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Der letzte Kompromiss

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23.02.2004
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Der letzte Kompromiss

Der letzte Kompromiss
© Markus Böhme 2010

Dass das Leben eine schier endlose Aneinanderreihung von Kompromissen ist, brauch ich Ihnen ja wohl nicht zu erzählen. Gerade Ihnen nicht, wie Sie so dasitzen und keine Regung zeigen, während ich erzähle, und kein Gefühl, kein Ausdruck des Empfindens auf ihrem Gesicht zulassen. Ich kann erahnen, dass auch Ihre Geschichte eine traurige ist, aber heute, mein Guter, geht es um meine Geschichte. Und der erste Part Ihrer Arbeit besteht nun Mal darin, mir zuzuhören.

Im Sommer 1981 war ich Ingenieur oben im Valley und die Firma, bei der ich angestellt war, war einer ganz großen Stars der Achtziger Jahre – einer der Pionier in Sachen Hard- und Software. Kaum waren die ersten sechsstelligen Schecks ins Haus geflattert, begannen sich auch die Frauen für mich zu interessieren. Nicht dass ich vorher keine Frauen gehabt hätte, aber es war nicht so dass ich ein Überangebot gewohnt war. Die Hornbrille, die damals meine Nase zierte, machte mich zum klischeehaften Loser-Techniker der Achtziger und so freute ich freute mich umso mehr, als Jennifer sich ernsthaft für zu interessieren begann. Sie war nicht die schärfste Braut im Valley, vermutlich nicht mal die schärfste, die ich bekommen hätte, aber sie hatte Humor, und das machte mich bei Frauen mehr an als ein hübsches Paar Brüste und ein Yoga-Arsch.

Wir gingen ein paar Mal aus, und nach wenigen Wochen zog sie bei mir ein. Ich liebte sie nicht so, wie ein Mann eine Frau lieben sollte, aber wir kamen gut aus, sie kochte für mich, machte den Haushalt und ich mochte sie gern. Abends spielte ich ihr oft Songs auf der Gitarre vor und die ganze Sache bekam sogar einen Hauch an Romantik.

Im Laufe der Jahre nach unserer Hochzeit schätzte ich ihre Anwesenheit immer mehr, ich glaube, nach einiger Zeit hatte ich sie dann wirklich schon geliebt, auf die eine oder andere Art. Sie jedoch begann bereits nach einigen Jahren ihr wahres Gesicht zu zeigen, und wies mich immer öfters ab. Kuscheln und Küsse wurden weniger, die Mahlzeiten wurden liebloser und ihre Ausflüge in die Großstädte unseres Landes wurden häufiger. Das Schlimmste jedoch war die Kälte in ihren Augen, wenn sie mich ansah.

Dass sie keine Kinder bekommen konnte, war ein großer Schock, vor allem für mich. Die Vorstellung als alter Mann alleine am Tisch zu sitzen und keine jungen Nachfahren um sich zu wissen, machte mich fertig. Aber auf einen Kompromiss folgt konsequenterweise der nächste und ich hatte Jennifer immerhin die Treue geschworen bis dass der Tod uns scheidet.
1989 war ich beim Börsengang unserer Firma über nach zum zig-fachen Millionär geworden und wir bauten uns eine Villa knapp außerhalb des Valleys. 1995 wurde bei Jennifer Krebs diagnostiziert und sie nahmen ihr eine Brust ab. Ich war eine Woche lang an ihrem Bett im Krankenhaus und hatte ihre Hand gehalten. Sie hat nicht eine Träne geweint, was ich von mir nicht behaupten kann. Sie erholte sich gut, und ich glaube, dass meine wachsende Liebe zu ihr dabei geholfen hat.

Die Wochenenden zwischen 1996 und 2000, die Jennifer zu Hause verbrachte, konnte man an beiden Händen abzählen. Immer häufiger besuchte sie Ihre Mutter im Napa Valley, ihr Cousine in L.A. oder sogar alte Freunde in New York City.

Nach dem Platzen der Dot-Com-Blase 2002 war mein Vermögen zwar relativ gesehen geschrumpft, absolut gesehen hatte ich allerdings keine Probleme, meinen hohen Lebensstandard zu halten. Das war übrigens auch das Jahr, in dem Jennifer eine Affäre mit einem Stripper aus Reno hatte. Wie ich dahinter kam? Er hatte sie auf ihr Handy angerufen, und ich bin rangegangen. Der Rest war eine Sache von 3000 Dollar plus Spesen für den Detektiv.
Es hat wehgetan, dass muss ich zugeben. Der Schmerz war aber eher die Wut darüber, dass sie mich für dumm verkaufte und glaubte, mit mir alles machen zu können, als ein wirklicher Herzschmerz. Ihre Entschuldigung war, dass ich ihr keine Wärme bot. Am liebsten hätte ich gesagt, dass man einem Eisblock keine Wärme geben sollte. Wie dem auch sei, ich war bei ihr geblieben und hab´s ihr verziehen. Ich hatte mich vor über zwanzig Jahren für meine Frau entschieden – mit all ihren Fehlern und Macken – und ich stand nun dazu. Ich war konsequent.

Wir lebten weitere sieben Jahre nebeneinander her, und obwohl ein Teil in mir sich gegen sie sträubte, gab es einen anderen Teil in mir, der sie liebte. Am 20. Juni 2009 brachte sie mich dann um. Nun, beinahe zumindest.
Sie hatte für das Wochenende ihre Mutter eingeladen, und ein Großeinkauf stand bevor, einer von der Art, der in vier oder fünf großen Kisten aus dem Whole Foods endete. Die Sonne brannte vom Himmel und sie wollte das Cabrio nehmen, anstatt wie sonst im Cheyenne die zwanzig Meilen nach Los Altos hinauf zu fahren.

„Da können wir die Einkäufe nicht ordentlich verstauen“, sagte ich. Sie wusste genau, dass die Sonne meine bereits gediehene Halbglatze aufbrennen würde, aber was soll ich sagen, es war ihr scheißegal. Hauptsache die Millionärsgattin würde mit offenem Verdeck vor den Supermarkt fahren und quer über zwei Behindertenparkplätze direkt vor dem Eingang parken.

„Normalerweise würde dich alleine zum Einkaufen schicken“, sagte sie. „Wenn ich schon mitkomme, dann will ich auch meinen Spaß dabei haben – das ist doch ein guter Kompromiss, oder etwa nicht?“

Auf dem Rückweg fuhr Jennifer viel zu schnell. Wir hatten die Kisten (es waren sechs geworden, alle von mir einzeln getragen) auf der Rückbank verstaut – im Kofferraum war dafür nicht genügend Platz. Dann klingelte ihr Handy, das vorne in der Ablage unter dem Autoradio lag. Der Klingelton war so schrill wie die Stimme ihrer Mutter.

„Lass mich rangehen“, rief ich ihr im Fahrtwind zu, doch seit 2002 ging sie lieber selbst ran. Sie hob ab.

„Mutter“, sagte sie und lachte. „Ja, ich bin gerade am Rückweg aus der Stadt.“

An den Satz erinnere ich mich noch gut. Ich bin gerade am Rückweg aus der Stadt. Dass ich auch da war, hatte sie wohl vergessen. Noch während ich über den Satz und seine Bedeutung nachdachte, bekam ich aus den Augenwinkeln heraus mit, dass ein Truck versuchte, uns zu überholen. Durch ihr Telefonat war Jenn langsamer geworden, doch jetzt als sie den Truck sah, gab sie – immer noch telefonierend – Gas.

„Natürlich, Mutter“, sagte sie. Ich blickte nach links über die Schulter, und merkte, dass sie den Truck wieder abgehängt hatte. „Tom wird dich abholen.“

Dann drehte ich mich wieder nach vorne, und im gleichen Augenblick kam Jennifer von der Straße ab, driftete nach rechts in den Sand. Sie riss das Lenkrad herum und glitt wieder auf die Straße hinaus, ich schrie auf. Hinter uns ertönte das Horn des Trucks, ich konnte durch den aufgewirbelten Staub nichts erkennen. In Panik verlor Jenn das Telefon, riss wieder am Lenkrad. Irgendwo ertönte eine Hupe, vermutlich von einem entgegenfahrenden Fahrzeug, und dann krachte die rechte Hälfte des Cabrios gegen eine Anzeigetafel. Mein Kopf schlug auf das Armaturenbrett, wurde von berstendem Glas zerschnitten und federte wieder zurück. Die oberste Kiste mit den Whole Foods Aufkleber wurde nach vorne geschleudert und traf die Nackenstütze des Beifahrersitzes, die entzweibrach und den heftigen Schlag an meine Wirbelsäule weitergab.

„Mutter?“, war das letzte was ich vernahm, bevor alles schwarz wurde. „Tom kommt dich vielleicht doch nicht holen.“

Vier Monate später, als ich in meinem Rollstuhl von meiner täglichen Spazierfahrt zurückkehrte, stand ein schwarzer Lexus mit getönten Scheiben in der Einfahrt. Drinnen erwartete mich Jenn mit einem ebenso schwarz gekleideten Herrn, der neben ihr auf der Couch saß.
„Tom, das ist Mr. Sawyer, er ist Scheidungsanwalt.“

Können Sie sich das vorstellen? Sie unterstützen eine Frau das ganze Leben lang, und obwohl sie einem weder Liebe noch Kinder schenkt, halten Sie zu ihr. Sie machen sie zu einer reichen Frau. Sie helfen ihr durch die vermutlich härteste Zeit ihres Lebens, als sie an Brustkrebs erkrankte. Sie verzeihen ihr eine Affäre mit einem zwanzig Jahre jüngeren Mann. Und dann, fährt dieselbe Frau, ausgerechnet auf der Einkaufsfahrt für das Wochenende mit ihrer Mutter, gegen eine Anzeigetafel, fesselt Sie damit für den Rest ihres Lebens an einen Rollstuhl und erklärt Ihnen dann: „Sorry, ich lass mich von dir scheiden, du Krüppel.“

Der erste Teil Ihrer Arbeit ist hiermit erledigt. Gehen wir zum zweiten über.
Ihr Name ist Jennifer W. Garner, das W. steht für Wilma. Sie wohnt in Palm Beach, Florida. Sie konnte die Westküste noch nie leiden, hatte sie mir anvertraut, nachdem sie fast 30 Jahre mit mir zusammen dort gewohnt hatte. Kann gut sein, dass ein Mann bei ihr wohnt. Sie können sich sicher vorstellen, wie mehrere Millionen Dollar in Kombination mit einer fast sechzigjährigen Frau auf junge Männer wirken. Die genaue Adresse ist 1083 South Ocean Boulevard.

Achja und bitte: Keine Kompromisse.

Nicht mehr.

 

Eine kleine Geschichte, von der ich nicht genau weiß, was ich davon halten soll. Ist der Schluss so ok? Oder fehlt was?
Da ich ausschießlich Horror-Poster bin, stelle ich auch diese Story hier rein. Immerhin war das Leben des Mannes ein Horror :)
Würde mich über Anregungen freuen.
Danke,
markus

 

Hi!

Flüssig geschrieben, aber, für meine Begriffe, ein wenig zu glatt. Alles ist hier irgendwie glatt. Spannung kam leider gar nicht auf, und vor allem: Es kam auch kein Horror auf. Wenn ich das Ende richtig verstanden habe, dann wird hier ein Auftragsmörder, oder ein anderer finsterer Geselle engagiert, der die Exfrau lynchen soll. Ich weiß nicht, ob der Inhalt der Geschichte die Wahl für die Horrorecke rechtfertigt, weil dieser eben komplett fehlt. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur gaga, und verstehe nur Bahnhof:D.

Gruß,
Satyricon

 

Hi, du hast alles richtig verstanden, danke :)
Ja ich weiss, es ist keine wirkliche Horrorgeschichte, aber ich finde sie unterhält zumindest :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Moikka forsakingmax,

ich sehe den Horror bei der Geschichte auch nur im sehr sehr uebetrtagenen Sinne, und rate Dir zu einer anderen Rubrik, es passt wirklich nicht. Denke, es wuerde der story auch guttun, weil man hier einfach etwas anderes erwartet.

Schlage Gesellschaft oder Alltag vor, sagst Du mir, wo Du sie gerne hin verschoben haben möchtest?

Vielen Dank, und viele Gruesse
Katla

 

Moikka forsakingmax,

ich verschiebe nach Alltag.

Herzlichst,
Katla

 

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