir die alle durchfüttern?“ Als er die vier kleinen Welpenkörper leblos am Ufer liegen sah, schmolz Leif das Herz und er sagte: „Gib mir nur den kleinen Kerl. Ich will ihn füttern, damit er nicht im See ersaufen muss.“ Der Mann war einverstanden, und so kam es, dass Leif und Taler mit noch einem kleinen Hundebaby zu Gerrit zurückkehrten. Gerrit runzelte die Stirn, denn nun mussten sie noch ein Maul mehr stopfen, aber Leif sagte ihr, es sei schon in Ordnung und versprach ihr, keine weiteren Hundebabys mehr nach Haus zu bringen.
Der kleine schwarze Hund war ein sehr aufgeweckter Kerl, und er tollte und sprang ausgelassen umher, und Leif nahm ihn auf den Arm und sagte zu ihm: „Du bist mir ein ganz lustiges Kerlchen. Du sollst Funke heißen, weil Du immerzu umher springst.“
Funke durfte aber nicht wie Taler auf dem Boot mitfahren, denn er wollte einfach nicht still sitzen, und er machte mit seinen Zähnen immerzu Löcher in das Netz, so dass Leif es wieder flicken musste. Gerrit war froh, ein wenig Gesellschaft zu haben, und sie ließ ihn Mäuse und Ratten jagen und draußen vor der Hütte wachen, damit sie früh genug hörte, wenn Leif zurückkam. Eines Tages aber kam Funke in die Hütte gelaufen, wedelte fröhlich mit dem Schwanz und ließ vor Gerrits Füßen einen Zweig mit wunderbaren roten Beeren fallen. „Was bist Du doch ein kluger Hund“, lobte ihn Gerrit, „Ich danke Dir für die schönen Beeren, such nur mehr davon!“ Das ließ sich Funke nicht zweimal sagen, und er rannte freudig in den Wald und kam mit immer mehr Beeren zurück. Die Beeren verkauften sie auf dem Markt, und sie freuten sich über die schönen Sachen, die sie sich nun kaufen konnten. Sie konnten sich nun sogar manchmal Fleisch leisten, aus dem sie eine leckere Suppe kochten, und ließen Taler und Funke die Knochen abnagen. Glücklich, dass sie nun ein besseres Leben hatten, arbeiteten sie von früh bis spät. Leif fuhr mit Taler auf den See und fing Fische, Gerrit ging mit Funke in den Wald und sammelte Beeren und Kräuter, die Funke mit seiner feinen Nase fand.
So verging Jahr um Jahr, und Leif saß abends glücklich und rechtschaffen müde vor dem Kamin, seine linke Hand kraulte Talers Kopf, seine rechte Hand kraulte Funkes Ohr, und er flüsterte den beiden zu: „Ihr beiden seid wirklich meine Lieblinge. Was würde ich nur ohne Euch tun?“
Eines Tages starb Gerrit ganz plötzlich, und Leif war außer sich vor Trauer, und auch die Hunde jaulten ganz bitterlich an ihrem Grab. Der Fischer war ganz niedergeschlagen, und er arbeitete nun noch härter, um weiterhin genug Fische zu fangen und genug Kräuter und Beeren zu sammeln. Taler und Funke halfen weiter tüchtig mit, und wenigstens war Leif nicht mehr arm, und er hatte ja immer noch seine beiden Lieblinge, die er nun abends noch mehr herzte und ihnen für ihre fleißige Arbeit dankte.
Wieder verging Jahr um Jahr, und der gute Leif spürte das Alter in seinen Knochen. Oft dachte er an Gerrit, und wie sie abends nach getaner Arbeit am Feuer gesessen hatten, und sich auf den Tag gefreut hatten, an dem sie einmal wieder richtig ausgelassen tanzen gehen wollten. Dazu war es nie gekommen, und das tat dem alten Fischer leid. Er nahm sich vor, weniger zu arbeiten, um öfter einmal in das Dorf zu gehen, um mit den anderen alten Männern in der Schänke zu schwatzen und Bier zu trinken.
Er beschloss, dass es nun an der Zeit sei, dass Taler allein fischen gehen konnte. Natürlich konnte er nicht rudern, deshalb kaufte Leif von seinen Ersparnissen ein dickes, langes Seil, das er an dem Boot festband. Er ließ Taler in das Boot springen, gab ihm einen tüchtigen Stoß, so dass das Boot weit auf den See hinaustrieb. Gespannt schaute er auf den See hinaus, und tatsächlich nahm Taler das Netz auf und warf es über Bord. Ganz stolz stand er da mit seinem goldenen Fell, und Leif freute sich darüber, dass er einen so klugen Hund hatte. Als es an der Zeit war, zog er an dem Seil, und holte so das Boot wieder an Land. Freilich brachte Taler nicht sehr viele Fische an Land, aber Leif dachte bei sich, das würde schon werden. Er verkaufte die Fische auf dem Markt, und hielt mit den Männern des Dorfes ein Schwätzchen, denn nun musste er ja nicht mehr so schwer arbeiteten. Die anderen beneideten ihn um seine Lieblinge, und Leif sagte dann immer sie seien sein ganzer Stolz.
Nacht für Nacht schob er Taler auf den See hinaus, und zog ihn im Morgengrauen wieder an Land, und er baute für Funke ein Geschirr, in das er seine gefundenen Beeren und Kräuter werfen konnte. Leif musste nur noch warten, bis er wieder zurückkam und die Ware verkaufen.
Mit der Zeit brachte Taler aber immer weniger Fische an Land, und er vergaß auch, dass er nur die kleinen Fische fressen durfte, so dass Leif immer mehr angefressene Fische fand, die er wegwerfen musste. Er schimpfte mit Taler, ob er denn alles vergessen habe, und in den nächsten Nächten fuhr er wieder selbst in dem Boot und warf die Netze aus. Grimmig zog er die Fische an Land und sagte zu Taler: „Siehst Du, so geht das. Du musst das Netz weit auswerfen, nicht im Bündel, sonst können ja keine Fische hinein schwimmen, Du dummer Hund.“ Dann streichelte er Talers Kopf, und sagte zu ihm: „Ach, mein Liebling, Du musst doch nur tun, was ich Dir beigebracht habe.“
Als er meinte, es sei an der Zeit, schickte er Taler wieder allein auf den See, und er tat sein bestes, aber er konnte mit seinem Maul das Netz nicht weit genug auswerfen, und er konnte mit seiner Nase auch nicht die großen von den kleinen Fischen unterscheiden. Leif wurde wütend, er hatte ihm doch gezeigt, wie es richtig ging, warum nur konnte der nichtsnutzige Hund nicht einfach tun, was er ihm gesagt hatte? Immer wieder zeigte der Fischer dem Tier, was er tun musste, aber es war unnütz. Taler begann außerdem, zu knurren, wenn Leif sich seinem Boot näherte, und das stimmte ihn noch grimmiger. Er hatte das Boot mit seinen eigenen Händen gebaut, und jetzt wurde er von seinem Hund ferngehalten.
Funke lief noch immer in den Wald und sammelte Beeren und Kräuter, aber nun hatten auch andere Leute die Stellen mit den schönsten Beeren gefunden, sie pflückten alle Sträucher leer und zertrampelten mit ihren Füßen die Kräuter, so dass Funke immer weniger Beeren nach Hause brachte.
Leif sprach ein ernstes Wort mit Taler und Funke, es durfte doch nicht so weiter gehen, wovon sollten sie denn Leben, und mit seinen alten Knochen konnte er doch nicht ewig auf den See hinausfahren. Wenn er nicht lernte, anständig zu fischen und zu sammeln, würde er sich einen Lehrling nehmen müssen, dem er beibringen würde, richtig zu fischen. Während er noch sprach und schimpfte, spürte er einen heftigen Schmerz in der Brust, und bald darauf war alles um ihn dunkel, und der alte Fischer Leif war tot.
Am nächsten Tag kamen drei Männer aus dem Dorf, die Leif auf dem Markt vermisst hatten und sehen wollten, wie es ihm ging, und sie fanden den armen Leif vor seiner Hütte liegen, von Taler und Funke aber keine Spur.
„Da seht Ihr’s, er hat immer so große Töne gesungen auf seine Lieblinge, aber am Ende haben sie ihn doch im Stich gelassen.“ „So ist es“, sagte ein anderer, „Der arme alte Tor. Ich habe immer gesagt, er hätte seine Hütte verkaufen sollen, als sein Weib gestorben ist.“ „Ich habe es den Viechern schon immer angesehen, dass sie ihn irgendwann ins Grab bringen würden“, sagte der dritte. „Das hat er nun davon.“ Und sie teilten seine wenige Habe unter sich auf und brannten die Hütte nieder. Taler und Funke aber wurden nie wieder in der Gegend gesehen.