Der fröhliche Holzhacker
Mit einem fröhlichen Pfeifen auf den Lippen schwang der Sepp die Axt. Im Lichte der Sonne blitzte das Metall auf. Hernieder! Hernieder! Hernieder krachte sie und schlug das Holz entzwei. Noch unzählige davon hatte er vor sich. Schweiß tropfte von seiner Stirn, sein Hemd war etwas durchnässt, aber das machte ihm nichts. Er liebte körperliche Arbeit. Erstrecht draußen in der Natur, wo die Vögel sangen.
Er war noch einer derer, die ihr Handwerk liebten. Seine Muskeln waren gestählt, sein Haar hing ihm bis auf sein kariertes Hemd, an das sich eine lederne Hose anschloss. Es war etwas zu klein, aber sein Schatz mochte das so. Sie sagte immer, wenn jemand in seinem Alter noch so einen Körper besäße, dann könnte dieser jemand ihn auch zur Geltung bringen. Ja, ja, sie war schon so eine.
Zufrieden hielt er für einen Moment inne und betrachtet das Holz. Es war etwa vor zwei Jahren geschlagen worden - gutes Alter. Es war dadurch schon so trocken, dass die Axt auch bei den Dicksten in einem Schlag durch den Stamm fuhr.
Er griff nach einem neuen Stück Holz, verscheuchte einige Kellerasseln davon. Kurz musste er den Kopf schütteln über dieses lichtscheue Ungeziefer. Sie sollten sich mal nicht immer in seinem Holze verstecken, dann würden sie definitiv länger leben. Aber woher sollten sie das auch wissen? Aber er konnte auch nicht jede von ihnen aus dem Holz ziehen. Dann würde er vielleicht drei, vier Hölzer am Tag schlagen. Er musste laut auflachen. Sagen wir mal, dachte er sich, ich schlage 60 Hölzer pro Stunde, dann schlage ich in acht Stunden, er überlegte kurz, ja, 480 Hölzer. Durch ein Holz tötete er sicherlich aus Versehen vier Kellerasseln. Dann hatte er allein an einem Tag vier mal 480, also, also, fast zwei tausend Kellerasseln getötet. Ungewollt musste er grinsen. Er war der Kellerasselterminator!
Wieder fröhlich pfeifend ließ er die Axt wieder hernieder sausen. Wie er sich schon auf den Abend freute. Sein Schatz hatte versprochen, Schnitzelchen auf den Tisch zu bringen. Lecker!! Zusammen mit ein, zwei gekühlten Bieren war das paradiesisch. Wofür reich sein? Was wollte er schon mit Kaviar und diesem Prickelwasser. Nun gut, er würde seine Frau mal mit einem schnieken Schmuckstück überraschen können oder sie in so ein piekfeines Restaurant ausführen können. Aber da würde es dann auch wieder keine Schnitzelchen geben. Also doch lieber weniger Geld haben. Da konnte er wenigstens Holzhacken und sich auf das Essen seines Schatzes freuen. Und er würde noch Träume haben können.
Am Abend hatte der Sepp sodann eine Arbeit vollbracht und einen ordentlichen Haufen Holz gehackt und aufgestapelt. Morgen würde der Laster kommen und es abtransportieren. Für einen Moment legte er den Kopf schief. Nein, reich sein, das wollte er nicht. Aber so einen kleinen Holzbetrieb zu besitzen, das wäre schon was. So einer, in dem das Holz noch frisch aus den Wäldern kam. In dem er auch ein, zwei dieser Laster besitzen und Holz in allen Arten verkaufen würde.
Pfeifend schwang er sich auf sein Motorrad und peste dröhnend davon. Ja, das war schon ein toller Traum. Aber Holzhacken war immer noch toller - und die Schnitzelchen, die er gleich bekommen würde.
Keine fünf Minuten später erreichte er seine Hütte, sprang von seinem Motorrad und rief: „Silvia! Bin wieder da! Sind die Schnitzel schon fertig?“
Keine Antwort. Er seufzte und schüttelte den Kopf. Hätte er doch mal jemand geheiratet, der aufmerksamer war. Es könnte auch ein Einbrecher einbrechen und sie würde es noch nicht einmal merken.
„Silvia!!“, rief er noch einmal lauter. Solange der Einbrecher nicht sein kühles Bier gestohlen hatte, war alles nicht so schlimm. Sollte das aber der Fall sein, dann würde er Fuxteufels wild werden. Aber nein. Was würde denn ein Einbrecher auch schon hier draußen suchen und kaltes Bier konnte sich selbst der kaufen oder im Supermarkt mitgehen lassen!
Er öffnete die Eingangstür, trat in den kühlen Flur und hob die Nase. Moment mal, dachte er sich, es riecht überhaupt nicht nach Schnitzelchen. War sein Schatz überhaupt zu hause? Oder hatte sie das Abendessen verschlafen?
Durch den Flur ging er rechts ab in die Küche. Ein Knurren entfloh seiner Kehle, aber kein allzu böses. Jedenfalls stand sein Abendessen tatsächlich nicht auf dem Herd. Er verdrehte die Augen und schlurfte in Richtung des Schlafzimmers. Dann würde er sie zumindest dort überraschen können. Vielleicht würde sich vor dem Abendessen daraus doch noch was vorteilhaftes entwickeln. Sie liebte seinen verschwitzen Körper, der noch nach Wald und Holz roch.
„Silvia!“, rief er während er die Tür öffnete. Tatsächlich, sie lag auf dem Bett und schlief. Wie ein Engel. Ihr blondes Haar rahmte das süßeste Gesicht ein, dass er je gesehen hatte. Seid dem ersten Moment, als er sie gesehen hatte, liebet er sie. Er stürzte zu ihr hin. „Silvia, du hast Abendessen verpennt!“. Er küsste sie auf den Mund, nur um einen Moment zurückzustolpern und auf den Boden zu spucken. Aus ihrem Mund war etwas gekommen. Etwas Lebendiges. Aber nicht ihre warme Zunge. Etwas Kleines, Hartes. Vorsichtig näherte er sich seinem Schatz wieder. Was war mit ihr los? Und plötzlich, da sah er es. Aus ihrem Mund krabbelten Kellerasseln. Jedoch nicht nur eine. Sondern mindestens zehn. Sofort rannte er zu ihr und entledigte sie des Ungeziefers. So was, das hatte er auch noch nicht erlebt. Er rüttelte an ihrer Schulter, doch sie bewegte sich nicht. Im selben Moment krabbelten ein ganzer Schwall der Viecher aus ihrem Mund. Auch aus ihren Nasenlöchern kamen sie. Mit einem leisen Schrei wich er zurück.
War sein Schatz tot, schoss es ihm plötzlich durch den Kopf. Hatten die Kellerasseln sie getötet? Unwahrscheinlich. Er sah für einen Moment aus dem Fenster. Draußen war klarer Sonnenschein. Um Mitternacht, wer weiß, was da alles passieren konnte. Aber nicht tagsüber. Trotzdem, er musste sofort einen Arzt rufen. Vielleicht hatte sie etwas gegessen, in dem Eier dieser Viecher gewesen waren und nun entschlüpften sie alle, während sie schlief.
Gerade als er sich umdrehen und zum Telefon gehen wollte, öffnete sie ihre Augen.
„Silvia!“, rief er strahlend. „Ich dachte schon, dir sei was passiert. Da sind so Viecher aus dir raus...“
Sie blickte ihn aus großen blauen Augen hingebungsvoll an. Ja, das war sein Schatz. Auch in tausend Jahren würde er sie noch lieben. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Er trat an sie heran und schloss sie in seine Arme. Da gruben sich plötzlich Zähne in seinen Hals. Vor Schmerz schreiend schleuderte er sie aufs Bett zurück.
„Bist du verrückt!“, schrie er. Doch sie lächelte immer noch. Nur jetzt aus einem Blut verschmierten Mund. Mit seiner rechten Hand tastete er seinen Hals ab. Warmes Blut war ausgetreten und färbte sein Hemd rötlich. War sie verrückt geworden? Hatte das Ungeziefer etwa seinem Schatz das Gehirn rausgefressen?
Jäh setzte sie sich plötzlich auf und sprang auf ihn zu. Bevor er überhaupt reagieren konnte, riss sie ihn mit unmenschlicher Kraft gegen die hintere Wand des Zimmers. In seinem Kopf explodierte ein unvorstellbarer Schmerz. Schatz oder nicht Schatz. Jetzt war es ihm zuviel. Seine linke Hand holte zu einem Rundumschlag aus, der die Sache klären sollte, doch bevor er etwas treffen konnte, hatten sich ihre Zähne in sein linkes Ohr gegraben und dann war es ab. Verdutzt sah er sie an, wie sie genüsslich sein Ohrläppchen verzehrte, als wären es Schnitzelchen. Mit zittriger Hand fühlte er nach seinem Ohr. Erst spürte er keinen Schmerz. Als wäre noch alles dran, doch als er es berührte, das Blut spürte, da war es, als würde jemand mit einer rostigen Säge ganz langsam sein Ohr zerteilen. Für einen Moment wurde ihm Schwarz vor Augen.
Als seine Blick wieder aufklarte, er aufspringen und ihr endgültig den gar aus machten wollte, war sie fort. Verdutzt sah er sich um. Doch im Schlafzimmer hielt sie sich nicht mehr auf. Sepp rappelte sich auf und schlich auf Zehenspitzen aus dem Raum. Allmählich wurde ihm unwohl. Traurig schüttelte er den Kopf. Sie war verrückt geworden. Völlig verrückt.
Leise lauschte er. Wo sie wohl nun war? Die Frage beantwortete sich von selbst, denn im selben Moment kam etwas auf ihn zugestürmt. Im letzten Moment sah er noch etwas Silbernes aufblitzen. Schützend hob er seine linke Hand vor sich, während er mit der rechten so hart wie möglich zu schlug. Etwas Scharfes bohrte sich in seinen linken Unterarm, während seine Rechte gegen etwas Hartes prallte, was unter dem Schlag kollabierte und knackte. Wie ein wilder Hund schüttelte sich sein Schatz vor ihm, er hatte genau ihren Mund getroffen. Zähne waren herausgebrochen. Ihr Lächeln war zu einer schlaffen Fratze geworden. Aus ihren Augen blickte ihn alleinig Irrsinn entgegen. Ihr ehemals süßes Gesicht sah aus, als wäre sie von den Toten wieder auferstanden.
„Silvia!“, rief er verzweifelt. Doch vergebens. Sie holte nur ein weiteres Mal mit einem blutverschmierten Küchenmesser aus.
Dieses Mal war er fixer. Seine Hand schnellte vorwärts, blockte das Messer an ihrem Handknöchel ab, entwand ihr die Waffe und schmetterte seine Liebste gegen die Wand hinter ihr. Er hörte wie ihr Kopf gegen Holz prallte und schrie beinahe auf, obwohl es nicht sein eigener Körper war. Das wiederum nutze sie aus und blitzschnell war sie wieder auf den Beinen und sprang auf ihn zu. Dieses Mal schmetterte er ihr sein Faust in den Unterleib, drängte sie gegen die Wand und im Anflug von Verzweiflung das Messer durch die Schulter. Er hörte etwas knacken, dann steckte das Messer in der Holzwand. Aufatmend trat er einen Schritt zurück. Wie konnte so etwas nur geschehen, fragte er sich leise. Sie hatte ihn doch immer geliebt. Nie war auch nur ein Stück von Wahnsinn in ihr gewesen. Sie, die die beste Schnitzelbraterin war.
Mit einem Gurgeln aus ihrer noch mundartigen Öffnung fasste sie mit ihrer rechten Hand an das Messer und zog es sich selbst aus der Schulter. Sepp stand mit offenem Mund daneben. Das war unmöglich. Panisch wich er zurück. Er würde sie umbringen, oder zumindest ausschalten müssen. Ein leichter Stoß gegen den Kopf reichte da nicht. Er stolperte weiter zurück in Richtung des Hausflures. Sie folgte ihm mit einem teuflischen Grinsen auf den Lippen und einem blitzenden Messer voller Blut in der Hand.
Bei der Gardarobe blieb er stehen. Seine rechte Hand wühlte gehetzt durch die Schirme im Ständer darunter und bekam dann etwas Größeres zu fassen. Seine Ersatzaxt. Fix zog er sie heraus. Dieses Mal würde er ihr so eine verpassen, dass sie so bald nicht wieder aufstehen würde.
Im Halbdunkel des Hausflures sah sie nun wirklich aus wie ein Zombie. Ihr blondes Haar war völlig zerzaust und links voller Blut. Ihre Augen waren glasig und ihr Gang abgehackt. Sie hob ihr Messer in die Höhe und stapfte langsam auf ihn zu. Er hatte seine Axt mit beiden Händen fest gepackt. Seine Muskeln waren angespannt. Wenn es sein musste, würde er mit der stumpfen Seite zuschlagen. Darin war er geübt. Für einen Moment hatte er sich überlegt wegzurennen, auf sein Motorrad zu springen und die Polizei zu rufen Doch was würde sie wohl in der Zwischenzeit anstellen? Er wollte es sich lieber nicht vorstellen. Sie hatten zwar nur wenige Nachbarn, aber die waren wirklich nett.
Plötzlich zuckte ihr Arm nach vorne und das Messer raste durch die Luft auf ihn zu. Er versuchte auszuweichen, doch es war zu spät. Wieder hatte sie ihn überrascht. Ein Schmerz, wie ein Elektroschock gepaart mit einem Trümmerhammerschlag fuhr durch seine linke Schulter, wo das Messer stecken geblieb. Rasend vor Pein schrie er auf. Tränen verschleierten seinen Blick. Im selben Augenblick war sie losgesprintet und warf sich auf ihn. Ihre Hände krallten sich um die Axt. Mit dem Kopf schlug sie wie mit einem Hammer gegen das Messer.
Halb bewusstlos trat er mit seinem rechten Armeestiefel nach ihrem Schienbein. Er hörte etwas knacken. Dieses Mal verschaffte es ihm Befriedigung. Das war nämlich nicht mehr sein Schatz! Das war ein Monster! Ein Dämon, auferstanden aus der Hölle! Sein Schatz konnte nicht einmal Bowlen, wie sollte sie dann ein Messer so präzise werfen können.
Durch den trümmernden Schlag gegen ihr Schienbein strauchelte sie. Diese Zeitspanne nutze er, um ihr die Axt wieder zu entwinden und schlug mit dem stumpfen Ende des eisernen Schaftes gegen ihren Brustkorb. Wieder ertönte ein Knacken. Kurz darauf brach sie auf ihre Knie ein. Schwer atmend blieb er vor ihr stehen. Seine linke Schulter, in der immer noch das Messer steckte, schmerze höllisch. Er hätte durchgehend schreien können. Immer noch blickte ihn der Wahnsinn aus ihren Augen an. Er konnte es nicht ertragen. Am liebsten hätte er mit seinem Stiefel in ihr Gesicht getreten. Das war einmal sein Schatz gewesen! Oh Gott, und was sollte er nur der Polizei erzählen? Er seufzte. War er wohl mit dem falschen Fuß am Morgen aufgestanden?
Da erscholl ein Winseln aus ihrem Mund. Er blickte zu ihr herab. Im selben Moment schnellte sie nach oben und griff nach dem Messer. Wie glühendes Eisen zuckte es durch ihn. Beinahe wurde ihm schwarz vor Augen. Er holte verzweifelt mit seiner Axt halb blind aus und schlug zu. Dann brach auch er in sich zusammen.
Als er die Augen einen Augenblick später wieder öffnete, befand er sich auf dem Teppichboden im Flur. Unter ihm hatte sich eine leichte Blutlache gebildet. Er blickte auf. Neben ihm lag seine Silvia. Ein kalter Schreck durchzuckte ihn. Ihre Halspartie war vollkommen zerfetzt – durch seine Axt. Doch was noch viel schrecklicher war: aus dieser Wunde krabbelten Dutzende und Aberdutzende von Kellerasseln. Vor Grauen war er wie erstarrt. Was hatten sie mit seiner Silvia angestellt? Hatten sie ihr wirklich das Gehirn rausgefressen?
Mit Schrecken bemerkte er, dass sich alle Kellerasseln auf ihn zu bewegten. Einen leisen Schrei ausstoßend wich er zurück, rappelte sich auf und trat mit seinem Stiefel wütend auf sie los. Als auch die letzte von ihnen zerquetscht am Boden lag, wurde er wieder ruhiger. Wie in Trance ging er in die Küche und wusch das Blut von seinen Händen. Doch umsonst. Durch die Wunde am Ohr , am Hals und in der Schulter floss ständig neues auf seine Arme zu den Händen. Einen Moment stütze er sich gegen die Küchenplatte. Dann klärte sich allmählich sein Blick wieder.
Neben sich auf der Arbeitsplatte sah er ein Brettchen stehen. Darauf waren noch wenige Fleischstücken zu sehen. Drum herum wuselten einige der Kellerasseln.
„Nein!“, schrie er auf. Hatten sie also auch noch seine Schnitzelchen gefressen. Diese Biester. Er nahm ein benutztes Glas von der Spüle in die Hand und zerquetsche sie ohne mit der Wimper zu zucken. Das war eine Genugtuung. Beinahe wieder zufrieden, drehte er sich um, um wieder zu erstarren. Auf der anderen Seite des Raumes war der Boden und die Wand bis zur Decke hinauf schwarz. Abertausende Kellerasseln grabbelten ihm entgegen. Für einen Moment stoppte die dunkle Kolonne. An der gegenüberliegenden Wand verdichtete sich das Ungeziefer, um wieder auseinander zugrabbeln. Plötzlich las Sepp stotternd: „U-n-s, unser Tod wird dein Tod. Will-koo, willkommen in d-e-r Hölle. Oh Gott.“ Das letzte stand nicht mehr an der Wand geschrieben, sondern war ein Zusatz von ihm. Einen Moment blieb er wie zu Stein erstarrt stehen. Bedrohlich kroch der Schwarze Teppich auf ihn zu. Doch zu nichts war er fähig.
Dann, als wäre er von einem Bann erlöst worden, griff er grimmig in den Schrank hinter sich. Sollte ihn die Hölle doch holen kommen. Er würde ihr einheizen. Seine rechte Hand bekam eine Flasche zu Fassen. Captain Morgan – bester Stoff mit 80 Umdrehungen. Seine linke Hand wühlte in der dazu gehörige Hosentasche und zog seine Zigarettenschachtel unter höllischen Schmerzen heraus. In ihr war ein Feuerzeug. Er öffnete mit einer Hand die Schachtel, nickte grimmig, holte mit dem Mund eine Zigarette heraus, mit der rechten Hand das Feuerzeug und zündete sie sich an. Das Ungeziefer war mittlerweile weniger als einen Meter von ihm entfernt.
Seelenruhig öffnete er die Flasche, während er einen tiefen Zug aus der Zigarette nahm. Dann schüttete er blitzschnell den Inhalt in einer Linie von der linken bis zur rechten Seite des Raumes und spritze den Rest dem Ungeziefer entgegen. Danach ging er vor der Linie aus Alkohol in die Knie und wartete ruhig, bis die ersten der Biester die Grenze erreicht hatten. Dann betätigte er mit einem teuflischen Grinsen auf den Lippen sein Feuerzeug.
Eine Feuerwand züngelte vor ihm in die Höhe, die sich gefräßig in die von Alkohol getränkten Kellerasseln fortsetzte.
„Willkommen in der Hölle“, brummte er und zog an seiner Zigarette.
Als er sich jedoch umdrehte, realisierte er erst seine Lage. Sein Herz machte einen Sprung. Auch dort hatten sich Heerscharen an Kellerasseln formiert. Selbst die Fenster waren von den ihren halb verdunkelt.
Mit einem tiefen Grollen, wie bei einem Bären, der sich in die Enge getrieben fühlte, sah er sich um. Seine einzige Möglichkeit dieser Hölle zu entgehen, war, irgendwie bis zum Ausgang zu gelangen.
Er zählt bis drei und rannte dann los. Eine grauschwarze, in sich wuselnde Wand hatte sich vor ihm aufgebaut. Ohne sie zu beachten rannte er aus der Küche in den Flur. Er bemerkte, wie die kleinen Biester sich auf ihn fallen ließen und auf ihm herumwuselten. Er spürte, wie er sie unter seinen Stiefeln zerquetschte. Er lief einfach weiter, ohne darauf zu achten.
Endlich drückte er die Türklinge herunter und nichts. Die Tür war abgeschlossen. Panik und Wut kämpften für einen Moment um die Vorherrschaft in seinem Kopf. Silvia musste sie abgeschlossen haben, als sie auch das Messer geholt hatte. Biest!
Nun erst merkte er, dass sich mittlerweile Hunderte der Kellerasseln auf seinem Körper, selbst unter der Kleidung, befinden mussten. Er spürte wie eine seine Lippe erklomm. Verschreckt schloss er den Mund und schütze seine Nase mit der rechten Hand. So rannte er in die Küche zurück. Möglicherweise brannte das Feuer noch, vielleicht konnte er sie darin töten. Oder er fand eine zweite Flasche hochprozentigen Alkohol.
Doch das Feuer brannte nicht mehr. Plötzlich spürte er, wie etwas winziges in seinen Anus eindrang. Dann noch etwas und noch etwas. Im ersten Moment wollte er sich die Hose abreisen, doch dann besann er sich besseres. Er musste erst aus dem Haus raus, sein Motorrad erreichen und ins Krankenhaus. Sofort. Scheiß auf den Alkohol. Seinen Arsch konnte er sich schließlich nicht abbrennen.
Schnell packte er das Brettchen, auf dem die Schnitzelchen einmal gewesen waren und schleuderte es auf das Fenster. Die Klinke zum Öffnen wollte er nicht mehr bedienen. Auf ihr und dem Fenster wimmelte es nur von den kleinen Biestern. Es zersplitterte in Tausend Scherben und gab einen Weg frei nach draußen.
Gerade als er auf die Arbeitsplatte klettern wollte, um aus dem Fenster zu steigen wurde ihm schwarz vor Augen. Blutverlust. Gerade die Wunde in der Schulter pochte, als würde sie in Flammen stehen. Beinahe wäre nach hinten gekippt.
Doch er konnte sich gerade noch fangen und grabbelte über die Arbeitsplatte durch das Fenster. Mittlerweile waren auch zwei, drei der Biester in seinen Mund vorgedrungen. Eiskalt vollführten seine Zähne eine Kaubewegung und zermalmten sie. Maden waren schließlich auch eine Delikatesse. Warum also nicht auch Kellerasseln. Ihre Schalen waren etwas hart. Sie schmeckten etwas salzig bitter. Aber ein Chefkoch könnte da sicherlich was draus zaubern. Es schüttelte ihn. Wahrscheinlich wie bei Kaviar. Da blieb er doch lieber bei seinen Schnitzelchen.
Erschöpft ließ er sich einfach aus dem Fensterrahmen fallen und schrie prompt auf, als er auf dem Boden aufkam. Er hatte seine Schulter vergessen. Wenn er dieses Miststück..., nein, es war einmal sein Schatz gewesen. Sie konnte auch nichts dafür. Nur diese Höllenbrut. Dieser Dämon aus Kellerasseln. Würde er lebend herauskommen, würde er die Kammerjäger herschicken. Die würden diese Biester schnell dorthin zurückbringe, wo sie hingehörten!
Er rappelte sich wieder auf und rannte auf sein Motorrad zu. Er hätte schreien können, sich auf dem Boden wälzen können. Überall auf seinem Körper wuselte es.
Auch draußen, der Vorgarten, war mit einer dunklen Schicht bedeckt. Als würde die Welt nur noch aus den Biestern bestehen. Da wurde es ihm wieder schwarz vor Augen. Er strauchelte und rannte gegen den Pfosten der Vorgartentür. Die Sicht klärte sich wieder und weiter ging der Wettlauf zu seinem Motorrad. Immer noch spürte er, wie etwas in ihn eindrang –rektal. Hatte er es überhaupt geschafft, alle der Biester in seinem Mund zu zermalmen? Oder waren sie lebendig in seine Tiefen vorgestoßen? Er konnte nicht rennen und sich dabei Nase und Mund zuhalten.
Fast verrückt vor Panik erreichte er sein Motorrad, sprang auf und drehte den Zündschlüssel um, der noch im Schloss steckte. Sofort röhrte der Motor auf, das Hinterrad wirbelte Staub auf, dann schoss er davon. Das nächste Dorf war sieben Kilometer entfernt. Der Gegenwind entledigte ihn ein paar der Kellerasseln. Im selben Moment explodierte ein Schmerz in seiner Brust und raubte ihm den Atem. Er hustete und spuckte dabei Blut. Der Schmerz war so stechend, dass er schreien musste. Schreien, so laut er konnte. Schreien, bis die letzte Luft aus seinen Lungen heraus war und ihm eine mächtige Eiche neben der Straße sein Motorrad zertrümmerte.
„Ein Drama hat sich gestern etwa zur Abendstunde nahe des kleinen Dorfes Wheatonwood abgespielt. Ein Streit zwischen zwei Eheleuten eskalierte. Die Frau starb noch am Ort des Geschehens, getötet von der Axt ihres Gemahlen, der wenige Meter vom Haus entfernt gegen einen Baum fuhr und dort seinen Verletzungen erlag. Noch ist ungeklärt, wer den Streit begann, was der Auslöser war und ob der Mann an den Folgen des Unfalls oder den Verletzungen umkam, die ihm seine Ehefrau zugefügt hatte. Mysteriös ist, dass das Ehepaar von den Nachbarn als freundlich, aufgeschlossen und sehr harmonisch beschrieben wurde. Für sie in Wheatonwood, Julia Hills, Radio Music 1.”