Der große Zeh
Der große Zeh ragte aus dem Wasser und wies himmelwärts, ein Gebilde, so abgrundtief häßlich, dass ich trotz der wohligen Wärme des Solebades eine Gänsehaut bekam.
Ich umschwamm das Monstrum in weitem Bogen und nahm in der einzigen freien Nische am Beckenrand Platz.
Ein angenehmes Sprudeln kam von unten. Über mir grasten weiße Wolkenbüffel auf endlosen blauen Prärien und Manitu, der gute Geist, schwebte über den Wassern. Ich stellte mir vor, er wäre in allem – in dem Glitzern der Wassertropfen, in den Badelatschen am Beckenrand, in den planschenden Kindern, in dem Zeh, in den beiden Frauen neben mir, davon eine die Besitzerin des Zehs, die wie gestrandete Wale in ihren Nischen lagen ...
Da traf ein Satz wie ein Hammer mein Ohr und riss mich brutal aus meiner wohligen Stimmung heraus. Auf einmal empfand ich das Plätschern des Wassers nicht mehr als säuselig und angenehm sondern als störend. Man verstand ja kaum ein Wort.
Warum taugten deutsche Männer nichts? Das interessierte mich.
Der Zeh ließ das Wasser aufspritzen, als der Wal neben mir die Antwort gab.
„Die sind ja so was von laaaangweilig.“
Wieder peitschte der Zeh die Wasseroberfläche.
„Die gehen ja noch nicht mal fremd.“
Ich riskierte einen vorsichtigen Blick, aber meine Vorsicht war unbegründet. Die beiden Damen neben mir rekelten sich im Sprudelwasser des Solebades und beachteten mich nicht. Für ihr Alter hatten sie sich gut gehalten. Aber der große Zeh! Es war wie ein Zwang. Ich musste immer wieder hinsehen. Er war dick und fleischig, dazu von enormer Länge, die anderen Zehen daneben zu Kinderzehen degradierend. Der Nagel war rosa lackiert, eingerissen und hätte einen Schnitt vertragen können.
Wal Nummer zwei sagte: „Die türkischen Männer dagegen ...“ Und seufzte.
Ihre Freundin pflichtete ihr bei: „Du, als ich vor zwei Wochen in Antalya war – das war ein Traum. Die Männer da, die geben einem das Gefühl, irgendwie ... ja, als wäre man die schönste Frau der Welt.“
„Jaaaa“, seufzte die Freundin.
„Charmant, witzig – das sind Männer“, fuhr Wal Nummer eins fort. Platsch! Eine Fontäne spritzte auf und einige Tropfen blieben auf meiner Brille haften. Mist, das gab eine Salzkruste.
„Also dieser Mustafa – bei dem hatte ich wirklich das Gefühl, also dieses Gefüüühl ...“
„Ich weiß, was du meinst“, seufzte ihre Freundin wieder.
„Und dabei nimmt man doch in Kauf ... also ich bin ja nicht blöd ... dass sie sich nur verstellen. Na ja, aber dieser Mustafa ... überhaupt, ich glaube die Männer da können sich so in das, was sie sagen, reinsteigern, dass sie wirklich in dem Moment daran glauben. Südländer eben.“
„Jaaaa...“ Seufzen.
„Im Herbst fahr ich wieder hin.“
Wie das Periskop eines U-Bootes erschien nun der andere Zeh, das Auftauchen des zweiten Fußes ankündigend und ich floh. Was wohl Mustafa zu den Zehen sagt? Wahrscheinlich ist er Zehenfetischist.