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Der letzte Funke

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04.11.2004
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Der letzte Funke

Sie lachte. Sie lachte für ihn. Sie lachte, weil er es nicht mehr konnte.
Sie stand an seinem Sarg und blickte zu ihm hinab. Da lag er nun, kalt und blass. Ohne Feuer, ohne Sein. Er hatte sein Geheimnis mit ins Grab genommen. Sein Geheimnis hatte ihn ins Grab gebracht.
Sie drehte den kleinen Spiegel in ihrer Hand. Sein Auge zur Welt. Er hatte es ihr geschenkt. Sein Gesicht erschien neben dem ihren. Fast wie ein gestelltes Foto. Sie spürte seinen Blick. Sie spürte seine Berührung, fühlte seinen Atem auf ihrer Haut. Sie sah ihn an. Sie ahnte, etwas stimmte nicht. Der Spiegel war trüb geworden. Sie hätte es wissen müssen.
Wie gestern schien es ihr, da sie sich versprochen hatten, Lügen und Geheimnisse in ihrer Beziehung nicht zuzulassen. Sie wusste, es hätte funktionieren können. Doch dann hatte er geschwiegen.
Die einsame Hütte in den Bergen. Jeden Winter waren sie dort gewesen. Sie hatten oft stundenlang am Kamin gesessen und geredet oder getanzt. Ganz allein und ohne Begleitung. Sie vermisste die Gespräche, sie vermisste das Lachen. Er konnte nicht mehr lachen. Sie lachte für ihn. Die Stunden kamen wieder. Stunden der Freude. Stunden der Liebe. Stunden des Glücks erstarrten zu Sekunden.
Sie sah ihn immer noch vor sich. Wie er ihr beim Essen gegenüber gesessen, wie er die Uhr aufgezogen, Holz nachgelegt hatte. Er hatte das Feuer am Sterben gehindert. Jetzt war es doch gestorben und sie lachte darüber. Was blieb ihr anderes übrig als zu lachen. Es war einfach zu grotesk.
Jedes Jahr waren sie dort gewesen. Jedes Jahr hatten sie weniger miteinander gesprochen.
Er hatte sie geblendet, jetzt blendete sie ihn. Sie wollte die Sonne einfangen, wollte das Feuer zurückholen. Ihr Körper versteifte sich, weil sie es wollte. Auch er hatte es gewollt.
Sie wartete, regungslos mit geschlossenen Augen. Man sah sie fragend an. Sie hatte Geduld. Sie hatte Ruhe. Sie hatte alle Zeit der Welt.
Der erste Funke. Wie beim ersten Mal. Er sprang auf sie über, ihr Kleid begann zu brennen. Sie begann zu brennen. Panik um sie herum, die sie nicht erreichte. Jemand rief nach einer Decke. Ihre Haut war rissig und spröde. Trockenes Holz brennt gut. Trockenes Holz ist totes Holz.
Sie freute sich. Sie lachte. Sie lachte und konnte nicht mehr aufhören zu lachen. Es war ganz so wie damals im Kamin. Sie lag in seinen Armen. Sie war ihm nahe. Sie tanzte. Man trennte sie. Man zog sie weg. Sie wehrte sich. Der Spiegel zerbrach und mit ihm die Erinnerung.

 

Hallo Saffron,

sie hat schon einen eigenwilligen Zauber, deine Geschichte.
Doch ehrlicherweise muss ich zugeben, nichts verstanden zu haben.
Verbrennt sie sich, weil sich sich auch an ihrer Liebe zu ihm verbrannt hat?
Oder handelt es sich ganz unsinnbildlich wirklich um zwei Funken?

Da ich es nicht verstanden habe, kann ich natürlich bisher auch leider keinen gesellschaftlichen Bezug entdecken.

Verrätst du es mir?

Lieben Gruß, sim

 

Danke für die beiden Kritiken. Ich gebe zu, dass diese Geschichte einer etwas genaueren Betrachtung bedarf.
Sim: Die Gesellschaftskritik besteht darin, dass sich die Meinung der Frau von der ihres Umfeldes sehr stark unterscheidet. Sie weiß, das Richtige getan zu haben, während alle anderen sie für verrückt halten. Sie ist zudem in ihrer Weltsicht so stark von ihrem Partner beeinflusst worden, dass es für sie ohne ihn keine Möglichkeit zum Weiterleben gibt. Dabei symbolisiert das Feuer die Verbindung zwischen den beiden, die sie versucht über ein Werkzeug, den Spiegel, wiederherzustellen.

Ich hoffe, das klärt die Sache etwas auf.

Gruß, Saffron.

 

Hallo Saffron,

ich habe ein paar Mal versucht, den Text nach deiner Erläuterung zu lesen.
Leider bin ich nicht weniger ratlos?

Die Gesellschaftskritik besteht darin, dass sich die Meinung der Frau von der ihres Umfeldes sehr stark unterscheidet.
Ich habe zum Beispiel weder eine Meinung dieser Frau noch eine, die ich als gesellschaftlichen Konsens erleben könnte gesehen. Und ist es nicht oft so, dass Liebende in ihrer Zweisamkeit glauben, sie stünden alleine in der Welt?
Sie lacht, ob nun andere drum herum stehen weiß ich nicht. Man könnte sie angesichts dessen, dass sie am Grab lacht vielleicht für verrückt halten, andererseits lachen lachen viele Menschen (hysterisch), wenn ihnen etwas passiert, was sie aus der Bahn wirft.
Was hat sie getan, was sie für richtig hält? Wo finde ich den Gegensatz in deiner Geschichte?
War das Richtige das bekenntnis zu ihrer Liebe? Vielleicht, weil beide verheiratet waren?

Leider immer noch dumm, sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Sim,

ich habe die Geschichte generell so angelegt, das viele Dinge nur angedeutet werden, sodass dem Leser ein großer Interpretationsspielraum zur Verfügung steht. Deutlich wird nur eines: die Frau hat ihre Weltsicht der des Mannes angepasst. Diese wird symbolisiert durch den Spiegel.

Sie drehte den kleinen Spiegel in ihrer Hand. Sein Auge zur Welt. Er hatte es ihr geschenkt.
Die Frage, inwiefern das gut ist oder nicht, wird zwar nicht direkt gestellt, ist aber eine Dimension der Geschichte.
Es gibt mehrere, was die Sache wohl schwer verständlich macht.
Der Spiegel war trüb geworden.
Verbindet man diesen Satz mit der Aussage
Auch er hatte es gewollt.
,
so ergibt sich daraus, dass dem Mann innerhalb der letzten Jahre diese Weltsicht abhanden gekommen ist. Wie er die Welt gesehen hat, spielt dabei keine Rolle. Entscheidend ist nur, dass er mit dieser recht allein dastand, seine Frau sich aber stark daran klammerte.
Dass noch andere im Raum sein müssen, zeigt sich an dem Satz:
Man sah sie fragend an.
oder auch an:
Panik um sie herum, die sie nicht erreichte.
Das Lachen aus Hysterie ist ebenfalls nicht neu, da hast du Recht. Aber für verrückt wird man sie halten, weil sie versucht, mit ihrem Mann durch Feuer wiedervereint zu werden. Für sie ist dieses Feuer die Verbindung nicht nur zu dem Verstorbenen, sondern auch zu dessen Weltsicht, die sie ohne Zweifel übernommen hatte. Das er eigentlich nur deshalb nicht mehr am Leben ist, weil ihm eben diese Weltsicht verloren gegangen ist bzw. sich als falsch herausgestellt hat, sieht sie dabei nicht. Für sie ist das ein Geheimnis.
War das Richtige das bekenntnis zu ihrer Liebe? Vielleicht, weil beide verheiratet waren?
Dass beide verheiratet waren, ist nicht unwahrscheinlich. Zumindest hatten sie eine etwas längere Beziehung, was die Tatsache, dass sie mehrere Winter in der Berghütte verbrachten, beweist.
Die Protagonistin glaubt daran, das Richtige getan zu haben, indem sie das Feuer entfacht und ihrem Gatten in den Tod folgt. Dabei liegt die Wertung wiederum beim Leser.

Ich hoffe, dir diesmal mehr geholfen zu haben. Ich gebe zu, die Geschichte ist sehr abstrakt und allgemein. Ich glaube, es gibt verschiedene Ebenen der Interpretation.

Gruß, Saffron.

 

Diese Geschichte wurde von denen, die sie gelesen haben, nur teilweise verstanden. Für mich existieren verschiedene Interpretationsebene, d. h. man kann den gleichen Satz unterschiedlich auslegen.

Sein Geheimnis hatte ihn ins Grab gebracht.
Wie deutet ihr den obenstehenden Satz? Macht er für euch Sinn?

Gruß, Saffron.

 

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