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Der große Discounter

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12.04.2007
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Der große Discounter

Die alte Frau schätzte man auf 65, sie war sicher Großmutter und ihre Mode war anzusehen, aus welcher finanziellen Kaste sie kam: Die erstickte Rente, ohne Geld. Sie trug eine Stickjacke, eine zu kleine Cord-Hose und alte Plastik-Regenkappe, die man bei alten Frauen in vielfacher Anzahl vorfindet und inzwischen wieder mit den Schlagwörtern modern und schick assoziiert wird. Ihr linkes Bein zitterte. Ihre Hände griffen manchmal in die Auslage, unsicher, von einer kaputten Magie der Unentschlossenheit verzerrt. Mal griff sie sich dies, nur um es dann wieder ins Regal zurückzulegen. Und so weiter. Ihre Mimik war verwirrt. Verwirrt von der gigantischen Allegorie des Konsums und des Kommerzes, der sich ihr hier in billigen Regalen der Kundschaft präsentierte und wartete von einer wissenden Person in den Korb gesteckt zu werden. Doch es geschah nichts. Draußen schneite es seit Tagen. Es war trüb. Kein Anreiz, in die Stadt zu fahren und einzukaufen. Hier waren nur die Verzweifelten, die sich daran erkennen ließen, die sie hastig kauften, alle zehn bis fünfzehn Sekunden auf bekritzelte Papierfetzen starrten, ihrer aus der Not aus einem Block herausgerissenen Stück Papier, ihre Einkaufsliste. Nach einer Zeit stecken sie die Liste wieder ein, murmeln fast unhörbar etwas vor sich hin, fahren sich geschäftig über die Lippen, gehen die Regale auf und ab und finden nur selten das, was sie wollten, doch viel eher, das was sie nicht wollten, aber im Angesicht der heiteren und hellen Beleuchtung doch viel reizvoller aussah. Dann gab es noch die Verwirrten, die nicht wissen, warum sie hier waren, aber durch ein Paradoxon von ihrem Tagesplan auf das Unerfindliche hier gelandet waren. Sie schauten sich um, beschnupperten sich wie die Hunde, auch wenn das Beschnuppern hier dem auffälligen Blick in den Einkaufswagen des Anderen ähnelt. Kauft er gleich? Bin ich normal? Ist er reich, arm? Welcher sozialen Schicht gehört er an? Kann ich es anhand seiner Einkäufe überhaupt feststellen? Kauft er wegen der Ruhe, aus Verzweiflung in Eile und wegen der Tristesse hier und heute? Im Supermarkt eines trüben Nachmittages trifft man das menschliche Elend. Ein Elend, was man sonst nie trifft, es sei denn, an einem hektischen Abend an Heiligabend, kurz vor Feierabend. Es sind Menschen, die sonst selten in Märkten erscheinen, immer nur zu bestimmten Zeiten oder Situationen. Sie werden vom Personal argwöhnisch betrachtet, wie wilde Tiere: Infiltriert er unser Revier, unsere Allegorie der Marktwirtschaft? Und ist er sich unseren Blicken bewusst? Die Untergrund- Käufer. U-Kunden. Freilich schaut keine Kassiererin heute Nachmittag auf die Verzweifelten und Verwirrten. Sie wissen, dass sie nicht das Revier streitig machen wollen. Die Kassiererinnen schauen gelangweilt auf ihre Fingernägel, die Trennbolzen in dem kleinen Eisengleis neben dem Laufband und auf die Uhr. Wie lange noch bis Schichtwechsel? Zwischendurch erheben sie sich, kramen aus einer Untiefe ein Plastikschildchen hervor, welches aufklärt, dass diese Kasse vorübergehend nicht besetzt ist, stellen es lethargisch auf das Laufband, was sich die nächsten zehn Minuten nicht bewegen wird und schlurfen durch die Gänge, vorbei an den uninteressiert schauenden U-Käufern. Das Personal füllt Zigarettenbestände auf, Bananen, wechselt alte Kartons aus, holt sich einen Kaffee aus dem Lager, geht vielleicht vor die Tür, raucht kurz. Geht aufs Klo. Beine vertreten. Zur Sprechanlage gehen und den U-Käufern mit einer tristen Dudel- Stimme darauf aufmerksam machen, dass der Markt in einer Viertelstunde schließt und dass bitte alle ein wenig Beeilung an den Tag legen sollten. Das Personal weiß, dass die Ansage nutzlos ist. Die U-Käufer sind radikal gesinnt. Sie müssen kaufen, weil es ihnen vorgeschrieben wird. Sie müssen weiter durch die Gänge hasten beziehungsweise ratlos auf das gefüllte Allerlei vor ihren Augen starren, rein greifen, raus greifen. Das geht automatisch. Das Personal geht trotzdem an ihren Platz, denn alle Käufer müssen zu ihr, es ist nur eine Kasse besetzt, die Geschäftsleitung weiß, wann Rush Hour und Schnarchstunde ist. Hier fünf Kassiererinnen zu platzieren, zu so einer Uhrzeit und so einem Wetter, wäre fatal und dumm. Das Personal stellt sich drauf ein, dass der Großteil der sich noch im Laden befindenden U-Käufer raus getrieben werden muss und das Personal als Viehtreiber fungieren muss.

Noch bin ich relativ wach, doch in der letzten halben Stunde meiner Schicht fallen mir die Augen zu. Nicht, weil ich müde bin, sondern einfach aus der Langeweile heraus, schlafe ich manchmal ein. Zwar höchstens für eine halbe Minute (und das ist schon selten), aber wenn ich dann zaghaft von einem Kunden mit puterroten Kopf geweckt werden muss, ist das für beide Parteien schlimm. Bisher hat noch nie ein Kunde gepetzt, aber dann wäre für mich auch die Hölle los. Oh, warten Sie mal bitte.
Hallo. Einmal das Heft und das Klopapier. Macht 8,90. Bitte sehr.
Hab ich sogar klein.
Schön. Muss ich nicht soviel wechseln. Und zwanzig zurück. Schönen Tag auch.
Ihnen auch.
Danke. Ja, das war so ein Standardeinkauf. Die meisten Leute kaufen nur so bis zu acht Sachen mit, ich kann sie mir meistens noch im Kopf merken. Aber man hat ja jetzt elektronische Kassen, da müsste man sich das gar nicht merken. Wochenendeinkäufe, wo sie dann mit einem kompletten Wagen voll und einem quengelnden Kind ankommen – nee, Leute, das finde ich ätzend. Weil ich wirklich die ganze Zeit, drei Minuten lang, immer das jeweilige Produkt über den Laser schieben muss. Das geht in die Arme. Viele aus meiner Schicht beklagen sich über Tennisarme. Als ich hier so angefangen hab, hätte ich echt nie gedacht, dass ich hier eine Armzerrung bekomm? Wovon denn? Vom Langweilen? Was wenige wissen: Auf diesen Kassencomputern ist nicht nur das Kassenprogramm drauf, das ist ein ganz normaler PC, wo man dann auch eine Tastatur anschließen kann. Oder eine Maus. Die lagern auch unter dem kleinen Tischchen bei mir. Und wenn mir dann langweilig ist oder gar kein oder zumindest sehr wenig Betrieb ist, hol ich die Tastatur und die Maus und spiel Solitär und so. Das haben nicht alle Supermärkte, ich bin sehr froh, dass es so ist. Ich finde sowieso, dass dieser Laden hier sehr gut ausgestattet ist. Wenn ich im Freundeskreis oder so von meinem Beruf erzähle, gucken alle angewidert und bemitleiden mich. Wie schlimm muss das sein, den ganzen Tag irgendwelche Freaks zu bedienen. Sich den ganzen Tag langweilen. Aber so ist es nicht. Solitär spielen ist gut, da wird einem nie langweilig. Und die paar Freaks gehen auch irgendwann mal. Vor kurzem sagte einmal ein guter Freund von mir, er hätte was über so genannte U-Käufer gelesen. Das wären so wirre Menschen, oder ganz hastige, verzweifelte Leutchen. Er wollt wissen, ob es die auch bei uns gäbe. Hätte er in so einer Zeitschrift gelesen. Hätte so ein Publizist gesagt. Naja, ein paar Verrückte gäbe es immer mal, wollte ich gerade sagen, da fügte er noch hinzu, dass die auch oft an Weihnachten auftreten. Halt Untergrund-Kunden. Kommen nicht oft. So was war mir vollkommen fremd. Gut, ich hab den Bericht jetzt nicht gelesen. Aber ich weiß jetzt schon, dass der Verfasser sich nicht wirklich mit der Materie auskannte – hätte auch ziemlich über Kassiererinnen hergezogen. Dass die sich nur die Finger lackieren, und ins Lager gehen. Und die Kunden verscheuchen, damit sie wenig zu tun haben. Hallo? Wie unflexibel muss der Autor sein, dass er sich solchen Klischees bedient? Sie sehen, ausdrücken kann ich mich. So, das wollen Sie ja auch nicht unbedingt wissen, ich soll ja über meinen Beruf sprechen, aber so was kotzt mich dann halt an und dann red ich mich hier auch schon mal in Rage. Und, ja, das wäre dann auch abgehakt. Am Unsympathischsten sind mir die Schüler der Hauptschule, die hier leider ganz in der Nähe ist. In den Freistunden kommen die zu uns, kaufen Tonnen von Süßigkeiten, machen schlechte und versaute Witze, und denken, dass wir Sklaven sind. Aber wir leisten nur einen Dienst. Und wir sind keine Sklaven. Moment mal. Hallo.
Hallo. Äh, hast du noch wat von der Alpenmilchschokolade dahinten im Lager?
Moment, muss ich mal fragen.
Okay, ick wart solang hier bei der Kasse.
Okay, aber stehlen Sie nichts. Kameraüberwacht.
´türlich.
(…)
Ja, fünf Packungen waren noch da. Wieviel wollen Sie?
Alle fünf dann natürlisch.
Sechs Euro Vierzig.
Hier. Stimmt so.
Äh, danke.
Tschö.
Wiedersehen. Komischer Typ. Erstens ist es untypisch, einer Kassiererin Trinkgeld zu geben. Und wie der aussah. Ganz ungepflegt vom Stil und von der Sprache erst. So, ich muss jetzt mal Wechselgeld nach--- warten Sie mal, wo ist denn jetzt das Geld hin? Das gibt’s doch nich. Alles weg. Alle Scheine. Nur Kleingeld ist noch drin. Scheiße. Hab ich nicht aufgepasst. Moment, ich muss dann jetzt unbedingt weg. Scheiße, Mann! Das gibt Ärger. Ich sag es euch. Das gibt Ärger. Scheiße. Ich muss unbedingt---

Gestern war es wieder soweit, irgend eine von der Kasse hat mal wieder nicht aufgepasst, war wohl zu viel auf ihre Fingernägel fixiert, hey, das war nur ein Witz, nicht dass jetzt was von Sachen Klischee oder so zu tun hat. Auf jeden Fall hat die nicht aufgepasst, meinte irgendwas vom Lager und so. Tja, der Dieb hat dann mal ordentlich Geld erbeutet. Ich hab das alles dann natürlich auf den Kameras gesehen. So ein Dummkopf. Nur weil unser Markt in der Provinz ist, glaubt er anscheinend, dass wir keine Kameraüberwachung, keinen Ladendetektiv hätten. Mann, ich kann da immer nur drüber lachen. Aber der Typ war sportlich, das muss man ihm lassen. Als ich ihm hinterher gesprintet bin, hab ich nicht eingeholt. Und ich bin schon ziemlich sportlich, muss man auch sein. Nicht jeder ist qualifiziert, ein Ladendetektiv zu sein, finde ich.

 

Hey Spiralblock,

interessante Geschichte, interessantes Thema, auch wenns wohl eher in die Rubrik "Alltag" passt, aber egal.
Deine Analyse der Supermarktkunden zeugt von einer guten Beobachtungsgabe - schön detailliert beschrieben. Auch die Wortwahl fand ich charaktergebend.
Allein der Absatz der Verkäuferin passte nicht so ganz. Ihr Denken war, wie ich fand, nicht logisch an den Charakter angepasst. Vor allem die Passage über den Artikel der U-Kunden war etwas konfus.
Obwohl du einen ganz guten Schreibstil hast, scheinst du dich gelegntlich in deinen vielen Nebensätzen etwas zu verhaspeln.

Aber ich finde es schön, wenn mal jemand auch über solche Themen schreibt. Das Beobachten des Lebens ist immernoch am interessantesten.

LG,
t.maennchen

 

Hallo Spiralblock,

Die alte Frau schätzte man auf 65, sie war sicher Großmutter und ihre Mode war anzusehen, aus welcher finanziellen Kaste sie kam: Die erstickte Rente, ohne Geld.
Wer schätzt sie auf 65? Wer ist „man“?
IhreR Mode
Finanzielle Kaste – ist ein typischer Spiegel-Sprachgag, der nach der fünftausendsten Wiederholung an Reiz verloren hat; „Schicht“ wäre da einfacher
Die erstickte Rente – was soll das sein? Eine Rente, an der man erstickt? Eine Rente, die selbst erstickt ist? Und in welcher Beziehung steht dann „ohne Geld“ dazu? Ist das nicht schon durch die „erstickte“ Rente abgedeckt?

Sie trug eine Stickjacke, eine zu kleine Cord-Hose und alte Plastik-Regenkappe
Strickjacke, eine alte Plastik-Regenkappe

die man bei alten Frauen in vielfacher Anzahl vorfindet
Wer ist man? Vielfacher Anzahl? Vorfindet?
Wäre es nicht einfacher, schlicht zu schreiben: so eine, wie sie alte Frauen oft tragen?

und inzwischen wieder mit den Schlagwörtern modern und schick assoziiert wird.
Und die inzwischen wieder mit den Schlagwörtern „modern“ und „schick“ …

So, das waren die ersten beiden Sätze dieser Geschichte. Es sind vier klare Fehler drin, und noch ein halbes Dutzend Sachen, über die ich gestolpert bin und über die man streiten könnte, wobei das natürlich Geschmackssache ist.
Wenn der Anfang einer Geschichte eine Visitenkarte ist, dann sagt der hier: Lies mich nicht, ich bin es nicht wert.
So hart es klingt.

Quinn

 

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