Der Killer
,,Darf ich bitte Ihren Ausweis sehen?’’ Der fragende Blick des Wachmanns irritierte ihn. Er wusste nicht, dass er einen Ausweis brauchte. Um seinen Auftrag auszuführen. Eine Schwäche seines Klienten, nicht die erste, die er fest gestellt hatte.
Er zog die Glock aus seiner Manteltasche und hielt sie dem Wachmann an die Schläfe.
Weit und breit war niemand zu sehen. Dann hörte er auf einmal Schritte. Sie kamen näher. Der Wachmann schwitzte fürchterlich, traute sich aber nicht, etwas zu sagen. Kein Hilferuf an den Nahenden, nichts. Trotzdem führte er seinen Finger an die Lippen. Der Wachmann nickte schwach. Er hatte verstanden. Wieder Schritte. Diesmal näher. Er wusste nicht, wie nahe sein Gegner war, aber er wusste, dass er ihn töten musste.
Zunächst einmal musste sich der Gegner zeigen. Denn wenn er erst den Wachmann tötete, würde der andere Alarm schlagen. Da war er sich sicher.
,,Rufen Sie ihn!’’, flüsterte er dem Wachmann ins Ohr.
,,Damit Sie ihn auch töten?’’, fragte der Wachmann, dessen Stimme nur noch aus einem Krächzen bestand. Es waren seine letzten Worte. Der Killer hatte abgedrückt.
Sich schnell entfernende Schritte hallten durch den Flur des Unternehmens. Die Tür zu den Wachbüros stand offen. Er roch den Geruch eines Menschen. Eines Mannes mit einem billigen Deodorant. Er schnüffelte wie ein Tier, das seine Beute am Geruch erkennen konnte um es zu töten. Schnell lief er durch die Gänge. Der Geruch des Deodorant verriet ihm, in welche Richtung sein Opfer geflohen war.
Ein Schuss peitschte aus einem offenen Zimmer. Da hatte sich sein Opfer also versteckt, dachte er. Getroffen an der rechten Schulter lief er wankend auf das Zimmer zu, seine Glock lag geschmeidig in seiner linken Hand. Unter dem Schreibtisch hockend sah er ihn: blass und zitternd hob er seine Pistole. Doch das Magazin war leer. Zwei Kugeln aus der Glock beendeten das Katz-und Maus Spiel.
Seinem eigentlichen Opfer gehörte das Unternehmen. Sein Büro lag im dritten Stockwerk. Er entschied sich, den Aufzug zu nehmen. Das Risiko, gesehen zu werden, war dort geringer als auf der Treppe.
Die Wunde an der Schulter war übel. Blut tropfte auf den Boden. Bestimmt würde bald jemand entdecken, dass hier etwas nicht stimmte. Mit schmerzverzeertem Gesicht erreichte er den Aufzug. Die mechanischen Türen glitten lautlos auf.
Die Fahrt in den zweiten Stock dauerte nicht einmal zehn Sekunden. Niemand, der ihn sehen konnte. Der Flur war leer.
Er klopfte an das Büro mit dem Namen „Highsmith“. Jemand rief ihn herein. Er öffnete die Tür. Highsmith schien ihn erwartet zu haben. Er saß am Schreibtisch seiner Sekräterin und hielt einen Kugelschreiber in seiner rechten Hand.
Er sank zu Boden. Der Schmerz war unerträglich geworden. Konnte er noch eine Kugel abfeuern? Er schoss ohne sein Opfer sehen zu können. Langsam verlor er sein Bewusstsein. Das letzte, was er registrierte, war der Griff des Mannes namens Highsmith nach dem Telefonhörer.
,,Verbinden Sie mich mit der Notrufzentrale. Und dann geben Sie mir bitte die Polizei!’’
,,Bitte warten Sie einen Augenblick!’’, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung.
Highsmith nahm die Glock an sich und untersuchte sie. Dabei verwischte er mit seinen Fingerabdrücken die des Killers. Auf einem Bildschirm der Kameraüberwachungen konnte Hishsmith das Ergebnis des Massakers im Erdgeschoss sehen. Dann machte er den Bildschirm des Computers, der auf dem Schreibtisch seiner Sekräterin gestanden hatte, aus und trat zu dem bewusstlosen Killer. In seiner rechten Hand lag geschmeidig die Glock.
Zwei Schüsse peitschten durch den sonnendurchfluteten Raum. Dann klingelte das Telefon.