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Der letzte Brief

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Der letzte Brief

Am 23. November 2020 wurde dieser Brief geschrieben. Wenige Tage später wurde der Verfasser tot in seinem Haus in Berlin aufgefunden. Sein Körper wird im Moment wissenschaftlich untersucht, über die Todesursache dürfte also bald absolute Klarheit herrschen.


Erinnerst du dich noch? Vor über zwanzig Jahren spielten wir Tischtennis. Ich weiß es jedenfalls noch genau, es war schön damals. Ich war der bessere Tischtennisspieler, aber in diesem Satz war alles wie verhext. Vielleicht, weil wir auf einer dieser Steinplatten in der Schule spielten. Diese harten, unebenen Steinplatten mit einem dicken Eisennetz in der Mitte. Wenn man Glück hatte, kam der Ball direkt auf dem Netz auf, hüpfte auf der relativ breiten Fläche des Eisennetzes, es schepperte leicht und der Gegner bekam es mit einem langen Ball zu tun. Keine guten Bedingungen. Jedenfalls war ich dir in diesem Satz erbarmungslos unterlegen, ich glaube ich wollte gar nicht gewinnen, ließ dir den Vortritt.
Wir warteten bis auch die anderen mit ihren Sätzen fertig waren, du hattest mich erstaunlich schnell besiegt und sie mussten erst noch zu ende spielen. An ihre Namen erinnere ich mich nicht mehr, doch ihre Gesichter kenne ich alle noch gut.
Wir spielten Chinesisch, rannten alle im Kreis um die Platte. Ich war nicht mehr motiviert mich anzustrengen. Ich hatte doch gerade verloren und war mir nicht sicher, ob ich aus Unvermögen, oder aus Verliebtheit verloren hatte, das beschäftigte. Dass ich dich immer liebte, auch heute noch irgendwie, weißt du sicher, hast du immer gewusst.
Irgendwann später lerntest du ein Gedicht auswendig, ich erinnere mich nur an die Kernaussage. Du trugst es der Klasse vor. Es forderte auf, die Menschen um sich herum mehr zu beachten, die da waren, versteckt, und bei genauerem Hinsehen viel bedeuteten. Ich bekam Gänsehaut, als du das vortrugst, fühlte ich mich doch von mir nicht genügend beachtet, war ich doch immer bemüht dein treuer Untertan zu sein. Zumindest in meinen Träumen gelang mir das, in Wirklichkeit, warst du aber viel zu willensstark, mir in allerlei überlegen, die Vorstellung gefiel mir trotzdem und ich hielt an ihr fest.
Im Chinesisch-Spiel war ich jedenfalls heute nicht herausragend, nur geringfügig besser als du und mit ein oder zwei anderen Jungen gleich auf. Wir spielten, bis es irgendwann zu regnen anfing, es war kurz vor den Sommerferien, wechselhaftes Wetter. Wir stellten uns unter. Die Schule bot genügend überdachte Eingänge.
Als der Regenguss vorüber war, schienen die anderen die Lust verloren zu haben. Jedenfalls gingen alle nach Hause. Du aber bliebst da und weil du bliebst, blieb ich auch, als einziger. Wir spielten noch einen Satz, den ich nach großem Vorsprung knapp gewann. Dann noch einen, den ich wieder verlor. Was war nur los?
Die Welt war nun von Nässe überzogen. Der Himmel war immer noch dunkel. Wir schlossen unsere Fahrräder ab. Ich begleitete dich. Du wohntest im Osten. Ich im Westen. Wir waren 1992 in eine Grundschulklasse gekommen. Heiligensee liegt in der oberen linken Ecke von Reinickendorf, Reinickendorf in der oberen linken Ecke von Berlin. Berlin ist von Osten umgeben. Unsere Schule lag an einem Wald, etwa hundert Meter vom ehemaligen Grenzstreifen entfernt. Stolpe Süd, da wohntest du, lag direkt hinter dem Wald auf der anderen Seite des Grenzstreifens.
Ich begleitete dich gerne nach Hause. Hauptsache bei dir sein. Auf dem Weg unterhielten wir uns. Es war nett sich mit dir zu unterhalten, aber irgendwie wirkte es gekünstelt, wenn du sprachst. Alles war sehr kurz, nicht ausgeschmückt, nicht umschrieben, auf peppige Dialoge bedacht. Du warst eher ein Mensch, der schnell und effizient handelte, der alles nach Belieben dominierte, der in jeder Situation lachen konnte und nie weinen musste. Warst mir in jeglicher Hinsicht überlegen.
Es gibt so viel über dich zu erzählen. Geredet habe ich aber immer lieber mit einer anderen. Selbstverständlich habe ich mir das nicht eingestanden und die Zeit mit dir war mir wertvoller, aber Reden war nicht deine Stärke, du handeltest lieber. Zum reden gab es eine Plaudertasche, auch aus der Klasse, ich war mit ihr zusammen in einen Sportverein gegangen, wir fuhren mit dem Fahrrad, doch das war eigentlich überflüssig. Die Zeit, die wir gegenüber dem Laufen einsparten, verbrachten wir doppelt wieder damit vor unserer Straße zu stehen und groß und breit zu quatschen.
Du aber warst mein Schwarm. Über Jahre hinweg. Ich hoffe du erinnerst dich noch. Dass du es wusstest, ist gewiss. Jedenfalls stellte ich mir an diesem Tag, schwer verliebt neben dir mein Fahrrad herschiebend, auf nassen Fahrrädern zu fahren machte keinen Spaß, eine Frage. Wie würdest du wohl reagieren, wenn ich sterben würde? Die Frage war interessant. Ich konnte es mir nicht vorstellen. Ich versuchte mir auszumalen, wie ich mich wohl verhalten würde. Ich hatte mir nie vorstellen können, dass ich über den Tod von jemandem weinen könnte, bis, als ich sechs oder sieben Jahre alt war, mein Wellensittich starb. Ich versank durch die bloße Mitteilung meiner Mutter, mein Wellensittich sei eben an Durchfall gestorben in einem Meer von Tränen. Schon als meine Augen leer zu sein schienen, mein Gesicht mir wehtat, von meiner verkrampften Grimmasse, versuchte ich noch weiter Tränen herauszupressen.Ich spührte, dass nur noch ein erbärmlicher Heulton, meine verzweifelten Tränenpressübungen unterstütze.
Was würde also passieren, wenn das Mädchen meiner Träume, der Fixpunkt meiner Liebe sich von einem Tag auf den anderen aus meinem Leben verabschieden würde?
Ich wusste es nicht, ich wollte es auch gar nicht wissen. Ich war nur daran interessiert zu ergründen, wie sie sich bei meinem Tod verhalten würde, was sie denken würde. Aber mit dem Denken war das immer eine schwierige Sache und ich dürfte wohl auch meine Probleme haben, dies zu erfahren, wenn ich eben gestorben war.
Den Gedanken habe ich also beiseite geschoben. Aber das Interesse an der Frage habe ich nie verloren. Wir sind nach der Grundschule auf verschiedene Schulen gegangen, haben uns noch einige Male auf die Jahre verteilt gesehen, irgendwann nicht mehr gegrüßt.
Es dürfte dich also nicht weiter interessieren, wenn ich sterbe. Es dürfte kaum jemanden nach meinem verkorksten Leben interessieren. Alles in allem bedauere ich, es damals nicht ausprobiert zu haben. Es hätte mir einen Haufen Ärger erspart.
Du hast dich immer mit einem Lächeln von mir verabschiedet. Dieses freundliche, aufrichtige Lächeln, das dein Gesicht verzog und noch viel schöner machte, ihm nette kleine Grübchen verlieh. Ich ging nach Hause und dachte an dich. Würdest du im Nachhinein merken, dass du mich geliebt hast? Das ist jetzt egal, mein Leben ist vertan, du hast mich allein gelassen, schade. Ich würde dir gerne alles gute wünschen, aber das kann ich nicht, ich habe dir insgeheim immer nur schlechtes gewünscht, wollte dein Held sein und dich aus deinem Leid befreien. Geht es dir immer noch so gut wie damals?

 

Hallo popla,

Deine Geschichte vermittelt gut die Stimmung des Protagonisten, die kleinen Alltagserlebnisse, die er mit der Jugendliebe verbindet.
Tja, seltsam, das paradoxe Verhalten...

Vielleicht willst Du hier noch etwas ändern:

„sein Körper wird momentan“
„zu Ende spielen“
„das beschäftigte“ mich.
Achte auch auf unnötige Wortwiederholungen und zu lange Sätze.

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

Auf Wunsch des Autors von Seltsam nach Gesellschaft verschoben.

 

Danke, dass du die Geschichte gelesen hast Woltochinon!
Den ersten Fehler hab ich schon ausgemistet, die anderen mach ich morgen!
Die Wortwiederholungen habe ich, als ich die Geschichte geschrieben hatte zum Stilmittel, das die Geschichte flüssiger und besser verbunden macht erklärt! Es dürfte schwer sein die alle rauszubekommen, das sind so viele! ;)

Über das paradoxe Verhalten müssen wir uns nochmal unterhalten, die Geschichte ist nämlich zur Abwechselung nicht ausgedacht, sondern echt und ich könnnte noch viiiiiiiiiiiiiiieeeeeeeeeeeellllll mehr erzählen! ;)
Ja, jetzt weiß die Welt, wie krank ich bin! Achso der Selbstmord ist natürlich erfunden, ich könnte sowas nicht, aber mal gucken, was mit 35 Jahren ist! ;)

 

Hallo,

irgendwann - vor langer, langer Zeit - hatte ich Dir mal versprochen, die Geschichte zu lesen und zu kommentieren.

Ich finde, die Geschichte beginnt ein wenig arg traurig.. oder zumindest sentimental. Ich könnte mir diesen Abschnitt auch am Ende vorstellen, wenn sich der Leser schon an die Stimmung gewöhnt hat.

Sehr stark finde ich diese sehr detaillierte Beschreibung des Tages vor zwanzig Jahren. Allerdings ist das dann doch eher enttäuschend dass nach dem "Was war nur los?" doch eigentlich nichts passiert. Man hätte erwarten können, dass dem Sprecher erst dann wirklich bewusst wird, dass er verliebt ist. Man hätte erwarten können, dass "etwas in der Luft krisselte" und dass etwas passieren müsste (ein kleiner, schüchterner Kuss oder so etwas). Stattdessen kommt da die Frage nach dem Tod - sicherlich nicht uninteressant, aber irgendwie auch nicht ganz zu der bisherigen Atmosphäre passend... (aber so ist nunmal das Leben)

> Den Gedanken habe ich also beiseite geschoben. Aber das Interesse an
> der Frage habe ich nie verloren. Wir sind nach der Grundschule
> auf verschiedene Schulen gegangen, haben uns noch einige Male auf
> die Jahre verteilt gesehen, irgendwann nicht mehr gegrüßt.
Es ist irgendwie seltsam, dass nach dieser Verliebtheit und dem Schwarm die Sache einfach so gestorben ist. Ging da einfach von beiden Seiten das Interesse verloren?
Ich glaube, man müsste dem Autor raten: "Wenn sie immer noch Dein Schwarm ist, über all diese Jahre hinweg, dann solltest Du jetzt zum Telefon greifen und sie anrufen!"

> Es dürfte dich also nicht weiter interessieren, wenn ich sterbe.
> Es dürfte kaum jemanden nach meinem verkorksten Leben interessieren.
> Schade, dass ich mich nicht schon damals umgebracht habe. Es hätte
> mir einen Haufen Ärger erspart.
Mal ganz davon abgesehen, dass dieser Wechsel zum Thema Tod und Selbstmord ziemlich plötzlich kommt, kann ich die Meinung des Autors nicht ganz verstehen. Wer sagt denn, dass *sie* nicht ebenso noch über ihn nach denkt, auch wenn sie sich nicht mehr oft treffen und inzwischen nicht mehr grüßen?

> Ich würde dir gerne alles gute wünschen, aber das kann ich nicht,
> ich habe dir insgeheim immer nur schlechtes gewünscht,
> wollte dein Held sein und dich dann retten.
Ich finde diesen Abschnitt heftig. Weil er einen Gedanken zu Ende denkt, den andere Leute oftmals zwischendurch abbrechen. Man möchte Held sein. Man möchte jemandes Held sein, diese Person retten. Dazu muss diese PErson erst einmal in eine rettungsnötige Situation kommen. Also wenn man der Held sein will, dann müssen erst andere leiden.

Alles in allem finde ich die Geschichte sehr schön, wenn auch traurig. Allerdings stören mich halt diese stärkeren Übergänge...

Liebe Grüße,

TCC

 

Hi TCCPhreak!
Boah, du hast ja ein Gedächtnis, wie ein Elephant! Ich weiß jedenfalls nicht mehr, dass du mir mal versprochen hattest, die Geschichte zu lesen. Aber jetzt ist es passiert und ich bedanke mich herzlich dafür, genau wie für die Kritik!
Auch, wenn die Übergänge etwas stark sein sollten, glaube ich, ich sollte lieber die Finger von der Geschichte nehmen und sie als ein Zeitdokument aktzeptieren.
Ich schreibe noch nicht so lange Geschichten und das hier behandelte Thema hatte ich, seit ich dreizehn war, im Kopf konserviert. Es muss schon länger als ein Jahr her sein, als ich es aufschrieb und auch damals fühlte ich mich schon in zu großem Abstand dazu. Der hat sich im letzten Jahr noch einmal eklatant vergrößert, so dass ich die Geschichte vielleicht nur noch stilistisch und orthographisch außbessern sollte und mich inhaltlich neuen, anderen Themen widmen....
Aber vielen Dank nochmal und entschuldigung für die verzögerte Antwort.

Gruß,
Popla

 

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