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Der gehängte Engel
Jeder Autor darf sich mal eine Herz-Schmerz-Geschichte leisten ...
Der gehängte Engel
1
Charis starrte aus dem Küchenfenster. Mit jedem weiteren Stückchen, das die rote Scheibe der Sonne unter den Horizont glitt, wuchs seine Unruhe. Seine jüngere Schwester saß neben ihm. Sie betrachtete ihn aufmerksam und amüsiert von der Seite. Sie kicherte und Charis fühlte sich durchschaut.
"Wann stellst du uns deine Freundin vor?", fragte sein Vater ruhig, wie nebenbei, aber hörbar neugierig.
Charis errötete.
"Lass den Jungen doch", meinte seine Mutter begütigend.
Seine Röte kroch hoch bis in die Haarwurzeln. Kleine Schweißtropfen sammelten sich auf seiner Stirn. Niemandem hatte er von seinem Geheimnis erzählt. Er war sich sicher, dass er alles vermieden hatte, was auf es hätte hindeuten können. Seine Familie riet nur.
Er beugte sich tief über den Tisch und schlang das Essen hinunter. Er wollte weder über Angela reden, noch wollte er sie warten lassen. Er schob den leeren Teller zurück und sprang auf.
*
Charis lief durch die Straßen des Dorfes. Er würde sich verspäten. Trotzdem blieb er vorsichtig und mied die Helligkeit der Laternen und der Fenster. Er erreichte die Grenze, die den Ort von den umgebenden Wäldern trennte. Im Schutz eines kleinen Busches blieb er stehen. Er blickte sich um, lauschte, und erst, als er überzeugt war, dass ihm niemand folgte und dass ihn niemand beobachtete, überquerte er so schnell er konnte die breite, gerodete Fläche.
Schwer atmend trat er in das Dunkel zwischen den Bäumen. Der Viertelmond leuchtete nur schwach durch die dichten Baumgipfel, doch Charis hatte in den vergangenen Monaten gelernt, sich auch in der Nacht sicher im Wald zu bewegen.
Eine kleine, verborgene Lichtung war ihr geheimer Treffpunkt. Angela wartete bereits auf ihn. Obwohl sie nicht mehr war als ein schwarzer Schatten in der Dunkelheit, entdeckte Charis sie sofort.
Ungestüm umarmte er sie.
"Du bist heiß", flüsterte sie dumpf an seiner Brust. "Bist du wieder gerannt?"
Sie legte ihren Kopf auf die Seite und sah zu ihm hoch. Das Mondlicht glitzerte in ihren dunkelbraunen Augen. Charis beugte sich zu ihr hinunter. Er küsste sie sanft und lange. Den ganzen Tag hatte er sich nach diesen Augenblicken gesehnt. Es tat gut, ihre samtene, kühle Haut zu spüren. Es tat gut, ihre weichen Lippen zu berühren. Es tat gut, sie zu riechen, - und sie roch wie frisches Gras nach einem Regenguss.
*
Charis lehnte mit dem Rücken an einem glatten Baumstamm. Angela saß zwischen seinen Beinen, und er hielt sie fest in seinen Armen. Zusammen sahen sie in das Tal mit dem hell erleuchteten Dorf hinunter.
Angela schloss die Augen. Sie fühlte und genoss die in der Nachtkühle hochsteigenden Strömungen seiner Körperwärme. Sie formten eine unsichtbare Blase der Geborgenheit, umschmeichelten sie und machten sie angenehm müde.
"Wo wohnst du?", murmelte sie träge.
Er zeigte in das Tal hinab. "Siehst du den großen Baum, in dem kleinen Park, dort am anderen Ende?"
Sie öffnete ihre Augen, schmiegte ihre Wange an seinen ausgestreckten Arm und folgte der Richtung. Sie nickte kaum merklich.
"Zwei Straßen weiter, das Haus ganz rechts. Das linke obere Fenster ist mein Zimmer."
"Ich sehe es", flüsterte sie und ergänzte erstaunt: "Du hast ein eigenes Zimmer?"
"Ich würde es dir gerne zeigen", meinte er.
"Ich würde es gerne sehen", antwortete sie.
Sie wussten beide, dass es unmöglich war. Weder ihre noch seine Familie würden ihre Freundschaft gutheißen.
Angela lachte plötzlich und fröhlich. Sie sprang auf.
"Komm!", sagte sie und hielt ihm auffordernd die Hand hin.
Er ergriff sie und ließ sich hochziehen. "Wohin?"
2
Müde hockte Charis auf der Stufe vor der Haustür. Er blinzelte in die Morgensonne. Sein Blick schweifte nach Norden und dem Hügel hinauf. Dort oben, zwischen den dichtwachsenden Bäumen hatten sie gestern abend gesessen und in das Tal hinabgesehen. Dann waren sie zum Westhang des Hügels gegangen. Dorthin, wo ein kleiner, uneinsehbarer Einschnitt in den Felsen einen natürlichen Schutz bot vor Wind und Wetter.
Angela ...
"Lass uns gehen", sagte sein Vater, "die Arbeit wartet nicht."
Charis nickte, stand auf und trottete ihm hinterher.
*
"Diese verdammten Biester!", schimpfte sein Vater. Wütend stampfte er am Feldrand entlang. Die zusätzlichen Furchen, die sie am Vortag angelegt hatten, waren zugeschüttet worden und kaum noch zu erkennen. "Diese verdammten Biester!"
Charis wischte sich den Schweiß der harten Feldarbeit von der Stirn. Er mochte es nicht, wenn sein Vater die Schatten als Biester bezeichnete. "Es ist nicht unser Land", wagte er eine Widerrede. "Es gehört ihnen."
Sein Vater sah ihn böse an. "Alles gehört ihnen. Sobald wir das Dorf verlassen, sind wir auf ihrem Land. Sie sind überall. Überall um uns herum. Wir sind wie Gefangene. Ihre Gefangenen."
Charis bereute bereits, geantwortet zu haben. Er kannte die Tiraden seines Vaters zur Genüge. Es hatte keinen Sinn, ihm zu erklären, dass die kleine menschliche Siedlung von den Schatten nur geduldet wurde. Er war auf diesem Ohr taub.
"Eines Tages wird mir eines dieser Biester über den Weg laufen ... und dann ..." Charis' Vater hob den Spaten, und er zeigte, was dann geschehen würde.
Er kauerte nieder und untersuchte die Fußspuren. Charis erkannte das typische Muster der gespreizten vier Zehen. Dazwischen, selten, der Abdruck eines ganzen Fußes mit dem Ballen. Die Schatten liefen meist auf ihren Zehenspitzen.
Charis' Vater isolierte eine Spur und folgte ihr. Sie führte in den Wald. Charis hörte Rascheln und dann den Schrei: "Ich wusste es!" Charis zuckte zusammen. Er rannte der Stimme nach. Sein Vater kniete zwischen zwei dicht zusammenstehenden Bäumen. Er hatte die Äste und das Laub zur Seite geschoben. In einer Kuhle zwischen den Wurzeln lag etwas. Es war tiefschwarz. Nein - es war farblos, es war ein Loch in der Sicht, denn es saugte das wenige Licht, das bis hierher vordrang, einfach auf. Der Schatten schlief zusammengekrümmt mit dem Gesicht nach unten. Von seinem Rücken spreizte sich ein dünnes, dunkelgraues Geflecht nach beiden Seiten.
"Verdammtes Biest!", stieß Charis' Vater hervor. Er stand auf und hob den Spaten.
Charis dachte nicht nach. Er sprang vor und landete lang über der Kuhle. Etwas schlug seinen Kopf zur Seite, zischte singend an seinem Ohr vorbei und traf ihn in der Hüfte. Charis stemmte sich hoch. Der Schatten unter ihm erwachte. Langsam, gemächlich drehte er sich. Große braune Augen sahen Charis angstvoll an. Blut tropfte von Charis' Kopf auf die schwarze Haut hinab.
"Geh!", flüsterte Charis. "Lauf!"
Der Schatten kroch an Charis vorbei aus dem Loch. Taumelnd erhob er sich. Mit seltsam stelzenden Schritten entfernte er sich und begann schließlich zu rennen. Das Geflecht auf seinem Rücken flatterte im Wind.
Wie ein verletzter Vogel, der nicht mehr fliegen kann, dachte Charis. Er brach bewusstlos zusammen.
3
In seinem Kopf klopfte es. Irgendjemand trug ihn. Irgendjemand wiederholte selbstanklagend die Worte: "Das wollte ich nicht! - Das wollte ich nicht!"
Das Klopfen wurde schlimmer. Dann ließ es nach. Dafür wurde die Welt zu etwas, das weit entfernt war.
"Die Verletzung ist nicht so schlimm, wie es aussieht", sagte eine Stimme. "Kopfwunden scheinen immer stark zu bluten. Vielleicht wird eine Narbe zurückbleiben. Er hat allerdings eine schlimme Gehirnerschütterung. Aber Ihr Sohn ist noch jung und er wird sich schnell erholen. - Ich habe ihm ein Schlafmittel gegeben. Schlaf jetzt, mein Junge."
Charis erwachte. Das Fenster war dunkel. Es war Nacht.
"Angela!"
Er versuchte sich aufzurichten. Der Schwindel zwang ihn wieder zurück.
"Ist das ihr Name?", fragte seine Mutter. "Willst du, dass ich sie hole?"
Aber Charis blieb stumm. Er schloss die Augen.
Angela ... sie wird sich fragen, wo ich bleibe ...
Unruhig schlief er ein.
*
"Bist du wach?", fragte eine leise Stimme. Charis blinzelte. Seine kleine Schwester sah ungewöhnlich ernst und bedrückt aus.
"Mama will, dass du das trinkst", sagte sie und hielt ihm ein Glas hin. "Es ist frischer Saft. Und sie hat die Tabletten hineingetan."
Sie hielt das Glas an seine Lippen. Charis lag flach auf dem Rücken. Er unterdrückte den Reflex, die Flüssigkeit wieder hinauszuprusten. Gehorsam schluckte er.
Er döste ein. Später erwachte er. Seine Mutter stützte ihn und fütterte ihn mit heißer Suppe. Dann, noch später, war da dieser Mann, der Arzt, und Charis schlief ein und erwachte. Er war alleine. Es war dunkel im Zimmer.
Angela ... sie wird sich fragen, wo ich bleibe ...
Charis erinnerte sich, diesen Gedanken schon einmal gehabt zu haben. Heute - oder gestern? Er setzte sich auf. Er kämpfte gegen die plötzliche Benommenheit an und unterdrückte den aufsteigenden Brechreiz. Ungeduldig wartete er, bis es besser wurde. Schließlich schwang er die Beine aus dem Bett, stützte sich an der Wand ab und schob sich an ihr hoch und an ihr entlang bis zur Tür. Er öffnete sie und lauschte. Unten sprachen Männer. Charis erkannte die Stimmen von Nachbarn und von Freunden seines Vaters.
"Es ist die Schuld der Schatten!", sagte sein Vater laut. "Es ist an der Zeit, dass wir etwas unternehmen! Wir sollten uns ihre Bevormundung nicht mehr gefallen lassen!"
Die anderen murmelten Zustimmung.
Charis schloss die Tür. Nein - jetzt konnte er sich nicht hinausschleichen.
Am Fenster kratzte es.
4
Charis schrak zusammen. Sein Herz machte einen kleinen Satz und schlug schneller. Vorsichtig tappte er durch den dunklen Raum und öffnete die Läden.
Sie war es. Sie hatte es gewagt, in das Dorf zu kommen. Charis mochte sich nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn man sie erwischt hätte. Sie kletterte durch den Fensterrahmen herein.
In der geduckten Haltung, die ihrem Volk eigen war, blieb sie vor ihm stehen. Sie neigte den Kopf zur Seite. Nur so konnte sie zu ihm hochsehen, denn ihr Hals hatte nicht dieselbe Beweglichkeit wie der eines Menschen. Charis starrte in ihre braunen Augen in dem schwarzen, optisch nicht wirklich fassbaren Gesicht. Er schluckte und umarmte sie. Die Berührung ihrer kühlen, glatten Haut ließ ihn seine Schmerzen vergessen.
"Danke, dass du ihn beschützt hast", flüsterte sie. "Ich wusste, dass du es warst. Auch weil du letzte Nacht nicht gekommen bist."
Sie hob ihre vierfingrige Hand. Sanft strich sie mit einer Kralle über das Pflaster an seiner Schläfe.
"Du bist verletzt?", fragte sie beunruhigt.
"Es ist nichts", antwortete Charis und in diesem Augenblick stimmte es.
Er zog sie zum Bett. Dicht an dicht, halb sitzend, halb liegend sanken sie nieder.
"Ich bin vorher noch nie in einem Menschenhaus gewesen", flüsterte sie.
Die Treppe knarrte. Charis bedeutete Angela zu schweigen und hinter ihn zu kriechen. Er zog die Bettdecke über sie, und er versuchte, sich so zu legen, dass man ihre Umrisse nicht sah.
"Charis?", fragte seine Mutter durch die geschlossene Tür. Sie wartete die Antwort nicht ab und öffnete sie einen Spalt. Charis blinzelte in die Helle des Flurs.
"Ich bin müde", log er.
Er spürte eine Bewegung hinter sich.
"Brauchst du noch was?", fragte seine Mutter.
"Nein, danke."
Sie lächelte. "Gute Nacht. Schlaf gut." Leise schloss sie die Tür wieder.
Charis drehte sich. Er zog die Decke zurück. Die Schatten waren Nachtwesen. Die Tage, vor allem die Sommertage, waren für sie zu heiß. Wenn ihr Körper zu überhitzen drohte, öffnete sich das Geflecht aus Haut, Knorpeln und Adern auf ihrem Rücken und kühlte das Blut. Es war ein Reflex, den die Schatten nicht bewusst kontrollieren konnten, genauso wenig wie die Menschen das Schwitzen verhindern konnten. Unter der Decke hatte sich Charis' Körperwärme gestaut, Angela hatte die Wärme aufgenommen, und das Geflecht hatte reagiert und sich ausgebreitet.
Sie stütze sich mit ihren kurzen Armen ab und sah auf ihn hinunter.
"Ich liebe dich", hauchte sie unvermittelt.
Es war das erste Mal, dass sie diese Worte benutzte. Charis musste nicht darüber nachdenken. "Ich liebe dich", antwortete er und begann zu weinen.
Vorsichtig tippte sie mit der Kralle eines Fingers auf den kleinen Strom in seinem Gesicht.
"Was ist das?", fragte sie.
"Tränen", sagte er, "weil ich glücklich bin."
*
"Ich muss gehen", flüsterte sie nach einer Zeit, die Charis viel zu kurz erschien. "Die anderen werden sich Sorgen machen, wenn ich nicht da bin. Vor allem nach dem, was gestern passiert ist. Sie trauen euch Menschen nicht." Sie machte eine kurze Pause und fügte sehr ernst hinzu: "Wenn auch nur einem von uns etwas zustößt ..."
Sie beendete den Satz nicht, aber er wusste, was sie sagen wollte.
Der Weg vom Bett zum Fenster wurde endlos. Charis hielt sie fest und ließ sie nicht los. Er wollte es nicht. Als sie sich schließlich von ihm löste, ihn ein letztes Mal aus ihren sanften braunen Augen ansah, durch den Fensterrahmen hinausstieg und an den Vorsprüngen der Hauswand hinunterkletterte, hatte er das unbestimmte Gefühl, dass sie sich nicht nur von ihm entfernte, sondern dass er sie auch, irgendwie, Stück um Stück verlor. In der Ecke des Gartens blieb sie, ein schwarzer Schatten in der Dunkelheit, zögernd stehen. Sie winkte zu ihm hoch. Dann verschwand sie in der Nacht zwischen den Sträuchern.
"Sei vorsichtig", flüsterte er.
Angela. Es war nicht ihr richtiger Name. Die Schatten unterhielten sich zu einem Teil im Infraschallbereich. Angela hatte ihm ihren richtigen Namen genannt, aber Charis hatte ihn weder in Gedanken wiederholen, noch hatte er ihn aussprechen können. Deshalb hatte er sie, nur für sich, Angela getauft. Angela, seinen Engel.
5
Charis versank tief in seinen Gedanken. Nur langsam drang die Außenwelt durch das offene Fenster wieder zu ihm vor. Irgendwo dort draußen, in einiger Entfernung, sprachen viele Menschen laut und durcheinander.
Die Tür seines Zimmers öffnete sich. Seine Schwester sah ihn an.
"Sie haben einen Schatten gefangen", sagte sie leise, voller Unglauben und mit einem Hauch von Angst.
Eine plötzliche Eiseskälte stieg in Charis hoch.
Wie er war, nur mit seinem Schlafanzug bekleidet, stieg er die Treppe hinunter. Seine Mutter versuchte, ihn aufzuhalten. Er schob sie sanft aber bestimmt zur Seite. Er trat vor das Haus und folgte den Stimmen. Sie führten ihn zu dem kleinen Park mit dem großen Baum. Eine Menschenmenge umstand ihn. Charis trat zwischen sie, und eine schmale Gasse bildete sich vor ihm. Es war sein Blick, der die anderen, und unter ihnen seinen Vater, verstummen und zurückweichen ließ.
Als er sie dort oben hängen sah, - im Schein der Straßenlaternen, im Glanz des Viertelmondes, an dem Ast, an dem Seil, den Hals in der Schlinge, mit hängenden Armen, mit zur Seite geknicktem Kopf und weit aufgerissenen, dunklen, braunen Augen, mit geöffneten Flügeln, deren silberne Streifen blinkten und funkelten - als er seinen Engel dort oben hängen sah, verkroch sich das, was sein Ich war, zitternd in das tiefste und schwärzeste Loch, und das, was von Charis blieb, war - Nichts.
"Diese Streifen", hatte sie nur zwei Nächte vorher mit ihrer sanften Stimme in sein Ohr geflüstert, und ihr heißer Atem war an seinem Nacken entlanggefaucht, "diese Streifen zeigt ein Wesen wie ich nur bei zwei Gelegenheiten. - Die eine davon ist der Tod."
Dann hatte sie sich gestreckt und ihre Schwingen ausgebreitet. Der Mond hatte über ihr gestanden. Sein Licht hatte die silbernen Streifen in der Nacht leuchten lassen. Und sein Engel hatte voller Glück gelacht.
Er ging zu dem Baum. Er löste das Seil und ließ sie vorsichtig herunter. Er nahm sie auf seine Arme, er trug sie durch den Park, durch das Dorf und über die Grenze hinweg.
Er brachte sie nach Hause.
Das Seil hing aufgerollt über seiner Schulter.
6
Die Kisten, auf denen Charis mit ausgebreiteten Armen stand, wackelten bedenklich. Als er sein Gleichgewicht gefunden hatte, griff er nach dem von dem Ast herunterhängenden Seil. Er zog die Schlinge zu sich heran und steckte seinen Kopf hindurch.
Die Wolken verdeckten den Viertelmond. Die Schatten aus Angelas Dorf, nicht mehr als Schemen in der Nacht, umringten Charis und den Baum. Vermutlich verstanden sie nicht, was er hier tat, - vielleicht würden sie es, wenn sie das Bündel fanden, das im Dunkel des Stammes lag.
Charis fragte sich, weshalb er nicht weinen konnte. Der Gedanke blitzte kurz auf und verschwand wieder in der Bedeutungslosigkeit. Es war Charis' letzter Gedanke. Der Stapel unter seinen Füßen fiel zur Seite.
Das Seil straffte sich mit einem Ruck.
(c) by StarScratcher, April 2001