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Thema des Monats Der kleine schwarze Jörg

Seniors
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24.04.2003
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Der kleine schwarze Jörg

Steaks und Bauchfleisch lagen bereits fertig gegrillt auf dem Terassentisch, als Jörg in meine Richtung gewankt kam und mir die Fleischzange aus der Hand entwendete.
"Komm, ich mach die Würstchen, Alter. Ess du jetzt ersma was."
Mein Blick fiel auf die acht leeren Bierflaschen, die neben Jörgs Stuhl auf den Kacheln standen, und ich zweifelfte etwas daran, ob es eine gute Idee war, ihn jetzt an den Grill zu lassen. Er hätte verbrennen und das Beste hinter sich lassen können.
Andererseits hatte ich einen mordsmäßigen Kohldampf.
"Alles klar. Denn mach mal weiter."
"Siehste, richtisch gemütlich machen wirs uns, auch ohne die scheiß ... Scheißweiber", sagte er mehr zu sich selbst, während er unbeholfen über den Rasen in Richtung Grill stolperte.
Ich selbst war schon seit drei Monaten wieder solo. Jörg hingegen verdaute neben fettigem Fleisch und Nudelsalat gerade noch den Umstand, dass Sandra vorhin zwischen Tür und Angel mit ihm Schluss gemacht hatte, als er sie auf dem Weg hierhin zu Hause abholen wollte. Konnte ich ihm irgendwie nachsehen, dass er jetzt ein wenig mies drauf war.
"Sach ma, wo haste denn die ... ach, da liegen se ja. Hoppla. Ist hier vielleicht ne Schere, oder ... ach, da ist ..."
Ich schlang heißhungrig ein Stück Steak mit geschmolzener Knoblauchbutter hinunter. Satt wurde ich davon natürlich nicht.
Jörg würde das schon hinkriegen, und wenn nicht: Ich hatte ohnehin für eine Person mehr eingekauft.
Ja, diese Sandra. Dreimal war sie mit ihm hiergewesen. Die Anzahl der Worte, die sie bei diesen Besuchen mit mir gewechselt hatte, lag nur unwesentlich höher. Dafür konnte sie jedesmal richtig gut und lange mit ihrer besten Freundin telefonieren. Mit Jörgs Handy versteht sich. Du weißt doch, dass ich kein Guthaben mehr drauf hab.
Im Grunde eine richtige Schlampe. Aber so ist das mit den Frauen. Behandeln dich solange wie Dreck, bis sie dann peu á peu abhauen und du dich wie selbiger fühlst.
"Verdammte Scheiße!"
Ich brauchte mich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass gerade mindestens ein Würstchen auf den Kohlen gelandet war.
"Alter, ich sach dir", rief Jörg, "wenn der Gitterrost hier nen Gefängnis wär, dann würden die Gefangenen einfach zwischen den verkackten Gitterstäben durchschlüpfen."
Das letzte Stück Steak verschwand in meinem Mund. Ich kaute hastig und wandte mich um. - "Brauchst du Hilfe?"
Jörg streckte den Daumen hoch.
"Alles Roger, isch schaffe das. Hast mir schon genug geholfen. Bist wie ein Kumpel zu mir, obwohl du das ja eigentlich gar nicht ... ich krieg das hin!"
Ich nickte und machte mich am Salat zu schaffen.
Wenn ich recht überlegte, war es bei mir und Jasmin nicht anders gewesen. Sebastian, du musst hier mal und du musst da mal; Sebastian, fass mich jetzt bitte nicht da an, mir gehts nicht gut, der Schädel; Sebastian, nimm doch ein wenig Rück ...
"Gottverfluchte Kacke!"
Das bedeutete nichts Gutes.
"Was is los?"
"Mir is das Handy ausser Tasche gefallen."
"Innen Grill?"
"Ne."
"Dann hebs doch auf."
"Geht nicht."
Manchmal redete Jörg wie ein Vorschulkind. Gut, dass ich Pädagogik studierte, so konnte ich zumindest die entsprechende Folgefrage stellen.
"Warum kannst du dein Handy denn nicht aufheben, Jörg?"
"Weil es in den Bunker gefallen ist."
Klasse.
Aus allen von mir in Erwägung gezogenen potenziellen könnte durchaus passieren Situationen, schaffte Jörg es, das absolut unwahrscheinlichste Ereignis Realität werden zu lassen.
Der Eingang zum Kriegsbunker, der Efeuüberwachsen aus meinem Garten herausragte, und vor dem der Grill stand.
Wenn zwischen den verrosteten Metallstangen überhaupt ein Handy durchpasste, dann aber auch wirklich nur so gerade eben. Jörg hatte es spielend fertig gebracht, sein eigenes im Flug hindurchzumanövrieren.
"Und jetzt?"
"Na, holen wir es da raus. Du hast doch sicher nen Schlüssel, oder so."
"Klar Jörg. Der Bunker ist in der Miete mit drin. Ich hab da unten einen Partykeller mit Tanzfläche, und ..."
"Is ja gut, Alter. Dann brechen wir es eben ..."
"Mann, nimm die Fleischzange runter. Das führt doch zu nichts."
"Haste kein Brecheisen?"
Ich dachte nach. Jörg war imstande, sich jetzt mit allen möglichen Utensilien alle möglichen Verletzungen zuzuführen.
"Warte mal. Ich such was. Unternimm nichts in der Zeit, hast du verstanden ... nichts! Außer: Guck nach den Würstchen."

Panisch riss ich sämtliche Küchenschubladen auf, griff willkürlich nach Messern und einem Hackebeil. Ich musste mich beeilen. Jörg würde ganz sicher ...
"Ahhh!"
Das war es, jetzt war es passiert. Ich sprintete zurück in den Garten und sah einen breit grinsenden Jörg. Nirgends Blut.
"Geht doch. Das Ding war gar nicht abgeschlossen. Nur völlig zugerostet."
Tatsächlich, die Tür stand offen.
"Komisch, was?"

Dem konnte ich nichts entgegensetzen. Es war komisch. Normalerweise hätte das Ding verriegelt sein müssen. Davon sollte man doch eigentlich ausgehen, auch, wenn ich es nie nachgeprüft hatte, in den fünf Jahren, die ich hier nun schon zur Miete wohnte.
Das Handy indess lag direkt unterhalb des Gitters.
"Jörg, warum hast du nicht einfach unten durch gegriffen? Dann wärst du doch drangekommen."
Nachdenklich schätzte er die Entfernung ab.
"Hm, da haste wohl recht mit. Ist aber so doch viel spannender. Gehen wir runter? Das wird bestimmt voll son Abenteuer und ... scheiße, die Würstchen."

***

Während ich pinkeln gewesen war, hatte Jörg in meinem Schlafzimmer bereits eine Taschenlampe gefunden. Die Batterien entnahmen wir dem Guardian-Robot-Dog, den er mir vor zwei Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte.
"Hör mal Jörg. Die Nachbarn können hier bei mir in den Garten gucken. Wenn die sehen, dass wir da runter ... und dann den Vermieter anrufen."
"Ach, jetzt hab dich doch nicht so. Das wird spannend."
Ich stellte mir vor, wie Jörg bereits auf der ersten vermoosten Treppenstufe ausrutschte und mit gebrochenem Genick in irgendwelchen Stahlrohren landete, die unten liegen mochten.
"Ich halte das nach wie vor für keine gute Idee."
"Hey! Die ist aber echt hell. Fast wie ne MagLite."
Okay, ich konnte mir den Mund fusselig reden. Genützt hätte es wohl nichts.
"Wer zuerst unten ist, hat gewon ... huch, ist das glatt."
"Pass um Himmels Willen auf, Mann."
"Huiuiui, lassen wir das mit dem zuerst unten besser sein."
Äußerst vorsichtig legten wir eine Stufe nach der anderen zurück. Der Strahl der Lampe ließ kein Ende erahnen.
"Sag mal, wie tief haben die das Ding denn hier angelegt?"
Ich drehte mich langsam um. Von dem Eingang war nicht mehr als ein trüber, quadratischer Lichtschein in weiter Ferne übriggeblieben.
"Das ist doch kein normaler Bunker, oder wie siehst du das, Alter?"
"Jörg, wir sollten vielleicht ..."
"Da! Hast du das gesehen?"
Ich zuckte zusammen.
"Was?"
"Die Lampe flackert. Ich glaube, die Batterien machens nicht mehr lange."
"Das ist echt toll."
"Ganz ruhig, Alter. Ich hab doch nur Spaß gemacht. Jetzt komm, gehen wir weiter. Irgendwann muss die beschissene Treppe doch mal enden."

Zehn Minuten später stellte sich - zumindest bei mir - extreme Verunsicherung ein.
"Das ist total crazy", stellte Jörg fest.
Seine Stimme klang seltsam monoton. Es gab hier überhaupt keinen Widerhall.
"Warte mal", befahl ich, und stützte mich sachte an Jörgs Schulter ab. Dann drehte ich mich so behutsam wie irgend möglich um. Die Steine waren wirklich verdammt glitschig.
Der Eingang war nicht mehr zu sehen. Kein einziger Lichtstrahl drang noch hierher.
"Ich habs mir gedacht."
"Was denn?"
"Die Stufen verlaufen nicht gerade. Wir haben eine Kurve gemacht."

...

"Ach, und jetzt bist du sprachlos, ja? Aber hauptsache hier runter und ..."
"Sebastian?"
"Was?"
"Da ist was auf meiner Schulter."
"Meine Hand, du Scherzbold."
"Nein, auf der anderen. Fast genauso schwer."
"Du verarscht mich wieder, ja?"
"Ich verarsch dich nicht, Mann. Spürst du nicht, wie ich zitter?"
"Dreh die Taschenlampenhand nach hinten und leuchte dahin, dann seh ich es ja."
"Okay. Was ist es?"
Mein Mund trocknete augenblicklich aus.
"Was ist da bloß, verdammt!"
"Jetzt mal ganz ruhig, Jörg. Wir sind ziemlich weit runter gegangen, und da gibt es halt bestimmte ... Tiere."
"Ist es ne Spinne?"
"Bingo."
"Wie groß?"
"Ganz ruhig, okay?"
"Wie groß?"
"Kleiner als meine Hand."
"Scheiße Mann, wieviel kleiner?"
"Nicht viel."
"Ich raste aus! Nimm sie weg, nimm sie weg!"
"Ich pack das Ding nicht an. Du spinnst wohl."
"Fick dich, fick dich, fick dich, fick ..."
"Schlag mit der Taschenlampe drauf ... los!"
Unwillkürlich musste ich an meine Kindheit denken, wenn wir Holz für ein Lagerfeuer sammelten und Äste von Bäumen abbrachen. Damals mochte ich dieses Knacken.
"Wir gehen wieder hoch. Sofort!"
Vor mir hörte ich Jörg die Stufen runterpoltern.
"Scheiße, Jörg! Hörst du mich?"
Stille.
Gerne wäre ich ein Held gewesen, der sich aufmacht, seinen guten Freund zu retten.
Verdammt! Jeder, der so eine riesige Spinne anschauen muss, hätte genauso wie ich gehandelt. Der fleischige, warme, behaarte Körper.

Also rannte ich die Treppe hoch, stolperte, schlug mir beide Knie und Arme blutig, stand auf, spurtete weiter, bis nach einer gefühlten Ewigkeit wieder Licht in meine Pupillen drang.
Und dann beschleunigte ich.
Draußen rannte ich den Grill um und die verkohlten Würstchen verteilten sich mitsamt der nur noch leicht glimmenden Kohlen auf dem Rasen.
Das es so schlimm sein würde; ich hätte niemals damit gerechnet. Hunger war etwas Entsetzliches.

Im Keller hockte ich mich neben die kleine schwarze Tür und zog den gegrillten Jörg am Spieß heraus. Einige tellergroße Insekten tummelten sich zwischen seinen Eingeweiden. Kleine süße Dinger. Pädagogisch wertvoll.
Nachdem ich Jörg größtenteils verspeist, und den Rest tiefgefroren hatte, rief ich Manfred an.
Auch er hatte seit Jahren Probleme mit den Frauen.
"Wir könnten bei mir grillen. Du weißt doch, dass ich meine Patienten nicht als solche ansehe. Das wäre überheblich."

Ich legte die Taschenlampe aufs Bett und steckte die Batterien in den Rasierer, den Manfred mir vor ein paar Jahren geschenkt hatte. Weil ich ein so guter Psychotherapeut für ihn gewesen bin.

Währenddessen dachte ich an meine Jasmin und rülpste laut.

 

Oha, guter Freund. Nachdem ich mich wieder vom Boden, auf dem ich mich vor Lachen krümmte, erhoben habe, kann ich nur sagen: Erfrischend, äußerst erfrischend!

Eigentlich wollte ich hier was besonders Lustiges zitieren, aber ich wusste nicht was. Hat mir alles gefallen. Naja, bis auf das Ende. War n bisschen platt (aber, wer sagt das?).

Das TdM wurde erfrischend (ich merke gerade, ich wiederhole mich) umgesetzt. Hat Spaß gemacht!

Gruß! Salem

 

Hi guter Freund Salem.

Naja, die Geschichte ist natürlich auch nicht wirklich allzu ernst gemeint.

Sollte so ein Mischmasch aus Horror und Humor werden.

Freut mich ganz ehrlich, dass dir das gefallen hat.

 

OT:

Ich fand ja auch schon den "Sexshop" von somebody genial, um es mal wieder erwähnt zu haben ... :lol:

(Sollte jetzt keine Beleidigung sein :D )

OT Ende!

 

Hallo Cerberus,

das Lesen war fast bis zum Schluss ein einziger Genuss. Wunderbare Grillszenen! Superbe Unterhaltung! :thumbsup:

Aber mit dem Schluss konnte ich leider gar nichts mehr anfangen. Eine kleine schwarze Tür im Keller ist quasi ein Grill? Wie kommt Jörg dort hin? Gibt's da eine Verbindung zwischen Bunker und kleiner schwarzen Tür im Keller? oder hat er ihn wieder raufgeschleppt ausm Bunker und dann in den Keller verfrachtet? Warum verspeist der Serienkriller einen alten Freund und nicht nur Patienten, wie es gegen Ende den Anschein hat?
Öhmm :confused:

Also rannte ich die Treppe hoch, stolperte, schlug mir beide Knie und Arme blutig, stand auf, spurtete weiter, bis nach einer gefühlten Ewigkeit wieder Licht in meine Pupillen drang.
Und dann beschleunigte ich.

Er spurtet ja eh schon - geht`s denn noch schneller?

Das es so schlimm sein würde;
dass

Besten Gruß
nic

 

Hi Cerb!

Kann mich den anderen größtenteils anschließend. Die Dialoge waren sehr schön und ich kann mir nicht vorstellen, dass du dies hier in einem Rutsch hingeknallt und sofort gepostet hast.

Ich habe mich auch köstlich amüsiert, hast du eventuell von gnoebel gelernt?

Das Ende dann allerdings erfuhr einen Schlenker, der m.M. nach nicht sein musste. Aber irgendwie musstest du ja auf die k.s.T. zurückkommen.
Allerdings glaube ich, passt die Spinne nicht zum gegrillten Jörg oder umgekehrt.

Egal, es hat in jedem Fall Spaß gemacht!

Grüßele von hier!

 

... und ich kann mir nicht vorstellen, dass du dies hier in einem Rutsch hingeknallt und sofort gepostet hast.

Wenn du wüsstest ...

Ja ja, das liebe Ende. Zuerst wollte ich, dass Sebastian und Jörg gegen die Spinnen kämpfen, während sie zurück nach oben laufen, draußen im Garten dann eine in den Grill fällt, und beide feststellen, wie köstlich das gegrillte Fleisch doch duftet.
Dann hätte sie Spinne nach Spinne aus dem Bunker geholt, gegrillt, gegessen, und sich nach und nach selbst in zwei Mensch-Spinnenmonster verwandelt, die sich darüber kaputt lachen, Netze spinnen zu können, an der Wand entlang krabbeln zu können, etc. Und dann hätten sie ihre Ex-Freundinnen besucht, und dann ...

Wäre zu lang geworden.

 

Dann hätte sie Spinne nach Spinne aus dem Bunker geholt, gegrillt, gegessen, und sich nach und nach selbst in zwei Mensch-Spinnenmonster verwandelt, die sich darüber kaputt lachen, Netze spinnen zu können, an der Wand entlang krabbeln zu können, etc.

Schreib das mal, das ist 'ne Superidee! :idee:

Auch mir hat nämlich an dieser Geschichte so ziemlich alles außer dem Finale zugesagt ... Therapeut entpuppt als sich H. Lecter ... nee, dann lieber Monsterspinnen essen und anschließend merkwürdige Veränderungen an sich bemerken :D . Leg halt deine Angst vor Geschichten mit mehr als drei Seiten ab.

Grüße,

JC

 

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