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Der letzte Sommer
Ich kannte Mandy nun seit mehr als einem Jahr, heute war ich zum ersten Mal mit ihr in diese Szene-Kneipe gegangen. Warum eigentlich ‚Szene’? Kommt das hier so häufig vor, dass jemand seinem Partner eine Szene macht? Nun, die Musik hier war angenehm und nicht zu laut, irgendein Lichtgerät zauberte verwobene Muster in wechselnden Farben auf Wände und Menschen. Mandy gefiel es hier, und mir gefiel Mandy. Sie hatte an der Bar eine Freundin erspäht, nun unterhielt sie sich dort mit ihr.
Ich war etwas müde geworden, versank in Erinnerungen ...
... wir hatten uns damals bei der Parkbank hinter dem Spielplatz getroffen, so, wie immer im Sommer. Es gab da eine Espe, deren Laub ganz typisch raschelte und die Sonnenstrahlen zu Bodenmustern verzerrte. Sven stand einfach da, er rauchte. Das war cool, mit vierzehn Jahren ist das cool. Seine Baseballkappe hing am Gürtel. Marco hätte das auch gerne so gemacht, doch er wollte es nicht nachmachen. Deshalb trug er seine übergroße Kappe extra schräg, links herum, irgendwie seitlich am Kopf. Vielleicht war sie angeklebt. Ich sagte nichts. Doch was blieb für mich übrig? Das Leben ist kompliziert. Meine Kappe hing an meinem Handgelenk, auch wenn sie dort immer im Weg war. Schließlich wollte ich, wie wir alle, bei Heike cool rüberkommen. Wir hatten eine tolle Zeit gehabt, schon den ganzen Sommer lang. Manchmal hatte Marco den Ghettoblaster von seinem großen Bruder dabei: Wir taten so, als ob wir Mikrophone hätten und machten die Gesten unserer Hip Hop Stars nach. Einmal kam Heike tanzend auf mich zu, sagte mit rauchiger Stimme „C' mon, babe!“, Mann, das war geil, obwohl ich wohl etwas rot wurde. Sven zog gleich seine Puff-Daddy-Nummer ab und imitierte dessen Gesang. Heike nahm ihn lachend in die Arme. Na, da war er wieder zufrieden.
Dann, an einem Mittwoch, war Heike nicht mehr gekommen, obwohl klar war, dass wir uns wieder an der Bank treffen würden. Rückblickend war dieser Tag nicht nur ein Ferientag für uns, sondern auch gewissermaßen der letzte Sommer dieser Art, konzentriert auf ein paar Stunden.
Eigentlich waren wir echt gut drauf, hatten uns ein wenig rumgeschubst, und Sven hatte eine Menge überlegener Sprüche losgelassen. Wir diskutierten in allem Ernst, welche Motorräder für uns in Frage kämen, ich glaube wir fühlten uns sehr erwachsen. Plötzlich meinte Sven „Hip Hop, das hat doch was mit hüpfen zu tun.“ Ich glaube keiner hatte damals etwas dagegen einzuwenden, wir schauten uns nur gelangweilt an. „He, früher haben wir doch immer dieses Ding in den Sand gemalt, dann mit dem Stein geworfen und sind gehüpft.“ Dann spielten wir tatsächlich dieses kindische Mädchenspiel, waren ganz versunken darin. Ich weiß nicht einmal mehr, wer gewann. Ganz überraschend fragte dann eine Männerstimme, was wir denn da machen. Verlegen, in gewissem Sinne ertappt, hörten wir sofort mit dem Spiel auf. Seltsamerweise hatte plötzlich jeder irgendwie keine Zeit mehr, auch ich ging nach Hause.
Später erfuhr ich, dass Heike in diesem Sommer schwanger geworden war, natürlich von Sven. Ich denke, damals wurde mir bewusst, wie sich durch eine Entscheidung oder Tat das ganze Leben grundlegend verändern kann. Das Leben ist kompliziert.
Seit diesem Sommer habe ich keinen Kontakt mehr zu Sven und Heike gehabt, vielleicht sind sie umgezogen. Marco habe ich kaum noch gesehen, er war in der Schule hängen geblieben, eine Klasse Unterschied, das können Welten sein. Aber ich bin mir sicher: Wir schämten uns wegen dem Mädchenspiel, dies war der wahre Grund warum wir uns aus dem Weg gingen.
Soweit ich weiß, hat es keiner von uns zu einem Motorrad gebracht, jedenfalls bis jetzt.
Wahrscheinlich hatte mich Mandy schon eine ganze Weile beobachtet, bevor sie mich ansprach. Als ich sie, aus meinen Gedanken gerissen, ansah, war ich mir eigentlich sicher, dass ich sie liebte und sie mich auch. Nur - irgendwie scheute ich die ganz alltäglichen Konsequenzen, die sich aus dieser Tatsache ergeben mussten.
Das Leben ist kompliziert.