Der Geburtstag
Früher war ich einmal ein normaler Teenager, nicht immer zufrieden mit sich, oft unzufrieden mit der Welt und meistens unzufrieden mit den eigenen Eltern. Ich heiße…, hieß Hanna. Ein Ereignis veränderte mein Leben, denn jetzt bin ich tot. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen, meine Familie noch einmal sehen, sie umarmen, aber das kann ich nicht, niemand kann das. Aber ich fange erst mal von vorne an.
Es war noch früh am Morgen, mein Fenster war gekippt und ein leichter Lufthauch bewegte die Vorhänge. Langsam setze ich mich in meinem Bett auf und stöhnte. Das Wetter draußen war trüb und grau.
‚Tolle Voraussetzungen für einen schönen Geburtstag…‘, dachte ich und erhob mich. In zwei Schritten stand ich am Fenster und schloss es, dann ging ich zum Schrank und sah hinein.
‚Irgendwas, was meine Laune widerspiegelt. ‘, überlegte ich und zog einen schwarzen Rock und einen dunklen Pulli hervor und mit einem ‚Passt doch! ‘ in dem Gedanken schloss ich auch den Schrank und zog mich um. Fünf Minuten später stand ich in der Küche, allein. Kein Kuchen, keine Familie, keine Geschenke, kein nichts. Absolut gar nichts. Nur ein Zettel auf dem Tisch.
„Sind frühstücken gegangen“, stand darauf. Nett. Hatten sie also meinen Geburtstag vergessen…, wunderbar. Meine Familie hatte erst einmal meinen Geburtstag nicht vergessen und das war am Tag meiner Geburt gewesen. Seitdem hatten sie ihn ja nur geschlagene 16-mal nicht mitbekommen, darüber könnte man ja mal hinwegsehen. In mir keimte ein Gefühl auf, das ich nicht zuordnen könnte, es war kein Hass, auch keine Wut oder Trauer, eher Enttäuschung. Langsam nahm ich einen anderen Zettel und kritzelte eine Notiz darauf.
„Bin spazieren“, las ich auf meinem Papier und legte es neben den Zettel von meinen Eltern. Ich hatte keine Lust hier länger rumzusitzen. Definitiv nicht. Und spazieren würde ich auch nicht gehen. Es war ein normaler Mittwochmorgen. Eigentlich würde ich jetzt in die Schule gehen, aber das tat ich nicht. Normalerweise war ich ein nettes Mädchen, das wollte ich heute auch nicht sein. Also ging ich zurück in mein Zimmer und zog mich wieder um. Ein knapper Rock, ein noch knapperes Top, beides in grellen Farben. Beide Kleidungsstücke hatte ich irgendwann aus einer Laune heraus gekauft und seither nicht mehr angesehen. Dann ging ich wieder nach unten zum Schuhschrank und zog meine einzigen Schuhe mit Absatz an. Ich wollte heute abhauen, meinem Leben entfliehen. Ich schnappte mir meine Handtasche und zählte mein Geld. Das, das ich hatte, würde nicht mal für ein Busticket reichen. Also schlich ich mich ins Zimmer meiner Eltern und öffnete die Schmuckkiste meiner Mutter und hob den doppelten Boden ab. Zufrieden sah ich mehrere 50-Euro Scheine ordentlich gestapelt daliegen und steckte sie in meine Tasche. Noch etwas Make-up, Mascara, Lidschatten ins Gesicht, die Haare hochgesteckt, fertig war ich. Schnell steckte ich mir noch einen Schlüssel und mein Handy in die Tasche und raus war ich aus dem Haus.
Wenn ich gewusst hätte, was passiert, hätte ich die Tür niemals geschlossen, nie. Ich wäre in die Schule gegangen, hätte meinen Eltern verziehen. Aber ich wusste es nicht. Also schloss ich sie.
Es entpuppte sich als schwieriger mit hohen Schuhen zu laufen, als ich gedacht hatte. Vorsichtig, jeden Schritt planend, schritt ich voran in Richtung Bushaltestelle. Als der Bus kam kaufte ich eine Tageskarte, wer wusste, wo es mich hin verschlagen würde. Dann nahm ich Platz, unter dem missbilligenden Blick der älteren Frauen im Bus, die höchstwahrscheinlich nur Gedanken mit dem Anfang „Also, die heutige Jugend….“ oder „Als ich in dem Alter war…“ im Kopf hatten. Der Bus setzte sich in Bewegung und ich fuhr, immer weiter, mit ihm.
Mittlerweile war ich in einem Teil der Stadt angekommen, der mir gänzlich unbekannt war. Er wirkte dunkler und gefährlicher. Genau richtig für mein Vorhaben. Ich blickte aus dem Fenster und bemerkte mehrere ziemlich zwielichtige Gestalten. Die vier Personen wurden auf mich aufmerksam und beobachteten mich durch das Fensterglas. Mein Blick wanderte nach oben und fiel auf das Schild das über der Tür des Hauses angebracht war, vor dem die Personen standen. ‚Experience ‘ stand dort in alten Leuchtbuchstaben.
‚Genau danach habe ich gesucht, Experience. ‘, dachte ich und stieg bei der nächsten Haltestelle aus. Dort zog ich erst meinen Roch wieder in Position und ordnete meine Haare, zog meine Lippenstift nach und kehrte zu der Bar zurück, die ich vorhin gesehen hatte. Die vier Männer standen immer noch vor der Tür und unterhielten sich. Als sie mich kommen sahen hielten sie im Gespräch inne und sahen mich an.
‚Unheimlich. ‘, dachte ich und achtete auf jeden meiner Schritte, um nicht zu fallen und mich zu blamieren. Ein letztes Mal überlegte ich, ob ich es wirklich durchziehen wollte. Mit einem energischen Kopfnicken machte ich mir selbst Mut und schritt zwischen den Männern hindurch, durch die Tür in die Bar hinein.
Stickige Luft und Rauch schlugen mir entgegen. Für einen Moment spielte ich mit dem Gedanken sofort wieder zu verschwinden, aber ich verwarf ihn gleich wieder. Der Raum war nicht sonderlich groß, dafür waren aber umso mehr Menschen darin. Kaum zählbar scharten sie sich um die Theken und Tische. Nur wenige drehten sich um, als ich hereinkam. Meine Lunge hatte sich mittlerweile an die Luft und das Nicht-Vorhandensein des Sauerstoffs gewöhnt, also trat ich weiter hinein. Meine innere Stimme meldete sich. Aber ich ignorierte sie. Erfolgreich. Ich machte mir Mut und steuerte auf einen freien Platz an der Theke zu, wo ich Platz nahm. Fast spüren konnte ich die Blicke von links und rechts, so durchdringend wurde ich gemustert von allen Seiten. Das unangenehme Gefühl der Beobachtung keimte in mir auf. Dann kam der Barkeeper und grinste mich schief an. Er passte hier irgendwie nicht hinein. Er wirkte so…sauber.
„Was darf’s denn sein?“, fragte er mich und ich glaubte einen leicht sarkastischen Unterton wahrzunehmen.
„Einen Frozen Margarita…“, erwiderte ich unsicher.
„Das ist nicht dein Ernst, oder?“ Ungläubig, die Augen weit aufgerissen blickte der Typ mich an, als hätte ich gerade Früchtetee bestellt. Was wollte der Kerl von mir? Er fragt, ich antworte, er bringt mir was ich will, so und nicht anders…dachte ich jedenfalls.
„Wenn man so wie du angezogen ist, dann bestellt man keinen Margarita. Warte, ich mix‘ dir mal was richtiges, geht aufs Haus.“ Mit diesem Satz drehte er mir den Rücken zu und wandte sich seinen Millionen von Flaschen zu. Skeptisch beobachtete ich ihn, wie er höchst suspekte Flüssigkeiten in einen Mixbecher kippte und dann kräftig schüttelte. Dann nahm er ein Martiniglas und schüttete den Inhalt des Mixbechers hinein, garnierte das ganze mit Limettenstreifen und stellte das Glas vor mich.
„So und jetzt auf ex, runter damit!“, grinste der Barkeeper. Meine Augen blitzten ihn an, er nahm mich wohl nicht so ganz ernst. Entschlossen nahm ich das Glas und leerte es in meinen Mund und schluckte. Brennend floss die Flüssigkeit meinen Rachen und Hals hinunter, ich musste mir wirklich Mühe geben nicht hustend und röchelnd nach vorne zu kippen. Kurz darauf wagte ich es zu sprechen, denn mein Hals hatte sich wieder beruhigt, und hoffte nicht allzu gequält und rau zu klingen.
„Was…, was genau war da drin?“, fragte ich und stellte entsetzt fest, dass meine Stimme ziemliche, na ja, matt und kratzig klang.
„Wir nennen ihn ‚Adios Amigos‘, passt doch, oder?“ Schon wieder dieses Grinsen, ich hasste es, wenn ich derartig herablassend angeschaut wurde. Gerade wollte ich mich aufregen, da hatte er sich schon wieder einem anderen zugewandt.
Es vergingen keine fünf Minuten und ich spürte schon den Alkohol in mir. Meine Augen brauchten ein paar Augenblicke um meine Umgebung scharf zu stellen und ich dachte über Dinge nach, die mir sonst nicht mal in meinen kühnsten Träumen in den Sinn kamen.
„Gib mir noch einen von denen.“, rief ich dem Barkeeper zu. Erstaunt drehte der sich um.
„Du bist ja immer noch da.“, stellte er fest. Blitzmerker, klar war ich noch da. Wo denn sonst?
„Ja, und ich will noch einen von denen.“
„Alles klar.“ Er drehte sich um, aber ich ahnte, dass es ihm nicht passte, mir noch einen Drink zu geben, offensichtlich ahnte er, dass ich keine achtzehn war. Aber ich bekam meinen Drink und betrachtete jetzt meine Umgebung richtig genau.
Spätestes jetzt hätte ich gehen müssen. Ich hätte eine Chance gehabt, aber ich habe sie nicht ergriffen. Damit war es besiegelt.
Mehrere Frauen saßen auf den Schößen irgendwelcher Männer, die definitiv nicht deren Männer waren, zum Einen waren die Damen zu hübsch, oder die Herren zu schleimig widerlich… kann man sagen wie man will. Andererseits wechselten die Männer die Frauen durch…, mal saß sie auf diesem Schoß mal auf dem anderen. Ekelhaft. Irgendwo bellte ein Hund und ich wandte mich ab und schaute auf meine linke Seite, dort saßen die Männer von draußen in einem kleinen Sitzkreis, ich hatte gar nicht bemerkt, wie sie hereingekommen waren. Sie unterhielten sich immer noch leise über irgendwas, und ich wollte unbedingt wissen über was. Ich wusste nicht, ob der Alkohol aus mir gesprochen hatte oder einfach meine unbändige Neugier. Also hörte ich mit einem Ohr den Männern zu, möglichst unauffällig, versteht sich. Nach einigen Minuten verlor ich die Lust am Zuhören und wollte mich gerade abwenden, als einer der Männer zu mir kam und mir an die Schulter fasste.
„Wenn du dich am Gespräch beteiligen willst, dann sag’s doch einfach und komm rüber zu uns.“, raunte mir der Kerl mit einem schweren spanischen Akzent ins Ohr.
Hektisch drehte ich mich um und blickte in das Gesicht eines schmierigen, geschniegelten Mannes, der sich lüstern über die Lippen leckte.
„Nein, also, nicht unbedingt…“, versuchte ich mich aus der Situation zu reden. Aber der Kerl ließ nicht locker und packte mich an den Schultern.
„Loslassen!“, rief ich erschrocken und wollte mich aus seinem Griff befreien, schaffte es aber nicht. Er zog mich rüber zu der Gruppe und drückte mich auf einen Stuhl.
„Du hast gehört was wir gesagt haben, jetzt musst du auch was von dir erzählen...“, drängten sie mich, aber nicht höflich oder freundlich, sondern grob und fordernd. Niemand hatte auch nur aufgesehen, als der Typ mich mitgezogen hatte, ich könnte von niemandem Hilfe erwarten.
„Ich habe nicht zugehört.“ Das klang schwach und nach Lüge, was es ja auch war.
„Erzähl uns etwas, über dich, was du so machst und magst, nicht magst…“ Dabei rutschte er immer näher zu mir und legte seine Hand auf mein Knie. Schockstarre überfiel mich und ich war nicht fähig mich zu bewegen. Seine Hand wanderte immer weiter nach oben, meinen Oberschenkel entlang. Meine Hand schnellte auf seine und ich versuchte sie wegzuschieben. Es gelang mir nicht und die anderen kamen ihm zu Hilfe.
„Lass uns woanders hingehen, dann können wir uns ungestört unterhalten.“ Damit packte mich die vier an den Armen und zogen mich auf die Beine.
„Nein, nein!“, kreischte ich. Niemand reagierte. „Bitte, bitte, Hilfe!“ Keine Regung, niemand drehte sich zu mir um. Sie zogen mich zu einer Tür im hinteren Teil der Bar, verborgen hinter einem Vorhang.
„VIP-Bereich, Süße!“, lachte einer der vier. Mein Schreien brachte nichts, ich versuchte wieder mich loszureißen, kein Erfolg. Sie warfen mich auf ein großes Sofa, einer der vier ging nach hinten und schloss die Tür ab.
„Jetzt wollen wir dir mal zeigen, wie man hier spielt!“ Mein Schreien ging in dem lauten, grauenhaften Gelächter der Männer unter. Dann kamen sie auf mich zu und öffneten die Reißverschlüsse an ihren Hosen.
Panisch blickte ich umher, es gab keine Fluchtmöglichkeit, ich war gefangen wie eine Maus in der Falle. Die Männer kamen auf mich zu, langsam, um mich zu quälen, um den Ausdruck in meinen Augen zu genießen. Ich sah mich ein letztes Mal um, und konnte nur wenige Meter neben mir einen Schürhaken für einen Kamin erkennen.
„Ich überlasse dir den Vortritt, Michael!“, grinste einer der Kerle, plötzlich komplett ohne Akzent. Als dieser sich plötzlich auf mich werfen wollte, um mich festzuhalten, schnellte meine Hand zur Seite und packte den Schürhaken. Mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, schwang ich ihn gegen seinen Kopf. Benommen torkelte er zurück und klappte zusammen. Die anderen waren so fassungslos in diesem Moment, dass sie sich nicht mehr rühren konnten. Ich ergriff die Gelegenheit und sprang auf. Doch die drei hatten sich schnell gefasst und kamen in schnellem Schritt auf mich zu und wollte mich an den Beinen fassen, aber ich reagierte schnell genug. Mit Schwung holte wieder mit dem Schürhaken aus und traf wieder einen direkt auf die Schläfe, sofort sackte er in sich zusammen, ich hatte die richtige Stelle getroffen! Kein Meter trennte die beiden anderen von mir. Wieder wollte ich mit dem Haken ausholen, aber einer griff danach und drehte ihn mir aus der Hand. Mit einem Schmerzensschrei ließ ich ihn los. Siegessicher, fast schon triumphierend, machten sie einen weiteren Schritt auf mich zu, um mich zu halten und zu übermannen. Verzweifelt blickte ich mich suchend um und an mir herunter, mein Blick fiel auf meine Schuhe. High-Heels. Pfennigabsatz. Ein Adrenalinschub durchzuckte mich und ermöglichte mir, einen Schuh auszuziehen und schnell genug zu sein, ihn auf einen der beiden zu werfen, getroffen taumelte der zurück, gegen eine Pflanze und ein Regal, das mit einem lauten Krach zusammenbrach und alles, was darauf gestanden hatte, fiel ihm auf den Kopf. Mit einem Seufzer fiel auch er zu Boden. Der letzte der vier schrak auf und sah mich hasserfüllt an, er setzte zum Sprung an, um mich zu Boden zu reißen. Und in diesem Moment hatte ich so viel Glück, wie noch nie zuvor. Ich konnte mich ducken und zur Seite rollen, während der Mann zu viel Schwung genommen hatte, auf der anderen Seite des Sofas mit dem Kopf zuerst gegen die Wand knallte und benommen liegen blieb.
Ich hatte nicht viel Zeit. Sofort durchsuchte ich die Taschen der drei, die bewusstlos auf dem Boden lagen, den vierten immer im Blick, aber ich konnte den Schlüssel nicht finden. Sollte denn jetzt alles umsonst gewesen sein? Der Vierte sammelte sich gerade und rappelte sich auf die Beine. Mein Blick fiel auf die Tür. Der Schlüssel steckte. Ich konnte mein Glück nicht fassen, rannte auf die Tür zu drehte den Schlüssel um….und war frei. Mit nur einem Schuh und völlig zerzaust stolperte ich durch die Tür. Kein Mensch sah mich an, und jetzt erkannte ich auch warum, auf jedem Tischchen, um das die Leute saßen, lagen kleine Tüten mit weißem Pulver. Sie standen alle unter Drogen, sie konnten mir nicht helfen, ich war immer noch nicht in Sicherheit. Ich taumelte weiter, an der Bar vorbei, zum Ausgang. So schnell ich konnte öffnete ich die Tür und war draußen, die kühle Luft strich um mein Gesicht. Es war bereits stockdunkel, ich hatte die Zeit nicht verfliegen gespürt. Ein dunkles Gefühl überkam mich, ich wusste nicht wo ich war, kannte mich nicht aus, ich wusste nur noch, in welche Richtung ich musste, na ja, ich welche Richtung der Bus fahren musste, damit ich wieder nach Hause kam. Ich wandte mich nach links, nach dort musste ich und sah mit Entsetzen gerade noch die roten Rücklichter des Busses die hinter einem Hügel verschwanden.
„Oh nein“, rief ich, „Oh Gott, oh nein!“, und rannte los so schnell ich konnte. Vielleicht waren ja die Ampeln rot und ich konnte den Bus einholen, oder er hält lange bei der nächsten Haltestelle. Ich malte mir aus, wie ich den Bus einholte, einstieg und von hier weg kam. Ich rannte und rannte, ich erreichte gerade auch den Hügel, aber der Bus war weit und breit nicht zu sehen. Rund herum waren kaum Wohnhäuser, nur Kneipen, Bars und Discos. Ich wollte und konnte nicht mehr zurück. Angst übermannte mich.
‚Was mach ich nur, was mach ich nur? ‘, frage ich mich selbst. Meine Gedanken sprangen von einer furchtbaren Vorstellung, was passieren könnte, in die nächste. ‚Wo soll ich nur hin? ‘
Ich musste zurück, zu einer Bushaltestelle. Irgendwo musste eine sein. Ich musste einfach nur auf den nächsten Bus warten. Da kam mir ein Gedanke, mein Handy! Ich hatte es eingesteckt, in meine Handtasche getan. Die Handtasche, die ich in der Bar liegengelassen hatte. Meine Hoffnung sank auf den Tiefpunkt. Langsam kehrte ich um, ich wusste, was mich in der Bar erwarten würde, aber ich wusste nicht, wo die nächste Bushaltestelle war, also musste ich dorthin zurückkehren, wo ich aus einem Bus herausgekommen war, dort musste eine weitere sein, die in die andere Richtung führte. Fast hatte ich die Hälfte des Weges geschafft, da sah ich nur wenige hundert Meter vor mir eine Person. Erschrocken fuhr ich zusammen, ich wusste nicht was ich machen sollte. Wer war das? Was wollte die Person so spät draußen? Die Person ging gebückt, was ihr ein noch furchteinflößenderes Äußeres gab. Sie stützte sich mit einem Stock auf und hielt etwas in der Hand. Eine Leine, und die Leine führte zu einem kleinen Hund. Ich konnte nichts genau erkennen, aber die Person trug einen Rock, ganz sicher! Eine alte Frau! Vielleicht musste sie in die gleiche Richtung wie ich. Ich war nicht mehr allein! Gerade, dass ich nicht mit ausgebreiteten Armen auf sie zugelaufen wäre, beschleunigte ich meine Schritte und kam ihr immer näher. Eine Wolke, die sich bisher sehr erfolgreich über den Mond gedeckt hatte, schwebte weiter und ließ das Mondlicht die dunklen Straßen erleuchten. Die alte Dame stand mit dem Rücken zu mir, ihr Hund sprang um sie herum, direkt ins Gebüsch hinein. Vor Freude strahlte ich übers ganze Gesicht. Ich würde heil nach Hause kommen.
‚Danke, Gott, danke! ‘, dachte ich und rannte weiter. Der Mond war nun völlig hinter der Wolke hervorgetreten und ich hatte fast die Dame erreicht, als sie sich plötzlich umdrehte. Ich dachte, dass sie sich vielleicht wunderte, warum sie verfolgt wurde. Gerade wollte ich mich entschuldigen und ihr alles erklären, als ich erstarrte. Ich sah in kalte, gnadenlose Augen, in einem Gesicht, bleich vom Mondschein, ein Gesicht, das niemals das Gesicht einer Frau gewesen war. Mit wenigen Schritten war er bei mir, sein Gesicht hatte sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Michael. Er packte mich mit seinen kräftigen Armen. Ich war zu kraftlos und zu starr vor Schreck um mich zu wehren. Ich wollte noch schreien, aber seine Hände waren an meiner Kehle und drückten zu. Der Schmerz war überwältigend. Brennend breitete er sich in meiner Kehle aus, wie ein Sprengsatz explodierend, zu allen Seiten. Meine Kraft schwand mehr und mehr. Bis irgendwann der Schmerz wich und einer Dunkelheit Platz machte. Sie umgab mich wohlwollend, fast so, als wollte sie mich in den Arm nehmen. Sie umschloss mich, ich vergaß alle meine Sorgen und allen Ärger meines Lebens. Und das letzte was ich hörte, war das laute Bellen des Hundes neben mir und ein Befehl mit einem falschen spanischen Akzent.