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Der große REEEEEEMIX!

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13.03.2009
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Der große REEEEEEMIX!

Der Innenhof ist von vier Mauern umschlossen. Vier sehr großen Mauern, schließlich befinden wir uns in der Haftanstalt „Glück auf“ für Kapitalverbrechen überführte Bergwerker, steuerflüchtige Topmanager und ähnlich illustre Gestalten.
Die Insassen sind zum grausigen Schicksal verurteilt, bis an ihr Lebensende Lieder aus den Achtziger Jahren zu hören. Die meisten von ihnen stammen aus Einwandererfamilien und sprechen kaum ein Wort Thailändisch.
Auch alle anderen Martern, die das kranke Hirn des Direktors Falkenstein ersinnt, müssen die Unglücklichen über sich ergehen lassen. So zum Beispiel gibt es einmal pro Woche während der Essenszeit das große TV-Event „Wer leckt den Salzstein?“, bei dem vom Direktor ausgewählte Insassen in einen Meerschweinkäfig eingesperrt werden und eine Art Survival-Horror durchstehen müssen.
Doch heute ist keiner dieser Tage. Dennoch geht unter den Gefangenen das Gerücht um, dass etwas Besonderes ansteht. Und so herrscht an diesem Frühlingsmorgen eine allgemeine Unruhe während des Hofgangs. „Vielleicht kommt ein Musiker zu uns, um ein „Live at Prison“-Album zu releasen“, sagte ein besonders großer und den Anglizismen nicht abgeneigter Kapitalverbrecher.
Der angesprochene Mitinsasse, ein ebenfalls hochgewachsener, annähernd quaderförmiger Mann, sieht ihn nur verächtlich an und fragt: „Wenn’s nur das wäre. Du bist noch nicht so lange hier, oder?“ Dann spuckt er aus. Ein paar der Insassen lachen und gehen weiter, immer im Kreis herum.
„7:88 – der Hofgang ist beendet!“, ruft einer der Wärter. Seine rosa gefärbte Haarpracht wippt rhythmisch zum Klang von „People Are People“, das aus den Lautsprechern schallt.
„So ein Dreck“, sagt der Quadrat-Mann und spuckt wiederum aus.
„Ich heiße übrigens Harte“, sagt der mit den Anglizismen.
Er erhält keine Antwort.
Die Häftlinge streben dem eisernen Tor zu, das ins Innere der Anstalt führt. Harte versucht in der Nähe des Quadrat-Mannes zu bleiben, wird jedoch von einem der Wächter zurückgehalten. „Wir werden sicher gute Freunde!“, ruft Harte ihm noch nach.
„Das glaube ich nicht“, gibt der Wärter knurrend zu verstehen. „Du musst da lang. Der quadratische Kollege sitzt in ’nem anderen Trakt ein.“
„Ach, really? Wie unangenehm, so werde ich ihn erst beim nächsten Hofgang wieder sehen“, sagt Harte mit trauriger Stimme. „Falls du den noch erlebst.“ Der Wächter lacht hämisch und stößt Harte mit einem Knüppel in eine andere Richtung.
Von der anderen Seite des Hofes jault ein hagerer Gefangener mit Glatze herüber: „Seht mal, Jungs! Harte hat ’ne Freundin!“
„Halt’s Maul, Ruben!“, ruft Harte zurück. „Klippo!“, ruft der Gefangene zurück.


Etwa drei Minuten nach dieser verbalen Auseinandersetzung befindet sich Harte wieder in seiner Einzelzelle.
Hier sitzt er müßig auf dem fleckigen Bettzeug und schaut den Tropfen zu, die von der Decke fallen und auf dem Boden langsam eine Pfütze bilden.
„Wie zu Hause am Wörthersee“, flüstert er traurig.
„He, du!“ Die Stimme des Insassen, der die Zelle gegenüber behaust, weckt ihn aus seinen Tagträumen. „Jib ma eene Zijarette und isch sach dir wat heut abend abjeht!“
„Hm…das ist mir eine Zigarette wert, ich rauche eh nicht mehr.“
„Na, dann lass ma rüberwachsen, die Fluppe!“
Harte betrachtet ihn misstrauisch. Ob der wirklich was weiß? Der Andere macht einen seltsamen, irgendwie affenartigen Eindruck. Die ganze Zeit zappelt er herum, Zuckungen verziehen seine Miene.
„Na gut.“ Er wirft die Zigarette über den Gang.
„Danke, Mann!“ Der „Informant“ grinst breit und steckt sich das Rauchwerk in die Nase. „Die is für jut“, erklärt er.
Ob er in seiner Nase noch mehr Vorräte an Handelsware hortet?„Da guckste, watt?“, fragt der Affenartige und grinst breit.
„Ja, ehm … Und what’s up nun heute?“
Der Andere schaut ihn verwundert an. „Watt?“
„Na, was heute abgeht!“
„Ehm … Keene Ahnung.“
„Was? Aber du hast gesagt … Du Betrüger!“
Der Affenartige grinst noch ein wenig breiter. „Tja. So is dit im Knast!“
Enttäuscht sackt Harte auf seiner Pritsche zusammen. Oh man.Die Musik im Trakt wird gedämpft. Eine Durchsage! Endlich News!
„I just can’t get enou…ächem, Entschuldigung. Hier spricht Falkenstein! Heute Abend lade ich Sie zum großen REEEEEEMIX! ein. Es gibt sogar Punsch. Ich freue mich auf ihr Erscheinen. Falkenstein ende.“
Harte richtet sich zu einer halbwegs geraden Sitzhaltung auf. „Der große REEEEEEMIX!?“, ruft er über den Gang. „Was hat das zu bedeuten?“
„Keene Ahnung“, gibt der Affenartige gelangweilt zurück. „Mich ham’se ooch jerade erst aus ’ner anderen Anstalt her versetzt. Hab ’nen Wächter jebissen, deshalb.“
„Ah. So.“ Der ist ja vollkommen crazy.


„Big in Japan“ unterlegt vom Klappern in der Kantine. Heute gibt es zur Feier des großen REEEEEEMIX! gesalzene Bananensuppe mit Rotkraut.
Mit einem Tablett, darauf eine dampfende Tasse Suppe und ein Becher Wasser, schiebt sich Harte etwas unsicher zwischen verschiedenen Schlangen anstehender Häftlinge hindurch. Bei den Tischen angelangt schaut er sich um – der sympathische Quadrat-Mann ist jedoch nirgendwo zu entdecken und so setzt Harte sich einfach irgendwo dazu.
Links und rechts von ihm haben die Gefangenen bereits begonnen, die noch siedend heiße Suppe zu schlürfen. Die müssen Rachen aus Stahl haben!
„Na du kleiner Homo, wo haste denn deinen Freund gelassen?“, spricht Ruben den etwas überraschten Harte an und kichert dabei.
„Ruben, wer’s sagt, ist es selber!“ So! Will mal sehen, wie er den kontert!
Ruben stutzt. Dann wird sein Kopf in sekundenschnelle so rot wie das Rotkraut. Er grummelt etwas und starrt auf die Tischplatte.
Harte spürt eine schwere Hand, die ihm auf die Schulter klopft. Er dreht sich halb um – und sieht den Quadrat-Mann, der ihm anerkennend zunickt. „Gut gemacht, Junge.“
Ehe er noch etwas erwidern kann, geht der Quadrat-Mann schon weiter.
Der Typ zu seiner Linken – ein grauer, unscheinbarer Mensch – spricht ihn unvermittelt an: „Und? Warum sitzt du?“
„Wie? Ich sitze weil es im Stehen sehr ungemütlich ist, etwas zu essen! Haha … aber mal ernsthaft, ich bin das Opfer eines Kompotts!“
„Du meinst sicher Komplott?“
„Nein, nein! Kompott; Kirschflavour, um genau zu sein.“
Eine kleine Pause entsteht. „Willst du mich verarschen?“
„Nein, es ist die Wahrheit. Ist aber auch eine verrückte story und ich will jetzt nicht darüber sprechen. Ich kenne dich ja schließlich kaum.“
„Na gut. Ich erzähl dir trotzdem, warum ich sitze. Weißte: Ich war bei der Marine.“ Während er erzählt, redet er sich immer mehr in Rage. „Und immer beim Kartoffelschälen, hab’ ich ’n bisschen was abgezweigt. Die ganze Beute hab’ ich dann an die Inder verscheuert. Aber irgendwer hat mich verpfiffen. Und so bin ich hier gelandet!“ Die letzten Worte brüllt er fast.
Am Tisch ist betretenes Schweigen eingetreten.
„Chill mal, mein Freund!“ Harte versucht die Situation deeskalierend zu handhaben.
„Hast ja recht … boah jetzt ist mir schlecht“, murmelt der Kartoffelschmuggler.
„Ach übrigens, mein Name ist Harte“
„Gut zu wissen, mich nennen alle hier wegen meiner Verbrechen nur Kartoffelknabe!“
„Ah.“ Harte nimmt einen großen Schluck von seiner Bananensuppe. Durch das Gespräch etwas selbstsicherer geworden fragt er in die Runde: „Hat eigentlich anyone of you diesen Typen hier in der Kantine gesehen? Diesen affenartigen Typen? Mit dem have ich noch ne Rechnung offen.“
Die meisten schütteln stumm die Köpfe, ganz mit ihrem Rotkraut befasst.
Kartoffelknabe fragt nach: „Meinst du Banana-Bob?“
„No idea, wie der heißt. Der sitzt in ’ner Einzelzelle, mir gegenüber.“
„Ja, Banana-Bob … Den haben sie auf Diät gesetzt. Weil er versucht hat, ’nen Wächter anzugreifen. Armer Kerl. Er hat Bananensuppe so geliebt …“
„Traurig.“
Zu den Klängen von „Living in a Box“ geht das Mittagessen zu ende.


Wieder in seiner Zelle wartet Harte auf Banana-Bob, um ein klärendes Gespräch mit ihm zu führen. Als er schließlich von zwei kräftigen Wächtern in die Mangel genommen in seine Zelle getragen wird, heult er wütend auf. „Bananensuppe?! Ihr Schweine! Und ick darf nur trocken Brot fressen?!“
„Tja Bob, ich hoffe das ist dir eine Lehre. Nächstes Mal wirst du uns mit mehr Respekt begegnen, oder du darfst bis an dein Lebensende unter der Knute des Vollkorns leiden!“
Unsanft befördern sie Banana-Bob in seiner Zelle. Dann werfen sie die Tür hinter ihm zu und schlendern davon. „Bis an dein Lebensende!“, ruft einer, ihr Lachen schallt durch den Gang.
Bob wirft sich gegen die Gitterstäbe, umklammert sie mit den Händen. „Ihr Schweine!“
Dann sinkt er schluchzend zusammen.
Harte betrachtet ihn voll Mitleid. „He“, ruft er hinüber. „Ist alles okay?“
Bob wird sich seiner Gegenwart offenbar erst jetzt bewusst. Hastig wischt er die Tränen mit dem Ärmel weg. „Ja … ja, klar.“
„Du liebst Bananen also über alles, right?“
„Fang doch nich wieder damit an, willste mich in den Selbstmord treiben?“
„Machen wir einen Deal, Bob. Du gibt’s mir die cigarette und sagst mir, was du über den REEEEEEMIX! weißt. Im Gegenzug geb ich dir…DAS!“ Harte hält triumphierend die übrig gebliebenen Bananenstückchen hoch. „Ich hasse eh Bananensuppe mit Stückchen.“
Sofort kommt wieder Leben in Bobs Glieder. Er kommt auf die Füße und auch sein Gezappel fängt wieder an.
„Ja … ja, klar, abjemacht, Mann!“
„Gut. Aber nur, damit du mich nicht wieder verarschst. Du wirfst die cigarette, dann bekommst du die Banane. Dann talkst du.“
„Jut, jut, wie de willst!“
Wie hypnotisiert starrt Bob auf die Stückchen in Hartes Hand.
Eine Zigarette fliegt über den Gang, kurz darauf einzelne Bananenstückchen. „Und jetzt erzähl!“
„Na jut. Aber ick weeß echt wenig, hab’ ick ja vorhin jesacht. Also: Ick hab’s ja nur aus Jerüchten jehört. Aber dit muss en echt jroßes Ding sein. Muss echt de Hölle los sein. Die Jungs reden nich jerne drüber. Nach’m letzten mal war wohl de Hälfte vonne Jungs wech.“
„Wie, weg?“
„Na, nich mehr da. Ick weeß doch ooch nich.“
„Ist der REEEEEEMIX! vielleicht so eine Art general amnesty?“
„Wir werdens ja sehn, heut abend…“


Es ist wieder dieser Traum. Harte weiß, dass er schläft – dennoch ist das Geschehen kein bisschen weniger schrecklich. Diesmal wird es sogar leise von „(I Just) Died in Your Arms“ unterlegt. Kirsch-flavoured-Kompott, rot wie Blut, blitzt hypnotisch auf. Zäh und heiß tropft er von des grässlich lachenden Riesen Kelle.
„Kompott!“ und „Kirschflavour!“ brüllt das Ungeheuer, das wie ein aufgeblasener Elton John aussieht. „Das hat dich da rein gebracht!“
„Nein! Du lügst …“
Seine Worte gehen im krächzenden Gelächter unter.
„Harharhar!!! Kirschflavour…flavour…flav…“
Die Stimme verhallt, während Harte schweißgebadet aufschreckt.
„Es … es war wieder nur ein Traum … dieser Traum.“ Mit zitternder Hand fährt er sich durchs Haar. „Das muss ein Ende haben.“
Er schaut sich um. In der Zelle ist es stockfinster. „Ich wünschte, ich hätte mein Nachtlicht hier.“
„Willst du nicht lieber etwas…KOMPOTT?!“, brüllt ihn der plötzlich vor ihm aufblitzende Elton-John-Riese an.
Harte wacht diesmal wirklich auf.
„Es … es war schon wieder nur ein Traum. Dieser Traum.“ In der Zelle ist es stockfinster. „Das muss endlich ein Ende haben.“
Er lauscht. Kein Geräusch ist zu vernehmen.
„Und ich wünschte trotzdem, ich hätte mein Nachtlicht. Halt – Nacht? Warum ist es eigentlich schon dunkel? Das ergibt keinen Sense.“
„Hier spieln Zeit und Raum keene Rolle“ , meldet Banana-Bob, „Direktor Falkenstein entscheidet dit Wann und Wo.“
„Das ist Wahnsinn.“
„Dit is dat Falkenstein-System.“ Ein nervöses Kichern folgt diesen Worten.
Und obwohl Harte zunächst versucht, es als Einbildung abzutun – langsam wird es in der Zelle heller. Er kann sogar wieder über den Gang blicken.
„Und – woher wissen wir dann, wann Abend ist?“
„Dit sacht man dir schon …“
Jetzt heißt es also warten …


Ein knarzendes Geräusch durchbricht die ersten Sekunden von „Take on me“. „Hier Falkenstein! Szenario 7/ReMX wird auf der Stelle in Kraft treten! Alle Insassen (er legt eine dramatische Pause ein) auf zum großen REEEEEEMIX! Es gibt auch Punsch.“
Für einen Augenblick herrscht vollkommene Stille. Dann öffnen sich unter lautem metallischen Kreischen die Türen des Zellentrakts und die altbekannten beiden Wärter, in golddurchwirkter Abendgarderobe treten ein. „Ihr habt den Direktor gehört, heute habt ihr etwas Besonderes verdient!“
Unter den Gefangenen entsteht aufgeregte Unruhe.
„Benehmt euch anständig“, fügt einer der Wärter hinzu. „Wenn ihr heute aus der Reihe tanzt, wird der Direktor sich persönlich um eure Bestrafung kümmern!“
„Also“, posaunt der andere Wärter, „habt viel Spaß und genießt den Punsch!“
Weitere Wärter betreten den Zellentrakt. Die Zellentüren werden geöffnet und die Wärter treiben die Gefangenen zusammen. „Auf geht’s!“, ruft der Wärter mit der rosa Haarpracht fröhlich.
„In Reih und Glied bleiben!“ „Groove halten!“ Diese Anweisungen werden nun abwechselnd auf dem Weg zum Konferenz- und Veranstaltungssaal B von unterschiedlichen Wärtern heiser gebrüllt. Die Häftlinge folgen fröhlich zu den Klängen von „Maneater“.


Als er mit der Masse der Gefangenen im Konferenz- und Veranstaltungssaal B ankommt, traut Harte seinen Augen kaum. Alles ist festlich hergerichtet: An der Decke hängt eine gigantische Disko-Kugel, der Boden ist mit rotem Samt ausgelegt und die Aussage Falkensteins, dass es auch Punsch gäbe, ist glatte Untertreibung – es ist ein kleiner Punsch-Wasserfall, der sich über Champagnergläser ergießt und in einer Öffnung im Boden verschwindet!
Vorne ist eine große Bühne aufgebaut, über die die farbigen Lichter zahlreicher Scheinwerfer huschen. Davor befinden sich endlose Reihen von um kleine Tische gruppierten Stühlen. Die Gefangenen werden von den Wärtern zu den Tischchen gescheucht und genötigt, Platz zu nehmen.
Harte findet sich in einer illustren Runde alter Weggefährten wieder: Banana-Bob, Kartoffelknabe, Ruben und Quadrat-Mann!
„Was jetzt wohl passiert?“, flüstert Ruben aufgeregt. Die anderen jedoch starren nur wie gebannt auf die Bühne, wo die Lichter nun immer schneller hin und her tanzen. Weit vorne erleidet ein Gefangener einen epileptischen Anfall und wird von einem Wärter aus dem Raum getragen. „Ach schade, gerade wo er so schön gebreakdanced hat“, empört sich Harte.
Dann beginnt ein Trommelwirbel.
Die Wärter postieren sich mit feierlicher Miene im Raum. Die Taktfrequenz und Lautstärke des Trommelwirbels wachsen auf ein fast unerträgliches Maß an. Im Zusammenspiel mit dem Lichterinferno auf der Bühne ist der Sinneseindruck fast erschlagend. Zu guter letzt beginnen auch die Wärter rhythmisch mit zu schnipsen und die Gefangenen müssen mitklatschen.
Der Wärter mit den rosa Haaren springt mit einem Mikrophon auf die Bühne und ruft in völliger Ekstase: „Und hiiiiieeeeer ist er! Ihr Gastgeber am heutigen Abend! Direktor Falkenstein!“
Eine Luke an der Decke öffnet sich und Konfetti rieselt in den Raum – dann wird der Direktor an einem Seil in den Raum herabgelassen. Das Trommelwirbel-Applaus-Gemisch nimmt noch ohrenbetäubendere Ausmaße an. Mit einer gebieterischen Geste sorgt Falkenstein für Ruhe. „Aber meine Herren, beruhigen Sie sich! Ich bin geschmeichelt; da hätten sie ja fast eine Resonanzkatastrophe ausgelöst, hahaha!“
Der Direktor hat sich in Schale geworfen: Ein reflektierendes Jackett, das die bunten Lichter der Scheinwerfer zurückwirft, kleidet seinen breiten Oberkörper. Weite Schlaghosen, eine verspielte Reminiszenz an die Siebziger, umwehen seine Beine. Ein Monokel und ein gepflegter Schnurrbart geben ihm die Autorität eines Klischee-Deutschen.
Im Folgenden macht er einige Witze und mit Blick auf die mit Knüppeln bewaffneten Wärter antworten die Gefangenen mit gezwungenem Lachen. Dann kommt der Direktor zum Wesentlichen: „Meine Herren! Ich habe Sie heute hier zusammen geholt, um, in der guten Tradition der Anstalt ‚Glück auf!’, den REEEEEEEMIX! mit Ihnen zu begehen. Aber vorher: Genießen Sie den Punsch und die Musik!“ Am Seil wieder hochgewuchtet, verabschiedet sich lächelnd winkend der Direktor.
„Man, der war ja ziemlich old-fashioned gestylt!“, durchbricht Harte das verwirrte Schweigen der Gefangenen. „Is doch egal, ick will mir jetzt ne ordentliche Portion Punsch einhelfen!“, erwidert Banana-Bob.
Die meisten anderen sind ähnlich gesinnt und es beginnt eine allgemeine Bewegung zum Punsch-Wasserfall. Die Stimmung ist gut, „It’s My Life“ schallt aus den Lautsprechern.
Trotzdem macht Harte sich Gedanken. Er traut dem Frieden nicht. „Sag mal, kommt dir das nicht alles strange vor?“, fragt er Ruben, der gerade neben ihm steht.
Doch der nutzt lediglich die Chance, um sich für die zurückliegende Demütigung zu rächen: „Nein! Deine Mutter ist strange! Hahaha!“ Zufrieden nimmt er einen großen Schluck Punsch und beginnt zu tanzen. Vielleicht liegt es nur an den Schlaghosen, die fitten nicht so richig in den Style in, philosophiert Harte, während er, ohne es richtig bewusst zu steuern, auf den Punsch-Wasserfall zugeht.
Der Punsch ist gut. Dennoch beschließt er, nicht all zu viel davon zu trinken. Das Gros seiner Mitgefangenen dagegen spricht dem Alkohol ordentlich zu. Bald ist es ein einziges Durcheinander von umher springenden und tanzenden Sträflingen. Nur die strenge Aufsicht der Wärter verhindert, dass es auch zu Schlägereien kommt.


Ein etwas langsamer Song, schlau gewählt vom unbekannten Gefängnis-DJ, sorgt für ein ruhigeres Ambiente. Die Gefangenen ergehen sich nun in Brüderlichkeitsbezeugungen. Männerliebe unter Einfluss des Alkohols halt.
„Ich liebe dich, Harte! Du bist der beste Kumpel, den ich je hatte.“
„Halt’s Maul, Ruben! Du bist besoffen!“
Harte macht, dass er weg kommt. Er beschließt, sich an einen der Tische zu setzen und das weitere Geschehen zu verfolgen. Ruben bleibt mit trauriger Miene beim Punsch zurück. Harte setzt sich inzwischen zu Kartoffelknabe, der mit dem Kopf auf dem Tisch eingeschlafen ist.
Langsam gerät die Feier ins Stocken. Doch Harte meint zu spüren, dass etwas in der Luft liegt. „Gleich wird something geschehen“, murmelt er. Kartoffelknabe grunzt nur darauf.
Und tatsächlich: Wieder beginnt der Trommelwirbel. Leise zuerst, dann immer lauter. So sorgt der exzentrische Direktor für die nötige Aufmerksamkeit. Ein weiteres Mal lässt er sich am Seil herunter. Die Gefangenen wurden in der Zwischenzeit ausnahmslos geweckt. Nun beginnt es also.
Falkenstein breitet die Arme aus, als wolle er den gesamten Raum umarmen. „Meine Herren! Kommen wir nun zum eigentlichen Höhepunkt des Abends! In Kürze wird der große REEEEEEMIX! beginnen!“
Die teilweise vom Punsch betäubten Gefangenen reagieren nur verhalten, während die Wärter ihre Haltung straffen. Ein einzelner, besonders vorlauter Gefangener lallt vernehmlich: „Was is denn jetzt eigentlich dieser … REEEEEEEMIX!?“
„Das“, sagt Falkenstein mit einigem Pathos, „werde ich Ihnen nun erläutern. Obacht!“
Wow, finally wird sense und Zweck dieser Party erläutert.
„Meine Herren, Sie alle sind aus unterschiedlichen Gründen hier … doch wird Ihnen das gleiche Schicksal widerfahren! Der patentierte REEEEEEMIX!, die Krönung meiner jahrelang währenden Forschung im Bereich der Kriminalitätsprävention und Resozialisierung. Stellen Sie sich mal die Situation noch vor einigen Jahren vor: Steigende Kriminalität, vor allem bei Kapitalverbrechen. Die Gefängnisse hoffnungslos überfüllt. Und der Nutzen von Haftstrafen für die Resozialisierung wurde in den Medien bereits in Zweifel gezogen!
Aber ich, Justus Falkenstein, habe – in Zusammenarbeit mit meinem grönländischen Kollegen Doktor Spenzler – die Lösung gefunden! Mittels unserer technologisch überlegenen REEEEEEMIX!-Maschine – die zu kompliziert ist, um ihre Funktionsweise hier auch nur ansatzweise zu umreißen – sind wir in der Lage, Verbrecher zu REEEEEEEMIX!en.“
„Floskeln! Nothing as Floskeln, Falkenstein!“, ruft Harte, der merkt, dass etwas ganz Übles ansteht.
„Aber, aber, mäßigen Sie sich, Gefangener Harte! Sie sind doch einer der schlimmsten Lumpen überhaupt!“
„Das ist eine Lüge!“, ruft Harte mit vor Zorn gerötetem Kopf. „Ich bin das Opfer eines Kompotts! Kirschflavour!“
„Ich muss hier nicht mit Ihnen diskutieren! Aber wo war ich …? Ach ja, der REEEEEEMIX!, meine große Erfindung. Nun, die Grundidee ist eigentlich ganz einfach. Kurz gesagt: Es geht darum, aus zwei Gefangenen (hier legt er eine Kunstpause ein) einen zu machen!“
Mittlerweile regt sich Unruhe unter den Gefangenen. Ein nervöses Raunen und Getuschel geht durch die Menge, aber die Wärter wahren durch Drohgebärden die Disziplin.
„Ja, es ist wahr! Mit Hilfe der großartigen REEEEEEMIX!-Maschine kann ich aus zwei von euch Lumpen einen einzigen machen, der nach dem Zufallsprinzip Eigenschaften seiner Vorgänger in neuer Kombination aufweist!“ Falkenstein grinst entrückt. „Nun denn, möge nun geREEEEEEMIX!t werden! Startet die Maschine!“
Der Saal erbebt wie unter einem Erdbeben, als der Mechanismus in Gang gesetzt wird. Die vermeintliche Disko-Kugel beginnt in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit zu rotieren und ein unheimliches Licht geht von ihr aus.
„My God!“, ruft Harte. „Die REEEEEEEMIX!-Machine!“
Während Falkenstein wie ein Wahnsinniger zu lachen beginnt, werden zwei Gefangene von der Anziehungskraft der Maschine angezogen. „Oh no!“ Harte schließt von tiefer Seelenqual gepeinigt die Augen. Er fühlt einen zermürbenden Kopfschmerz und auch die anderen Gefangenen krümmen sich auf dem Boden, wobei sie sich den Kopf halten.
Mit einem Knall fliegt die Tür des Saales auf. Ein Mann im Trenchcoat und mit einem großen Schlapphut samt einer riesigen violetten Feder tritt herein. „Das Spiel ist aus, Sie Wahnsinniger!“
In Richtung der Wärter befiehlt er mit fester Stimme: „Stoppt die Maschine!“
Als sie zögern ruft er: „Das ist eine polizeiliche Anordnung! Na los!“
Doch die Wärter wagen nicht, sich gegen ihren grausamen Meister zu wenden.
„Verdammt!“, ruft der Mann mit der Feder. Die beiden Gefangenen sind der Maschine inzwischen gefährlich nah.
Da reißt der Neuankömmling eine Pistole hervor und gibt zwei Schüsse ab. Beide treffen: Die rotierende Kugel zeigt zwei Einschusslöcher, aus denen Rauch hervorquillt, blaue Blitze tanzen über ihre Oberfläche. Ihre Rotation verlangsamt sich, die beiden Gefangenen sinken zu Boden. „So, das wäre erledigt … Meine Herren, mein Name ist Kommissar Straff. Auf Anordnung des …“
Da fällt Falkenstein ihm ins Wort, seine Stimme bebt vor unkontrolliertem Irrsinn: „Sie können den REEEEEEEMIX! nicht aufhalten!“
Das Monokel fällt zu Boden und Schaum tritt dem Direktor aus dem Mund, als er quer durch den Raum auf Straff zustürmt. Der Kommissar will gerade seine Waffe heben – der Direktor hat den Raum halb durchquert – als es ein hässliches metallisches Knirschen gibt.
Die Kugel löst sich aus ihrer Verankerung und stürzt herab. Der diabolische Direktor und diverse Delinquenten werden von der REEEEEEMIX!- Maschine begraben. „Tja, Falkenstein, wer nicht hören will, muss fühlen.“ Kommissar Straff gibt das Schlachtfeld für seine ihm untergebenen Beamten frei. „Ihr räumt erst mal auf!“


Zwei Wochen sind seit dem Ende von Falkensteins Schreckensherrschaft vergangen. Der Medienrummel um die Geschehnisse hat sich inzwischen wieder gelegt, ein neuer Krieg ist interessanter.
Harte sitzt in seinem neuen zu Hause – einer kleinen Ein-Zimmer-Wohnung – vor der Schreibmaschine und bringt seine Erlebnisse zu Papier. Der CD-Spieler gibt „A Question of Time“ zu Gehör.
Es klingelt an der Tür.
Durch den Spion erkennt Harte Kommissar Straff. Er öffnet ihm.
„Guten Tag Herr Straff.“
„Guten Tag Herr … Harte. Ich muss noch einmal mit Ihnen reden.“
„Why nicht, Herr Kommissär? Setzen sie sich. Wollen sie nen Tea oder lieber etwas anderes?“
„Danke, erst einmal reicht mir ein Sitzplatz vollkommen aus. Oh, wie ich sehe schreiben Sie ihre Erlebnisse auf. Dann wird das, was ich Ihnen gleich eröffne, einen gelungenen Abschluss Ihrer Aufzeichnungen bilden!“
„So, what’s up, Herr Kommissär?”
„Nun … Es verhält sich so, dass sie bereits einmal geREEEEEEMIX!t wurden.“
„What?!“
„Ja, Sie hören ganz recht. Sagt Ihnen der Name Doktor Spenzler etwas?“
„Doktor Spenzler … Moment … Das war doch dieser guy, mit dem Falkenstein die REEEEEEMIX!-Maschine developed hat?“
„Genau … Und da er den Ruhm nicht mit seinem Kollegen teilen wollte, hat Falkenstein eine Intrige gegen ihn gestartet, die damit endete, dass der Doktor als erster Mensch überhaupt geREEEEEEMIX!t wurde – mit einem englischen Kompotthersteller!“
„Kirschflavour!“, ruft Harte entsetzt aus.
„Ganz recht. Und – Sie haben es bereits erraten – das Ergebnis – sind Sie!“
„Das … das ist … das muss ich erst mal verarbeiten.“
„Ja. Es muss schwer für Sie sein.“ Der Kommissar erhebt sich von seinem Platz. Er reicht Harte die Hand, der sie geistesabwesend schüttelt. „Machen Sie sich keine Mühe, ich finde den Ausgang.“
Der Kommissar geht zur Tür – neben dem CD-Spieler bleibt er unvermittelt stehen.
„Eine Sache noch, Harte.“ Er macht eine Pause und sagt dann mit Nachdruck: „Hören Sie auf in der Vergangenheit zu leben. Was vorbei ist, ist vorbei. Sie können die verlorene Zeit nicht zurückholen.“
Er schaltet die Musik aus und verlässt die Wohnung, ohne noch einmal zurück zu blicken.

 

Hallo Walterose,

und herzlich Willkommen auf kurzgeschichten.de.

Insgesamt konnte mich Dein Erstling nicht überzeugen, obwohl ich die Geschichte handwerklich nicht schlecht gemacht finde. Zudem mag ich das wirklich seltsame Set und Setting, und auch die Pointe ist in ihrer Auflösung, warum Herr Harte denn nun einem Kompott zum Opfer wurde durchaus wohlgeraten.
Was mir jedoch garnicht gefallen kann, ist dieser beim Lesen recht unmotiviert wirkende Wechsel der Sprache, der stellenweise in den Augen und im Hirn schmerzt, zumindest, wenn man wie ich des Englischen mächtig ist. Für dieses Denglish finde ich im Text keinen schlüssigen Hinweis (ausser dem einleitenden, daß da jemand mit Anglizismen um sich wirft und sich später als Harte zu erkennen gibt), so daß ich dieses Stilmittel überstrapaziert finde.
Mit der Auflösung, daß Harte bereits ein Remix ist, ergibt es einen gewissen Sinn, doch bis zur Auflösung hat es mich ein ums andere Mal einfach genervt.

Schick finde ich die Reminiszenzen an einige Hits meiner Jugend, wenngleich ich auch deren Sinnhaftigkeit nicht verstehe, doch ich kann mit Lücken in der Logik leben, in Seltsam darf es auch mal wirklich seltsam sein :)

Insgesamt also ein nicht uninteressantes Leseerlebnis, auch wenn es meinen Geschmack nicht immer treffen konnte. Als Gesamtwerk kommt es mir vor allem wild vor, es hat sicher Spaß gemacht, das Teil aus den Tasten rauszuhauen, und vielleicht findet es auch geneigtere Leser als mich Kostverächter.

Grüße
C. Seltsem

 

Guten Abend C.Seltsem,

zunächst einmal bedanke ich mich für die Willkommensgrüße und die hilfreiche Kritik :)

Was die Geschichte angeht, sei vielleicht noch erwähnt, dass sie aus einer Schreibübung entstanden ist, an der zwei Personen beteiligt waren.

Der schlüssige Hinweis für die Anglizismendurchsetzte Sprache des Prots versteckt sich hier:
„Genau … Und da er den Ruhm nicht mit seinem Kollegen teilen wollte, hat Falkenstein eine Intrige gegen ihn gestartet, die damit endete, dass der Doktor als erster Mensch überhaupt geREEEEEEMIX!t wurde – mit einem englischen Kompotthersteller!“
Der Prot ist also zur Hälfte Brite ;)
Wahlweise können die offensichtlich beim Lesen störenden Anglizsmen als Kritik an der realen Situation, in der sich unsere Sprache vor allem in den Massenmedien befindet, gesehen werden. Die Anglizsmen sollen nerven.

Die Sache mit den Liedern...nun ja, die liefen während des Schreibens im Hintergrund. Wir dachten, das wäre ganz nett/seltsam die irgendwie in die Geschichte einzubringen.

Schön, das die Geschichte wenigstens "nicht uninteressant" für Sie war.

Grüße zurück
Walterose

P.S.: Ja, es war schon sehr spaßig dieses Machwerk zu verfassen :)

 

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