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Der letzte König

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17.05.2006
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Der letzte König

Der letzte König
nach einer koreanischen Sage

„All I have to give you, is a love that never dies,
The symptom of the universe is written in your eyes“
G.Butler

„Großvater, was sind das für hohe Hügel, hinten in dem kleinen Tal, wo ich die Ziegen weiden lasse?“, fragte der kleine Junge. Das Feuer, über dem die Grütze leise blubbernd kochte, warf sowohl Schatten als auch Licht in sein Gesicht, das er nur kurz über den Rand seines Holznapfes erhoben hatte. Er war hungrig, und gedachte nicht mehr Zeit als unbedingt nötig mit dem Fragen zu verlieren. Nun war nur mehr das struppige Haar über der Schüssel zu sehen. Der Wind der um die kleine Lehmhütte strich, war empfindlich kühl. Ohne das Essen zu unterbrechen zog er sich das Ziegenfell, das ihm als Decke diente, über die Schultern. Obwohl das offene Feuer heiß war, reichte die Kälte mit ihren langen Fingern unangenehm weit in den hellen Umkreis des Feuerscheins hinein. Im Rauchloch, direkt über der Feuerstelle, waren schon die Sterne zu sehen, als sich der Junge einen Nachschlag holte. Der alte Mann der sein Großvater war, gab ihm einen Fladen Brot und ein kleines Stück Ziegenkäse dazu. Brot und Käse waren als erste verschlungen, der wässrige Brei schmeckte dem Kleinen lange nicht so gut, er war nur dazu da, den Magen zu füllen.
„Also was sind das für Hügel“ fragte der Kleine nochmals als er auch die zweite Schüssel leergeputzt hatte, mit dem Finger die Reste herausholte und sich aus dem zweiten Topf am Feuer heisse Milch in den Napf schöpfte. Immer Milch und Käse, es war hier bei Großvater viel besser als zuhause bei seiner Mutter. Es war zwar kalt aber dafür war er jeden Abend satt. Milch soviel er wollte. Das gabs zuhause nicht.
„Das sind Gräber“, sagte der Alte, er lispelte leicht, so als ob ihn seine Zähne schon vor vielen Jahren verlassen hatten.
„Warum sind dann die Hügel so hoch? Sind dort Riesen begraben?“
„Nein keine Riesen. Sondern Könige liegen dort unter den Linden und Birken.“
„Ja aber auf den zwei Hügeln, die ich heute gesehen habe, waren keine Bäume. Sie stehen nebeneinander. Davor sind steinerne Männer, manche schon umgefallen. Die Hügel sind auch viel höher“
„Links das sind die Richter, rechts die Ritter“
„Warum sind sie so weit von den anderen Gräbern weg“
„Das ist eine lange Geschichte, ich weiß auch nicht ob sie wahr ist.“ Der alte Mann schwieg, der Junge wartete geduldig, „Sie wird schon so lange erzählt, dass niemand mehr weiß, was wahr ist und was nicht“
„Woher kamen diese Könige, wenn es heute keine mehr gibt. Von weit her?“
„Nein, ich glaube sie kamen von hier, früher gab es hier viele große Städte, Straßen verbanden diese
Städte. Männer des Königs bewachten die Straßen. Man konnte seine Waren auf vielen Märkten verkaufen. Nicht so wie jetzt, wo es nur mehr ein paar kleine Dörfer gibt.“
„Wo sind die Städte heute?“
„Verlassen, verfallen und vergessen. Das Gold geraubt, die Tempel geschändet, die Menschen erschlagen und vertrieben. Das Holz ist verfault und die Steine sind überwuchert.“
„Warum?“
„Wegen einer Frau. Es ist immer wegen einer Frau.“


Niemand weiß mehr den Namen des Königs oder seiner Frau. Die Stelen an seinem Grab sind verwittert, seine Denkmäler gestürzt, so dass niemand mehr seinen Namen findet. Doch auch wenn sein Name noch irgendwo geschrieben stünde, wer sollte ihn lesen können? Mit dem König ging sein Reich unter, mit dem Reich die Gelehrten und weisen Männer und mit ihnen ihre Schrift. Niemand kann heute mehr die Zeichen lesen, in denen damals Weisheit und Liebe geschrieben wurden.
Der König war weise und gerecht. Seine Frau die schönste der Welt. Mir ihr ging die Sonne auf. Alle Reiche beugten sich seinem Willen. Doch eines Tages starb die Königin, und dem König zerfiel sein Leben zu Asche. Sein Reich und seine Schätze konnten seine Aufmerksamkeit nicht mehr fesseln, das Spiel hoch zu Pferde, immer seine Freude, war nur mehr Langeweile. Wo früher Größe gewesen war und Stärke, nahmen Grausamkeit und Verderbtheit ihren Platz ein. Mut war zu Wahnsinn geworden. Wenn auch nur mehr ein Zerrbild, so war auch noch der Schatten des Großen genug für viele Kleine.
Eines Nachts saß der König in seinen Thronsaal. Spärliches Licht von den letzten Kerzen warf Licht, ebenso wie Schatten, um ihn herum. Der goldene Becher in seiner Hand war gefüllt, im Dunkeln hinter ihm standen Diener, auf jeden Wink gefasst doch unsichtbar.
Niemand war bei ihm und so wurde ihm seine Einsamkeit erst recht bewusst. Sicherheit des Urteils, Stärke des Willens und des Körpers, Überlegenheit bedeuten nichts, wenn sie nicht wahrgenommen werden. Nicht von Dienern sondern von Gleichberechtigten, allein Ebenbürtigkeit vermag Anerkennung zu verschaffen. Nur Diener und Sklaven umgaben ihn. Spielzeuge für seinen Geist. Für wen war seine Größe noch bedeutend? Die steinernen Standbilder der Ahnen im Saal ließen ihn fühlen, dass nur mehr im Tod und Jenseits Gefährten auf ihn warteten.
Mühsam erhob er sich von seinem Thron, den goldenen Becher in der Hand und schritt davon in die Schatten der Halle. Der blaue, golddurchwirkte Königsmantel, um seine Schultern geschlungen, schleifte über den polierten Boden, über Treppen und Gänge. Hinter ihm das Wispern der folgenden Dienstboten und Ratgeber. Tief unter dem Schloss war sie aufgebahrt. Ihr Leib unvergänglich gemacht durch die Kunst der Nekromanten und Balsamierer. Eine kreisrunde Halle mit einem schwarzen Marmorblock im Zentrum, auf dem lag sie. Gebettet wie zum Schlaf. Über ihr der mitternachtsblaue Himmel mit Myriaden von Sternen, genauso ein Ergebnis der Kunst wie die Frische ihrer Wangen. Alles trachten des König richtete sich nur auf ein Ziel. Den schönsten Ort der Welt zu finden, um dort sein geliebtes Weib zu begraben.
13 Geomanten ließ er kommen, der König. Sie sollten mit ihrem Wissen den schönsten Platz in seinem Königreich ausfindig machen, und wenn das zuwenig war, einen Platz in einem anderen Reich. Notfalls mussten die Waffen sprechen, bevor die Königin begraben werden konnte.
Während die Geomanten in den alten Folianten lasen, meditierten, die Sterne und Götter befragten, verließ der König niemals den Leichnam seiner Frau. Tief unter dem Palast in einer steinernen Halle lag sie aufgebahrt. Auf weißem Marmor. Nackt lag der Körper auf dem kalten Stein, die Schönheit als einziges Gewand. Groß war die Kunst in diesem Königreich, viele Wissenschaften zwangen die Natur unter den Willen der Menschen. Nur über die Seelen hatte der Tod Macht, die Körper musste er unbeschadet lassen. Viele Wochen kauerte der König vor dem toten Körper seiner Frau, immer allein.
Einer nach dem anderen kamen die Geomanten zum König und zeigten ihm die Plätze, die ihnen ihre Kunst offenbar gemacht hatte. Einer nach dem anderen sprach vor, tief verneigt, die Bärte am Boden streifend, einer nach dem anderen zeigte seinen Platz, einer nach dem anderen wurde an Ort und Stelle geköpft. Die Angst vor dem Tode sollte nicht die letzte Anstrengung aus den Geomanten herauskitzeln, es war auch nicht ein zynisches „wenn er seine Kunst nicht beherrscht, warum dann noch leben?“, sondern einfach Gleichgültigkeit. Wie einem Spielzeug gegenüber, dass sobald es die Aufmerksamkeit nicht mer zu fesseln vermag, den Sinn seiner Existenz verloren hat.
Der dreizehnte Geomant, dem das Schicksal seiner Standesgenossen nicht unbekannt geblieben war, hatte alle seine Hilfsmittel ausgeschöpft. Wieder und wieder hatte er seine Fragen gestellt, gefastet und geopfert. Er war gewandert, hatte die Linien gezogen und gemessen. Er war sich sicher den Platz gefunden zu haben.
Neben dem Geomanten standen die Wächter, während der König auf einen nahegelegenen Hügel stieg, von oben das letzte Urteil zu fällen. Heiß war es und als der König oben angekommen war, wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Er ließ das bestickte Seidentuch achtlos fallen, es hatte seinen Zweck erfüllt. Die ganze Suche hatte ihren Zweck erfüllt, der Platz war gefunden. Ein grünes Tal, umschlossen von sanften Hügeln, den Horizont bildeten die weißhäuptigen Riesen des Gebirges. Am Abschluss des Tales, dort wo ein kleiner Bach entsprang, war eine natürliche Terrasse. Dort unten stand der junge Geomant, die Wächter und der Hofstaat. Der Platz für die ewige Ruhe war gefunden, wo er neben der Geliebten ruhen konnte, bis die Welt eine andere werden würde.
Für den Geomanten war die Welt bereits eine andere geworden, denn auf das verabredete Zeichen hin, das fallengelassene Tuch, hatten sie wie bei den anderen den Befehl vollzogen und den Mann geköpft. So wurde das Grab mit Blut geweiht und so baute der König das Grab seiner Königin in dem Tal, indem er den letzten der Geomanten durch ein unbewußt gegebenes Zeichen getötet hatte. Neben ihrem Hügel errichtete er seine eigene Gruft, um in Ewigkeit nicht mehr von seiner Liebe getrennt zu sein.

Seine Ahnen, deren Steinbilder an den Seiten der Halle ewige Wacht hielten, blieben unverändert, während die Jahre ins Land zogen und der König alterte. Mit der Verwirklichung seines Zieles war der Herrscher antriebslos geworden. Alleine saß der Liebling der Götter auf seinem Thron. Stumm und streng blickten die steinernen Gesichter seiner Ahnen zu ihm herab. Sie alle hatten ihre Pflichtvor den Göttern erfüllt, starke Lenden hatten starke Erben gezeugt. Die lange Reihe seiner Dynastie sollte nicht mit ihm vergehen. Ein Erbe musste ihm geboren werden.
Die jungen Mädchen seines Harems ließen ihn kalt. Ihre festen Brüste wollten nicht von ihm liebkost werden, ihre runden Hüften fesselten nicht seinen Blick wenn sie an ihm vorbeigingen und ihr glockenhelles Lachen erreichte seine Seele nicht. Ihre vollmondgleichen Backen die sich unter den dünnen Seidenhosen abzeichneten, ließen seine Seele ebenso unberührt wie die edlen Steine in seinen Schatzkammern. Und doch musste ihm ein Sohn geboren werden. Kein Kind, keinen Sohn hatte ihm sein Weib geschenkt und der Ausdruck der steinernen Gesichter wurde immer mehr Vorwurf und Frage. Genausowenig wie Spiel und Recht ihm noch mehr waren als nur Schall und Rauch, so waren ihm auch die Frauen fremd geworden.
Wenn auch dein Leben Dir nichts mehr bedeutet, schienen die Ahnen ihm vorzuwerfen, vergiß nicht die Welt, die einen König braucht. Wie willst Du neben deiner Geliebten die Ewigkeit genießen, wenn nicht ein König diese Welt in Ordnung hält? Was ist mit dem Ende der Zeit und dem Anfang der Glückseligkeit, wenn das Chaos sich mit Macht den Weg erkämpft und einbricht in die Ordnung der Schöpfung, weil kein König die Ordnung erhält und beschützt? Wenn die Wirklichkeit zerbirst und die Götter stürzen, was ist dann mit deiner Liebe? Diese Fragen zermarterten ihm die Seele. Er brauchte einen Erben. Er musste die steinerne Reihe der Ahnen fortsetzen. Es musste einen neuen König geben, und danach noch viele, bis ans Ende der Zeit, wenn er seine Liebe im Paradies wiederfinden wollte. So reifte ihm ein Plan heran.

Müde war ich, müde war mein Pferd und müde schien mir auch das Land, durch das ich geritten war. Müde nicht nur durch Anstrengung und Entbehrung, sondern auch gegenüber den Gestalten am Hof. Müde der geschminkten Gecken, müde der Dichter und ihrer falschen Gefühle. Müde auch der Frauen mit ihren geschminkten Wangen und den falschen Augen. Intrigen in Politik und Liebe, und zumeist beides in einem. Ein Mann muss nicht getötet haben um ein Mann zu sein, aber lieber noch in Gesellschaft solcher zu sein die für die Mord ein Prüfstein ist, als Schminke, polierte Fingernägel und zartes Lispeln als letzte Kriterien der vollendeten Männlichkeit zu sehen.
Andererseits hatte es auch durchaus positive Seiten, wieder in der Hauptstadt zu sein. Ein sauberes Becken voll heißen Wassers, ein Dampfbad. Emailgeschmückte Fließen, saubere Wäsche und nicht zuletzt reichliches und gutes Essen. Auch gab es noch gute Freunde, auf deren Wiedersehen ich mich freute, auf alte Geschichten und gute Gespräche. Ich betrachtete den Aufenthalt als Urlaub, der zwar mit Unbill verbunden war, die mir aber nicht die Laune verderben sollten.
Umso mehr war ich überrascht als mir am nächsten Morgen mitgeteilt wurde, dass ich schon an diesem Abend zu einem Gespräch mit dem König befohlen war. Ich hatte mit ein paar ruhigen Tagen gerechnet bevor ich dem Liebling der Götter wieder die jährliche Rechenschaft geben sollte. Lange Jahre hatten mich gelehrt den Fügungen des Schicksals, auf die man keinen Einfluss nehmen kann, keinen Widerstand entgegen zu setzen. In diesem Fall war der Wille des Königs einfach hinzunehmen. Vielleicht würde ich doch noch ein paar Tage bleiben können um meine alten Freunde zu treffen. Wenn ich aber sofort zur Grenze im Norden geschickt würde, müßte ich auch gehorchen.
So machte ich das Beste aus meiner Situation, verbrachte den Tag mit einem ausgedehnten Bad, ließ mich pflegen, danach genoss ich es mitten am Tag zu schlafen. Keine Meldungen die mich aufjagen würden, keine Pflichten die ihrer Erfüllung harrten, nur ich und ein großes kühles Bett.
Als ich aufwachte war schon die Dämmerung angebrochen. Ich trat auf den Balkon vor meinem Schlafzimmer hinaus, stützte meine Arme auf die steinerne Brüstung und genoss den Moment. Hoch über der Stadt stand ich, nackt im lauen Luftzug den der Abend bringt, die bloßen Füße auf dem glattpolierten weißen Marmor, angenehm gewärmt durch die Hitze des Tages. Die Sonne stand tief im Westen, halb verdeckt von den hohen Tempeltürmen, die gegen das goldene Rot der Sonne wie die schwarzen Arme von Riesen wirkten, die sich in einer Geste die Erbarmen einforderte, zum Himmel erhoben. Rund herum breitete sich die Stadt aus, soweit das Auge reichte. Aus den Häusern stieg Rauch auf, die Kuppeln der Paläste und die Teiche in den Parks glänzten im Lichtschein, während die Bäume und die Vogelschwärme schwarz wie die Tempeltürme im Gegenlicht schienen.
Dass ich aufgestanden war, hatte eine ganze Schar von Dienern und Dienerinnen aufgescheucht, die sich um mein Wohl zu kümmern hatten. Mir war ihr Gewimmel und ihnen meine Unmanierlichkeit zuwider. Ich kleidete mich selbst an, die Gewohnheit sich ankleiden zu lassen erschien mir immer schon suspekt. Sich bei jedem Handgriff helfen lassen zu müssen, das würde schon noch früh genug kommen. Ich hatte Kameraden gesehen, kraftstrotzende junge Männer, die durch Krankheit, Unfall oder Verwundung über Nacht zu Krüppeln wurden. Wen dieses Schicksal nicht ereilte, den holte sich das Alter als Beute und lies nur mehr einen sabbernden Fleischsack zurück. Solange beides noch nicht soweit war, ließ ich mir nur ungern helfen.
Bevor ich mich auf den Weg machte, wollte ich noch essen , wer konnte schon mit Bestimmtheit den Ablauf des Abends voraussagen, und ich wollte meine Interessen und meinen Auftrag nicht durch etwaige schlechte Laune, aufgrund eines leeren Magens, verderben. In den Jahren, die ich im dauernden Krieg verbracht hatte, war es mit zur Angewohnheit geworden im Stehen zu Essen, immer auf dem Sprung. Die Gewöhnung war soweit gegangen, dass mich tiefe Unruhe überfiel, wenn ich mich setzte, oder wenn das Essen sich gar in die Länge zog.
Auch so stand ich diesmal, wieder draußen auf dem Balkon und genoss das Servierte. Spießchen aus Rinder- und Hammelhaschee, mit schwarzem Pfeffer scharf gewürzt und mit Limonensaft durchtränkt, dazu heiße, dünne knusprige, nach geklärter Butter duftende Fladen. Weißen Reis in Palmblättern, dessen runde, volle Körner Stärke, Fruchtbarkeit und wundervolle Sättigung ankündigten. Im Erdofen gegrillte Hühnerbruststückchen, mit rotgefärbten Joghurt gebeizt. Bananen- und Kokosfladen mit Honig. Tapioka-Kugeln, weich und klebrig, mit Mandelöl und Pistazienessenz gewürzt. All das stand neben mir auf einem bronzenen Beistelltischchen, das mir bis zum Nabel reichte. Dazu trank ich heißen Tee. Wenn man sein halbes Leben in Kasernen verbracht hat, und nur die Extreme kennt, das ewige Warten und die plötzliche Hektik, die bleierne Langeweile und die ewigen Augenblicke des Schlachtgewühls, den Triumph des Sieges und die Agonie de Niederlage, dann hütet man sich vor dem Wein und seinen Verwandten. Man trinkt nicht leichtfertig, und folgt damit der Straße Schritt für Schritt, die Kameraden früher wie heute in den Stumpfsinn und den Säuferwahn geführt hat.
Die Sonne war schon verschwunden, die Nacht kündigte sich an, die Vögel hatten den Fledermäusen den Himmel überlassen und der Rauch aus den Hütten war zu Myriaden von Lichtpunkten geworden. Es schien fast so, als ob die große Stadt mit der Himmelskuppel wetteifern wolle, als ich so im Stehen mein Essen verzehrte, bis ich genug hatte und ging. Durch den Palast, hinaus in einen der Gärten, im Diwan-i-Am wo in einer Laube die Audienz stattfinden sollte. Für viele der überfeinerten Künste und Lebensgenüsse war ich nie empfänglich gewesen, aber ein Garten hatte mich immer gefesselt. Ein Garten gehört nie ganz allein einem selbst, man kann immer nur bis zu einem bestimmten Grad seine eigenen Vorstellungen verwirklichen. Ihm steht Freiheit zu wie einem Menschen, die man ihm lassen muss, sonst wird alles tot und künstlich. Mensch und Natur sind in einem Garten zwei Komponenten, die nur ineinander, gegeneinander und miteinander vollkommen sein können. Einer der Spiegel des Anderen. Seines Anderen. Sollte mich das Leben doch noch von den Baracken und Festungen wegführen, so würde ein Garten sicher zu dem gehören, was dann mein Leben bestimmen würde.
Es war schon Jahre her, dass ich zuletzt hier gewesen war, einiges schien sich geändert zu haben, manches nicht zum Besten. Noch immer war alles tadellos, aber der echte Reiz war nur mehr an ein paar Orten zu finden.
Auf einem Hügel, der auf einen schwarzgrünen See hinunterblickte waren Steinbänke, mit Kissen ausgepolstert, Tische und eine größere Menge Menschen zu sehen. Herren wie Diener. Ich ärgerte mich über meine Naivität, natürlich war der Hofstaat da, Schwätzer, Gecken und sensationslüsterne Weiber. Ich versuchte den Ärger hinunterzuschlucken so gut es ging. Hoffentlich waren auch ein paar Vertreter der Vernunft anwesend, dachte ich, als ich aus der Dunkelheit in den Schein der Lampen hineintrat..

Ein großgewachsener Mann, der offensichtlich versuchte Ordnung zu halten, nahm meinen Namen in das große Buch, das vor seinen Schreibern auf dem Ebenholztisch lag, auf. Die Gespräche verstummten und viele Augen waren auf mich gerichtet, niemand glaubte, dass ich einfache Person, in schlichter, fast ärmlicher Kleidung, einer Audienz für würdig befunden werden könnte. Eine Audienz zu erhalten war etwas, das viele von ihnen versuchten, Tag für Tag, aber scheiterten.
Irgendwie erfüllte mich das mit Stolz. Ich ging zu dem Tisch, der in Mitte der Gesellschaft stand und pflückte mir ein paar Trauben, die zusammen mit anderen Köstlichkeiten auf den silbernen Platten lagen. Das Tischtuch allein hätte unter normalen Menschen zum Totschlag geführt. Aus einem Krug, der in einem schneegefüllten Kübel stand, schenkte ich mir klaren, kalten Wein in eine Schale. Da huschte etwas von der Seite in mein Blickfeld, und entwand mir geschickt die Schale mit der kalten Flüssigkeit. Ein Hauch von Parfüm umgab mich. Fliegende Seidentücher und blitzende Augen. Grün wie die einer Katze.
Sie nahm einen tiefen Schluck aus meiner Schale und reichte sie mir zurück, dabei hielt sie den Kopf zur Seite geneigt und fragte, „Was machen Sie denn so, dass der König persönlich mit Ihnen sprechen will?“ Ich lehnte die Schale aus der sie getrunken hatte mit einer schroffen Geste ab, wandte mich um um mir eine neue einzuschenken, und stellte, den Rücken ihr zugewandt, fest: „Soldat bin ich.“ Sie beugte sich von hinten zu mir und hauchte mir, wobei ihre Brüste meinen Rücken berührten, ins Ohr. „Bei euch Soldaten, die ihr soviel Ehre habt, ist es sicher. Hier bei Hofe aber, im Zentrum des Universums, sollte man anderen niemals den Rücken zu wenden. Es tauchen so schnell unerwartet garstige Wunden auf.“ Jetzt schaute ich ihr wieder ins Gesicht. Sie legte den Kopf zur Seite und musterte mich von oben bis unten. „Tragen Soldaten nicht Schwerter und Rüstungen?“ fragte eine andere die zu uns hinzugetreten war und sich an ihre Freundin schmiegte. Sie hatte einen samaragdbesetzten Becher in der Hand, an deren Gelenk eine schwere goldene Kette, wie eine satte Schlange, glänzte.
„Wird so ein schlechter Sold gezahlt“, meinte ein Mann gedehnt, der zu uns hinzutrat, „daß man in Fetzen herumzulaufen hat?“ „Laß ihn doch, der Ärmste weiß sicher nicht wie man sich kleidet.“ „Kein Wunder, muss er doch immer mit Barbaren kämpfen.“meinte die Erste, und hakte sich bei mir unter. Sie lachte mir ins Gesicht: „Dabei vertiert man zwangsläufig. Doch sein starker Arm beschützt uns“ sie griff an meinen Bizeps, „dafür sollten wir ihm dankbar sein“ Sie führte sich meine Hand mit dem Becher zum Mund und trank daraus.
„Was man liebt oder was man bekämpft, dazu wird man schlußendlich. Das ist die Metamorphose des Schmerzes und der Abhängigkeit“ meinte ein schlanker, hochgewachsener, hohlwangiger Mann. „Darum sollte man immer nur dem Geist die Aufmerksamkeit schenken. ER allein verdient es!“ Der Sprecher hatte dem Geist schon ziemlich stark zugesprochen, wie die meisten der Anwesenden auch, denn seine Augen glänzten und die Zunge schien ein wenig schwer. „Es sind Riesen diese Barbaren. Wir hatten Gefangene bei Hofe. Sie waren wie Tiere. Sagen sie, sind deren Frauen auch so groß und ungeschlacht?“ fragte ein anderer, ein ältere Herr.
Was sollte ich in der Schnelle darauf antworten, hier war nicht der Ort für Ausführliches, hier regierten Bonmots und Unterhaltung. Der Kitzel des Augenblicks war alles. Was sollte ich ihnen erzählen von diesen Völkern, die genauso verschieden waren wie die in unserem Königreich, nicht einfach Barbaren. Auch sie waren Menschen, liebten ihre Kinder, ihre Familie, arbeiteten voll Mühe. Wie sollte ich sagen, dass es dort noch viel mehr so war, dass die Leistung des Einzelnen seinen Platz in der Gemeinschaft bestimmte, und nicht das Gold und die Titel die aus unvordenklichen Zeiten auf ihn herabgekommen waren? Dass die Kunst mit der sie ihre Waffen und Häuser schmückten so einfach wie schön waren, dass einem die überbordenden Zierate des eigenen Volkes fremd wurden?
Ich wollte zu einer Antwort ansetzen, als ich von dem Mann mit den Schreibern und den Büchern gerufen wurde, der König liebte es nicht zu warten. Über eine steinerne Brücke wurde ich auf die Insel inmitten des schwarzgrünen Sees gebracht. Der Mond spiegelte sich im Wasser, Lampions erhellten die Insel und die warme Nachtluft war durchzogen von scharf riechenden Rauchschwaden gegen die Moskitos. In einem lackierten Pavillion, mit kunstvoller Schnitzerei verziert, wurde ich erwartet. Der König thronte auf einem hohen Stuhl, um ihn Ratgeber, von denen ich einige kannte, andere nicht. Ich musste kurz Rede und Antwort stehen, dann schickte er die anderen weg. Der Herr der Zeit winkte mich näher, ich kroch auf den Knien zu ihm hin. Er hieß mich aufstehen. Dann sprach er zu mir.
Die eigentliche Bedeutung seiner Rede ging mir erst später auf. Zu überrascht und verwirrt war ich als er sprach. Von seinen Problemen, von seinen Hoffnungen und davon, dass ich von ihm ausersehen war seinen Erben zu zeugen. Er hatte meinen Vater gut gekannt, zwei Brüder die für ihn gestorben waren und mein Ruf den ich mir an der Nordgrenze in den Jahren seit meinem Jünglingsalter erworben hatte, waren für ihn ausschlaggebend. Ich wurde ausgewählt wie ein Zuchthengst. Wenn ein lebender Gott befiehlt zu einer Frau zu gehen, so geht man. Wenigstens war jetzt die Ungewissheit verschwunden, wann und wie mein Leben enden würde. Mit der Geburt eines Sohnes. Oder wenn sie zu lange auf sich warten ließ. In zwei Wochen würde er zu seinem Sommerpalast reisen, mit einem kleinen Teil seines Harems, dahin sollte ich dann auch kommen, alles weitere war Sache der Götter und der Vorhersehung. Ich wagte nicht einmal zu Fragen wen er mir als Partnerin zu gewiesen hätte, so überrascht und unterwürfig war ich. Das alles ließ ich wieder und wieder an mir vorüberziehen, später als ich dann allein an einem abgelegenen Ufer des Sees saß. Die Lampions und Fackeln der Gesellschaft tanzten in der Dunkelheit, die klare Luft trug eine Ahnung ihrer Stimmen zu mir herüber. In dieser Ahnung schwang etwas mit, dass der König mir gesagt hatte, seine Worte klangen mir noch im Ohr.
„Als ich jung war, zwang ich alle Reiche in die Knie, alle Gegner in die Unterwerfung. Die Welt war mir ein Apfel, und meine Gegner waren Puppen. Nichts schien meinem Willen standhalten zu können. Doch jetzt, da ich alt bin, habe ich vor einem Gegner Respekt, vor der Liebe. Vor der Liebe, die ein Mann und eine Frau teilen. Wenn die beiden Eins werden.“ Dann hatte er einen Schluck aus dem goldenen Becher genommen. Die Krone warf Schatten über sein Gesicht, die Augen waren in ihren Höhlen kaum mehr zu sehen. Die scharfen Falten um den Mund traten hervor, als er den Mund zu einem Lächeln verzog. „Lass das nicht unseren Sohn gefährden. Sein Leben und sein Erbe.“

An die Grenze hinauf, zu meinen Stellvertretern, schickte ich Nachrichten die besagten, dass mich Familienangelegenheiten festhalten würden. Eine tiefe Befriedigung durchströmte mich, als ich die Briefe abschickte und mir bewusst wurde, dass ich die richtigen Männer in die richtigen Positionen gebracht hatte, dass ich ihnen vertrauen konnte, und dass mit meiner Person meine Sache nicht untergehen würde. Der Krieg und was mit ihm zusammenhängt, ist wie ein Garten. Nicht alleine kann man alles machen, Helfer sind wichtig. Nicht ein notwendiges Übel, dass man geringhalten muss, sondern ein Erfordernis der Schöpfung, zur Vielfalt, Schönheit und Harmonie. Ebenso wie die richtige Auswahl der Steine und Pflanzen ist auch die Auswahl der Gärtner von entscheidender Bedeutung, denn jeder von ihnen bringt auch sich ein, jeder trifft Entscheidungen und bestimmt so das Ergebnis mit. Wobei in beiden Fällen von einem Ergebnis zu sprechen zu viel ist, denn es hört nie auf, ist ewiger Weg der sein Ziel in sich hat.
Als der König mir befohlen hatte allein zu kommen, ohne meinen Stab, war mir schon bewußt geworden, dass mir einiges bevorstand, allerdings hatte ich eher mit einer Intrige und dem Verlust der Befehlsgewalt gerechnet als mit diesem Sonderauftrag. So reiste ich alleine und ohne aufzufallen zu meinem Bestimmungsort. Ich wußte nicht, ob ich auf diese Reduzierung auf meinen natürlichen Zweck verletzt oder stolz reagieren sollten, so reiste ich mit wechselnden Gefühlen.

Es war ein Tag in den Hügeln, die Wolken hingen tief, grau waren die Steine und der Himmel, eiskalter Nieselregen wie Nadelspitzen auf der Haut. Grün waren die Hügel, mit den Steinen auf ihren Hängen, und den Schafherden. Gegen Abend kühlte es stark ab, man hätte meinen können, dass mitten im Sommer der Winter einbrach. Der Regen nahm zu, Wind kam auf und die Aussicht an irgendeinem Hügelhang ohne Feuer zu schlafen war nicht verlockend. Ein dünner Faden aufsteigenden Rauches führte mich zu einer kleinen Erdhütte. Das Dach mit Moos bedeckt, ich kannte solche Hütten schon mein ganzes Leben. Ich stieg ab und ging zur Ledertür. Ich klopfte und öffnete. So ärmlich ich auch gekleidet war, mein Pferd und meine Waffen machten mich unter den Armen zum Herrn. Die Hütte war warm, der Brei heiß und der Geruch nach Ziegen stark. Von der niedrigen Decke hingen Kräuter und Felle, der Rauch zog aus dem Loch im Dach hinaus in den Nachthimmel. Ich saß mit untergeschlagenen Beinen auf den Schilfmatte, die auf der kalten Erde ausgebreitet waren und aß. Schweigend wie die beiden Bewohner. Ein alter Mann und sein Enkel. Die beiden unterhielten sich in kurzen Sätzen die sie einander blitzschnell zuwarfen. Ich verstand kaum ein Wort, so stark war ihr Dialekt. Als Dank für die Unterkunft bot ich meine Flasche an, die beiden tranken, das Eis war gebrochen. Für die Fragen noch dem Woher und Wohin hatte ich mir schon Antworten zurechtgelegt. Der Alte schien die Unwahrheiten zu bemerken, doch nickte er so, als ob er mir sein Einverständnis geben müsste. Als ob er die Wahrheit kennen würde, meine Lügen aufgrund der Wichtigkeit der Sache aber billigen würde. Dann erzählte er eine Geschichte, der Junge legte sich nieder, wickelte sich in die Decken. Die meisten Nächte erzählte der Alte sicher nur für sich allein, denn der Junge schlief bald ein.

Das Verhängnis war nahe. Die Zeit war knapp. Die Ordnung begann sich aufzulösen, so stieg der Gott hinab, in die dunklen Tiefen der Welt, um am Brunnen der Wahrheit Gewißheit und Klarheit zu finden. Doch dort er gab als Preis sein Auge, und die einzige Gewißheit, die er erlangte, war die seiner eigenen Fehlbarkeit. Die getrennten Stränge der Stärke zusammen zu schmieden war sein Ziel. So knüpfte er den Teppich der Geschichte, einer Liebe zwischen einem seiner Kinder und einem Kind der Väter der Menschen. Doch der Gott fehlte, er konnte nicht alle Fäden zusammendenken, sie verwirrten sich ihm. Der Mensch war schwach, zwar erlangte er den Preis, die Tochter des Gottes, aber gab sie auf, für eine der Seinen. Der Gott war erzürnt, er zerhieb das Knäuel, das den Ausgang der Geschichte bestimmen hätte sollen. Seine eigene Tochter holte er zurück, doch den Kindern der Menschen brachte er frühen Tod, kalte Herzen und Verzweiflung. So wandte sich seine eigene Tat gegen ihn, war ihm entwischt, hatte Selbständigkeit gegen ihn erlangt. So erkannte er seinen eigene Endlichkeit und die Gewißheit des Endes seiner Herrschaft und den sicheren Anbruch des Chaos.


„Alter Mann, du erzählst die Geschichte wie eine aus einer lang vergangenen Zeit. Doch die Welt steht noch, auch wenn wir heute zu anderen Göttern beten. So liegt das Ende noch vor uns, wie passt das zusammen?“
„Die Zeiten gehen immer dem Ende entgegen. Meinst du wirklich, dass der Weltuntergang vor uns liegt, und die Entscheidung hinter uns? Meinst du dass du es erkennen könntest, dass dies nicht mehr die Welt ist, sondern nur ein Albtraum? Meinst du es gibt einen Ort an dem der Brunnen der Wahrheit steht? Den du finden kannst wenn du nur tief genug gräbst?“ Damit drehte er sich um, legte ein paar Dungfladen nach und wickelte sich seine Decken ein. „In allem, was wir tun, liegt dieses eine Samenkorn des Unglücks. Nie wird das was wir wollen, das sein was wir erreichen.“ Damit drehte er sich um und schlief ein.
Früh am nächsten Morgen war ich auf den Beinen, doch die beiden waren schon gegangen ihr Tagewerk zu verrichten. Ich ließ ein Zeichen meiner Dankbarkeit zurück, mit dem sie Ziegen kaufen konnten, oder wonach immer ihnen der Sinn auch stehen mochte. Dann sattelte ich mein Pferd und ritt durch den eisigen Nebel davon. Es war kalt wie im Winter, die Hufschläge meines Pferdes waren gedämpft und ich wähnte mich schon verirrt, als ich aus den Hügeln in die Ebene kam. Der Nebel zerriß wie ein Schleier, die Sonne schien mir und um mich herum war es wieder Sommer.
Auf meiner Reise, ich hatte ja drei Wochen Zeit, in denen ich wie vom Erdboden verschluckt sein sollte, ging mir das Groteske an meiner Situation nie ganz aus dem Sinn. Als ich mich dem Sommerpalast näherte, war ich bewusst vorsichtig. Mir war ein Hintereingang bezeichnet worden, den ich auch glücklich fand und in die Palastanlage hinein kam, direkt hinter dem eigentlichen Palast des Königs. Die Anlage war riesig. In einem großen Park, mit künstlichen Seen und Hügeln lagen etwa drei Dutzend Pavillionkomplexe verstreut. Vor Jahren, als Knabe noch, war ich einmal mit meinem Vater hier gewesen. Damals hatte der König gerade seine Frau geheiratet. Ich war frei herumgetreunt, auf Bäume geklettert und ständig vor der Palastwache auf der Flucht gewesen. Manches schien mir von damals noch vertraut, vieles kam mir wieder in den Sinn, das längst vergessen war.
Es war der Vorabend der Ankunft des Hofstaats, ich saß in der dichten Krone eines der uralten Bäume und wartete darauf, dass die Heerscharen der Diener, die den Palast vom Staub eines Jahres reinigten, endlich fertig würden und ich das vom König bezeichnete Versteck finden konnte. Ich war nicht nur um meinetwillen und der Sache wegen sehr vorsichtig, sondern war mir daran gelegen, dass die Unwissenden geschützt blieben. Jeder der Bescheid wusste, oder über dem auch nur der Hauch eines Verdachtes schwebte, wäre schon auf dem Weg in die andere Welt. Wer die Geschichte fälschen will, kann keine Zeugen gebrauchen.
Als dann endlich die Diener weggegengen waren, kletterte ich aus dem Baum und schlich in den Palast. Die dünnen Schiebetüren waren kein Problem für mich. Nach den langen Wochen in Hirtenhütten oder unter freiem Himmel, war der Anblick des poliert glänzenden Holzbodens, der seidigen Teppiche, der schillernden Atlaskissen schon fast zu viel für mich. In der Dunkelheit war alles noch traumhafter und ungewohnter als es sonst auch gewesen wäre. Ich versuchte mich mit dem Ort vertraut zu machen, an welchem ich die letzten Wochen meines Lebens verbringen sollte. Der Plan sah vor, dass ich den Tag in einem Versteck unter der Erde zu verbringen hätte. Am Abend würde der König das ausgesuchte Mädchen zu sich rufen, wenn er dann alleine mit ihr war, alle dienstbaren Geister hinausgeschickt waren, würde ich meine Rolle zu spielen haben.
Nachdem ich die Falltreppe zu meinem unterirdischen Versteck gefunden hatte, wollte ich mich schon auf den Decken ausstrecken und schlafen, als meine Gedanken wieder zu dem Mädchen wanderten, das ich morgen treffen sollte. Nach den Wochen der Reise unter Ziegen und Schlimmerem, war mir klar, dass ich unser erstes Aufeinandertreffen für meine Partnerin angenehmer gestalten sollte. Ich zog mich aus, mein stinkendes Gewand ließ ich zurück, fest in eine Decke gewickelt. Nackend lief ich leise durch den Park, geraden Wegs auf die erste der Wasserflächen zu. Ich lief leicht durch die Bäume, das weiche Gras unter meinen Fußsohlen, der warme Sommerabendluftzug auf der nackten Haut. Das Licht der Mondsichel reichte gerade aus um die Schritte sicher setzen können. Dann war ich schon am Ufer und glitt leise wie ein Otter in das mitternachtschwarze Nass. Zuerst prickelnd kalt, dann angenehm. Mit langen Zügen entfernte ich mich vom Ufer, tauchte unter und weit hinaus, in die Mitte des Gewässers. Dort ließ ich mich auf dem Rücken treiben, den Blick immer hinauf in den Himmel gerichtet. Die dunklen, teils vom Mond gefärbten Wolken zogen über die Sternenkuppel und ich genoß die Ruhe. Allerdings nur kurz. Solange bis mir eine Erinnerung kam.
Ich dachte an den Besuch mit meinem Vater, als ich zum ersten Mal hier war. Von den Tieren, die der König in manchen der Gewässer hielt. Wie wir damals zugesehen hatten, wie ein ausgewachsener Ochse auf einer eigens konstruierten Vorrichtung über das Wasser gehoben wurde, nachdem der König ihm mit einem langen Messer eine blutende Wunder zugefügt hatte. Der große schwarze Ochse, ein majestätisches Tier mit glänzendem Fell, und einem Brustkorb der Platz bot für drei ausgewachsene Männer. Seine tiefes Brüllen klang über die spiegelglatte Oberfäche des Sees, die leicht dunstig in Baumreihen an den Ufern überging. Das Spektakel hatte Zuschauer angelockt. Kurz darauf hatte das Wasser zu kochen begonnen. Ein Schwall Wasser. Danach dauerte es einen Moment, bis mir klar wurde, dass das verstörte Brüllen des Ochsen verstummt war, nur mehr der Kopf und der Brustkorb waren in den Lederschlaufen die zuvor ein beeindruckendes Tier gehalten hatten. Der Geruch nach Blut und noch nach etwas anderem lag schwer in der Luft. Als sich die Anspannung der Beobachter löste und alle zu sprechen begannen, sogar das erste Lachen der Unsicheren zu hören war, da kochte das Wasser nochmals, dunkle Schuppen glänzten, ein Schnappen, mit dem Geräusch zermalmter Knochen war der Rest des Ochsen verschwunden. Die Wasseroberfläche war leicht von einer leichten Brise gekräuselt, irgendwo am Ufer sang ein Nachtvogel. Doch für mich war der Frieden dahin.
Die Chance, dass es sich bei meinem See um den von damals handelte, war verschwindend gering, dennoch war mir in meiner Haut nicht mehr wohl zumute. Was wenn der König mehrere solcher Teiche hatte, was wenn ich in einem solchen war? Ich musste mich mit aller Gewalt zusammennehmen, um nicht in schreiende Panik auszubrechen. Sogar der Geruch von Blut schien in Schwaden über den See zu ziehen. Vor allem dufte ich nicht an das schwarze Wasser unter mir denken, und an schlängelnde Bewegungen. Als ich den Kies unter meinen Füssen spüren konnte, mir das Wasser nur mehr bis zu den Knien ging, beruhigte ich mich wieder. Setzte mich ans Ufer, lies mich im Wind trocknen und schaute noch lange hinaus, ob sich nicht irgendwo verräterisch das Wasser kräuseln würde, aber dem war nicht so.

Der König war angekommen, ich hatte mich in mein Versteck zurückgezogen und wartete. Niemals noch hatte ich mich so unwohl gefühlt, wie in diesen Stunden. Ich zog mir das Gewand an, dass mir zurechtgelegt wurde und wartete. Frauen hatten in meinem Leben nie eine große Rolle gespielt, ich hatte sie ihnen nie zugestanden, aber jetzt war das anders. Das war die letzte Frau meines Lebens, der letzte Inhalt überhaupt, den dieses Leben haben würde. Danach würde nichts mehr kommen. Das veränderte meine Einstellung grundlegend, meine Sicherheit war wie weggeblasen. Das vereinbarte Klopfzeichen kam, ich strich meine Kleidung glatt und stieg die Treppen zur Falltür hinauf. Das Kerzenlicht ließ mich die ganze Pracht sehen, die ich am Abend zuvor nur erahnen konnte. Gold, Seide, Glanz und Schönheit überall. Der König im schwarzen Gewand, die langen grauen Haare umrahmten das hagere, ernste Gesicht, führte mich ohne ein Wort zu verlieren in das angrenzende Zimmer. Hinter mir schloss er die Tür.

Auf den ausgebreiteten Teppichen vor mir saß das Mädchen. Zwischen uns war ein niedriger Tisch, aus poliertem Ebenholz. Gewärmte Silberplatten, Früchte, Wein und Tee. Sie bot mir kniend eine Tasse voll goldenem, nach frisch geschnittenem Gras duftendem Tee. Ich kniete mich zum Tisch, nahm die Tasse und trank. „Du musst hungrig sein, nach allem was ich so gehört habe“. Sie rutschte neben mich und breitete die Kissen bequem aus. Ich wurde gefüttert wie ein kleines Kind. Eigentlich war es mir zutiefst angenehm, aber aus einem gewissen Stolz heraus, in Erinnerung dessen, dass ich so einen Bedienung gewöhnlich ablehnte, versuchte ich mich zu wehren. Aber ich hatte noch nicht mehr als nur eine kleine Bewegung gemacht, da drückte sie mir ihren mit Hennamustern geschmückten Finger auf die Lippen. Noch nicht viele Frauen in meinem Leben hatten mich dazu gebracht zu gehorchen. Aber in dieser aussergewöhnlichen Situation ließ ich mich einfach führen. Das Essen war gut, nach der Diät aus Grütze und Ziegenkäse der letzen Wochen wäre ich auch schon mit viel weniger anspruch zufrieden gewesen, aber so ließ ich mich einfach treiben.
„Nach dem Essen badet der König für gewöhnlich, kommst du?“ Das ganze Essen war schweigend vor sich gegangen, wir hatten nicht geredet. Sie hatte sich erhoben und schaute mich an, und winkte mir einladend zu, wobei die Kupferringe an ihrem Handgelenk hoch und rein klirrten. „Ich habe erst gestern gebadet“, dass ich meiner Meinung nach sauber genug war, verbiss ich mir lieber. „Der König badet jeden Abend. Komm schon.“ Ich folgte ihr durch eine Tür und wir kamen in einen dunklen Raum, nur wenige Kerzen warfen tanzende Schatten an die Wände. Sie nahm mir mein schwarzes Gewand ab, und ich setzte mich ins Wasser. „Wo hast du denn gebadet. Wir haben das Wasser erst heute eingelassen?“ „Drüben, in dem See“ Sie hörte auf meine Haare zu waschen, drehte mein Gesicht herum, „du machst dich lustig über mich. Niemand badet in diesem See.“ Sie hielt noch immer mein Gesicht in meiner Hand, das Henna auf ihren Händen war vom Wasser verwaschen und die Muster liefen ineinander. Dann, sie hielt noch immer mein Gesicht, beugte sich von hinten über mich zu einem langen Kuss. Ich griff nach hinten, nach ihrem Kopf und löste die Spange die ihre Haare zusammenhielten. Sie fielen wie ein Vorhang herab, die dunklen Locken wie glänzende Schlangen im Wasser. Über uns, auf der Decke des Bads, war ein komplexes Muster aus Kupferbändern angebracht, das die ganze Wölbung überzog. An einem Ende jedoch verwirrte sich das Muster, es wurde zum Knäuel.

Wir saßen auf den Polstern und sahen hinaus in die mondhelle Nacht. Sie hatte ihren Kopf auf meine Brust gelegt. Wir nippten beide an einer eiskalten Schale Sorbet. Abwechselnd, einmal sie einmal ich. Wieder schwiegen wir beide. Es tat wohl neben ihr zu schweigen. Ich war noch immer völlig verblüfft. Frauen hatten in meinem Leben nie eine große Rolle gespielt. Ab und zu ließ es sich nicht vermeiden mit ihnen zu tun zu haben, aber bei einem Soldatenleben kam das nicht oft vor. Eine Nacht, und es war vorbei.
Mit ihrer Sicherheit und Ruhe hätte ich nie gerechnet, sie war mir über. Ich hatte ein verschüchtertes kleines Mädchen erwartet. Behutsames Kennenlernen, vortasten. Stattdessen war alles unvermutet über mich hereingebrochen.
„Du bist erstaunt?“ Sie rieb ihren Kopf an meiner Brust wie eine Katze. „ Auf diese Nacht hab ich doch mein ganzes Leben gewartet. Ich bin jetzt 20, mit 16 war ich ein Geschenk an den König. Er hat nie Interesse an seinen Frauen gezeigt. Das war jetzt meine Hochzeitsnacht. Glaubst du ich wollte noch länger warten?“ Sie setzte sich auf mich, ihre dunkelblaue Bluse, mit weißer Seide unterlegt schwang auf, ihre Brust an meiner, als wir uns küssten.

Die Tage vergingen langsam, die Nächte gehörten nur uns zwei. Liebe, Gespräch, Kennenlernen und Vertrauen. Es war eine neue Erfahrung für mich. So interessant wie ihr mein Leben auf dem Rücken von Pferden, mit Waffen und Befehlen schien, so unbekannt war die Welt in der sie lebte und aufgewachsen, war für mich. Wenn auch der Tag dem Mann gehört, was wäre die Nacht ohne das Licht der Frau? Nun wußte ich es.

„Ist töten einfach?“ fragte sie mich eines Abends. Wir saßen im Dunkeln unter einem Baum. Sie hatte gerade ein Leid gesungen und sich auf Kithara selbst begleitet. Ein Leid von einem Helden und seiner Liebsten. Ein trauriges Lied. „Ja. Wenn es schnell geht und die Frage er oder ich die wichtige ist. Nein, wenn es langsam geht, wenn das Sterben sich über Stunden hinzieht, wenn man stundenlang die Folgen seiner eigenen Handlungen vor Augen hat. Einmal war ein Stamm eingedrungen in unser Land. Mit Frauen und Kindern. Wir waren sehr schnell und geschickt. Wir überraschten sie, nahmen sie gefangen, die Frauen und Kinder, als nur wenige Männder um sie waren. Sie sollten unsere Geiseln sein. Schickten Boten aus. Der Stamm sollte über den Fluss, in ihr eigenes Land zurück Unsere Boten kamen in ledernen Säcken wieder. Wir töteten alle. Frauen wie Kinder. Danach kamen sie auf ihren Pferden. Alle starben, keiner von ihnen kehrte in ihr eigenes Land zurück. Von dort kommt keiner wieder.“ Vieles, allzuvieles gibt es, dass nie mehr zurückkehren wird. „Allerdings kommt auch die Stunde der Entscheidung nicht mehr zurück. Unsere Taten, veranlasst von uns verlassen uns, über sie haben wir dann keine Macht mehr. Sie haben eine eigene Existenz, wenn man schon lange vergessen ist, werden Taten immer noch lebendig sein. Gegen unserer Taten sind wir endlich und ohnmächtig.“ Unvermittelt wechselte sie das Thema.
„Wenn ich schwanger bin, dann ist es aus mit uns?“ „Wenn es ein Sohn ist, sicher, sonst weiß ich es nicht“ „Du wirst gehen müssen?“ „Ja“ „Aber wir werden uns sicher nochmal sehen. Und auch unseren Sohn wirst du sehen, später?“ „Nein, ich glaube nicht“ „Interessiert es dich denn gar nicht was aus ihm wird, er wird eines Tage König sein. Dein Sohn“ „Ich weiß, ich würde alles darum geben, wenn ich es könnte, aber es wird nicht gehen“ Wir lagen auf einer Matraze, sie hatte schon die ganze Zeit gedankenverloren ein paar Akkorde gezupft, doch plötzlich hörte sie auf und drehte sich zu mir herüber. Ernst. „Er wird dicht töten lassen, sobald ich einen Sohn unter dem Herzen trage?“ Das hatte sie geflüstert. „Ja“ „Und das läßt du einfach so mit dir geschehen? Wozu dann all deine Kraft, wozu bist du Soldat, wenn du dich nicht wehrst?“ Sie schwieg eine Zeitlang, zupfte wieder ein paar Töne, dann sah sie ein, warum Kampf kein Mittel war. „Du könntest doch auch flüchten.“ „Nein, wohin sollte ich denn gehen, bei wem unterkriechen? Ich will mich nicht ein Leben lang jagen lassen. So weiß ich wenigstens wann und wie der Tod kommen wird. Er wird kurz sein, kein elendes verrecken im Dreck, kein seniles dahindämmern. Ich werde mich auch nicht wehren. Ich werde nicht das zerstören, was ich mein ganzes Leben beschützt habe. Dafür wird mein Sohn König. Den Preis bin ich bereit zu zahlen.“ „Du musst gehen. Sofort. Ich will nicht dass du so stirbst.“ „Es ist gut, ich habe keine Angst, hab du auch keine.“Ich nahm sie in meine Arme. Ich strich ihr sanft übers Haar. Vor meinem Schicksal hatte ich keine Angst, aber vor dem was ihr bevorstehen würde, sehr wohl. „Du musst gehen, ich bin schwanger. Die alte Kadhziha hat gesagt, dass es ein Bub wird. Sie hat sich noch nie geirrt.“

Es war wieder Abend. Ich wartete darauf, dass er mich heraufholen würde, da hörte ich oben Schreie und Holz splittern, ein aufgeregtes Kreischen. Ich rannte die Treppe nach oben, riß die Falltüre auf, und vor mir lag der König, mit einer Wunde in der Brust, sie über ihn gebeugt, sah mir tief in die Augen. Als ich mich über die Leiche des Königs beugte, hörte ich schon die Stimmen der Wächter, und das schneidend scharfe Organ eines Ministers: „Fangt den Mörder, er darf seiner gerechten Strafe nicht entgehen.“ Da stand ich nun mit Blut an den Händen, sie neben mir. Ich wischte mit einer Falte des Rockes den Griff meiner Waffe sauber, stellte mich breitbeinig vor das Mädchen und die Leiche und machte mich auf einen letzten Kampf gefasst. Noch einmal murmelte ich den alten Waffensegen, den ich für mich und meine Kameraden sooft erbeten hatte: „Heil Dir, und Sieg und unverletzten Körper, auf dass dein Panzer fest dich schirme.“ Für eine Lebende, einen Toten und einen Ungeborenen.

Der alte Mann schenkte sich den Rest der warmen Milch über dem Feuer ein. Der Dung glühte wie Kohlen, doch für die Kälte der Nacht war der Res,t der sich jetzt noch in der Feuerstelle befand, zuwenig. Draußen tobte ein Sturm. Rüttelte an den Wänden, und die Sterne im Rauchloch waren nicht mehr zu sehen. Wer eine große Herde hatte, hatte auch immer genug Heizmaterial. Er musste nicht sparen. Aus einem der Säcke legte er behutsam getrocknete Fladen nach. Dann kniete er sich vor das Feuer und blies sanft und gleichmäßig in die Glut. Nur wenige Funken stoben in die Dunkelheit der Hütte hinaus, so geschickt gab er dem Feuer Nahrung mit seinem Atem. Das Gesicht wärmte sich ihm an der Glut, bis seine Wangen zu brennen schienen. Dann lehnte er sich zurück in seine Decken und nahm langsam ein paar Schlucke von der warmen Milch.
„Was ist dann passiert?“ klang die Stimme des Knaben von der anderen Seite der Feuerstelle herüber. „Sind die beiden entkommen?“ „Ich dachte du schläfst schon.“ „Nein ich hab nur nachgedacht“ „Er war ein großer Kämpfer, mit seinem Herzen genauso wie mit seinem Schwert. Soviele sie auch hineinschickten, soviele kamen auch nicht mehr heraus. Schlussendlich mussten Sie den ganzen Palast niederbrennen.“ „Haben sie dann die verkohlten Leichen gefunden, oder sind sie ganz verbrannt?“ „Du hoffst wohl, dass die beiden sich in der unterirdischen Kammer versteckten, von der außer ihnen niemand wußte?“ „Sie könnten doch entkommen sein“ „In der Hektik brach das Feuer seinen Weg und zerstörte die ganze Anlage. Alle Paläste und Tempel zerfielen zu Asche. Doch als das Feuer ausgebrannt war, suchten die Männer des Königs in den Trümmern nach den Leichen.“ Der Alte nahm einen Schluck von der Milch. „Sag schon, haben sie sie gefunden?“ „Ja. Der Leichnam des Königs wurde gewaschen und gereinigt. Mit Wasser, Balsam Gebeten und Ritualen. Bis er wieder so schön war wie im Leben. Dann öffneten sie das Grab auf dem Hügel und versenkten darin den Sarg. Lieder des ewigen Lebens und der Wiedergeburt in der anderen Welt hallten von den Wänden der Grabkammer wieder bis die steinernen Tore zuschwangen und die Echos erstarben. Dann lag der König in der dunklen Stille für alle Ewigkeit neben seiner Königin in Frieden. Draußen war Krieg. Genauso wie der Palast brannte auch das Reich. Bald entflammten Kämpfe, jeder wollte sich auf den Thron der Zeit setzen, keiner vermochte es. Der Krieg wogte hin und her, mit jedem Jahr wurde der Siegespreis geringer, doch die Anstrengungen und die Rücksichtslosigkeit ihn zu erringen größer. Bis zuletzt nichts mehr war um das sich zu streiten lohnte, und niemand mehr war, der streiten konnte. Seit diesen Tagen gibt es keine Könige mehr, die Schafe grasen in den Ruinen, die Hügel decken die Gräber und die Statuen davor sinken langsam in das grüne Gras.“ Damit trank der alte Mann den letzten Schluck aus seiner Schale, und stellte sie neben das Feuer „Und die Leichen der beiden?“ „Auch die wurden entdeckt. Doch ihnen wurde keine Ehre zuteil. Zwar wurden auch sie gereinigt und gepflegt, aber nur um dann der Rache übergeben zu werden. Ihre Körper wurden von Pferden zerfetzt, von Hunden und Ratten und noch schlimmerem gefressen. Ihre Seelen wurden verflucht und verstümmelt. Viel Wissen um das es nicht schade ist, ging mit diesem Königreich unter. Alles wurde aufgeboten um den beiden den Schmerz zuzufügen den die Menschen empfanden.“ Dann drehte er sich in seine Decken ein und beide schliefen während draußen der Sturm tobte.
Am nächsten Morgen, das Gras war noch nass vom Tau, war der Junge schon unterwegs. Brot und Käse in einem Schultertuch für den Tag. Zielstrebig führte er seine Ziegen und Schafe in das Tal in dem die beiden großen Hügel standen. Doch sein Weg führte ihn nicht wie den König damals durch das kleine Tal, durch das einmal ein schneller Bach geflossen war, sondern durch den Wald in den Hügeln hinter dem Grab. Hohe Linden und Birken wuchsen aus den Grabhügeln, die verstreut im Wald lagen, doch für die hatte er keinen Blick. Erst als er aus dem Wald kam, vor sich die beiden Hügel sah und hinabblickte auf das Tal wurden seine Schritte langsamer. Dann ging er zwischen den Gräbern hindurch, eine steinerne Treppe hinab. Wobei er gut aufpasste, den die Stiegen waren von Moos überwachsen, die Treppe steil und er wollte nicht stürzen. Dann kam er zu dem Platz. Eine steinerne Straße führte den Hügel hinunter, an ihrem Ende, wo der Junge stand war ein steinerner Altar. Zu beiden Seiten der Straße, die nun nicht viel mehr war als nur ein schmales Band aus Pfalstersteinen, waren Statuen. Auf der einen Seite Richter, auf der anderen Ritter. Viele der Statuen waren schon gestürzt, manche von der Zeit und dem Wetter bis zur Unkenntlichkeit abgeschliffen. Doch der Junge besah sich alle sehr genau. Jede wurde geduldig untersucht. Seine Ziegen hatte er vollkommen vergessen. Endlich fand er ihn. Am unteren Ende der Reihe, lag eine Statue im Gras, beim Sturz war sie in mehrere Teile zerbrochen, doch man konnte noch den Körper eines großen und stattlichen Mannes erkennen. Nachdem er die Blumen und eine dichte Schicht Moos, die das Gesicht der Statue überwucherten, entfernt hatte, sah er klare Augen, die ihn mit Sicherheit anblickten. Glattrasierte Wangen, eine hohe Stirn, mit kurzem Haar, und einen Mund der sowohl zum Lachen wie zum Tadel geneigt schien. Von der linken Schläfe, knapp am Auge vorbei lief eine geschwungene Narbe bis hin zum Kinn. Auf seiner Brust war ein Wappensymbol, ein kompliziertes Muster, das in ein Knäuel auslief. Den abgenommenen Helm hielt er im Arm. Eine von der Nachtkälte träge Eidechse schlängelte sich langsam aus ihrem Versteck in die Morgensonne auf den Helmbusch, öffnete ihren Mund, dessen melonenfarbige Innenseite sich von den grünen Schuppen der Haut abhob und lies sich aufwärmen. Weder dem Jungen noch der Statue schenkte sie Beachtung.

 

Hallo, ekmek!

Herzlich willkommen auf www.kurzgeschichten.de!

Deine Geschichte finde ich sehr schön - sie ist spannend und enthält viele stimmungsvolle, farbige Szenen. Auch ist sie traurig und ein wenig mystisch - besonders das Bild des Verfalls, das du zeichnest. Auch die Feststellung, dass wir nie erreichen, was wir wollen, gefällt mir sehr.
Was ich nicht ganz verstanden habe, ist die Ich-Perspektive - warum hast du diese gewählt?
Übrigens sind im Text ein paar Rechtschreibfehler zu finden, ich weiß die Stellen jedoch nicht mehr (tut mir Leid). Daher wäre es gut, wenn du sie noch einmal durchsehen würdest.

LG Iris

 

hi iris,
freut mich sehr, dass es dir gefallen hat. Die frage nach der perspektive ist nicht so einfach zu beantworten, neben vielen anderen motiven wollte ich einerseits die melancholie von verfall und endlichkeit ausdrücken, dazu schien mir die perspektive des erzählers geeigneter als für den hauptcharakter. Andererseits aber wollte ich um jeden preis die 'liebesgeschichte' unmittelbarer, also in der ich-perspektive, erzählen. auch ging es mir ein bißchen darum, mit dem erzähler einen (auch thematischen) rahmen schaffen, in dem ich dann die auswirkungen auf den einzelnen darstellen konnte. ganz zufrieden bin ich mit dem ergebnis nicht, aber andererseits war mir die geschichte emotional sehr wichtig, wollte sie also nicht einfach 'canceln'. Die rechtschreibfehler uä ärgern mich selbst sehr, anscheinend bin ich einfach nicht in der lage sie zu vermeiden bzw verbessern.
danke für das nette willkommen,
lg
ekmek

 

Hallo ekmek,
herzlich willkommen auf kg.de.
Leider muss ich dir sagen, dass die Geschichte mir nicht gefallen hat. Zwar hast du wirklich gute Ansätze drin, auch schöne Szenen, aber darum herum blubbert ein ganzer Haufen aus konfusen Redewendungen, Szenensprüngen, Perspektivenbrüchen, fehlender beziehungsweise falscher Formatierung, unsorgfältigem Umgang mit Satzzeichen und hundertfacher Wiederholung von Fakten, die der Leser doch längst kennt, die das Lesen für mich sehr unangenehm gemacht haben. Das ist auch der Grund, aus dem ich das Lesen der Geschichte immer wieder abgebrochen habe.

Der für mich "schlimmste" Bruch ist der im ersten Drittel der Geschichte. Völlig grundlos brichst du die Geschichte komplett ab und schreibst eine andere, die als Einziges den König mit dem ersten Text gemeinsam hat. Was haben die beiden Textteile miteinander zu tun? Warum sind sie eine Geschichte und nicht zwei?

Den Anfang deines Soldaten-Textes finde ich nicht schlecht, wenn ich auch irgendwann der Meinung war, dass du zu erklärend bist. Du schüttest den Leser mit Informationen über Ess- und Schlafgewohnheiten zu, die mit der eigentlichen Handlung wenig zu tun haben und deren Ausführlichkeit durch sie auch nicht wirklich gerechtfertigt wird. Du versuchst zwar, am Ende den Faden vom Anfang wieder aufzugreifen, das ist dir jedoch nicht gelungen. Ich war durch den kompletten Geschichtswechsel am Anfang so irritiert, dass das bei mir nicht funktioniert hat.

Deine Stärke scheint es anhand dieses Textes zu sein, einzelne Szenen auszuarbeiten. Die Handlung voranzutreiben und Informationen einzubringen musst du noch üben. Du solltest die zweite Geschichte daraufhin durchgehen.

Ich wünsche dir weiterhin viel Spaß im Forum.

 

hi vita,
schön dass du die geschichte gelesen hast, schade dass sie dir nicht gefallen hat. Du würdest mir sehr weiter helfen, wenn du mir für die beiden kritikpunkte "fakten die jeder kennt" und "konfuse redewendungen" vielleicht ein beispiel geben könntest. Danke für die kritik,
lg
ekmek

 

Hallo ekmek,

Ich habe mir das Ganze noch mal genauer angeguckt und muss mich entschuldigen. Die Informationen, die ich meinte, springen mir aus einem anderen Grund ins Auge:

Wenn man sein halbes Leben in Kasernen verbracht hat, und nur die Extreme kennt, das ewige Warten und die plötzliche Hektik, die bleierne Langeweile und die ewigen Augenblicke des Schlachtgewühls, den Triumph des Sieges und die Agonie de Niederlage, dann hütet man sich vor dem Wein und seinen Verwandten. Man trinkt nicht leichtfertig, und folgt damit der Straße Schritt für Schritt, die Kameraden früher wie heute in den Stumpfsinn und den Säuferwahn geführt hat.

Sätze wie dieser sind für mich ein Beispiel dafür. Du bist sehr langatmig, umschreibst lieber, und das Ganze dann auch noch abstrahiert und teilweise widersprüchlich. Durch dieses "man" entpersonalisierst du die Aussage, und die beiden Sätze widersprechen sich.

Szenen wie diese machen die Stimmung der Geschichte für mich ein wenig kaputt. Du springst aus der Perspektive heraus. Du solltest solche Szenen finden und kürzen. Ich würde an dieser Stelle vielleicht schreiben "Ich hatte schon genug Kameraden dem Alkohol verfallen sehen..." Mehr ich, weniger man.

Ich empfinde deinen Erzähler als ein wenig schwafelig. Das mag durchaus ein bewusstes Element der Charakterisierung sein, passt aber nicht zu der Vorstellung von dem, was ich für einen Soldaten halte.


Teilweise sind mir einige sprachliche Holperer aufgefallen, das meine ich mit "konfuse Redewendungen". Die Geschichte liest sich relativ anstrengend, auch dadurch, dass du mit den Absätzen ziemlich sparsam bist. Dann sind da Sätze, Satzteile, die für mich aus den Rhythmus fallen und mir deshalb ins Auge springen.

Der König war weise und gerecht. Seine Frau die schönste der Welt. Mir ihr ging die Sonne auf. Alle Reiche beugten sich seinem Willen
Parataxe - SPO-Sätze, die ich als relativ unbeholfen empfinde

und dem König zerfiel sein Leben zu Asche
Das mag zwar eine Metapher sein, aber ich finde, sie passt nicht ganz

das Spiel hoch zu Pferde, immer seine Freude, war nur mehr Langeweile
Ich weiß, was du meinst, aber ich finde, es liest sich etwas seltsam

Spärliches Licht von den letzten Kerzen warf Licht, ebenso wie Schatten, um ihn herum.
Schiefer Bezug: Die Kerzen werfen keine Schatten, das können sie gar nicht...

Alles trachten des König richtete sich nur auf ein Ziel
dieses "Trachten" meinst du vermutlich im Sinne von "Sinnen und Trachten", da hast du aber eine Redewendung zerpflückt... ein weiterer Stolperstein im Text, weil der Leser es nicht sofort versteht, was gemeint ist, sondern erst entschlüsseln muss.

Vielleicht hast du Lust, dir mal den Thread "Tipps für Schreibanfänger" in der Rubrik "Autoren" durchzulesen, vielleicht kannst du mit den Informationen dort ja etwas anfangen. Ich hoffe, ich konnte dir irgendwie weiterhelfen und wünsche dir viel Spaß beim Überarbeiten.

gruß
vita
:bounce:

 

hi master ekmek
ich kann mich da nur vitas meinung anschließen.
lies mal den text für schreibanfänger.
ich hoffe für dich es wird dir helfen.
man sieht ja das du dich bemüht hast.
aber unwissenheit nützt nicht vor strafe.
dann auf bald.

 

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