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Der Garten des Todes
Sarah ging langsam den schmalen Kiesweg des Friedhofs entlang. Es war ein klarer, kalter Morgen Anfang März und der Wind wehte ihr eisig durch ihre langen, schwarzen Haare. Sie war auf dem Weg zu dem Grab ihres Mannes Steffen. Sechs Jahre lang waren sie glücklich zusammen gewesen, hatten sich gerade Gedanken über eigene Kinder gemacht, als eines Nachmittags dieser schreckliche Telefonanruf kam. „Frau Berg, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass ihr Mann heute Mittag bei einem schweren Autounfall tödlich verunglückt ist. Wenn Sie…“, doch Sarah hatte gar nicht mehr zugehört. Der Hörer war ihr aus der Hand gefallen und sie stand zehn minutenlang regungslos da und schaute ins Leere, unfähig, die Worte zu begreifen. Sie schienen keinen Sinn zu machen, unmöglich, das so etwas passiert war. Heute morgen hatte er ihr doch noch einen Abschiedskuss gegeben und versprochen, mit ihr Essen zu gehen. Und jetzt sollte er plötzlich tot sein?
Und selbst jetzt, ein Jahr nach diesem Unfall, konnte sie es immer noch nicht verstehen. Er war doch erst 32 Jahre alt und bei völliger Gesundheit gewesen? Wie konnte er nur so plötzlich aus der Welt gerissen werden?
Doch sie sollte das Grab ihres Mannes an jenem Morgen nicht erreichen. Denn gerade, als sie sich mit einem Taschentuch die Tränen von ihren Wangen wischte, fielen ihr Blutstropfen auf dem Boden auf, die noch relativ frisch aussahen. Vielleicht eins dieser kranken Satanistenrituale, befürchtete sie ängstlich und folgte mit wild pochendem Herzen der Blutspur, die hinter einen großen, schwarzen Grabstein führte. Auf das Schlimmste vorbereitet, blickte sie hinter den Grabstein, doch was sie dort sah, übertraf ihre grausamsten Befürchtungen. Sie erblickte die blutüberströmte Leiche eines kleinen Jungen, der zusammengekrümmt auf dem Boden lag. Unzählige Messerstiche hatten sein kleines, schmales Gesicht, das von hellblonden Haaren umgeben war, total zertrümmert. Es war nur noch einziger Brei aus Gewebe, Blut und Knochen. Einzig seine nussbraunen Augen waren bizarrerweiße heil geblieben und blickten mit starrem Entsetzen in den klaren Morgenhimmel. Von entsetzlichen Anblick des Jungen wurde ihr übel und sie musste sich mehrmals übergeben. Wie konnte jemand nur so etwas schreckliches tun? fragte Sarah sich erschüttert. Ein schwarzer Ledergeldbeutel in der Nähe der Leiche fiel ihr auf und sie ergriff ihn mit zitternden Händen. Sie öffnete ihn und sah sich den Personalausweis an, der einen Mann Namens Daniel Schmitt gehörte. Er hatte ein mageres, dünnes Gesicht und eisige, hellblaue Augen. Es musste der Mörder sein. Wahrscheinlich war ihm der Geldbeutel beim Kampf mit dem Jungen herausgefallen. Wenigstens würden sie diese Bestie hinter Gitter bringen, dachte sie und legte den Geldbeutel zurück an den Tatort. Sie ging noch mal zu dem Jungen, um ihm die Augen zu schließen. Gerade, als sie ihm die Lieder nach unten zog, zuckte sie unwillkürlich zusammen. Ihr wahr, als hätte sie am Rande ihres Gesichtsfeldes einen Schatten wahrgenommen. Hastig blickte Sarah sich um, doch sie sah nichts. Aber das Gefühl des Beobachtetseins ließ nicht nach. Kalter Schweiß lief ihr von der Stirn und sie zitterte am ganzen Körper. Schließlich ging sie von der Leiche des Jungen weg, lief immer schneller und fing schließlich an zu rennen. Sie wollte nur noch so schnell wie möglich weg von diesem Friedhof.
„Was ist los?“ hörte sie eine Stimme hinter sich rufen. Sarah stoppte und drehte sich angsterfüllt herum, fast schon in der Erwartung, den finster dreinblickenden Mann auf dem Personalausweis mit einem bluttriefenden Messer in der Hand zu sehen.
Aber das Gegenteil war der Fall. Sie sah einen freundlichen aussehenden Mann Ende dreißig mit runden Gesicht und einer randlosen Brille, der sie mit einer Mischung aus Besorgnis und Verwirrtheit musterte.
„Ist ihnen etwas geschehen? Vor was sind sie eben weggerannt?“
„Ein Kind…ein kleiner Junge“, schrie sie hysterisch.
Der Mann lief auf sie zu und nahm sie in die Arme.
„Ganz ruhig, es kann ihnen nichts geschehen“, flüsterte er beruhigend auf sie ein. Sarah fühlte seltsamerweise eine Geborgenheit in seinen Armen, wie sie sie seit Steffens Tod nicht mehr erlebt hatte.
„Hier auf dem Friedhof wurde ein kleiner Junge ermordet“, schluchzte sie leise und grub ihren Kopf in seine Schulter.
„Haben sie den Täter gesehen?“
„Nein, bloß seinen Personalausweis“, antwortete sie, „er heißt Daniel Schmitt.“
Schlagartig zuckte sie zusammen, als sie plötzlich eine Krähe hinter sich krächzen hörte. Der Mann fuhr ihr liebevoll über den Kopf, um sie zu beruhigen.
„Haben sie schon die Polizei gerufen?“
„Nein, ich habe mein Handy nicht dabei.“
Für einen kurzen Moment schien es ihr, als hätte sich sein Gesichtausdruck auf eigenartige Weiße verändert, doch vielleicht hatte sie es sich auch nur eingebildet.
„Nehmen sie meins“, bot er ihr an und griff in seine Tasche. Doch der Gegenstand, den er hervorholte, war kein Handy, sondern ein blutverschmiertes Küchenmesser. Sie konnte es nicht fassen. Er war der Mörder! Er hatte den Jungen getötet…und gleich würde er sie töten. Völlig geschockt blieb sie wie erstarrt stehen, unfähig, sich zu bewegen oder nach Hilfe zu rufen. In aller Ruhe drückte er ihr den kalten Stahl der Klinge an die Kehle.
„Es tut mir leid, aber mir bleibt keine andere Wahl“, sagte er mit emotionsloser Stimme und schnitt ihr die Kehle durch. Etwas hatte sich nicht an ihm verändert, war Sarahs letzter Gedanke. Seine Augen waren genauso eisig kalt wie auf dem Ausweis. Dann sackte sie leblos zusammen.