Was ist neu

Der Jünger

vio

Mitglied
Beitritt
12.07.2003
Beiträge
297
Zuletzt bearbeitet:

Der Jünger

Ein Wunder ist geschehen! Ich habe es geschafft! Sie ist zu groß, meine Kleidung ist mir zu groß geworden. Vor Freude springe ich auf das Sofa und wieder herunter. Mein sehnlichster Wunsch ist erhört worden, bald werde ich eins sein mit Ihm. Von Tag zu Tag komme ich nun der Dunkelheit näher, die für mich das himmlischste Licht bedeutet. So viele mussten erst kommen, so viele Versuche, so viele verschlossene Tore, dass ich es schon nicht mehr zu hoffen wagte.


*​

Hurra! Vorgestern noch beengten diese Wände meinen Körper, und nun stehe ich hier vor dem Esstisch und kann kaum über den Rand des Porzellans sehen. Es wird nur noch wenige Stunden dauern, bis sich der hinderliche Leib meinem Verstande gänzlich unterworfen hat. Muss mich nun eilen und alles vorbereiten, die Butter, die Briefmarken, den Umschlag mit der Adresse jenes Ortes, an dem mein großer Meister weilt, wo mich die Erfüllung erwartet, die mir bisher nur im Geiste gewährt wurde.

*​

Oh, bin ich aufgeregt! Gleich wird Er kommen und mich befreien. Noch im papiernen Kokon reibe ich mich mit der Butter ein. Gleiten werde ich, gleiten zwischen Stoff und der majestätischen Landschaft, gleiten bis zur königlichen Pforte hinein in die Wonnen. Eins sein mit meinem Meister, mit meinem Imperator, vereint mit dem Größten der Großen, für immer untrennbar mit meinem ... Aber still, Er kommt ...

 

Hallo vio!

Schön kurz diese Satire und trotzdem gehaltvoll. Meine Interpretation: Da ist ein Jünger, der immer kleiner wird, um sich dann selbst seinem angebeteten Meister in einem Brief schicken zu können. Kurz bevor der Adressat den "papiernen Sarg" öffnet, reibt sich der Prot. mit Butter (Gleitmittel?) ein, um dem Objekt seiner Huldigungen DEFINITIV ganz nahe zu sein. Er schlüpft dann ...
Nicht wirklich dorthin, oder? :rofl:

Stil gefällt mir ebenfalls.


Ciao
Antonia

 

Hi vio!
Also ich kann mit Deiner Geschichte rein gar nichts anfangen und denke, dass sie in Satire auch falsch gepostet ist. Alternativvorschläge habe ich keine...
Ich gratuliere Antonia zu Ihrer kreativen Interpretation, die sich mir leider nicht eröffnet hat. Tut mir Leid, aber für meinen Geschmack ist der Text nicht nur zu kurz, sondern hat auch so gut wie keine Handlung. Der Leser wird einfach in die Geschichte geschmissen und nach wenigen Zeilen ratlos zurückgelassen.

Sollte Antonia mit ihrer Interpretation recht haben, frage ich mich, wie es "der Jünger" geschafft haben soll, sich selbst kleiner zu machen? Und überhaupt: wäre das nicht Science Fiction?

Grüsse

ein ratloser SAN

 

Hallo vio

Tut mir leid, ich seh das gänzlich wie SAN. Mein Gesichtsausdruck nach deinen wenigen Zeilen war ungefähr: :confused:

Selbst wenn Antonia recht hat mit ihrem Interpretationversuch, dann versteh ich den Sinn und die dahinter versteckte Satire immernoch nicht.

Im Zweifelsfall würde ich den Text unter "Seltsam" einordnen. Aber vielleicht verrätst du uns auch deine Intention, dass wir dir konkretere Tipps geben können.


Ciao
Hagen

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Antonia, Hallo SAN, Hallo Hagen,


Vielen Dank für’s Lesen und für Eure Kritik. Antonia hat recht mit ihrer Interpretation. Ich versuch mal zu erklären, warum ich was wie geschrieben habe:

Der Jünger hat es endlich geschafft – wie, finde ich, ist egal, da es sich um eine Metapher handelt – kleiner zu werden. Es handelt sich um einen Menschen, der immer jemanden braucht, der ihm sagt, was er denken darf, was er tun darf (extrem gesehen), also er ist ständig auf der Suche nach Leuten, die er zu seinem Meister machen kann. Es gibt Menschen, die es nicht mögen, wenn man ihnen hinten reinkriecht, daher musste er lange warten, um den richtigen zu finden.

Nach kurzer Zeit schon hat er die Größe eines Kleinkindes und kann kaum über den Rand des Porzellans – sollte der Tellerrand sein – sehen. Damit wollte ich seine Geisteshaltung, die er ja von Anfang an hat, auch plastisch darstellen. Es wird nun nicht mehr lange dauern, bis sich sein Körper gänzlich seinem Geiste unterworfen hat – also der Körper wird genauso klein sein. Er hat nun die Idee, sich per Post dem Meister zu schicken, damit er die Erfüllung finden kann, die ihm bisher nur in seinen Gedanken gewährt war, er ist nun klein genug, um ihm tatsächlich in den Hintern kriechen zu können, wie er es geistig schon ständig tut.
Der Stoff ist die Kleidung des Meisters, damit müssten die Bilder „majestätische Landschaft“ und „königliche Pforte“ eigentlich jetzt entschlüsselt werden können. Und die Dunkelheit, von der im ersten Abschnitt die Rede ist, auch :D

Dass mein Text keine Handlung hat, finde ich nicht. Die Satire soll das Arschkriechertum auf’s Korn nehmen.

Vielen Dank nochmal für’s Lesen, für’s Interpretieren und für’s Grübeln.

vio

 

Hallo vio,

mir hat die Satire gefallen. Sehr gut gefallen sogar.
Gelungener sind Arschkriecher wohl noch nie beschrieben worden. Ich bin zwar beim ersten Lesen über die Butter gestolpert, die er mit in seinen papiernen Sarg nimmt, aber beim zweiten Lesen war's dann klar. Beim ersten Lesen dachte ich, er benötigt die Butter, um in den papiernen Sarg zu kommen, quasi als Schmiermittel, aber das Schmiermittel benötigt er ja später :D

Stilistisch einwandfrei, in ihrer Kürze dennoch Handlung transportierend - ich glaube, das ist mir fast eine Empfehlung wert.

Gruß
George

 

Hallo vio,

habe nicht nur deine Geschichte, sondern auch gleich alle Kritiken dahinter mitgelesen und dank Antonia die Interpretation samt deiner Bestätigung vorgefunden.
Ohne Antonia bzw. deine Erläuterungen hätte sich mir deine Geschichte nicht erschlossen, sorry.
Obs an mir liegt oder am Autor sei jetzt mal dahin gestellt und aus meiner Sicht zudem müßig.
Grundsätzlich habe ich weder Probleme dies hier als Geschichte und obendrein als Satire zu akzeptieren.

Lieben Gruß
lakita

 

Hello vio,

hat mir sprachlich gut gefallen, ich muss aber einräumen, dass ich die Satire erst mit Interpretationshilfe entschlüsseln konnte. Und das ist auch mein Kritikpunkt: Ich habe bei meinen eigenen Geschichten immer dann grösste Zweifel, wenn ich sie meinen Lesern erklären muss... es sei denn, ich unterstelle den Nicht-Verstehern kognitive Insuffizienz.

Viele Grüsse vom gox

 

Hallo vio,

der mangelnde Blick über das Porzellan des Essgeschirrs ist eine prima Idee, auch die knappe Schreibweise, die der Zielstrebigkeit des Protagonisten entspricht, „der Dunkelheit näher“ zu kommen, die für ihn „das himmlischste Licht bedeutet.“ (Ja - was für den einen Licht, ist für den anderen ...).
Ich finde es gut, dass du die Arschkriecherei im Allgemeinen beschreibst, nicht einen konkreten Fall.
Trotzdem hat mir irgendetwas nicht gefallen, bei näherem Hinsehen ist es der Mangel an erzählerischen Elementen, der Text ist zu sehr Bericht als Geschichte.

LG,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo George,

Nie hätte ich gedacht, dass ich überhaupt mal eine Satire schreiben werde, da ich lange Zeit echte Probleme hatte mit der Satire-Definition. Dass sie Dir so gut gefallen hat, dass Du sie empfiehlst, freut mich außerordentlich. :) Vielen Dank.

Hallo lakita, Hallo gox

Dass Antonia gleich interpretiert hat, was ich sagen wollte, hat mich natürlich total sicher gestimmt. Und da noch andere Leser wussten, worum es geht, bin ich ein bisschen im Zwiespalt. Eigentlich will ich nicht deutlicher werden. Bei zwei Stellen bin ich mir nicht sicher, ob und wie ich es ändern sollte, vermutlich würde es jedoch nichts ändern an der Verständlichkeit. Ich denke, es ist bei manchen Texten einfach so, dass einer was mit anfangen kann, der andere nicht. „Kognitive Insuffizienz“, hehe, das merk ich mir. Vielen Dank Euch für’s Lesen und für die Kritik.

Hi M.,

Dein Lob geht runter wie ... Öl.

Ja, über die Butter habe ich auch schon nachgedacht. Das ist ja ein Punkt, den George schon angesprochen hat. Aber Vaseline ist so unsubtil.

Und – George hat es schon gesagt, aber ich muss es nochmals wiederholen – eine der witzigsten und vor allem treffendsten Umschreibungen des Arschkriechens.

Vielen Dank :)

. Ist die Botschaft einfach nur die, dass es nicht der erste Versuch war?

Das sollte sie sein.

Dafür ist der Satz zu kompliziert. Bezieht sich das erste ‚so viele’ allein auf die Versuche? Dann könntest Du einfach auf das ‚So viele mussten erst kommen’ verzichten, denn es lenkt meiner Meinung nach ab, weil es eher auf eine erweiterte Botschaft vorbereitet, die dann nicht kommt. (so á la „So viele Gurus habe ich mitgemacht, aber sie klemmten im entscheidenden Moment immer was auch immer zu.“)

Hehe, genau das sollte der Satz aussagen. Mal sehen, ob mir eine griffige Formulierung einfällt.

Der Transport durch den Brief ist mir schleierhaft. Schleierhaft eher dadurch, dass ich nicht weiß, ob Du mit dem Brief (also allgemein mit geschriebener Form) eine bestimmte Symbolik anklingen willst, die dann irgendwie in der Schwebe hängt?
Oder ist es einfach nur der naheliegendste Transportweg, ohne hintergründige Intention?

Er schickt sich nur so per Post, es erschien mir der einfachste Weg für ihn. Die Idee, dass er vom Meister getreten werden könnte, gefällt mir sehr gut. Ich hab aber momentan noch zu wenig Abstand, um mir da was zu überlegen.
Der „papierne Sarg“ war auch ein Punkt, über den ich schon nachgedacht habe. Ich werde es gleich mal in ... „Kokon“ umändern.

Freut mich sehr, dass Du mir ein so gebuttertes Lob gesandt hast.

Hallo Woltochinon,

auch Dir vielen Dank für’s Lesen und die Kritik. Schön, dass Dir die Stelle mit dem Porzellan gefallen hat. Stimmt, es ist mehr Bericht als Erzählung, das erschien mir irgendwie passend.
Ich wollte das Phänomen auch allgemein beschreiben, konkrete Fälle grenzen so viele aus, hehe.


Nochmals Euch allen vielen Dank!

vio

 

Hallo vio!


Auch ich muss einräumen, ohne Antonia :queen: , die sich wieder mal als hervorragende "Leserin" zeigte - wären mir ebenfalls verschiedene Aspekte deines Texts verschlossen geblieben. Im Nachhinein finde ich ihn gut gemacht. Ich frage mich, warum mir das passiert...

Vielleicht ist das der Grund:

Als Ziel der Verkleinerung konkurrieren zwei Motive:
1. Sich-Verschicken in einem Kuvert
2. Das Eindringen in den geliebten Hintern

Vielleicht ist das Kuvert-Motiv zu viel des Guten und "verwässert" den Weg in den After *räusper.
Der MEISTER könnte ja auch in der Nachbarschaft wohnen.

 

Hallo FlicFlac,

vielen Dank für`s Lesen und Deine Kritik. Beim Schreiben hatte ich tatsächlich darüber nachgedacht, ob die Kuvertsache ablenken könnte, dass das den Leser verwirren könnte. Bei dieser Geschichte fällt es mir echt schwer, über Änderungen nachzudenken, weil sie auch so kurz ist. Vielen Dank jedenfalls für die Anmerkung, ich werde eine Weile brauchen, das abzuschätzen, ob ich es anders schreibe oder rausnehme.

vio

 

Hallo Crazy Janey,

kurze Texte mag ich auch (aber es gelingt mir nicht oft, mich kurz zu fassen :D)
Diese Briefsache ist ein wirklicher Haken. Zuerst dachte ich überhaupt nicht daran zu beschreiben, wie er zum Meister kommt. Dann fiel mir plötzlich auf, dass er ja Probleme haben könnte, weil er so klein ist, überhaupt irgendwohin zu kommen. Andererseits ist die Geschichte ja sowieso eine Metapher. Dann könnte man ja auch fragen, wie er so klein wird im tatsächlichen Sinne (und nicht nur geistig). Die Sendung in einem Geschenkkarton ist natürlich auch schön passend. (Der Kokon sollte das Kuvert sein.) Hmpf.
Derzeit überarbeite ich gerade eine (sehr lange) Geschichte, danach muss ich mal gucken, wie sich das hier runder gestalten lässt.
Vielen Dank für’s Lesen und Deine Kritik :) Freut mich sehr, dass Du es deuten konntest.

vio

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom