Mitglied
- Beitritt
- 10.03.2006
- Beiträge
- 12
Der große Braune
Der große Braune
Sie streckte sich, räkelte sich, gähnte weit; dann schlug sie ihre Decke zurück und setzte sich auf. Ihr Blick schweifte müde durch die Kate über den grob gezimmerten Holztisch, die einfachen Stühle, das heruntergebrannte Feuer und den großen Kessel darüber. Er streifte die Kräuterbündel an den niedrigen Deckenbalken, die Salbentiegel, die Stiege zum Dachboden, die Tür und ihre Vorratsecke.
Langsam erhob sie sich, ging um das Bett herum und holte einige Kleidungsstücke aus der Truhe am Fußende. Einmal angezogen hob sie den großen Topf vom Feuer und braute in ihrem kleinen Kupferkessel Tee. Fröhlich summend begann sie ihre kleine Kate zu säubern, riss Tür und Fenster auf und lauschte den Stimmen der Vögel und dem Gesang des Windes in den Zweigen der Bäume. Es war ein schöner Morgen und die Sonne lag golden am Himmel über jener Waldlichtung auf der sie wohnte.
Mit geübten Fingern flocht sie ihr langes, dunkles Haar zu einem festen Zopf, warf einen Umhang um ihre Schultern und machte sich auf den Weg.
Kaum einige Minuten von ihrer Behausung entfernt gesellte sich ein Hund zu ihr, ein großes, braunes Tier mit funkelnden schwarzen Augen, der nicht mehr von ihrer Seite wich, bis sie das nahe Dorf erreichte. Es folgten die üblichen Krankenbesuche, wie immer, wenn sie hierher kam. Die Leute nahmen gerne ihre heilenden Fähigkeiten in Anspruch, und manche wollten mehr, aber hinter ihrem Rücken lästerten sie trotzdem inbrünstig über diese verrückte „Kräuterhexe“. Es machte ihr nichts mehr aus. Damit konnte man sie nicht mehr treffen. Daran hatte sie sich mit der Zeit gewöhnt.
Für heute war nur noch der Gutsherr übrig geblieben und mit ruhigen Schritten ging sie durch das hölzerne Tor zu seinem Hof. Vor ihr der große Sandplatz und dahinter das weiß leuchtende Haus. Am Brunnen standen einige Knechte in ihrer Mittagspause, die ihr eindeutige Blicke zuwarfen und tuschelten. Wütend funkelte sie diese an, strich dem großen Braunen, der ihr lammfromm durch das Dorf hinterher getrottet war, noch einmal über das Fell und betrat das Haus.
Der Gutsherr litt unter verschiedenen Furunkeln und Hautbeschwerden, die nur von einer bestimmten Kräutertinktur gelindert werden konnten und deren Handhabung große Sorgfalt erforderte, weshalb sie alle Woche zum Hausbesuch kommen musste.
Während sie seine Abszesse versorgte, hörte sie vom Hof her ein lautes Bellen und mehrere schnelle Schritte; ein tiefes, bedrohliches Knurren folgte, dass es ihr eiskalt den Rücken herunterlief. Ihre Hände wuschen die Furunkel … mehr Bellen und das unangenehme Lachen der Knechte … Sie trug die Salbe auf … lauteres, fast schrilles Bellen, fast Jaulen schon und anschwellendes, gehässiges Gelächter … Sie verband seinen Körper … herzzerreißendes Jaulen, höhnisches Johlen … der Gutsherr dankte, ließ ihre Bezahlung holen … sich überschlagendes Jaulen und beinahe teuflisches Gelächter … Er bezahlte und brachte sie zur Diele … nur noch ein Winseln, ein Wimmern und dann Stille.
Sie trat aus der Tür, sah noch wie die Knechte den großen Braunen traten und stießen. Einer trieb es besonders arg - im Dorf nannte man ihn den Roten Jehann wegen seiner roten Haare – und der hielt in der Hand einen Brunnenstein an dem Blut klebte und Fell.
Ein Fauchen entrang sich ihrer Kehle, ein Laut von Wut und Ungläubigkeit, mehr tierisch als menschlich, und die Knechte fuhren herum. Plötzlich war es sehr still auf dem Platz, totenstill. Ihre Augen schienen Funken zu sprühen, zu leuchten, wie von allen Feuern der Höllen erfüllt und mit langsamen, bedächtigen Schritten kam sie auf Jehann zu. Es war als trüge sie lebende Flammen statt Haaren auf dem Kopf und als wären zwei Sonnen ihre Augen. Sie streckte ihre Hand aus und ihre Fingernägel schienen eisernen Krallen gleich und ihre Stimme, scharf und schneidend gleich eines Schwerstes Klinge, schien von überall her zu kommen, seltsame Worte murmelnd. Ängstlich wich Jehann zurück, unsicher, ob er sich umdrehen und fliehen sollte, wie seine Mitknechte, nur von einer Art morbider Faszination gehalten noch in Sichtweite bleibend.
Nachdem er sich schließlich doch zur Flucht entschlossen umdrehte und laufen wollte, war es, als käme er nicht vom Fleck und fiele gleichzeitig vornüber gen Boden. Seine Kleider wurden rauer, brauner, irgendwie pelzig, als wüchsen Haare über seinen ganzen Körper und durchdrängen seiner Kleidung und hielten sie an ihm; er schrumpfte, seine Beine, seine Arme verformten sich, wurden schlanker, wendiger, Hände und Füße zogen sich zusammen zu kleinen Ballen, auch sie braun und pelzig; an seinem Hinterteil bildete sich ein schlangenartiges Gebilde aus, das eine Art Eigenleben zu haben schien; sein Kopf zog sich in die Länge, Nase und Mund wuchsen enorm, wurden eins - eine Schnauze mit Fangzähnen und Geifer - seine Augen verloren an Menschlichkeit, sahen noch einen Moment verwirrt zu den anderen Knechten und wurden dann schwarze, glänzende Knöpfe in seinem neuen Gesicht.
Schwanzwedelnd kam der große Braune auf sie zu und lächelnd verließ sie den Gutshof, das hysterische Lachen der Knechte hinter sich lassend.
Der Rote Jehann aber wurde nie wieder gesehen.