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Der König ist tot, lang lebe der König!
Im Zimmer knistert es. Schatten wachsen aus mir, in mich und über mich hinaus. Licht fällt durch einen samtseidenen roten Vorhang, verdrängt sie in die Ecken, in denen sie noch Zuflucht finden. Dumpf dröhnt mein Kopf zu dem Takt meines schwarzen Herzens.
Ich erwache.
Eine Spinne huscht über meine Decke. Staub frisst meine Lunge, lässt mich husten und im selben Moment öffnet sich die Tür. Ein schwacher Lichtschein erhellt den Rest des Zimmers und zertrümmert die Dunkelheit. Erinnerungen hängen in Fetzen in den Verstrebungen meiner Gedanken. Grendolinè betritt leichten Schrittes den Raum. Die Feder in seiner Mütze weht und bewegt sich zu dem tanzenden Rhythmus seines Ganges. Das purpurne Gewand ist mit goldenen Knöpfen bestückt und mit silbernen Fäden bestickt. Er lächelt.
In seiner Hand hält er die kleine Puppe, die er immer bei sich trägt. Manchmal spricht sie.
Er läuft an meinem Bett vorbei und mit einem Ruck reißt er die Vorhänge zur Seite. Gleißende Helligkeit blendet mich und lässt kleinste Partikel sichtbar durch den Raum schweben.
„Was für ein schöner Tag, Monsieur. Was für ein schöner Tag“, sagt Grendolinè mit seiner singenden Stimme und deutet nach draußen. „Stehen Sie auf, kommen Sie, Monsieur.“
Er tänzelt einige Schritte nach vorn, dreht sich, nimmt die Mütze ab und verneigt sich vor mir. Sein schwarzes, lockiges Haar fällt über sein Gesicht. Als er aufschaut, sehe ich lediglich ein Auge, das mich anfunkelt. Die Puppe in seinem Arm bewegt sich und winkt mir zu.
„Es ist soweit, alles wartet auf Sie, Monsieur“, flüstert Grendolinè.
„Auf mich?“
„Ja, auf Sie, Monsieur.“
Er schwingt sich nach oben, setzt sich seinen Hut wieder auf.
„Wer wartet auf mich?“, frage ich.
Grendolinè lacht. „Aber Monsieur: Die Hinrichtung. Die Hinrichtung, Monsieur.“
Die Stufen führen nach unten, stetig in sich selbst drehend ist es eine Spirale, die mich in den Wahnsinn treibt. Endlos lange gehe ich diesen Weg, bis ich zu einer massiven Holztür komme. Grendolinè schiebt sich an mir vorbei. „Lassen Sie mich nur, Monsieur, lassen Sie nur.“
Er öffnet mir die Tür.
Die Sonne lacht am Himmel und Grendolinè mit ihr um die Wette. Er tanzt nach draußen, dreht sich und die Puppe jauchzt und jubelt. Langsam folge ich ihm. Die Wiese blüht und lebt. Insekten tummeln sich und summen. Grendolinè springt über das Gras, lässt sich fallen, macht eine Rolle und deutet mir aufgeregt.
„Monsieur, kommen Sie. Alles wartet. Sie warten alle.“
Seine Puppe winkt mir wieder zu. Sie lacht und beginnt, ein Lied zu singen. Ihre Stimme ist melodiös und hoch. Es ist ein schönes Lied.
Wir gehen durch ein riesiges Tor und dahinter ist ein Platz, der so grau und trostlos ist, dass er sogar die Sonnenstrahlen verschluckt. Düsternis hat sich über mich gesenkt.
Die brüchigen Pflastersteine sind verdreckt. Wasser sammelt sich in den Ritzen und läuft auf dem unebenen Boden zu Pfützen zusammen. Mauern umringen diesen Ort. Auf den Zinnen stehen Soldaten und starren auf mich herab. Sie salutieren und schlagen danach mit den Händen auf die Gewehre. Bis auf den alten Holzgalgen in der Mitte des Platzes ist alles leer. Drei Leute stehen auf der Konstruktion. Zur Bewegungslosigkeit erstarrt halten zwei dunkle Gestalten die maskierte Dritte in der Mitte fest.
Grendolinè hüpft auf den Galgen zu. Springt rechts und links. Seine Schuhe hallen in der unheimlichen Stille erschreckend laut klackend wider. Wenige Schritte vorher bleibt er stehen und dreht sich zu mir um.
„Monsieur“, sagt er und deutet auf die Hinrichtungsstätte.
„Was soll ich tun?“
Es ist die Puppe die antwortet. „Aber Monsieur, sagen Sie nur das Wort.“
„Welches Wort?“
Die Puppe löst sich von Grendolinè und springt auf den Boden. Sie läuft zu dem Galgen und schlägt ihre kleinen Hände zusammen. Tosender Applaus ertönt aus dem Nirgendwo.
Sie kommt zu mir zurück, klettert an mir hoch und setzt sich auf meine Schulter. Ihre Stimme ist nur mehr ein Flüstern im Sturm.
„Sie sagen: Tod, Monsieur.“
Und ich schreie und brülle, wie ein Wahnsinniger, immer und immer wieder dasselbe Wort.
„Tod! Tod! Tod!“
Die Puppe jauchzt auf meiner Schulter. Grendolinè lacht. Ich lache mit ihm.
Die Henker packen den Kerl und legen ihm den Strick um den Hals. Während sie es tun beginnt der zum Tode Verdammte zu lachen. Das Gelächter wird vom Gemäuer zurückgeworfen. Lauter, immer lauter. Der Boden gibt unter dem Verurteilten nach, der Strick schließt sich und er hängt in der Leere. Da verstummt das fröhlich kranke Geräusch.
Ich bekomme keine Luft mehr. Meine Hände krallen sich um meinen Hals.
Da ist ein aberwitziges Leuchten in der Ferne. Ein gleißend weißer Punkt.
Ein lauter Befehl.
Die Zinnsoldaten salutieren.
Die Beine des Gehängten beginnen im Todeskampf zu zappeln. Ich schlage aus, stampfe auf der Stelle. Keine Luft.
Mein linkes Auge wird blind. Alles wird heller und heller.
Dann kommt der Boden auf mich zu. Ein unbedeutender Schmerz.
In den letzten Krämpfen fällt mein verschleierter Blick auf den Galgen. Die Puppe steht neben dem Gehängten, der nur mehr leicht zuckt und reißt ihm die Kapuze vom Kopf. Die Helligkeit wird unerträglich und nimmt mir die Sicht, aber ich erkenne noch genau das geschundene und von Krämpfen verzerrte Gesicht. Denn es ist mein eigenes.
Und in weiter Ferne höre ich Grendolinès Stimme. „Der König ist tot. Lang lebe der König.“