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Der Irrgarten
Der Irrgarten
Die Sinne soll er uns verwirren,
in seinen Gängen wir uns verirren.
Angst kommt in unserem Innersten auf,
und irgendwann spuckt er uns dann wieder aus.
In dieser Nacht wachte ich wieder schweißgebadet auf und schaltete verwirrt das Licht an. Schon das dritte Mal in dieser Woche hatte ich den gleichen Traum gehabt.
Ich ging mit meinen Freunden über die Kirmes, plötzlich standen wir vor einem riesigen Irrgarten. Er war die größte Attraktion der Kirmes und deshalb hatte sich eine lange Schlange am Kassenhäuschen gebildet. Meine Freunde überredeten mich mit in den Irrgarten zu gehen und so stellten wir uns an. Mir war etwas mulmig, denn ich gerate in engen Räumen schnell in Panik. „Keine Angst John! Wir bleiben alle zusammen.“ sagte mein bester Freund Sam ständig. Ich atmete tief durch und nahm meine Eintrittskarte entgegen. Meine Freunde lachten und scherzten auf dem Weg zum Eingang, doch mir wurde es zunehmend mulmiger zumute. Am Eingang angekommen kontrollierte ein großer bärtiger Mann unsere Karten und geleitete uns dann durch einen schweren Vorhang ins Innere des Irrgartens.
Die Luft war warm und erfüllt von den verschiedenen Parfums der Menschen. Ich folgte meinen Freunden in den ersten verspiegelten Gang. „Jetzt wird’s spannend! Mal sehen ob wir wieder lebend raus kommen.“ sagte Sam und zwinkerte mir zu. Ich konnte nicht darauf antworten, denn meine ganze Kraft brauchte ich für mich und meine Angst. Ich hatte große Mühe einen halbwegs gelassenen Eindruck zu machen. Ich konzentrierte mich auf meinen Vordermann und ließ ihn nicht aus den Augen während wir durch die nächsten verspiegelten Gänge schritten. Meine Freunde lachten und hatten Spaß, aber bei mir wuchs die Beklemmung ins unerträgliche. Plötzlich waren meine Freunde weg und es wurde dunkel im Irrgarten. An dieser Stelle des Traums hatte ich immer die meiste Angst. Wie von Geisterhand bewegten sich die Wände auf mich zu, erst langsam, dann immer schneller. Panik stieg in mir hoch, ich wollte wegrennen, doch meine Beine waren schwer wie Blei. Ich hatte so ein Gefühl, als ob mich jemand an den Schultern festhielt. Die Wände bewegten sich lautlos und unaufhörlich auf mich zu. Gleich ist es vorbei. Du wirst sterben hämmerte es in meinem Kopf, dann wachte ich auf. Genau so war es jedes Mal. Immer noch in Gedanken stieg ich aus dem Bett. Ich benetzte mein Gesicht mit kaltem Wasser und blickte in den Spiegel. Was soll mir dieser Traum sagen? Oder kommt er vom Stress? Werde ich langsam verrückt?
Am nächsten Morgen in der Firma hatte ich den Traum schon wieder vergessen, der Tag war wie immer voll gepackt mit Terminen und Besprechungen und so blieb zum Grübeln wenig Zeit. Bis mich kurz vor Feierabend eine junge Kollegin ansprach. „Wir gehen heute mit der Abteilung über die Kirmes. Haben Sie Lust mitzukommen?“ Als vorbildlicher Abteilungsleiter konnte ich natürlich nicht ablehnen. „Super! Dann bis heute Abend um acht“ lächelte die junge Frau. Plötzlich fiel mir mein Traum wieder ein. Auf der Kirmes gab es doch immer einen Irrgarten, hatte er etwas damit zu tun? Sollte ich nicht auf diese Kirmes gehen? Diese Idee schien mir doch zu fantastisch und deshalb verwarf ich sie gleich wieder.
Völlig abgehetzt erschien ich um kurz nach acht am vereinbarten Treffpunkt. Meine Kollegen begrüßten mich freundlich und besorgten mir ein kühles Bier. Nach den ersten Schlücken fielen der Stress und die Anspannung von mir ab und eine freudige Stimmung breitete sich aus. Wir schlenderten gemütlich von Bude zu Bude und bestaunten die neusten Karussells. Plötzlich spürte ich ein Kribbeln im linken Arm und ein leichtes Stechen in der Brust. So schnell wie der Schmerz gekommen war verschwand er dann auch wieder und so dachte ich nicht weiter darüber nach. Wir bogen in eine schmale Seitenstraße ab, die in einem großen Platz mündete.
Ich traute meinen Augen nicht, dort stand ein riesiger gläserner Irrgarten. Er sah genau wie in meinem Traum aus. „Los komm!“ riefen meine Kollegen und zerrten mich zum Kassenhäuschen. Ich blickte auf die gläserne Front des Irrgartens und bekam Angst. „Ich, ich kann da nicht reingehen.“ stotterte ich. Doch meine leisen Worte wurden überhört und so drängten meine Kollegen mit mir in den Irrgarten. Laut lachend schritten sie vor mir durch den ersten verspiegelten Gang. Mir war es, als schnürte sich meine Kehle langsam zu. Der nächste verspiegelte Gang, mir wurde heiß und schwindlig. Das Lachen meiner Kollegen hörte ich wie durch Watte gefiltert. Jetzt nicht aufgeben, dachte ich. Ich darf die Anderen bloß nicht verlieren. Die blaue Jacke meines Kollegen, der ich wie in Trance gefolgt war verschwand plötzlich. Ich war ganz allein in diesem verspiegelten Gang. Die Luft war schwer und stickig. Mein Herz begann zu rasen, ich musste der blauen Jacke folgen. Doch meine Beine waren zu schwer, ich konnte sie nicht mehr bewegen. Die gläsernen Wände verschwommen vor meinen Augen, mein linker Arm schmerzte stark. Ich sackte zusammen. Wie von Geisterhand bewegten sich plötzlich die Wände auf mich zu. Hoffentlich wache ich gleich auf, dachte ich. Zum Schmerz im Arm gesellten sich jetzt Schmerzen in der Brust. Diese wurden unerträglich, meine Lungen saugten gierig Luft ein und ich hatte das Gefühl zu ersticken. Ein weißer Schleier legte sich über meine Augen, ich konnte kaum noch etwas sehen. Plötzlich hörte der Schmerz auf und die Luft, die ich so verzweifelt eingesogen hatte brauchte ich nicht mehr. Es war, als schüttelte ich eine große Last von meinen Schultern. Aufwachen wollte ich jetzt bestimmt nicht mehr…
-ENDE-